Sexualität - Macht - Religion (eBook)

Zeitreisen ins Bermuda-Dreieck menschlicher Existenz
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
150 Seiten
Echter Verlag
978-3-429-06544-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Sexualität - Macht - Religion -  Joachim Kügler
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Seit mehr als zehn Jahren erregen Missbrauchsskandale in Kirche und Gesellschaft Wut und Abscheu in der Öffentlichkeit. Der Neutestamentler Joachim Kügler unternimmt vor diesem Hintergrund einige biblische und religionsgeschichtliche Ausflüge, um den engen Zusammenhang von Macht, Sexualität und Religion besser zu verstehen. Diese Zeitreisen sind keine Einladung zur Flucht aus der Gegenwart, sondern der Versuch, Grundstrukturen männlich dominierter Gesellschaften aufzudecken. In der Begegnung mit Vätern, die ihre Töchter zur Vergewaltigung anbieten, Frauen, die zu Männern werden müssen, um gleichwertig zu sein, und Göttern, die ihre Macht sexuell ausspielen, wird beklemmend deutlich, dass das Etikett 'rape culture'/ Vergewaltigungskultur nicht nur damals passte. Was heute anders ist? Es gibt Öffentlichkeit, Kritik und sogar Alternativen.

Joachim Kügler, Dr. theol., geboren 1958; Inhaber des Lehrstuhls für Biblische Theologie an der Universität Bayreuth.

Joachim Kügler, Dr. theol., geboren 1958; Inhaber des Lehrstuhls für Biblische Theologie an der Universität Bayreuth.

II.Warum man einen Mann nicht zur Frau machen darf


Die zweite Zeitreise führt uns zunächst wieder nach Ägypten, aber nicht nur. Wir folgen der Frage, warum man einen Mann nicht zur Frau machen darf, und reisen von Ägypten weiter in das Israel des Alten Testaments und von da weiter über Griechenland in das antike Rom. In unserem Reisekoffer haben wir jetzt schon die Erkenntnis, dass unter dem Blickwinkel der Macht männlich besser als weiblich ist. Die Frage ist aber, warum eigentlich?

Es scheint eine geheime Gleichung von Sex und Macht zu geben. Reisen wir also noch einmal nach Ägypten zurück, um genauer zu verstehen, wie Sex und Macht verbunden werden.

Zwei ägyptische Götter streiten um die Herrschaft


Wir sind jetzt in der 20. Dynastie, das ist grob die Zeit von 1200 bis 1000 v. Chr. Aus dieser Zeit stammt der Text auf einem Papyrus, der uns wieder mit dem Horus-Mythos in Berührung bringt.

Erzählt wird der Streit der Götter Horus und Seth um die Herrschaft. Dieser Wettstreit wird mit allen Mitteln geführt, auch mit sexuellen Waffen. In einer Szene wird berichtet, wie Seth versucht, den schlafenden Horus zu vergewaltigen, um ihn „zur Frau“ und damit für die Königsherrschaft ungeeignet zu machen. Dem schlauen Horus gelingt es, die Vergewaltigung abzuwenden. Er kann nicht nur vermeiden, dass das Sperma des Seth in ihn eindringt. Mit Hilfe seiner listigen Mutter Isis kann er sogar den Spieß umdrehen: Seth wird vom Samen des Horus schwanger und vor dem Göttergericht als „Frau“ geoutet. Damit ist seine Unfähigkeit zur Herrschaft dokumentiert und er muss Horus den königlichen Thron überlassen.

Vor dem Gericht der Götter sagt Seth:

Lasst mir das Herrscheramt geben, denn was Horus betrifft, so wie er dasteht, habe ich Mannestat an ihm vollbracht!“, und das Götterkollegium geriet in gewaltige Unruhe und spie vor Horus aus; woraufhin Horus sie verlachte und wie folgt bei Gott schwor: „Alles, was Seth sagt, ist unwahr!“

Als sich dann zeigt, dass der göttliche Samen des Horus in Seth ist, erkennt das Gericht: „Horus ist im Recht, Seth im Unrecht.“

Die Verbindung von Sexualität und Macht ist in diesem Mythos besonders eng geknüpft. Das wird deutlich, wenn man fragt, was eine Vergewaltigung mit der Fähigkeit zur Herrschaft zu tun hat. Die Logik der Erzählung ist ganz einfach: Penetrieren ist männlich und Penetriert-Werden ist weiblich.

Wird ein Mann penetriert, dann verliert er seine Männlichkeit, dann wird er zur Frau! Was – außer Penetrieren-Können – noch alles zu echter „Männlichkeit“ gehört, erklärt der Text nicht, aber es ist klar, dass der sexuelle Akt der Penetration als Herrschaftsakt verstanden wird. Wer sexuell einer anderen Person seinen Willen aufzwingen kann, zeigt damit, dass er fähig ist, zu herrschen. Beides ist, wie Seth sagt, „Mannestat“. Beide, Herrschaft und männlicher Geschlechtsakt, werden als Durchsetzen des eigenen Willens verstanden, ohne dass die Zustimmung der anderen von Belang wäre.

Das ist ein eiskaltes Konzept von Herrschaft, das demokratisch geprägten Menschen (hoffentlich) fremd ist, aber es passt zu den Herrschaftsformen alter Kulturen, die monarchisch oder diktatorisch geprägt sind.

Es ist natürlich auch eine eiskalte Vorstellung von Sexualität. Sie hat nichts mit Zustimmung, Liebe und Zuwendung zu tun, sondern ist Dominanz, Gewalt und Unterwerfung.

Auch hier ist es sinnvoll, den persönlichen und den politischen Körper zu unterscheiden. Der persönliche Körper des unterworfenen Mannes wird ja durch die Penetration nicht zu einem weiblichen Körper. Wohl aber wird sein politischer Körper entmännlicht. Er wird weiblich, weil er unterworfen wird. Und Unterwerfen ist männlich, aber Unterworfen-Werden weiblich. So gesehen ist der König als gottgleicher Alleinherrscher der einzige richtige Mann in seinem Reich. Bei ihm stimmen persönlicher und politischer Körper überein.

Der Mythos vom Machtkampf zwischen Horus und Seth lehrt freilich, dass die Unterscheidung von politischem Körper und persönlichem Körper eine moderne Idee ist, die uns hilft, alte Kulturen zu verstehen. Der Text selbst versucht dagegen, den Unterschied zwischen den beiden Körpern zu verwischen. Er biologisiert oder naturalisiert den politischen Körper. Er tut dies, indem er erzählt, dass der unterlegene Seth tatsächlich vom Samen des Horus schwanger wird. Zwar hat ihn Horus nicht einmal vergewaltigt, sondern nur seinen Samen auf das Essen des Seth gespritzt, aber das tut nichts zur Sache. Es ist auch unwichtig, ob man im Alten Ägypten wirklich dachte, dass die Aufnahme des Samens durch den Mund zu einer Schwangerschaft führen könnte. In jedem Fall wusste man, dass Männer nicht schwanger werden. Der Text ignoriert das und überträgt die Wirkung, die die Vergewaltigung auf den politischen Körper hat, auf den persönlichen Körper, und umgekehrt.

Die Vergewaltigung wird am persönlichen Körper vollzogen, verweiblicht aber den politischen Körper. Und umgekehrt wirkt sich die Entmännlichung des politischen Körpers auf den persönlichen Körper aus, indem dieser dann schwanger wird.

So verknüpft der Text den politischen Körper ganz eng mit dem persönlichen. Er verleiblicht den politischen Körper, der ja eigentlich nur etwas Gedachtes ist, und maskiert damit seine Körper-Ideologie als etwas Natürliches. Die gedankliche Konstruktion des politischen Körpers und seiner Verbindung mit dem persönlichen Körper ist ja eine kulturelle Deutung, aber sie wird als naturgegeben dargestellt.

Für Frauen bedeutet dies in der Konsequenz nichts anderes, als dass sie „von Natur aus“ dazu da sind, sexuell und politisch unterworfen zu werden. Das ist „die Natur“ des Weiblichen. Zur Ehrenrettung der altägyptischen Kultur muss man zwar festhalten, dass die gesellschaftliche Praxis längst nicht so frauenfeindlich war wie in anderen Kulturen, aber vom königlichen Amt und vom Herrschaftsapparat des Staates blieben Frauen normalerweise ausgeschlossen.

Reisen wir weiter! Wir kommen im Heiligen Land an. In welcher Zeit wir eigentlich gelandet sind, müssen wir eigens noch herausfinden.

Das Buch Levitikus und die Männlichkeit der Söhne Israels


Der Unterschied zwischen dem ägyptischen Mythos und den Regelungen des Alten Testaments ist, dass die Verweiblichung eines Mannes durch Penetration nun strikt verboten wird, und zwar ohne dass es eine „Sondergenehmigung“ für den Herrscher gäbe. So heißt es im Buch Levitikus ganz generell:

Und mit einem Mann sollst du nicht schlafen, wie man mit einer Frau schläft. Das ist ein Gräuel“ (Kapitel 18, Vers 22).3 Und wenn jemand mit einem Mann schläft, wie man mit einer Frau schläft, so haben beide einen Gräuel verübt. Sie müssen getötet werden, auf ihnen lastet Blutschuld (Kapitel 20, Vers 13).

Diese Vorschriften der Hebräischen Bibel haben zusammen mit anderen Texten, etwa bei Paulus, eine wichtige Rolle bei der Verdammung der Homosexualität in der Geschichte des Christentums gespielt. Doch darum soll es hier nicht gehen. Wir wollen einfach fragen, warum diese Regelungen so drastisch sind und ob hier der Zusammenhang von Sexualität und Macht etwa aufgebrochen wird. Um diese Fragen beantworten zu können, müssen wir uns klarmachen, dass diese Texte sicher nicht so alt sind, wie es die Rahmenerzählung suggeriert. In der erzählten Welt spricht Gott zu Mose, wobei eine Datierung nach der Befreiung aus Ägypten und vor dem Einzug ins Gelobte Land gegeben ist. Dies ist keine historische Zeitangabe, sondern eine symbolische: Das Volk Israel ist der Unterwerfung durch die Ägypter entronnen und auf dem Weg in das neue Land Kanaan. Sowohl in Ägypten als auch in Kanaan gelten fremde Regeln. Beide Länder erscheinen als Herrschaftsbereich fremder Normen und Lebensweisen.

Und JHWH sprach zu Mose: Sprich zu den Israeliten und sage ihnen:

Ich bin JHWH, euer Gott.

Ihr sollt nicht tun, was man im Land Ägypten tut, wo ihr gewohnt habt, und

ihr sollt nicht tun, was man im Land Kanaan tut, wohin ich euch bringe.

Und ihr sollt nicht nach ihren Satzungen leben.

Ihr sollt meine Vorschriften befolgen und meine Satzungen halten und nach ihnen leben.

Ich bin JHWH, euer Gott.

Und meine Satzungen und meine Vorschriften sollt ihr halten.

Denn der Mensch, der sie befolgt, wird durch sie leben.

Ich bin JHWH (Levitikus, Kapitel 18, Verse 1–5).

Die Gesetze Gottes stehen den...

Erscheint lt. Verlag 1.10.2021
Verlagsort Würzburg
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Religion / Theologie
Schlagworte geistliche Gewalt • Gesellschaft • Gesellschaftsgeschichte • Katholisch • Kirche • Macht • Missbrauch • Patriarchat • Religionsgeschichte • Sexualisierte Gewalt • Sexuelle Gewalt • Sexueller Missbrauch
ISBN-10 3-429-06544-5 / 3429065445
ISBN-13 978-3-429-06544-7 / 9783429065447
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