«Mein Kampf» - Die Karriere eines deutschen Buches (eBook)
379 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-10839-2 (ISBN)
Sven Felix Kellerhoff, geboren 1971 in Stuttgart, studierte Zeitgeschichte, Alte Geschichte und Medienrecht. Seit mehr als 20 Jahren ist er Leitender Redakteur für Zeit- und Kulturgeschichte der Welt. Er ist Autor zahlreicher zeithistorischer Sachbücher, unter anderem über Hitlers 'Mein Kampf' und über die NSDAP (beide erschienen bei Klett-Cotta).
Sven Felix Kellerhoff, geboren 1971 in Stuttgart, studierte Zeitgeschichte, Alte Geschichte und Medienrecht. Seit mehr als 20 Jahren ist er Leitender Redakteur für Zeit- und Kulturgeschichte der Welt. Er ist Autor zahlreicher zeithistorischer Sachbücher, unter anderem über Hitlers "Mein Kampf" und über die NSDAP (beide erschienen bei Klett-Cotta).
Inhalt
Der Verleger des Buches, der sich offenbar einen Erlebnisbericht mit sensationellem Hintergrund versprochen hatte, war von der steifen und redseligen Langeweile des Manuskripts zunächst überaus enttäuscht.
Joachim Fest, Hitler-Biograf1
Wer ein Buch schreibt, will seine Leser entweder informieren oder unterhalten, vielleicht auch beides. In jedem Fall ist ein Spannungsbogen unverzichtbar, der die Lektüre interessant macht, am besten lohnend. Deshalb wird kein Autor sein Werk mit dem Ende beginnen, mit dem nachweislichen Scheitern des eigenen Vorhabens. Wer etwa über einen Putschversuch berichtet, wird vielmehr zuerst die Umstände schildern, unter denen der Plan zu dem Staatsstreich reifte, dann die Umsetzung schildern, den Mut der Beteiligten würdigen, die Niedertracht der Gegner geißeln, schließlich den verdienten Erfolg feiern oder das tragische Scheitern beklagen. Kaum ein Schriftsteller würde wohl einen anderen Weg einschlagen – niemand außer Adolf Hitler.
»Am 1. April 1924 hatte ich, aufgrund des Urteilsspruches des Münchner Volksgerichts von diesem Tage, meine Festungshaft zu Landsberg am Lech anzutreten«, lautet der erste Satz auf der ersten Textseite von Mein Kampf. Am Anfang seines zweibändigen Buches stand das Eingeständnis des Scheiterns, wenn auch kaschiert: »Damit bot sich mir nach Jahren ununterbrochener Arbeit zum ersten Male die Möglichkeit, an ein Werk heranzugehen, das von vielen gefordert und von mir selbst als zweckmäßig für die Bewegung empfunden wurde.« Also habe er sich entschlossen, »nicht nur die Ziele unserer Bewegung klarzulegen, sondern auch ein Bild der Entwicklung derselben zu zeichnen«. Auch ein Versprechen machte Hitler seinen Lesern gleich zu Anfang: »Aus ihr wird mehr zu lernen sein als aus jeder rein doktrinären Abhandlung.«
Dabei zielte er aber gar nicht darauf, Menschen von seinen Ideen zu überzeugen, die bislang dem Nationalsozialismus gegenüber gleichgültig oder gar skeptisch gewesen waren; Mein Kampf richtete sich vielmehr, dem Vorwort zufolge, »nicht an Fremde, sondern an diejenigen Anhänger der Bewegung, die mit dem Herzen ihr gehören und deren Verstand nun nach innigerer Aufklärung strebt«. Vor allem bei ihnen konnte Hitler darauf hoffen, mit der instinktiven Form von Demagogie anzukommen, die alle seine Reden prägte und ebenso sein Buch. Ähnlich widersprüchlich erklärte er die Wahl des Mediums. Einerseits betonte Hitler, dass »jede große Bewegung auf dieser Erde ihr Wachsen den großen Rednern und nicht den großen Schreibern« verdanke. Andererseits stellte er fest: »Dennoch muss zur gleichmäßigen und einheitlichen Vertretung einer Lehre das Grundsätzliche derselben niedergelegt werden für immer.«2 Viele der damals fast ausnahmslos christlich geprägten Leser dürften bei diesen Sätzen Assoziationen an die Bibel gehabt haben: Eine Heilige Schrift kannten sie; ebenso, dass man ihren Text oder, genauer, die Botschaften, die Pfarrer unter Berufung darauf verkündeten, nicht in Frage zu stellen hatte.
Auch beim Weiterblättern kam wenig Spannung auf. Dick schwarz umrandet standen auf der nächsten Seite die Namen von 16 Männern, den »Blutzeugen« der NS-Bewegung. 14 von ihnen waren am 9. November 1923 mittags in der Münchner Residenzstraße von bayerischen Landpolizisten niedergeschossen worden, als sie mit etwa zweitausend Gesinnungsgenossen und Adolf Hitler an der Spitze ein irrwitziges Vorhaben in die Wirklichkeit umzusetzen versuchten: den »Marsch auf Berlin«. Ein Jahr nach dem Erfolg der italienischen Faschisten, denen ein symbolischer »Marsch auf Rom« die Ernennung ihres Parteichefs Benito Mussolini zum Ministerpräsidenten eingebracht hatte, wollten die deutschen Nationalsozialisten auf demselben Weg die Macht in Deutschland ergreifen – gegen die demokratisch legitimierte Regierung in der Reichshauptstadt. Hitler hatte sich in jenem Herbst immer mehr in Fahrt geredet; er wollte dem Vorbild Mussolini unbedingt nacheifern. Am 5. September 1923 etwa sagte er: »Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder marschiert Berlin und endet in München, oder München marschiert und endet in Berlin!«3 Drei Wochen später erklärte er gegenüber einem Vertreter der amerikanischen Nachrichtenagentur United Press: »Wenn München im gegebenen Augenblick nicht auf Berlin marschiert, wird Berlin auf München marschieren.«4 Diese Drohung wurde durchaus ernst genommen; nicht nur in München, sondern ebenso in Berlin. Sogar die Washington Post berichtete über den »bayerischen Nationalisten-Führer Adolph Hittler«.5 Über die Schreibweise seines Namens herrschte noch Unklarheit.
Am 8. November 1923, dem Vorabend des fünften Jahrestages der Revolution in Deutschland und der Abdankung des Kaisers, wollte Hitler seinen Plan umsetzen. In völliger Fehleinschätzung der Situation stürmte er bewaffnet in eine Versammlung, die Anhänger des reaktionären bayerischen Kabinetts unter Generalstaatskommissar Gustav von Kahr im Bürgerbräukeller abhielten. Der NSDAP-Chef schoss in die Decke und rief die »deutsche Revolution« aus: Unter seiner Führung sei eine neue Regierung zu bilden, die von Bayern aus die Macht im ganzen Land übernehmen werde: »Die Aufgabe der provisorischen Deutschen National-Regierung ist, mit der ganzen Kraft Bayerns und der herbeigezogenen Kraft aller deutschen Gaue den Vormarsch anzutreten in das Sündenbabel Berlin.«6 Hitler presste Kahr und seinen anwesenden Vertrauten »auf Ehrenwort« die Zusage ab, ihn zu unterstützen, ließ sie gehen und organisierte die Besetzung strategisch wichtiger Punkte in München, vor allem von Ministerien, Kasernen und Zeughäusern. Doch die meisten nicht-nationalsozialistischen Gruppen und Honoratioren der bayerischen Hauptstadt reagierten verhalten, ja abwartend. Kahr fühlte sich nicht an seine Zusage gebunden, die ihm unter Waffengewalt abgezwungen worden war, und organisierte die Gegenwehr: Regierungsloyale Polizei-Einheiten wurden mobilisiert, Mitarbeiter der Ministerien auf die Abwehr des Putsches eingeschworen.
Als Hitler am folgenden Morgen erkannte, dass sein Staatsstreichversuch misslingen würde, rief er seine Anhänger auf, in Richtung Feldherrnhalle zu marschieren – ein so verzweifelter wie aussichtsloser Versuch, das bereits unausweichliche Scheitern abzuwenden. Vom Bürgerbräukeller aus liefen die Putschisten bewaffnet durch die Innenstadt; in der Residenzstraße traten ihnen Uniformierte entgegen. Schüsse fielen, 14 der Aufrührer starben, außerdem vier Polizisten. Der Putsch war zu Ende. Hitler, der sich die Schulter ausgekugelt hatte, floh zunächst und tauchte bei seinem Gönner Ernst Hanfstaengl unter. Von seinem Scheitern tief getroffen, dachte er an Selbstmord, ließ sich dann aber widerstandslos festnehmen und einsperren. Ein sehr verständnisvolles Sondergericht verurteilte ihn zur Mindeststrafe für Hochverrat: Für seinen versuchten Staatsstreich bekam er fünf Jahre »ehrenvoller« Festungshaft mit Haftprüfung schon nach sechs Monaten.
Ohne Zweifel wären der gescheiterte Putsch, seine Vorgeschichte und seine Folgen ein reizvoller Stoff für ein Kolportagebuch gewesen. Dennoch ging Hitler darauf in Mein Kampf, abgesehen vom Vorwort und der Widmung sowie einigen wenigen Andeutungen, erst auf den allerletzten Seiten des zweiten Bandes wieder ein, mit einer klaren Entscheidung: »Ich will an dieser Stelle nicht eine Schilderung jener Ereignisse folgen lassen, die zum 8. November 1923 führten und die ihn beschlossen. Ich will es deshalb nicht, weil ich mir für die Zukunft nichts Nützliches davon verspreche, und weil es vor allem zwecklos ist, Wunden aufzureißen, die heute kaum vernarbt erscheinen; weil es überdies zwecklos ist, über Schuld zu reden bei Menschen, die vielleicht im tiefsten Grunde ihres Herzens doch alle mit gleicher Liebe an ihrem Volke hingen und die nur den gemeinsamen Weg verfehlten oder sich nicht auf ihn verstanden.« Er beließ es stattdessen bei einem Rückgriff auf die Widmung: »Diese 16 Helden, denen ich den ersten Band meines Werkes geweiht habe, will ich am Ende des zweiten den Anhängern und Verfechtern unserer Lehre als jene Helden vor Augen führen, die in klarstem Bewusstsein sich für uns alle geopfert haben. Sie müssen den Wankelmütigwerdenden und den Schwachen immer wieder zur Erfüllung seiner Pflicht zurückrufen, zu einer Pflicht, der sie selbst im besten Glauben und bis zur letzten Konsequenz genügten.«7
Statt seinem Publikum also eine spannungsgeladene Schilderung des misslungenen Putsches zu bieten, begann Hitler mit...
Erscheint lt. Verlag | 10.9.2015 |
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Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► 20. Jahrhundert bis 1945 |
Geisteswissenschaften ► Geschichte | |
Schlagworte | Deutsche Geschichte • Drittes Reich • Geschichte • Hitler • Mein Kampf • Nationalsozialismus • NSDAP |
ISBN-10 | 3-608-10839-4 / 3608108394 |
ISBN-13 | 978-3-608-10839-2 / 9783608108392 |
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