Die Wiedergeburt Roms (eBook)

Päpste, Herrscher und die Welt des Mittelalters
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2014 | 1. Auflage
544 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-10742-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Wiedergeburt Roms -  Peter Heather
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Mit großer Erzählkunst und analytischer Schärfe schildert Peter Heather das Nachleben des Römischen Reiches von seinem Untergang im Westen bis ins Mittelalter. Eine neue und aufsehenerregende Geschichtserzählung, wie die mittelalterliche Welt entstand. In seinem fulminant geschriebenen Buch bietet Peter Heather eine neue Gesamtdarstellung Roms, die von 476 n. Chr. bis zum Jahr 1000 reicht. Er zeigt, wie sich neue Reiche auf dem Territorium des ehemaligen Römischen Reiches bildeten und neue Kriegergesellschaften entstanden. Auch wenn die Einheit des alten »Imperiums« zerstört war, so war der Traum seiner Wiederherstellung nach wie vor lebendig. Und doch mussten alle Versuche von so unterschiedlichen Herrschern wie Theoderich, Justinian und Karl dem Großen, das Römische Reich zu erneuern, scheitern. Erst im 11. Jahrhundert gelang es den Barbaren, durch die Stärkung des Papsttums eine neue Ordnung zu begründen, die zum Ausgangspunkt unserer westlichen Geschichte wurde.

Peter Heather wurde 1960 in Nordirland geboren. Er studierte Geschichte am New College Oxford. Lehrtätigkeit am University College, London und der Yale University. Er unterrichtete mittelalterliche Geschichte am Worcester College in Oxford. Zurzeit ist er Professor für mittelalterliche Geschichte am King's College in London.

Peter Heather wurde 1960 in Nordirland geboren. Er studierte Geschichte am New College Oxford. Lehrtätigkeit am University College, London und der Yale University. Er unterrichtete mittelalterliche Geschichte am Worcester College in Oxford. Zurzeit ist er Professor für mittelalterliche Geschichte am King's College in London.

PROLOG


Am oder um den 4. September 476 ließ Odoaker, ein ranghoher Offizier der römischen Armee in Italien, den Onkel des Romulus verhaften und hinrichten. Romulus war der amtierende Kaiser des Weströmischen Reiches, auch als »Augustulus« (der kleine Augustus) bekannt. Sieben Tage zuvor war Odoaker auf dieselbe Weise bereits mit Romulus’ Vater verfahren. Der Kaiser war noch ein Kind; sein Vater und sein Onkel hatten für ihn die Regierungsgeschäfte geführt. Nachdem Odoaker die Herrschaft übernommen hatte, zeigte er sich barmherzig. Romulus selbst wurde verbannt und sollte den Rest seiner Tage auf einem Landgut in Kampanien verbringen. Bedeutsamer für den Gang der europäischen Geschichte aber war Odoakers Entschluss, im Zusammenwirken mit dem römischen Senat eine Gesandtschaft zum oströmischen Kaiser Zenon in Konstantinopel auf den Weg zu bringen. Diese stellte Zenon anheim,

es gebe keine Notwendigkeit für eine geteilte Herrschaft und ein gemeinsamer Kaiser reiche für beide Territorien [das östliche und das westliche] vollkommen aus.

Dieser Gesandtschaft folgte bald eine weitere, die den kaiserlichen Ornat Westroms, darunter das Diadem und den Umhang, den nur der Kaiser tragen durfte, nach Konstantinopel brachte. Odoaker stützte dadurch zwar die Fiktion von Zenons imperialer Souveränität, aber er war keineswegs gewillt, Konstantinopel zu erlauben, sich in die Angelegenheiten des neuen Staates auf der Apenninischen Halbinsel einzumischen, den nun er regierte. Durch die beiden Gesandtschaften Odoakers fand die imperiale Tradition Roms, die fast 750 Jahre zurückreichte, ihr Ende.1

Doch die Absetzung des letzten Westkaisers durch Odoaker war letztlich nur der Gnadenstoß. Die westliche Hälfte des Römischen Reiches war im Verlauf der drei vorangegangenen politischen Generationen allmählich zerfallen, als sich auf der gesamten europäischen Landmasse eine durchgreifende Veränderung der politischen Kräfteverhältnisse vollzog. Abgesehen von einigen frühen Erfolgen wie der Eroberung Siziliens im 3. Jahrhundert v. Chr., war der Großteil des römischen Imperiums in den beiden Jahrhunderten vor und nach Christi Geburt erworben worden. In dieser Zeit war das nicht zum Mittelmeerraum gehörende Europa in drei große geographische Regionen unterteilt – den Westen und Süden, den nördlich-zentralen Bereich und den Norden sowie Osten (Karte S. 84) –, deren Gesellschaften sich auf völlig unterschiedlichen Entwicklungsstufen befanden. Das Niveau der Nahrungsmittelerzeugung, die Bevölkerungsdichte, die wirtschaftliche Komplexität, die Größe der Siedlungen und das Ausmaß der politischen Organisation: All dies war in der Latènezeit in West- und Südeuropa wesentlich höher entwickelt als in den beiden anderen Regionen und nahm ab, je weiter man nach Osten und nach Norden kam. Während dieser entscheidenden zwei Jahrhunderte des Reichsaufbaus stellte Roms mediterranes Kernland die wirtschaftlichen und demographischen Ressourcen bereit – verbunden mit einer respekteinflößenden militärischen Organisation –, die erforderlich waren, um alle europäischen Gebiete zu erobern, die es zu erobern lohnte. Nur im Westen und Süden war so viel Kriegsbeute zu holen, dass groß angelegte Feldzüge gerechtfertigt waren, und erst an seinen entlegenen Grenzen kamen die Legionärsstiefel schließlich zum Stehen.

Doch das menschliche Streben führte dazu, dass auch Versuche unternommen wurden, Teile des mittleren Bereichs zu unterwerfen, die größtenteils von germanischsprachigen Völkern bewohnt waren. Vielfach wird angenommen, dass der große Sieg des Arminius über eine römische Armee im Jahr 9 n. Chr. irgendwo im Osnabrücker Land diesen Versuchen ein Ende setzte. Doch die Wirklichkeit ist schlichter. Durch weitere Feldzüge der Römer wurde Arminius am Ende vernichtet: Es entsprang letztlich nur einer Kosten-Nutzen-Abwägung, die den Römern nahelegte, ihre Grenze entlang des Rheins verlaufen zu lassen und nicht weiter nach Osten vorzustoßen. Zu Beginn des 1. Jahrtausends erschien eine Eroberung des nördlich-zentralen Raums nicht lohnend, während das äußere Europa, die dritte Zone im Norden und Osten, nie ins Visier des Imperiums geriet.

In den folgenden 400 Jahren setzte in der mittleren Großregion im Zuge der Umwälzungen, die der Austausch mit den Römern auf wirtschaftlichem, politischem und kulturellem Gebiet nach sich zog, ein beschleunigter Transformationsprozess ein, der alle Lebensformen veränderte. Bis zur Mitte des 4. Jahrhunderts stiegen die Produktivität der Landwirtschaft und die Bevölkerungsdichte an, die Wirtschaftsbeziehungen erreichten ein bislang nicht gekanntes Maß an Komplexität. Auch die militärischen Fähigkeiten der Region verbesserten sich beträchtlich – nicht zuletzt durch die Übernahme der römischen Waffen – und ihre politischen Strukturen festigten sich. Aber nach wie vor war es nicht möglich, in dieser Region große, dauerhafte Staatsgebilde zu errichten, weil das wirtschaftliche und administrative Fundament noch keinen komplexen politischen Überbau tragen konnte. Deshalb behielt Rom, ganz allgemein gesagt, die übergeordnete strategische Kontrolle.

Doch im 4. Jahrhundert musste sich das Imperium zur Sicherung seiner Grenzen einer ausgeklügelten Mischung von Zuckerbrot und Peitsche bedienen, um mehrere einigermaßen dauerhafte mittelgroße Klientelstaaten aufrechtzuerhalten, die nun den Raum jenseits der Grenze einnahmen. Die alte Ordnung in der zentralen Zone – die aus kleinen, weitverstreuten Stammesgesellschaften hervorgegangen war – gab es schon lange nicht mehr. Diese Klientelstaaten konnten die Existenz des Reiches wohl nicht gefährden, aber sie verfügten über ausreichende politische und militärische Fähigkeiten, um ihre eigenen mittel- bis langfristigen politischen Ziele zu verfolgen. Und wenn die Bedingungen günstig waren – vor allem wenn sich Rom im Krieg mit Persien befand –, konnten sie die lästigsten Einmischungsversuche des Imperiums abwehren, die in Form ständiger Forderungen nach Soldaten, Lebensmitteln, Rohstoffen und manchmal auch nach ungehinderter Betätigung der christlichen Missionare erfolgten. Wenngleich die transformierte nördlich-zentrale Zone politisch zu zersplittert war, um eine ernsthafte Bedrohung darzustellen, waren die ursprünglichen demographischen und wirtschaftlichen Vorteile – die ein halbes Jahrhundert vorher die Entstehung des europäischen Teils des Römischen Reiches ermöglicht hatten – durch diese revolutionären Entwicklungen, die sich mittlerweile vollzogen hatten, zum Großteil unterminiert worden.2

Mein Vater war Sprengstoffexperte und hatte einen großen Teil seines Lebens mit gefährlichen Stoffen zu tun. Eine grundlegende Sicherheitsmaxime, die er sich sehr früh in seiner Ausbildung zu eigen machte, lautete, dass überall dort, wo durch Aktivitäten des Menschen eine entflammbare Atmosphäre geschaffen wurde, »Gott – das heißt irgendein Zufall oder etwas anderes – den nötigen Funken liefert«. Mit anderen Worten: Die Sicherheitsvorkehrungen mussten darauf ausgerichtet sein zu verhindern, dass sich etwas überhaupt entzünden konnte, denn Vorkehrungen gegen Funken waren sinnlos.

Im Fall der europäischen Geschichte entstand durch die Transformation der alten nördlich-zentralen Zone eine potentiell hochgefährliche, leicht entflammbare politische Situation – zumindest was die langfristigen Aussichten des römischen Imperialismus betraf –, und der Funke kam schließlich in Gestalt der Hunnen. Sie stießen im letzten Viertel des 4. Jahrhunderts in zwei Schüben zu den Rändern Europas vor und schoben zwei große Blöcke alter römischer Klientelstaaten aus der transformierten nördlich-zentralen Zone (zusammen mit einigen anderen Gruppen, die weiter entfernt lebten) in zwei deutlich unterschiedenen Zusammenballungen auf das Territorium des Reiches: Der erste Vorstoß geschah im Zeitraum 375  380 n. Chr., der zweite ein Vierteljahrhundert später, zwischen 405 und 410. Der erste dieser historischen Momente war mit der Besetzung des Gebiets nördlich des Schwarzen Meers durch die Hunnen verbunden, der zweite mit ihrem weiteren Vordringen nach Westen in die große ungarische Tiefebene.

Angesichts der (natürlicherweise) feindseligen Haltung der Römer, die dazu führte, dass ein großer Teil der Eindringlinge entweder getötet oder in die Sklaverei gezwungen wurde, sammelten sich die Überlebenden der beiden Wanderungszüge (viele der ursprünglichen Teilnehmer waren unterwegs gefallen) noch vor 420 in zwei neuen Völkergruppen auf weströmischem Boden, die größer waren und sich durch einen stärkeren Zusammenhalt auszeichneten als alle früheren Machtblöcke, die im 4. Jahrhundert auf der anderen Seite der Grenze lebten: die Westgoten und die Koalition aus Vandalen und Alanen. Beide Zusammenschlüsse bestanden aus mindestens drei großen, zuvor unabhängigen Kriegergruppen, und beide hatten entsprechende zentralisierte Strukturen ausgebildet. Sie hatten sich vergrößert, um den Gegenangriffen der Römer gewachsen zu sein, und dank des größeren Wohlstands der römischen Welt im Vergleich zu den Regionen jenseits der Grenze konnten neue Herrscherdynastien die erforderlichen Mittel aufbringen, um sich an der Macht zu halten.

Ursprünglich wollten sich die Einwanderer vor den Raubzügen der Hunnen in Sicherheit bringen, aber bald strebten sie auch danach, am römischen Wohlstand teilzuhaben, und ihr Vordringen auf römisches Territorium ließ die Überlebenskraft des Reiches schwinden. Sie beruhte auf der Besteuerung der landwirtschaftlichen Produktion, aus der es die Mittel zur Finanzierung der Berufsarmee und der...

Erscheint lt. Verlag 24.9.2014
Übersetzer Hans Freundl, Heike Schlatterer
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Vor- und Frühgeschichte / Antike
Geschichte Allgemeine Geschichte Vor- und Frühgeschichte
Geschichte Allgemeine Geschichte Altertum / Antike
Schlagworte Justinian • Karl der Große • Mittelalter • Papsttum • Rom • Römisches Reich • Theoderich • Untergang des Römischen Reichs
ISBN-10 3-608-10742-8 / 3608107428
ISBN-13 978-3-608-10742-5 / 9783608107425
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