Darwins Jim Knopf (eBook)

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2010 | 1. Auflage
192 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-400843-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Darwins Jim Knopf -  Julia Voss
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Was Michael Endes »Jim Knopf« mit Charles Darwin und der Evolutionstheorie zu tun hat. Michael Endes »Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer« ist eines der populärsten Kinderbücher der Nachkriegszeit. Bisher dachte man auch, dass damit alles gesagt sei. In einer spannenden und aufregenden Spurensuche gelingt es Julia Voss jedoch, eine tiefere Dimension dieses Klassikers der Kinderliteratur freizulegen: Wie eine Detektivin weist sie nach, dass zahlreiche Anspielungen auf Darwin und die Evolutionstheorie das gesamte Buch durchziehen - es sind so viele, dass sich dahinter ein Plan verbergen muss. Diesen Plan legt sie Schritt für Schritt frei und zeigt, dass Michael Endes Buch mehr ist als das Produkt reiner eskapistischer Phantasie.

Julia Voss, geboren 1974, studierte Neuere Deutsche Literatur, Kunstgeschichte und Philosophie in Freiburg, London und Berlin. Bis 2017 war sie leitende Redakteurin der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«. Sie erhielt unter anderem den Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Bei S. FISCHER erschienen ihre Bücher »Darwins Bilder« (2007), »Darwins Jim Knopf« (2010) und die Biographie »Hilma af Klint - ?Die Menschheit in Erstaunen versetzen?« (2020). Heute lehrt sie als Honorarprofessorin an der Leuphana Universität in Lüneburg und arbeitet im Präsidium des Deutschen Historischen Museums. Julia Voss lebt in Berlin.

Julia Voss, geboren 1974, studierte Neuere Deutsche Literatur, Kunstgeschichte und Philosophie in Freiburg, London und Berlin. Bis 2017 war sie leitende Redakteurin der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«. Sie erhielt unter anderem den Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Bei S. FISCHER erschienen ihre Bücher »Darwins Bilder« (2007), »Darwins Jim Knopf« (2010) und die Biographie »Hilma af Klint – ›Die Menschheit in Erstaunen versetzen‹« (2020). Heute lehrt sie als Honorarprofessorin an der Leuphana Universität in Lüneburg und arbeitet im Präsidium des Deutschen Historischen Museums. Julia Voss lebt in Berlin.

{33}2. Charles Darwin kommt ins Kinderzimmer


Es ist wenig bekannt, wie schnell Charles Darwins Evolutionstheorie im 19. Jahrhundert in deutsche und englische Kinderzimmer einzog. Die Vorgeschichte für das, was Ende später der Triumph einer »unmenschlich gewordenen Welt« schien, begann mit Darwins Buch Über die Entstehung der Arten, veröffentlicht 1859. [30]Das evolutionstheoretische Gründungswerk lieferte zahlreiche Fakten für die These, dass vom Pantoffeltierchen bis zum Menschen alle Lebewesen durch die Geschichte miteinander verbunden seien; dass sie mit Hilfe von Gesetzen hervorgebracht worden waren, die immer noch gelten und auch in Zukunft nicht aufhören würden zu wirken. Eine lange Kette von Generationen, überliefert in Form von Fossilien, verknüpft seither vergangene Welten mit der gegenwärtigen. Mit seinen Überlegungen stieß Darwin bei Erwachsenen auf ein geteiltes Echo, das von tiefer Ablehnung bis zu heller Begeisterung reichte. Unter Kindern aber fand die Evolutionstheorie fast nur Anhänger, eine historisch einzigartige Freundschaft, die bis in unsere Gegenwart andauert. Es waren Kinder, die den prähistorischen Welten ein Zuhause gaben, den Urmenschen, {34}Mammuts, Säbelzahntigern oder Dinosauriern, die in Wort und Bild, aus Plastik oder Plüsch, gemalt, gezeichnet oder gefilmt seither den Kosmos der Fünf- bis Zwölfjährigen bevölkert haben. Der blutrünstige Tyrannosaurus Rex fand seine Bewunderer wie der mutige Triceratops. Der kleine Junge Rulaman, der erste Steinzeitheld in der Literaturgeschichte, war von 1878 an Vorbild für seine jungen Leser wie später Alois Theodor Sonnleitners Höhlenkinder. [31]Die Abenteuergeschichten der Kinder und Jugendlichen spielten im ausgehenden 19. Jahrhundert nicht mehr nur in der Römerzeit oder im Mittelalter, sondern auch im Kambrium, Silur, Devon oder Paläolithikum. Weder Albert Einstein noch Galileo Galilei konnten Kinderherzen mit ihren Theorien erobern, Charles Darwin und die Evolution wurden dagegen mit offenen Armen empfangen. Ihm gelang die bisher einzige wissenschaftliche Revolution in der Geschichte, die auf den Kopf stellte, wie Kinder spielen, was sie lernen, wovon sie träumen, wofür sie sich interessieren, wen sie mit ins Bett nehmen und welche Vorstellung sie sich von der Welt und ihrer Geschichte machen.

Die Anfänge davon können wir zu den Darwins nach Hause zurückverfolgen, nach Downe in die Grafschaft Kent, dem Landsitz, den die Familie 1842 bezog. Drei Jahre zuvor hatte Charles im Alter von dreißig Jahren seine Cousine Emma Wedgwood geheiratet, und nachdem sie einige Zeit in London in einer Wohnung gelebt hatten, die sie wegen des bunten Mobiliars den »Papageienstall« tauften, zogen sie aufs Land, eine knappe Zugstunde von London entfernt. Die von Victoria Station verkehrenden Eisenbahnlinien trafen im nahe gelegenen Orpington ein, mit der Kutsche ging {35}es danach durch von Hecken gesäumte Straßen, Alleen und grüne Wiesen sechs Meilen nach Downe. Als das Ehepaar aufs Land zog, war Emma bereits zum dritten Mal schwanger, dieses Mal mit einem kleinen Mädchen, das sie Mary Eleanor nannten. Es starb wenige Wochen nach der Geburt. Während der ersten zehn Jahre ihrer Ehe bekamen die Darwins zehn Kinder, drei davon starben, die anderen sieben wurden sehr alt; der letzte Sohn lebte bis 1943.

Da Charles Darwin ein »gentleman naturalist« war, ein Privatgelehrter also, der seine Forschung selbst finanzierte und nie an einer Universität lehrte oder arbeitete, verbrachte er die meiste Zeit zu Hause. Nachdem er 1836 von seiner fünfjährigen Weltreise zurückgekehrt war, verließ er England nie wieder und kehrte auch dem eigenen Heim nur zu Kurzausflügen in die Umgebung den Rücken. Zu seinen Kindern pflegte er ein enges Verhältnis. Als seine Tochter Anne Elizabeth an Scharlach erkrankte und schließlich im April 1851 im Alter von zehn Jahren starb, war es Darwin, der die letzten Tage mit ihr in der Kurstadt Malvern verbrachte und sie aufopferungsvoll betreute. In die Forschungsarbeiten, die er in seinem Garten oder Gewächshaus betrieb, spannte er auch seine Kinder mit ein. Seine Söhne ergriffen naturwissenschaftliche Berufe, und vor allem der Botanik studierende Francis Darwin, geboren 1848, kam nach seinem Vater, dessen Autobiographie und Briefe er später herausgab. Umgekehrt sammelte auch Darwin die Zeugnisse, die seine Kinder hinterließen. [32]Die Bilder des darwinschen Nachwuchses zeigen, in Buntstift oder Aquarellfarben, Ritter, Tiere, Bäume oder auch Häuser, manche von ihnen sind signiert. Darunter gibt es ein Bild, {36}eine Zeichnung auf blauem Grund, das schon wegen seines Papierträgers historisch herausragend ist. Es war dieses Papier, auf dessen Rückseite die Söhne Francis und George malten, auf dessen Vorderseite ihr Vater das Manuskript seines evolutionstheoretischen Gründungswerks, Über die Entstehung der Arten, geschrieben hatte.

Die Geschichte der Vorderseite dieses Papiers ist bekannt. Mehr als zwei Jahrzehnte hatte Darwin an seiner Theorie gearbeitet, die er im Sommer 1837 bereits in Grundzügen skizzierte, als die Fertigstellung seines Manuskripts durch ein unvorhergesehenes Ereignis beschleunigt wurde. An einem Junimorgen im Jahr 1858 erreichte ihn eine Briefsendung aus Ternate, einer Insel zwischen Celebes und Neuguinea im malaysischen Archipel. Sie trug die Handschrift Alfred Russel Wallace’, eines Forschungsreisenden, der sich seinen Lebensunterhalt durch das Sammeln und Verkaufen von Präparaten verdiente und den Darwin im Jahr zuvor darum gebeten hatte, auf seinen Reisen nach einer seltenen malaysischen Geflügelart Ausschau zu halten. Statt Hühnerfedern enthielt Wallace’ Sendung allerdings das Exposé zu einer Evolutionstheorie, die zu Darwins Entsetzen bis in die Details seinem Entwurf glich. »Ich habe noch nie einen verblüffenderen Zufall gesehen«, schrieb er aufgebracht an den befreundeten Geologen Charles Lyell, »hätte Wallace meine ausformulierte Manuskriptskizze von 1842 gehabt, könnte er keine bessere Zusammenfassung davon geben.« [33]Wallace hatte in seinem Schreiben gebeten, den Text, falls ihn Darwin interessant genug finde, an Charles Lyell weiterzuleiten. Lyell hielt Wallace’ Aufsatz für herausragend und teilte die Einschätzung, dass die darin {37}formulierte Theorie derjenigen Darwins in verblüffender Weise glich. Man beriet sich und kam zu dem Schluss, Darwins und Wallace’ Evolutionstheorie am 1.Juli 1858 zusammen in einer Sitzung der Linnean Society vorzustellen. In diesem Sommer verwarf Darwin das bereits begonnene Manuskript, sein sogenanntes »Big Species Book«, zugunsten einer kürzeren Fassung, die er innerhalb eines Jahres schrieb. Die Fahnen las er im englischen Kurort Ilkley Korrektur, das im 19. Jahrhundert zu einer Art Zauberberg der bürgerlichen Mittelschicht aus Leeds geworden war: Tausende Kurwillige pilgerten in die kleine Stadt am Moor, um in einem der neu errichteten Etablissements ein kaltes Bad zu nehmen, dem seit dem späten 18. Jahrhundert heilende Kräfte nachgesagt wurden. Darwin reiste am 3.Oktober an, zwei Wochen ließ er sich gegen sein chronisches Magenleiden behandeln, das ihn seit der Rückkehr von der Weltumseglung plagte. In diesem Herbst badete Darwin mehrmals täglich kalt, ging im Moor spazieren und erholte sich von den Strapazen des Schreibens an dem Buch, das ihn »beinahe umgebracht« hätte, beim Billardspielen. [34]

{38}

Auf der Rückseite von Darwins Buchmanuskript zur Entstehung der Arten zeichneten seine Söhne Francis und George diese Märchenszene

Die Geschichte der Rückseite ist bisher unerzählt. Sie beginnt, kurz nachdem Charles Darwins Buch in Druck gegangen war und der Vater das nun überflüssig gewordene Manuskript an seine Kinder als Malpapier weitergab. Der elfjährige Francis und sein vierzehnjähriger Bruder George schufen darauf eine Serie von Zeichnungen; eine davon zeigt zwei Wesen mit roten Wangen, die auf einem goldenen Lichtstrahl, offensichtlich die Gesetze der Schwerkraft missachtend, aufwärtsrutschen. Sie tragen Hut und Fühler, Schuhe und Flügel, halb Zwerg, halb Insekt. Je nachdem, {39}aus welcher Perspektive man sie betrachtet, kann man sie als Märchenfiguren oder Zwitterwesen zwischen Mensch und Tier bezeichnen. Wie in der Geschichte der Evolution scheint es auch hier eine unsichtbare Kette zu geben, die vergangene Welten mit der unsrigen verbindet: Die geflügelten Figürchen scheinen uns immer noch seltsam vertraut, die Zeit hat sie nicht entrückt, sondern in gleicher Nähe belassen.

Ein Grund für dieses Wiedererkennen liegt in einer Überlieferung, die seit Jahrhunderten nicht abgerissen ist und aus der auch Michael Ende später schöpfte. Die Evolutionstheorie, bevor sie zum Inbegriff einer martialischen Ideologie wurde, traf zunächst in den Kinderzimmern auf eine tierreiche Märchen- und Sagenwelt. Das Personal von Francis’ und Georges Zeichnung entstammt einer Bildtradition, die zahlreiche Illustratoren und vor allem Walt Disney bis weit ins 20. Jahrhundert hinein verlängerten und nicht nur in die Kinderliteratur, sondern auch in Kinderfilme einspeisten. Die Helden für Filme wie Schneewittchen (1937), Fantasia (1940), Bambi (1948) oder Peter Pan...

Erscheint lt. Verlag 18.10.2010
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Kinder- / Jugendbuch
Geisteswissenschaften Sprach- / Literaturwissenschaft
Schlagworte Atlantis • Charles Darwin • Darwinismus • Evolution • Evolutionstheorie • Fantasy • Feuerland • Fischer Wissenschaft • Jemmy Button • Jim Knopf • Kinderbuch • Kinderbuch im Nationalsozialismus • Literaturwissenschaft • Lukas der Lokomotivführer • Michael Ende • Nationalsozialismus • Rudolf Steiner
ISBN-10 3-10-400843-4 / 3104008434
ISBN-13 978-3-10-400843-1 / 9783104008431
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