Scheiden tut weh (eBook)

Elterliche Trennung aus Sicht der Väter und Jungen
eBook Download: EPUB
2013 | 1. Auflage
286 Seiten
Vandenhoeck & Ruprecht Unipress (Verlag)
978-3-647-99633-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Scheiden tut weh -
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Dieser Band setzt sich mit den Folgen von Trennung und Scheidung für Männer und Kinder - insbesondere aus Sicht der betroffenen Väter und Jungen - auseinander. Beziehungen sind für alle Menschen von grundlegender Bedeutung. Der Qualität des Miteinanders von Männern und Frauen sowie von Eltern und ihren Kindern kommt eine herausragende Bedeutung zu. Sie beeinflusst persönliche Gesundheit, Lebensqualität und das gesellschaftliche Klima. Trennungen und Abschiede sind unvermeidliche biografische Wendepunkte, die auch notwendige Reifungsschritte markieren können. Werden Beziehungen jedoch unter konflikthaften oder sogar traumatischen Bedingungen getrennt, führt das für alle Beteiligten häufig zu leidvollen Belastungen. Die Folgen können schwerwiegend und langfristig sein, besonders wenn keine präventiven oder andere professionellen Hilfen zur Verfügung stehen. Einfache oder gar einseitige Täter-Opfer-Zuschreibungen verstellen dabei den Blick auf die komplexen emotionalen und gesellschaftlichen Problemlagen, mit denen auch Väter und Jungen umgehen müssen. Renommierte Fachleute beleuchten das Thema der Elterntrennung mit seinen vielfältigen Facetten und Folgen auch für die betroffenen Kinder aus historischer, psychoanalytischer, psychologischer, soziologischer, medizinischer und juristischer Sicht und geben Hinweise auf konstruktive Möglichkeiten der Verständigung und Bewältigung.

Prof. Dr. med. Matthias Franz ist Universitätsprofessor für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Universitätsklinik Düsseldorf, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Lehranalytiker und Supervisor (DPG, DGPT, D3G, IPD, POP). Er ist Vorsitzender der Akademie für Psychoanalyse und Psychosomatik Düsseldorf und der Psychotherapietage NRW. Seien Arbeitsschwerpunkte umfassen die Epidemiologie und Prävention psychosomatischer Erkrankungen, Folgen familiärer Trennung. Der Programmleiter für »wir2« der Walter Blüchert Stiftung forscht zu Affektforschung, Alexithymie, männlicher Identitätsentwicklung und entwicklungspsychologischer Bedeutung des Vaters.

Prof. Dr. med. Matthias Franz ist Universitätsprofessor für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Universitätsklinik Düsseldorf, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Lehranalytiker und Supervisor (DPG, DGPT, D3G, IPD, POP). Er ist Vorsitzender der Akademie für Psychoanalyse und Psychosomatik Düsseldorf und der Psychotherapietage NRW. Seien Arbeitsschwerpunkte umfassen die Epidemiologie und Prävention psychosomatischer Erkrankungen, Folgen familiärer Trennung. Der Programmleiter für »wir2« der Walter Blüchert Stiftung forscht zu Affektforschung, Alexithymie, männlicher Identitätsentwicklung und entwicklungspsychologischer Bedeutung des Vaters.

Martin Dinges

Kulturgeschichte der Trennung

Die Ausgangslage: Trennungskinder als konstantes Dauerphänomen

Lassen Sie uns zum Einstieg versuchen, die aktuelle Lage historisch einzuordnen. Mit der Entlastung der Ehe von ihrer ganz dominanten Funktion als Versorgungsinstitution nahm insbesondere seit den 1970er Jahren die Zahl der Eheschließungen stark ab, diejenige weniger bindender Lebensformen nahm massiv zu. Auch stieg die Anzahl der Scheidungen von 15 % (1970) über 30 % (1986–1993) aller geschlossenen Ehen am Ende der 1980er Jahre auf mittlerweile 50 % seit dem Jahr 2000 (Geißler, 2006, S. 337 f.). Die Hälfte dieser Ehen ist übrigens kinderlos. Jedenfalls nahm auch die Anzahl der Alleinerziehenden, meistens Frauen, von 660.000 (1970) über 1,4 Millionen (2000) auf 2,6 Millionen (2007) zu. 1,6 Millionen haben Kinder unter 18 Jahren. Mittlerweile sind knapp 15 % der Alleinerziehenden Väter (Geißler, 2006, S. 344; die Angabe für 2007 aus BMFSFJ, 2008, S. 3). All dies ist das Resultat einer gesellschaftlichen Entwicklung, die unter anderem auf größerer ökonomischer Selbständigkeit der Frauen beruht. Außerdem setzten Männer wie Frauen mehr auf Selbstverwirklichung und wollten sich weniger auf Bindungen einlassen. Schon seit 1871 sanken die Geburtenzahlen – und das bis in das erste Jahrzehnt des neuen Jahrtausends. Seither sind all diese Werte – also geringe Zahl der Eheschließungen, hohe Zahl der Ehetrennungen und geringe Kinderzahl – relativ stabil. Ein säkularer Trend scheint also zum Stillstand gekommen zu sein. Demnach ist anscheinend ein historischer Sockel erreicht, der dauerhaft zu einer hohen Zahl von Trennungskindern führen wird. Auch in naher Zukunft wird voraussichtlich jedes sechste bis siebte Kind (zeitweise) ein Trennungskind sein (Dinges, 2013).

Allerdings wachsen in Westdeutschland immer noch 85 % der minderjährigen Kinder bei beiden Eltern auf, in »Ostdeutschland« sind es nur 76 % (BMFSFJ, 2012, S. 23). Der Anteil Alleinerziehender lag 2011 in den »neuen« Bundesländern deutlich höher, nämlich bei 26 %, als in den »alten« mit 18 % der Familien (BMFSFJ, 2012, S. 23).1 Es handelt sich zu zwei Dritteln um Einkindfamilien.2 Es gibt also dort auch keine Geschwister mehr, die im günstigeren Fall die Trennungssituation abpuffern könnten (dazu Petri, 2006, S. 98 ff.).

Die mit Trennungen einhergehenden Erfahrungen dürften sich besonders auf Jungen negativ auswirken, weil sie generell später reifen und selbständig werden als Mädchen; diese reagieren auf Trennungen sogar häufig mit einem früheren Reifungsschub. Für die Ausbildung einer Geschlechtsidentität von Jungen kann die Mutter hingegen kein Vorbild von vergleichbar hoher Bedeutung sein wie für die Töchter (Hollstein, 2008, S. 131; Franz, 2011, S. 133, S. 140–149; Hagen u. Kurth, 2007; Erhard u. Janig, 2003, S. 187; zu den Leistungen der »Trennungskinder« Sieder, 2008, S. 286 ff.). Für die nachwachsende Generation von Jungen muss man deshalb annehmen, dass insbesondere die größere Ferne der Väter zu den Kindern problematisch bleibt – wachsen diese Jungen und Mädchen doch meist bei alleinerziehenden Müttern auf: Ihnen fehlt oft ein ausreichend präsentes Mannsbild in ihrem Umfeld (Petri, 2006, S. 116).3 Das fördert längerfristig Ambivalenzen zwischen Sehnsucht, Verlusterfahrung, Verachtung oder Idealisierung des Vaters und ersatzweise die Orientierung an Medienbildern (vgl. dazu Hollstein, 2008, S. 131; Erhard u. Janig, 2003, S. 187; Franz, 2011, S. 133, S. 140–149; Hagen u. Kurth, 2007).

Außerdem stieg in den letzten Jahrzehnten die Bedeutung des Konsums für die Konstruktion von Männlichkeit bei Schülern (Phoenix u. Frosh, 2005). Jungen sind dabei viel markenbewusster als Mädchen; das gilt sogar mehr für jüngere Jungen als für die 16- bis 18-Jährigen. Es macht sie für ihr Selbstwertgefühl noch abhängiger vom Erwerb überteuerter Produkte. Gerade in den finanzschwachen Haushalten der Alleinerziehenden kann das zu zusätzlichen Spannungen führen (Phoenix, Pattman, Croghan, Griffin u. Hunter, 2009, S. 152).

Versorgungsfunktion der Ehe

Sehen wir uns nun genauer an, warum wir heutzutage die Trennung der Kinder von Eltern als problematisch bewerten. Sie widerspricht einer ganzen Reihe von historisch gewachsenen Idealbildern von Kindheit und Familie: Die Idee der Kindheit als Schonraum, jenseits von Arbeitspflichten, außerhalb der Erwachsenenwelt – damit auch jenseits von Sexualität und Tod – und geprägt durch besondere Bildungseinrichtungen, entstand erst um 1800 im Bürgertum – also einer kleinen Oberschicht. Wichtig ist mir hier, dass wir uns klarmachen, dass Kindheit keine konstante Konstellation, sondern immer wieder Objekt historischen Wandels war.

Das Konzept der Familie als Ort intensiver emotionaler Beziehungen, die besonders zwischen Mutter und Kind imaginiert wurden, stammt ebenfalls aus dieser Zeit. Auch die Vorstellung von der Familie als wichtigstem und fast ausschließlichem Ort der Kindererziehung entstand erst damals. Die Liebesehe hat historisch und sozial ebenfalls hier ihre Wurzeln. Dieses Modell hat sich seit dem 19. Jahrhundert langsam auch in anderen Schichten verbreitet.

Allerdings muss man Idealbilder, tatsächliches Funktionieren der Institution Familie sowie die Erfahrungen der Kinder unterscheiden. Am wenigstens bekommt man leider über Kindheitserfahrungen mit Scheidungen heraus. Sie sind leider auch im autobiografischen Schrifttum praktisch nicht dokumentiert.4 Es ist die jedenfalls manchmal für die Zeitgenossen etwas schmerzhafte Aufgabe des Historikers, auf die Unterschiede zwischen diesen drei Wirklichkeiten (deutlich) hinzuweisen. Beim Blick in die Vergangenheit werden leider zu oft Wunschbilder der Gegenwart als vergangene Realitäten ausgegeben.

Unbeschadet emotionaler Bindungen war tatsächlich der Versorgungscharakter der Familie noch bis in die 1960er Jahre dominant. Und das ist bereits eine erste Erklärung, warum das Kindeswohl dabei nur sehr eingeschränkt in den Blick kam. Bei Eheschließung und Partnerschaft in Agrargesellschaften stand die Versorgung absolut im Vordergrund. Angemessene Partner waren solche mit vergleichbarem Besitz: Treffend hieß es »Sach’ zu Sach’«. In diesem Konzept soll der besitzmäßig ebenbürtige Partner die gelingende Beziehung garantieren, Individuen haben sich da anzupassen. Man nahm nämlich an, dass sich das Zusammenleben dann von selbst ergeben werde. Wegen des Versorgungscharakters der Ehe wird die Hochzeit im Brauchtum massiv herausgestellt. Damit war alles Weitere geklärt und hatte zu funktionieren. Dieses Grundmuster erhält sich bis in die kleinbürgerliche Familie der Industriegesellschaften. Die konsumgesellschaftliche Aufrüstung des Heiratsbrauchtums auf entsprechenden Brautmessen zelebriert das nostalgisch. Auch in Industriegesellschaften stand in weiten Teilen der Bevölkerung die Versorgungsfunktion der Ehe weiterhin im Vordergrund. Insbesondere in der weitgehend vermögenslosen Arbeiterschaft ging es allerdings nicht mehr um die Erhaltung von Besitz, sondern um die Leistungsfähigkeit der Partner für die Erwirtschaftung des Haushaltseinkommens und beim Aufziehen der Kinder.

Eheverständnis als Trennungshindernis

Passend zu diesem statischen Verständnis der Ehe wurde sie bereits in der christlichen Antike religiös zum Sakrament überhöht und mit einem Anspruch lebenslänglicher Treue verbunden. Daran hält die katholische Kirche bis heute fest.5 Bezeichnenderweise tauchen Kinder nur als Grund für eine Trennung auf: Wenn der Partner sie nicht katholisch erziehen will, dann ist der Katholik berechtigt, (zunächst vorübergehend) die Trennung von Tisch, Bett und Wohnung zu vollziehen! Im katholischen Kirchenrecht ist also die Verbreitung des für richtig gehaltenen Glaubens das Maß des Kindeswohls, nicht die Präsenz beider Elternteile!

Erst die Reformatoren entkleideten die Ehe ihres sakramentalen Charakters und ermöglichten bekanntlich die Scheidung der Ehe, die Luther ein »weltlich Ding« nannte.6 Sieht man sich zu diesen Themen die kirchlichen Traktate, allgemeine Lexika sowie Katechismen bis in die jüngste Vergangenheit an, so erfährt man ziemlich viel über biblische oder kirchenrechtliche Begründungen für den Sakramentscharakter oder die Unauflöslichkeit der Ehe, aber nichts über die Folgen der Trennung für die Kinder. Sie tauchen überhaupt als zu beachtender Aspekt erst in der evangelischen Praktischen Theologie der 1980er Jahre auf; vorher sind sie lediglich Gegenstand von Ausführungen zu Unterhaltsregelungen (TRE, 1982, S. 359). Das Kindeswohl ist im Kern auf die Frage der »Nahrung« – wie man das früher nannte – reduziert.

Man kann wegen der eindrucksvollen kirchlichen Ehebegründungen zwar vermuten, dass manche, die eine Ehe auflösen wollten, Schuldgefühle hatten. Sieht man sich die Akten an, stellt man schnell fest, dass die Antragsteller bei den Kirchengerichten bereits während der Frühen Neuzeit sehr nachvollziehbare, konkrete Scheidungsgründe anführten, die auch wir kennen: Ehebruch, eheliche Gewalt,...

Erscheint lt. Verlag 17.7.2013
Co-Autor Gerhard Amendt, Martin Dinges, Frank Dammasch, Uwe Jopt, Hans-Christian Prestien, Rainer Böhm, Robert Schlack, Heinz Hilgers, Matthias Weber, Bertram von der Stein, Ulrich T. Egle
Verlagsort Göttingen
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften
Medizin / Pharmazie Medizinische Fachgebiete Psychiatrie / Psychotherapie
Schlagworte Alleinerziehende • Eltern-Kind-Beziehung • Familie • Familienberatung • Männerbild • Paarkonflikte • Scheidung • Sorgerecht • Trennung • Väterlichkeit
ISBN-10 3-647-99633-5 / 3647996335
ISBN-13 978-3-647-99633-2 / 9783647996332
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