Die Kraft der Reue (eBook)

Wie der Blick zurück uns hilft, nach vorn zu schauen | Eine völlig neue Perspektive auf eine unterschätzte Emotion
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
304 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2798-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Kraft der Reue -  Daniel H. Pink
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Reue als Stärke - der völlig neue Blick auf eine unterschätzte Emotion Der Bestsellerautor Daniel H. Pink entlarvt anhand neuester psychologischer Erkenntnisse die Mär vom scheinbar coolen Slogan 'No regrets' - und führt vor Augen, wie wichtig Reue für unser Vorankommen ist. Denn jeder Mensch bereut, in seinem Leben etwas getan oder nicht getan zu haben. Er erklärt, wie wir diese unterschätzte Emotion verstehen und einordnen lernen, und wie sie uns dabei helfen kann, bessere Entscheidungen zu treffen und unserem Leben einen größeren Sinn zu verleihen. In der Gegenwart und in der Zukunft. 

Daniel H. Pink, geboren 1964, ist studierter Jurist und Autor mehrerer erfolgreicher Bücher. Seine brillant recherchierten und mitreißend geschriebenen psychologischen Bücher ermöglichen es dem Leser, bisherige Denk- und Verhaltensweisen völlig neu zu denken. Er lebt mit seiner Familie in Washington, D.C. 

Daniel H. Pink, geboren 1964, ist studierter Jurist und Autor mehrerer erfolgreicher Bücher. Seine brillant recherchierten und mitreißend geschriebenen psychologischen Bücher ermöglichen es dem Leser, bisherige Denk- und Verhaltensweisen völlig neu zu denken. Er lebt mit seiner Familie in Washington, D.C. 

1.
Der Unsinn, nichts zu bereuen


Am 24. Oktober 1960 traf ein Komponist namens Charles Dumont mit Angst im Herzen und Songs in der Aktentasche in der schicken Pariser Wohnung von Edith Piaf ein.

Damals war Piaf wohl die berühmteste Entertainerin Frankreichs und eine der bekanntesten Sängerinnen der Welt. Sie war außerdem sehr zerbrechlich. Obwohl sie gerade erst vierundvierzig Jahre alt war, hatten Drogensucht, Unfälle und ein schweres Leben ihrem Körper stark zugesetzt. Piaf wog zu diesem Zeitpunkt weniger als fünfundvierzig Kilo. Drei Monate zuvor hatte sie wegen eines Leberschadens im Koma gelegen.

Doch trotz ihres hinfälligen Zustands hatte sich an ihrer berüchtigten Launenhaftigkeit und ihrem hitzigen Temperament nichts geändert.

Sie hielt Dumont und Songtexter Michel Vaucaire, mit dem Dumont zusammenarbeitete und der ihn bei diesem Besuch begleitete, für zweitklassige musikalische Talente. Früher am Tag hatte Piafs Sekretärin noch versucht, das Treffen abzusagen. Piaf weigerte sich erst mal, den Besuch zu empfangen, die Männer mussten in ihrem Wohnzimmer warten. Kurz bevor sie schlafen ging, gab sie jedoch nach und tauchte, eingewickelt in einen blauen Morgenmantel, dann doch auf.

Sie würde sich genau einen Song anhören, erklärte sie ihnen. Mehr nicht.

Dumont setzte sich an Piafs Klavier. Nervös schwitzend, begann er, seine Komposition zu spielen und leise Vaucaires begleitende Lyrics aufzusagen.1

Non, rien de rien
Non, je ne regrette rien.
Nein, rein gar nichts.
Nein, ich bereue nichts.

Sie bat Dumont, den Song noch mal zu spielen, und fragte sich laut, ob er ihn wirklich selbst komponiert habe. Sie bat ein paar Freunde, die zufällig zu Besuch waren, sich den Song mal anzuhören. Als Nächstes waren ihre Hausangestellten an der Reihe.

Stunden vergingen. Dumont spielte den Song immer wieder, einem Bericht zufolge mehr als zwanzig Mal. Piaf rief den Direktor des Olympia an, dem Pariser Hotspot für Konzerte, der kurz vor Tagesanbruch eintraf.

Non, rien de rien.
Non, je ne regrette rien.
C’est payé, balayé, oublié.
Je me fous du passé.
Nein, rein gar nichts.
Nein, ich bereue nichts.
Das ist bezahlt, weggefegt, vergessen.
Die Vergangenheit, sie kann mich mal.

Wenige Wochen später sang Piaf den zwei Minuten und neunzehn Sekunden langen Song im französischen Fernsehen. Als sie ihn im Dezember als furiosen Abschluss eines Konzerts performte, das dazu beitrug, das Olympia vor dem finanziellen Ruin zu bewahren, wurde sie zweiundzwanzigmal vor den Vorhang gerufen. Bis zum Ende des folgenden Jahres hatten ihre Fans über eine Million Exemplare ihrer »Je ne regrette rien«-Schallplatte gekauft, was der Chanteuse zum Ikonenstatus verhalf.

Drei Jahre später war Edith Piaf tot.

An einem kalten Sonntagmorgen im Februar 2016 wachte Amber Chase in ihrer Wohnung in der westkanadischen Stadt Calgary auf. Ihr damaliger Freund (und jetziger Ehemann) war verreist; am Abend zuvor war sie mit einigen Freundinnen ausgegangen. Ein paar von ihnen hatten bei ihr übernachtet. Die Freundinnen unterhielten sich und tranken Sekt mit Orangensaft, als Amber, angetrieben durch eine Mischung aus Inspiration und Langeweile, plötzlich vorschlug: »Wir lassen uns jetzt ein Tattoo stechen!« Die Gruppe stieg ins Auto und fuhr zu Jokers Tattoo & Body Piercing auf dem Highway 1, wo der anwesende Tattoo-Künstler zwei Worte in Ambers Haut stach.

Ambers Tattoo war fast identisch mit dem fünf Jahre alten Tattoo von Mirella Battista, die 2400 Meilen weit weg lebte. Mirella wuchs in Brasilien auf und zog mit Anfang zwanzig nach Philadelphia, um dort aufs College zu gehen. Sie fühlte sich in ihrer Wahlheimat sehr wohl. Während der Zeit am College hatte sie einen Job in einer örtlichen Steuerberatungsfirma, viele Freunde und eine Beziehung mit einem Mann aus Philadelphia. Die beiden konnten sich eigentlich vorstellen zu heiraten, trennten sich aber nach fünf Jahren. Mirella wollte einen Neuanfang – sie nannte es auf die »Reset«-Taste drücken – und zog neun Jahre nach ihrer Ankunft in den USA zurück nach Brasilien. Einige Wochen vor ihrer Rückkehr ließ sie sich hinter ihr rechtes Ohr zwei Worte tätowieren.

Ein Jahr zuvor hatte sich Mirellas Bruder Germanno Teles, ohne dass sie es wusste, ein fast identisches Tattoo stechen lassen. Germanno brannte von klein auf für Motorräder, zum Unglück seiner Eltern, die zwei sicherheitsbewusste Mediziner waren. Doch davon ließ sich Germanno nicht aufhalten, er lernte über Motorräder, was immer er konnte, sparte seine Centavos und kaufte sich schließlich seine geliebte Suzuki. Eines Abends, als er nahe seiner brasilianischen Heimatstadt Fortaleza auf dem Highway fuhr, wurde Germanno von einem anderen Fahrzeug seitlich erfasst – sein linkes Bein wurde dabei verletzt, und er konnte danach nur noch eingeschränkt Motorrad fahren. Kurze Zeit später ließ er sich direkt unter dem Knie seines verletzten Beins ein Motorrad tätowieren. Daneben befanden sich entlang seiner Narbe zwei Worte in Schreibschrift.

Das Tattoo, das Germanno sich an jenem Tag stechen ließ, war fast identisch mit dem, für das Bruno Santos sich 2013 in Lissabon, Portugal, entschied. Bruno, ein Personalmanager, kannte weder Amber noch Mirella oder Germanno. Genervt von seinem Job, verließ er eines Nachmittags sein Büro, ging in ein Tattoostudio und kam mit einem dreisilbigen Motto auf dem rechten Unterarm wieder raus.

Vier Menschen, die auf drei Kontinenten leben, jeder mit einem Tattoo, das aus denselben zwei Wörtern besteht:

No Regrets.

Ein reizvoller, aber gefährlicher Grundsatz


Einige Überzeugungen wirken im Stillen, wie existenzielle Hintergrundmusik. Andere werden zu Lobgesängen auf eine bestimmte Lebensweise. Und nur wenige Credos werden lauter verkündet als der Grundsatz, Reue sei schlecht – dass sie Zeitverschwendung sei und unser Wohlbefinden sabotiere. Aus jedem Winkel der Kultur dröhnt die Botschaft: Vergiss die Vergangenheit, erobere die Zukunft. Meide das Bittere, genieße das Süße. Ein gutes Leben zeichnet sich durch eine singuläre Ausrichtung (vorwärts) und eine unerschütterliche Kraft aus. Reue stört beides. Sie ist rückwärtsgewandt und unangenehm – ein Giftstoff im Blutkreislauf des Glücks.

Kein Wunder also, dass Piafs Song noch immer überall auf der Welt so beliebt und ein Maßstab für andere Musiker ist. Zu den Künstlern, die derlei »No Regrets«-Songs mit dem Titel aufgenommen haben, zählen die Jazzlegende Ella Fitzgerald, der britische Popstar Robbie Williams, die Cajun-Band Steve Riley & the Mamou Playboys, der amerikanische Bluessänger Tom Rush, die in die Country Music Hall of Fame aufgenommene Emmylou Harris und der Rapper Eminem. Luxusautomarken, Schokoriegel und Versicherungsgesellschaften – sie alle bekennen sich zu dieser Philosophie, indem sie Piafs »Je ne regrette rien« in ihrer Fernsehwerbung nutzen.2

Und welch größeres Bekenntnis zu einem Glaubenssystem könnte es geben, als es so offen zur Schau zu stellen – wie Bruno Santos, der es in schwarzen Kleinbuchstaben zwischen Ellbogen und Handgelenk seines rechten Arms verewigen ließ?

Wenn Tausende von tintenbefleckten Körperteilen Sie nicht überzeugen, sollten Sie zwei Giganten der amerikanischen Kultur Gehör schenken, die weder gleichen Geschlechts waren noch die gleiche Religionszugehörigkeit oder politische Einstellung hatten, sich in Bezug auf dieses Credo jedoch einig waren. Gebt »der Reue keinen Raum«, riet Pfarrer Dr. Norman Vincent Peale, der Pionier des positiven Denkens, der das Christentum des 20. Jahrhunderts prägte und Richard Nixon sowie Donald Trump beriet: »Verschwendet keine Zeit auf … Reue«, riet Richterin Ruth Bader Ginsburg, die erst zweite Frau am U. S. Supreme Court überhaupt. Die praktizierende Jüdin erlangte später im Leben einen Göttinnenstatus unter amerikanischen Liberalen.3

Oder vielleicht interessieren Sie sich für die Meinung der Promis: »Ich glaube nicht an Reue«, sagt etwa Angelina Jolie. »Ich glaube nicht an Reue«, sagt Bob Dylan. »Ich glaube nicht an Reue«, sagt John Travolta. Und Transgender-Star Laverne Cox. Und Feuerlauf-Motivationstrainer Tony Robbins. Und der headbangende Guns-N’-Roses-Gitarrist Slash.4 Und ich würde wetten, ungefähr die Hälfte aller Selbsthilfebücher in Ihrem Buchladen vor Ort. In der U. S. Library of Congress gibt es über fünfzig Bücher mit dem Titel No Regrets.5

Die in Songs eingebettete, die Haut schmückende und von Weisen propagierte Anti-Reue-Philosophie ist so offensichtlich wahr, dass sie öfter bestätigt als bestritten wird. Warum sollten wir den Schmerz einladen, wenn wir ihn vermeiden können? Warum Regenwolken herbeirufen, wenn wir in den sonnigen Strahlen der Positivität baden können? Warum bereuen, was wir gestern getan haben, wenn wir von grenzenlosen zukünftigen Möglichkeiten träumen können?

Diese Weltsicht ergibt intuitiv Sinn. Sie scheint richtig zu sein. Sie fühlt sich schlüssig an. Doch sie hat einen nicht unerheblichen Fehler.

Sie ist...

Erscheint lt. Verlag 27.10.2022
Übersetzer Ursula Pesch
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Psychologie Allgemeine Psychologie
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Akzeptanz • Aufarbeiten • Bedauern • Emotion • Gelegenheit • Gesellschaft • Glück • Optimismus • Vergangenheit • verpasst • Wiedergutmachung • Zufriedenheit • Zukunft
ISBN-10 3-8437-2798-8 / 3843727988
ISBN-13 978-3-8437-2798-3 / 9783843727983
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