Martin Buber (eBook)

Ein Leben im Dialog
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
450 Seiten
Jüdischer Verlag
978-3-633-77056-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Martin Buber - Paul Mendes-Flohr
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Eine der prägenden Gestalten der deutsch-jüdischen Geschichte war Martin Buber, der Philosoph und politische Verfechter des Dialogs, der Verständigung, des Gesprächs von Ich und Du, wie sein Hauptwerk heißt. 1878 in Wien geboren, in Lemberg aufgewachsen, sammelte Buber früh Zeugnisse des chassidischen Lebens. 1902 war er einer der Mitbegründer des Jüdischen Verlags und der Monatszeitschrift Der Jude. Seine religionsphilosophischen Beiträge haben weit in die Wissenschaft und Literatur hineingewirkt. 1938 übersiedelte Martin Buber nach Jerusalem und lehrte an der Hebräischen Universität. Er setzte sich für die Verständigung zwischen Juden und Arabern in Israel ein und suchte nach 1945, gegen viele Widerstände, das Gespräch mit den Deutschen. Der christlich-jüdische Dialog verdankt ihm die wesentlichen Impulse.

Martin Buber starb 1965 in Jerusalem. Sein Werk wirkt bis heute im Dialog von Religionen und Kulturen, Nationen und Individuen.



<p>Paul Mendes-Flohr, geboren 1941 in New York, lehrte an der Universität von Chicago und an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Der Schwerpunkt seiner Forschung liegt auf der Entwicklung des jüdischen Denkens im 19. und 20. Jh. vor allem im deutschsprachigen Raum. Er ist Mitherausgeber der Martin Buber Werkausgabe und Autor des Buches <em>Jüdische Identität. Die zwei Seelen der deutschen Juden </em>(2004).</p>

Einleitung


»Ich bin leider ein komplizierter
und schwieriger Gegenstand«

Martin Buber

»Ich glaube nicht, dass es irgendeinen Denkvorgang gibt, der ohne persönliche Erfahrung möglich ist. Alles Denken ist Nachdenken, der Sache nachdenken.«1 Dies bemerkte Hannah Arendt im Hinblick auf ihren persönlichen intellektuellen Werdegang.

Erfahrung und Denken in eine unmittelbare Wechselbeziehung zu setzen ist allerdings ein riskantes Unterfangen – Erfahrungen sind vielschichtig und nicht selten widersprüchlich, manche, die ihre Prägung auf das menschliche Denken hinterlassen haben könnten, sind »nicht wirklich bekannt« oder »gern vergessen worden«.2 Die Biographen müssen daher entscheiden, welche Erfahrungen für die intellektuelle und persönliche Entwicklung prägend waren, dabei die gebotene Vorsicht auch bei der Lektüre schriftlicher Zeugnisse – insbesondere der Hauptperson – walten lassen. Ein Text kann einen »stillschweigenden Autor« haben, der nicht mit dem tatsächlichen Verfasser identisch ist; auch kann die Art und Weise, wie ein Text geschrieben und aufgenommen wurde, das Bild eines Autors entwerfen, das von seiner oder ihrer »wahren«, umfassenden Persönlichkeit abweicht oder diese nur teilweise erfasst. Überdies kann es vorkommen, dass, wie Saul Bellow angesichts sämtlicher in ein Werk eingegangenen Überarbeitungen und stilistischer Korrekturen kurz und bündig feststellte, der Autor oder die Autorin in den Texten häufig ganz anders erscheint als im »wirklichen Leben«.3

Mit all diesen Herausforderungen sieht sich jeder Biograph Bubers unweigerlich konfrontiert. Schreiben fiel ihm nicht leicht; so gestand er einmal einem ungeduldigen Herausgeber einer Sammlung seiner auf Englisch publizierten Essays: »Ich möchte, dass Sie ein für alle Mal begreifen, dass ich kein Literat bin. Schreiben ist nicht mein Beruf, sondern meine Pflicht – eine fürchterlich schwere dazu. Wenn ich schreibe, dann unter schrecklichem Druck.«4 Meist schrieb er zahlreiche Entwürfe und revidierte ständig seine Schriften von einer Edition zur nächsten, wobei er ganze Passagen strich und andere umschrieb. Nicht immer wies Buber den Leser späterer Ausgaben auf seine Überarbeitungen hin – seinem Biographen können sie als Hinweise auf mögliche biographische Veränderungen und intellektuelle Korrekturen dienen.

In ihrer Sylvia Plath gewidmeten Monographie bemerkte Janet Malcolm, dass der Biograph naturgemäß von einer »epistemologischen Unsicherheit« verfolgt wird und, so möchte ich ergänzen, verfolgt werden sollte.5 Die Geschichte, die ein Biograph erzählt, kann naturgemäß nur interpretativ sein. Beim Zusammenstellen von Fakten und deren Bewertung hinsichtlich ihrer biographischen Bedeutung wählt der Biograph häufig jene aus, die das von ihm entworfene Narrativ bestätigen, um zusammenhängend zu erzählen.

Mir war daran gelegen, Anhaltspunkte und Stichworte von Buber selbst aufzugreifen. Die von mir erzählte Geschichte seines Lebens und Denkens fußt vor allem auf den Mitteilungen in seiner Korrespondenz – das Martin Buber Archiv in der Nationalbibliothek Israel bewahrt über fünfzigtausend Briefe, die zwischen Buber und Hunderten von Korrespondenten gewechselt wurden – sowie auf beiläufigen autobiographischen Anmerkungen, die sich da und dort in seinen Schriften finden. Häufig reagierte er auf bestimmte Ereignisse und Erfahrungen mit Gedichten, von denen bislang nur wenige veröffentlicht wurden.6 Gegen Ende seines Lebens schrieb er einen knappen Essay aus »autobiographischen Fragmenten«, in dem er eingangs bemerkte: »Es geht hier nicht darum, von meinem persönlichen Leben zu erzählen, sondern einzig darum, von etlichen, in meiner Rückschau auftauchenden Momenten Bericht zu erstatten, die auf Art und Richtung meines Denkens bestimmenden Einfluss ausgeübt haben.«7

Sollte man je seine Biographie verfassen, müsste sie sich, so betonte Buber nachdrücklich, auf sein Denken konzentrieren und dabei jene konstitutiven Elemente in Betracht ziehen: »Meine Philosophie … Ich habe keine Lehre. Ich zeige nur etwas. Ich zeige die Wirklichkeit. Ich zeige etwas an der Wirklichkeit, was nicht oder zu wenig gesehen worden ist. Ich nehme ihn, der mir zuhört, an der Hand und führe ihn zum Fenster. Ich stoße das Fenster auf und zeige hinaus, ich öffne das Fenster und zeige auf das, was draußen ist.«8

Dementsprechend nahm sich Buber vor jedweder Biographie in Acht, die die psychologischen Quellen seiner Ideen und Schriften zu sondieren unternahm, um damit diese – und zugleich ihn, den Autor – auf eine subjektive, idiosynkratische und folglich spekulative Deutung zu reduzieren. In einem Antwortbrief an einen amerikanischen Doktoranden, der an einer vergleichenden psychologischen Biographie von Buber und Kierkegaard arbeitete, erwiderte er:

 

Ich habe keinerlei Neigung, mich mit meiner Person als »Gegenstand« zu befassen, und ich fühle mich auch keineswegs dazu verpflichtet. Es interessiert mich nicht, ob die Welt an meiner Person interessiert ist. Ich möchte die Welt beeinflussen, aber ich möchte nicht, dass sie sich von »Mir« beeinflusst fühlt. Ich habe, wenn ich das so sagen darf, den Auftrag, den Menschen Wirklichkeiten zu zeigen, und ich suche das so getreu wie möglich zu tun. Darüber nachzudenken, warum ich beauftragt bin oder warum ich im Lauf meines Lebens zu zeigen fähiger geworden bin, was ich zu zeigen habe, hat für mich nicht nur keinen Reiz, sondern auch keinen Sinn. Es gibt Menschen, die den Wunsch haben, sich der Welt zu erklären; Kierkegaard hatte ihn; ich nicht – ich möchte mich nicht einmal mir selber erklären.9

Zu dieser Thematik waren Bubers Ansichten widersprüchlich. Um zu verstehen, weshalb er die Befolgung der traditionellen jüdischen Lebensweise ablehnte, »hätte ich […]mit einer Innengeschichte meiner Jugend antworten müssen, und etlichen Fragmenten aus deren Außengeschichte obendrein«, schrieb er einmal an Franz Rosenzweig.10 Gleichwohl würde, so betonte er stets, seine persönliche Auseinandersetzung mit dem traditionellen Judentum, in dem er aufgewachsen war, in der seiner jüdischen Altersgenossen ihren Widerhall finden, zumal, wenn diese ebenfalls aus Osteuropa stammten. Daher sollten so manche seiner Erfahrungen und Einstellungen nicht als Überempfindlichkeit oder individuelle Eigenart, sondern als durchaus repräsentativ für seine Zeitgenossen beurteilt werden, die dasselbe durchgemacht hatten – Äußerungen der persönlich erlebten komplizierten Problematik, wie man sich als jemand, der beim Übergang der Judenheit in die moderne Welt geboren wurde, weiter als Jude zu identifizieren vermöchte.

In diesem Sinne deckt sich meine Darstellung von Bubers Lebensgeschichte mit Edward Saids Vorstellung von Identität als »dem animierenden Prinzip der Biographie«. Dem Biographen geht es darum, ein Leben auf eine Art und Weise zu verstehen, »die das Wesen einer Identität nicht bloß mit sich selbst, sondern in Übereinstimmung mit der Geschichte eines Zeitraums, in dem sie bestand und aufblühte«, untermauert, bestärkt und erhellt.11

Zur Charakterisierung der Identität und der Probleme, die Buber zeit seines Lebens beschäftigten und den Verlauf seines intellektuellen Werdegangs bestimmten, habe ich mich an die von Arthur A. Cohen getroffene Unterscheidung zwischen dem »natürlichen und dem übernatürlichen Juden« gehalten.12 Der »übernatürliche Jude« ist der ewigen religiösen Berufung des jüdischen Volkes gemäß der von Gott offenbarten Torah sowie der rabbinischen Tradition verpflichtet; der »natürliche Jude« dagegen ist den Unwägbarkeiten von Geschichte und sozialen Gegebenheiten ausgesetzt. In der traditionellen jüdischen Gemeinschaft waren die tagtäglichen Anliegen des natürlichen Juden der übernatürlichen Bestimmung Israels untergeordnet. Doch mit der Emanzipation, der Öffnung der Ghetto-Tore und dem Zugang zu neuen sozialen und wirtschaftlichen Möglichkeiten erwarb der natürliche Jude eine Vorrangstellung – und der damit einhergehende Kampf gegen den Antisemitismus sowie für die vollständige politische Gleichberechtigung führten nicht selten dazu, dass der übernatürliche Jude in den Hintergrund trat.

Im Lauf seines Lebens, auch im Zuge der Entwicklung seiner...

Erscheint lt. Verlag 27.3.2022
Übersetzer Eva-Maria Thimme
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Esoterik / Spiritualität
Geisteswissenschaften Psychologie Allgemeine Psychologie
Schlagworte Bestseller bücher • Biografie • buch bestseller • Israel • Judentum • Martin Buber • neues Buch • Philosophen • Sachbuch-Bestenliste • Sachbuch-Bestseller-Liste • Zionismus
ISBN-10 3-633-77056-9 / 3633770569
ISBN-13 978-3-633-77056-4 / 9783633770564
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