'Mutig und stark alles erwarten' (eBook)

Elisabeth Erdmann-Macke. Leben für die Kunst
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2022 | 1. Auflage
352 Seiten
btb (Verlag)
978-3-641-27125-1 (ISBN)

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'Mutig und stark alles erwarten' -  Margret Greiner
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Elisabeth Erdmann-Macke, geb. 1888, steht immer noch im Schatten ihres ersten Mannes, August Macke. Die erzählte Biografie versucht, sie in ihr eigenes Recht zu setzen, ihre Talente und Verdienste zu würdigen. In den wenigen Jahren des gemeinsamen Lebens mit Macke war sie ihm Partnerin auf Augenhöhe, hat ihn in seinem künstlerischen Schaffen gefördert und war selbst künstlerisch tätig. 1914 fällt Macke kurz nach Kriegsausbruch. Ihr zweiter Mann. Lothar Erdmann wird 1939 von den Nazis ermordet. Trotz aller Schicksalsschläge gibt die junge Witwe nicht auf, zieht fünf Kinder groß und betreut das Werk Mackes. Ohne ihre Umsicht und Tatkraft wäre ein Großteil der Bilder verloren.

Die Autorin entwirft auf der Grundlage erstmals ausgewerteter Quellen und eingebettet in den historischen Kontext ein lebendiges Porträt dieser außergewöhnlichen Frau.

Margret Greiner studierte Germanistik und Geschichte in Freiburg und München. Viele Jahre arbeitete sie als Lehrerin und Journalistin. In ihren erzählten Biografien hat sie sich immer wieder mit außergewöhnlichen Frauenleben beschäftigt, u.a.'Auf Freiheit zugeschnitten. Emilie Flöge: Modeschöpferin und Gefährtin Gustav Klimts', 'Margaret Stonborough-Wittgenstein. Grande Dame der Wiener Moderne', 'Mutig und stark alles erwarten. Elisabeth Erdman-Macke - Leben für die Kunst'. Margret Greiner lebt in München.

Die Liebe hemmet nichts


Die Liebe hemmet nichts;

Sie kennt nicht Tür noch Riegel

Und drängt durch alles sich:

Sie ist ohn’ Anbeginn,

Schlug ewig ihre Flügel

Und schlägt sie ewiglich.

Matthias Claudius

Die Liebe drängte durch alles sich, schlug ihre Flügel, kannte nicht Tür noch Riegel – bis diese sich eben undurchdringlich schlossen, als August 1904 zum Studium nach Düsseldorf zog. Es war Elisabeth, die den Vorschlag machte, keine Briefe zu tauschen, die Trennung als eine Art Probe zu nehmen, ob die überschwänglichen Gefühle auch Bestand hätten. So ein vernünftiges Mädchen!

August hingegen fiel in den Wochen vor seinem Umzug in tiefe Traurigkeit, der Götterliebling, als der er in Bonn von seinen Freunden und in allen Familien gefeiert wurde, sah schwermütig in die Zukunft. Elisabeth nahm die Veränderungen in seinem Wesen wahr: Er, den das Glück sichtbar bevorzugte, er trug an allem schwer, an seinem eigenen Glück, an der mannigfachen Schönheit der Natur im kleinsten wie im größten, an dem harten Dahinleben mancher Menschen. Ihn ergriff all das im Innersten, und er litt darunter. Das wußten die wenigsten, die ihn kannten; er galt stets als der heitere, glückverbreitende, immer strahlende Jüngling.

Wenn er stundenlang neben ihr herging, ohne ein Wort zu sprechen, schob sie ihre Hand in die seine. Ich bin da, signalisierte sie ihm mit ihrer Geste. Aber an manchen Tagen blieb er umflort, da konnte sie ihn nicht aus seinen trüben Stimmungen reißen.

Angst vor dem Neuen? Zweifel, ob es die richtige Entscheidung gewesen war, die Schule abzubrechen? Die räumliche Trennung von Lisbeth? Von seiner Familie?

Sein Vater, zunächst voll heftiger Einwände gegen das Kunststudium, hatte ihm den Segen gegeben, den letzten Segen. Denn er war schwer erkrankt, lag seit Wochen im Bett. Vier Wochen nachdem August nach Düsseldorf gezogen war, entdeckte Elisabeth ihn zufällig auf ihrem Schulweg. Er kam offensichtlich vom Bahnhof, das weite Cape flatterte bei seinem stürmischen Schritt, er schien verwirrt, bestürzt. Sie sprach ihn an, doch August stammelte nur: »Mein Vater, sehr krank«, und eilte an ihr vorbei.

Am nächsten Morgen erfuhr sie, dass August zu spät gekommen war, sein Vater war am Morgen des 27. Oktober 1904 gestorben.

Dieser Verlust traf den Sohn hart. Er hatte seinen Vater verehrt, in ihm künstlerische Ambitionen entdeckt, die dieser nicht hatte ausleben können. Stattdessen war er ein erfolgloser Geschäftsmann geworden; von vielen ausgenutzt und hintergangen, hatte er eine Baufirma in den Konkurs getrieben und das Erbe seiner Frau, der reichen Bauerntochter aus dem Sauerland, aufgebraucht. In den Augen der Welt war er ein Versager, in Augusts Augen ein sensibler, liebevoller Mensch, der den harten Realitäten eines Unternehmerlebens nicht gewachsen war. Wie anders war da seine Mutter Florentine, die mutig und zupackend bisher alle Schwierigkeiten überwunden hatte. Als die Familie nahezu mittellos aus dem Sauerland ins Rheinland gezogen war, hatte die Mutter eine Pension eröffnet, um damit einen gesicherten Verdienst zu schaffen. Jetzt, nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes, würde sie viele Prozesse gegen betrügerische Mitarbeiter durchzufechten haben, gegen unzufriedene Kunden, die Schadenersatz forderten.

Am Allerseelentag, einen Tag nach der Beerdigung, ging Elisabeth mit August durch die Felder, die altvertrauten Wege. Sie hoffte, ihren traurigen Freund trösten zu können. Aber der war außer sich, empörte sich über die dumme Rede des Pfarrers, dieses Salbadern von Gottes Güte, über die Rituale der Beerdigung, die schwarz gekleidete Trauergemeinde hinter dem Sarg, die Beileidsbekundungen der Verwandten und Bekannten.

»Alles verlogen, alles Heuchelei, aufdringliches Getue.«

Elisabeth konnte nicht begreifen, dass er sich so aufregte, mehr Wut aus ihm sprach als Trauer. Mit dem Tod konnte er einfach nicht umgehen. Auch später, wenn sie ihm vorschlug, das Grab des Vaters zu besuchen, seiner Mutter damit eine Freude zu machen, weigerte er sich, auf den Friedhof zu gehen: Was habe ich da von meinem Vater. Da ist doch nichts von ihm. Ich habe ihn in meinem Herzen.

Elisabeth war unruhig, als er zurück nach Düsseldorf fuhr.

Sie ahnte, dass er dort nicht glücklich war, schon nach kurzer Zeit der Studien in der Akademie überdrüssig. Das sture Abzeichnen von »Gipsklamotten« ödete ihn an, die Aussicht, drei Jahre lang immerzu Abgüsse von griechischen Statuen kopieren zu müssen, bevor er in die Malklasse eintreten durfte, schreckte ihn. So hatte er sich sein Studium nicht vorgestellt.

Elisabeth zermarterte sich das Hirn, wie sie ihren Freund aus dieser freudlosen Sackgasse herausholen könnte. Sie hatte Angst um ihn. Nur alle vier Wochen hatte sie die Chance, ihn zu sehen, ihm Mut zuzusprechen. In diesem Rhythmus kam er nach Bonn und verabredete sich mit ihr auf einen Spaziergang. Zwischendurch zu schreiben, blieb ein Tabu. Aber Tabus existieren, um gebrochen zu werden. Als August über eine »Liebesbotin«, die gemeinsame Bekannte Emma Job, ein Rendezvous in Bonn vorschlug, wollte Elisabeth ihm schreiben, dass sie zu der vorgeschlagenen Uhrzeit nicht zu Hause sei. Sie wählte eine schmale Karte für ihr Schreiben, damit sie ja nicht ins Reden käme.

Und kam ins Reden. Riss ein Blatt nach dem anderen aus der feinen Schatulle mit Briefpapier, schrieb Seite um Seite, goss ihr liebendes sechzehnjähriges Herz aus, scherte sich keinen Deut um alle selbst auferlegte Kasteiung. Vernunft: Pah! Prüfung der Gefühle: Pah! Wohldosierter Kontakt: Pah! Was hatte das alles mit Liebe zu tun! Ausschweifung war das Gebot der Stunde. Gab den Brief Augusts Freund Vinzenz Hundhausen, entdeckte den Freund drei Tage später im Theater, wo er ihr zublinzelte und ihr Augusts Antwort zusteckte. Was auf der Bühne an diesem Abend vor sich ging, rauschte an ihr vorbei, sie zitterte der Stunde entgegen, in der sie wieder zu Hause in ihrem Zimmer war. Der grazile silberne Brieföffner blieb im Kästchen, sie riss den Brief auf, als enthielte er eine Lunte, an der schon das Feuer glomm, um die Worte in die Luft zu jagen. Wenn August sie jetzt zurechtwies, weil sie den Schweigevertrag gebrochen hatte, was dann! Wenn er vielleicht sogar die Beziehung zu ihr löste?

Meine liebe, liebe Lisbeth!

Habs mir doch gedacht, daß das feurige Blut einmal über die Gesetze springen würde. Schreibt sie einem da auf einmal so 16 Seiten, daß ich das Essen eines Abends vergaß, und zu Hause saß und träumend einschlief vor Glück. Da stiegen die alten Liebesgötter mit langen Flügeln in das Atelierfenster hinein und streiften mit ihren Schwingen ein heißes Gesicht …

Das feurige Blut, das hatte August richtig erkannt. Und ebenjenes brodelte weiter und führte dazu, dass die wohlerzogene Sechzehnjährige aus bürgerlichem Hause, Freude ihrer Eltern und ihrer Lehrerinnen, jetzt eine beachtliche Energie entfaltete, um verbotene Wege zu gehen. Liebe und List alliterieren aufs Vorzüglichste. Freunde boten ihre Kurierdienste an, transportierten die billets d’amour. In Augusts Briefen sehnte und stürmte es, jauchzte das Leben, tobten die Sinne. In Elisabeths ging es etwas lyrischer zu. Etwas.

Augusts Stürmen und Drängen lösten Glück und Angst zugleich aus, Elisabeth ahnte, wohin das führen mochte. Dafür gab es keinen Namen, aber das Namenlose versetzte sie in einen Schwindel. Es war für uns so herrlich nie an etwas anderes zu denken, wenigstens tat ich es nicht, bis er einmal abends an der Haustüre sich an mich lehnte und sagte fast schmerzlich: ach warum können wir nicht immer zusammen sein. Ich sagte: nein das geht nicht, wir müssen uns vergessen, es ist wohl schwer, aber wir müssen es lernen, dabei tat es mir im Herzen weh. Sie mahnte den Jüngling in Flammen: Wir wollen Kinder bleiben, solange es geht.

Solange es geht.

In München ging es kaum noch. Acht Tage waren den beiden im Frühling 1905 geschenkt. Walter Gerhardt hatte zu seinem Abitur von den Eltern eine Italienreise geschenkt bekommen. Er dürfe sich selbst seine Begleitung aussuchen, einen Freund natürlich, kein Mädchen. Walter, der inzwischen in München studierte und in der Pension Schattenfroh lebte, wählte August Macke aus. In München war zur gleichen Zeit Elisabeth zu Besuch bei ihrem Onkel, dem Maler Heinrich Brüne, der mit seiner Frau Sofie in Schwabing lebte, sie sollte ihm Modell für ein Porträt stehen. Unter dem weiß-blauen Himmel feierte das Paar ein stürmisches Wiedersehen. Am Anfang unternahmen sie noch einiges zu dritt. Aber bald resignierte Walter. Er fühlte sich nur noch als Klotz am Bein. Freund und Schwester waren doch nur mit sich beschäftigt. Stellte er einmal eine Frage, tauchten sie wie aus fernen Welten auf mit einem leeren Blick: Um was geht es? Was hast du gerade gesagt? Da ging er lieber mit seinen Kommilitonen ins Augustinerbräu in der Neuhauser Straße und fühlte sich wohl bei Blasmusik, Schnaderhüpferln und Schuhplattlern. Und beim bayerischen Bier, das so viel besser war als das Knuppbier, das man zu Hause trank.

August und Elisabeth waren Walter dankbar. »Er lernt etwas dazu!«, lachte August. »Und in Italien wird er ja noch genug von meiner Begleitung haben.«

Frühling in München war ein Bühnenbild, von allen Göttern im Himmel in sattem Madonnenmantelblau gemalt. Im Hofgarten trieben die Kastanienbäume schon kleine Kerzen, im Englischen Garten fanden sich verschwiegene Ecken, Bänke und überwucherte Lauben, am Kleinhesseloher See konnten sie...

Erscheint lt. Verlag 11.4.2022
Zusatzinfo 8 Seiten farbiger Bildteil
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Schlagworte 2022 • August Macke • Biografie • Biographien • Blauer Reiter • eBooks • Franz Marc • Frauenschicksal 20. Jahrhundert • Lothar Erdmann • Marie Marc • Neuerscheinung
ISBN-10 3-641-27125-8 / 3641271258
ISBN-13 978-3-641-27125-1 / 9783641271251
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