Meine Patienten laufen Trab (eBook)
224 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-28492-6 (ISBN)
Helga Kausel, Jahrgang 1989, ist eine österreichische Tierärztin und Influencerin (@travelling_vet und @_travelling_family). Nach vielen Jahren des Studiums und des Reisens hat sie 2015 ihren Job als mobile Tierärztin in Bayern angenommen. Mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern lebt sie in Niederösterreich.
Helga Kausel, Jahrgang 1989, ist eine österreichische Tierärztin und Influencerin (@travelling_vet und @_travelling_family). Nach vielen Jahren des Studiums und des Reisens hat sie 2015 ihren Job als mobile Tierärztin in Bayern angenommen. Mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern lebt sie in Niederösterreich.
Die Seepferdchen-Prüfung
Kennt ihr es, wenn man plötzlich einen ausgefallenen Gedanken im Kopf hat? So ging es mir am Morgen des 30.12., einen Tag vor Silvester. Ich sollte schon längst in der Praxis sein und Herbert, meinem Chef, bei der Stallarbeit helfen. Stattdessen war ich hundemüde im Bett liegen geblieben, weil ich mit meiner Freundin Juli viel zu lange Filme geschaut und Chips hineingeschaufelt hatte.
Sie besuchte mich über Silvester. Nun stand ich also mit zerzausten Haaren in meinem Bad und starrte in den Spiegel, während mir ein Gedanke durch den Kopf schoss: ›Was, wenn heute ein richtig schrecklicher Notfall passiert, und ich stehe hier noch seelenruhig im Bad, putze Zähne und weiß gar nicht, worin ich in ein paar Stunden verwickelt sein werde? Schließlich kann in einem Notdienst alles geschehen. Ha! Lustiger Gedanke.‹
Ich verwarf den Gedanken schnell wieder, stolperte aus dem Bad, und Juli und ich fuhren los.
Im Auto drehte ich die Heizung auf die höchste Stufe. Draußen waren es nur minus zwei Grad, aber mein Körper war einfach noch nicht auf Winter eingestellt. Die angenehme Wärme, die ich bei meiner Marokkoreise letzte Woche noch um mich gespürt hatte, war der bitteren Kälte Niederbayerns gewichen. Zwei Wochen Urlaub waren einfach nicht genug.
Madsen, eine meiner Lieblingsbands, dröhnte mit voller Lautstärke durch das Praxisauto, und meine Hunde und Juli waren dem schrecklichen Geträller meiner Stimme hilflos ausgeliefert. Aber Juli war meine Verrücktheit seit über zwanzig Jahren gewohnt und wusste damit umzugehen.
Auf den Straßen war nicht viel los, schließlich war es Samstagmorgen, und der hysterische Einkaufsstress fürs Silvesteressen würde erst nach 8.00 Uhr beginnen.
Als ich mit quietschenden Reifen bei der Praxis eintraf, war Herbert schon fleißig bei der Stallarbeit. Normalerweise half ich meinem Chef dabei, aber wisst ihr eigentlich, wie schwer Heulage ist? Eine Heulage ist durch Milchsäuregärung konserviertes Futtermittel für Nutztiere. Leicht erkennbar durch die in weißes Plastik gewickelten Ballen, die oft auf unseren Feldern liegen. Und dieses Futter ist wirklich schwer, durch die Feuchtigkeit um vieles schwerer als Heu. Von daher war ich ehrlich gesagt ganz froh, dass ich mir die Arbeit heute Morgen mal gespart hatte.
Wir stiegen zügig aus und gingen zu Herbert in den Stall.
»Ach Helga, du auch schon hier?«, begrüßte er uns belustigt.
Zum Glück wusste ich, dass er es mir nicht übel nahm, dass ich so spät kam – vor allem, wenn ich Besuch hatte. Er war gerade fertig, und wir gingen über den Hof zu seinem Haus, um wie eigentlich jeden Morgen den Tag zu planen. Von mir aus hätten wir direkt loslegen können, immerhin waren wir heute nur zu zweit im Dienst, doch Herbert musste natürlich erst mal in der angrenzenden Küche einen Kaffee aus der Kaffeemaschine lassen, bevor wir besprechen konnten, wer sich um welche Termine kümmerte.
Die Kaffeemaschine – eines der wichtigsten Geräte in dieser Praxis. Jeder kann damit leben, dass das Röntgengerät mal nicht funktioniert, aber ist die Kaffeemaschine außer Betrieb, herrscht absoluter Ausnahmezustand, den ich als Teetrinkerin immer sehr amüsiert beobachte.
Im Sommer finden die Momente, in denen wir die Tagespläne einteilen oder auch einfach nur zusammensitzen und quatschen, meist unter dem riesigen Kastanienbaum im Hof der Praxis statt. Im Winter oder bei Regen finden wir uns dafür in Herberts Esszimmer und Küche ein.
So auch an diesem Tag. Kaum hatte Herbert sich mit seiner dampfenden Kaffeetasse zu Juli und mir an den Tisch gesetzt, begannen wir mit der Planung des bevorstehenden Arbeitstages.
»Helga, du musst heute zum Narrenhof fahren«, warf mir mein Chef entgegen und konnte sich dabei ein Grinsen nicht verkneifen.
Mir entglitten die Gesichtszüge. »Warte, was? Der Narrenhof? Ich fahre doch gar nicht in diese Richtung, das kannst du bestimmt viel besser!«
Uns grauste es beiden davor, diesen Hof zu besuchen, er ist der Albtraum einer jeden Tierärztin: schlechte Tierhaltung, oftmals betrunkene und verantwortungslose Tierhalter, die keine Diagnose ernst nahmen oder sich an Behandlungspläne hielten. Es war furchtbar, vom Aussteigen bis zu dem Zeitpunkt, an dem man endlich wieder in sein Auto fliehen konnte. Und da sollte ich heute Morgen hinfahren? Das konnte nicht sein Ernst sein.
»Bitte, Herbert, ich will da nicht hinfahren! Kann ich nicht irgendwas anderes erledigen?«, flehte ich, ehe Herbert etwas erwidern konnte.
Vielleicht hatte er ja Erbarmen, da Juli gerade da war.
»Ja, du kannst zur Gerti fahren«, gab er etwas belustigt zurück.
»Heeeerbert, nicht Gerti!«, stöhnte ich und verschränkte dabei die Arme vor der Brust.
Gerti war nicht nur eine leidenschaftliche Züchterin und Besitzerin eines Abfohlbetriebes, in dem sie jährlich Dutzende trächtige Stuten beherbergte und bei den Geburten half, sondern auch die Notfallzentrale der Praxis Dr. Pflaum, ergo meiner Arbeit. Mittlerweile hatte ich sie zwar in mein Herz geschlossen, aber sie war gerade nicht so gut auf mich zu sprechen. Um es mit anderen Worten zu sagen: Ich hatte es wieder einmal geschafft, ihr ans Bein zu pinkeln. Was Herbert natürlich wusste.
»Außerdem hast du heute nur zwei Sachen auf deinem Tagesplan stehen und ich fünf«, versuchte er mich weiter zu überreden und bemühte sich dabei, eine ernste Miene aufzusetzen. Er wollte das wirklich durchziehen.
»Was? So ein Blödsinn!«, entgegnete ich. »Ich hab vier Termine und du auch! Und noch dazu fahre ich in die komplett entgegengesetzte Richtung!«
Meine Freundin beobachtete unser Schauspiel amüsiert, während Herbert mich bestürzt ansah. »Und wann soll ich dann schwimmen gehen?« Ich musste lachen. Wie konnte ich diesen wichtigen Termin nur infrage stellen?
»Na gut, dann fahr ich zum Narrenhof und zu Gerti, aber danach geh ich schwimmen und schmeiß das Handy weg!«, konterte Herbert und warf mir dabei einen gespielt vorwurfsvollen Blick zu.
»Deal!«, jubelte ich, bevor er noch etwas einwenden konnte, und holte mir lachend ein Stück Brot aus der Küche. Da hatte ich wohl noch mal Glück gehabt.
»Ma, aber das is’ so viel, Helga. Und der Zaun in Thal auf der Weide ist auch kaputt. Den machst dafür aber du! Und nimm dir Isolatoren mit!«, rief er mir hinterher.
»Ja, okay, das kann ja nicht so schwer sein«, meinte ich, stopfte mir das Brot in den Mund und fügte mit vollem Mund hinzu: »Du musst mir nur noch sagen, was Isolatoren sind.«
Ausgerüstet mit Klemme und Isolatoren, das waren die Teile, an denen man das Elektroband mit den Stehern verband, machten wir uns also am Weg zur Weide in Thal, bevor wir die Route zu den Patienten begannen. Ich kannte die Weide bereits, und als wir ankamen, sah ich die beiden Pferde und nach einem Moment auch schon, wo der Elektrozaun einen Bogen nach unten machte.
Hach, was für ein guter Deal, fünfzehn Meter gehen, und die Sache hatte sich erledigt. Ich warf meiner Freundin einen freudigen Blick zu, das versprach ein kurzer Tag zu werden.
Wir stapften auf die Weide und bahnten uns einen Weg durch den nassen Schnee. In wenigen Minuten waren wir beim Zaun. Aber, da war gar nichts kaputt. Nur dass er auch auf der nächsten Sprosse zu tief hing. Das Seil musste irgendwo anders gerissen sein. Wir folgten der Schnur, aber konnten nirgends einen Riss entdecken. Was ein Scheiß! Motiviert begannen wir den Weg am Zaun entlangzugehen, der uns bald über zweihundert Meter bergauf führte. Wirklich, wie groß war diese Weide, bitte? Und wozu? Die zwei Grazien, die hier gehalten wurden, bewegten sich sowieso keinen Meter zu viel von der Futterstelle weg.
Nach einer gefühlten Ewigkeit kamen wir zur Kuppe des Hügels, mein Auto und die Pferde waren schon nicht mehr zu sehen. Da war es. Eine Spur durch den Schnee, die wahrscheinlich von einem Reh stammte, und dazwischen der gerissene Zaun. Die gerissenen Enden lagen ein paar Meter auseinander, aber wir konnten sie leicht verknoten. Wir marschierten zurück zu der Stelle, an der man den Zaun öffnen konnte, und wollten den Zaun wieder verbinden, aber es ging nicht. Es fehlte ein ganzer halber Meter.
»Hab ich so einen verschwenderischen Knoten gemacht?« Ich schaute verdutzt zu meiner Freundin hinüber.
Sie zuckte nur mit den Schultern. »Anscheinend – lass uns noch mal zurückgehen und uns die Stelle anschauen.«
Wir stellten fest, dass die Enden des Knotens wirklich zu lang waren. Ich musste den Knoten so klein wie möglich machen. Dafür hatte ich also studiert, Chirurgen mussten ja schließlich auch immer fadensparend arbeiten!
»Na dann zeig mal, was du draufhast«, witzelte Juli und sah mich herausfordernd an.
Gesagt, getan. Freudig stapften wir zurück zur Zaunöffnung, ich zog an den Zaunenden und konnte den Haken tatsächlich mit letzter Kraft wieder in die Lasche ziehen. »Na endlich!«, rief ich und strahlte Juli entgegen. Nun aber ab ins Auto, wir waren schon ordentlich durchgefroren. Als wir die letzte Steigung hinter uns gelassen hatten und gerade wieder an den friedlich grasenden Stuten vorbeispazierten, passierte es. Klack. Und der Zaun machte wieder einen Bogen. Der Tag begann mir auf die Nerven zu gehen.
»Willst du sonst schon mal zurück zum Auto gehen und da auf mich warten? Wir müssen ja nicht beide durchgefroren enden«, fragte ich Juli, bevor ich wieder von vorn begann. Meine nicht vorhandene Kondition machte sich langsam bemerkbar, als das Handy läutete und Herberts Nummer am Display erschien. »Herbert, der Deal war scheiße!«, schnaufte ich ins Telefon, während ich den Hügel...
Erscheint lt. Verlag | 3.2.2025 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Schlagworte | bayerisches Landleben • Erzählendes Sachbuch • geschenk pferdebesitzer • Geschenk Pferdeliebhaber • Landidylle • Landleben • landleben buch • Landlust • Liebe zu Pferden • mobile Tierärztin • pferd buch • Pferdebesitzer • Pferde-Buch • Pferdebücher für Erwachsene • Pferde Geschenk • Pferdeliebe • Pferdeliebhaber • Pferdetierärztin • Reiten • Starke Frauen • Tierärztin • Tiergeschichten für Erwachsene • Tierpersönlichkeiten • wahre Geschichten Tiere • wahre Tiergeschichten |
ISBN-10 | 3-426-28492-8 / 3426284928 |
ISBN-13 | 978-3-426-28492-6 / 9783426284926 |
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