'Doch meine Seele hat Narben' - Wie Niusia Horowitz dank Oskar Schindler den Holocaust überlebte (eBook)

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2022 | 1. Auflage
320 Seiten
cbt Jugendbücher (Verlag)
978-3-641-27324-8 (ISBN)

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'Doch meine Seele hat Narben' - Wie Niusia Horowitz dank Oskar Schindler den Holocaust überlebte -  Reiner Engelmann
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»Rein äußerlich sieht man mir nicht an, was ich als Kind durchmachen musste, doch meine Seele hat Narben.«
Die polnische Jüdin Niusia Horowitz ist sieben Jahre alt, als der Zweite Weltkrieg ausbricht und ihrer Kindheit ein abruptes Ende setzt. Im besetzten Krakau muss das Mädchen täglich mit ansehen, wie die Deutschen auf der Straße willkürlich Menschen schikanieren, verhaften und ermorden. Doch das ist erst der Beginn einer wahren Odyssee: Nach dem Krakauer Ghetto geht es weiter in das Gefangenenlager Plaszow und schließlich sogar für drei unendlich lange Wochen nach Auschwitz-Birkenau. Niusias Rettung ist, dass ihr Name und der ihrer Familie auf Oskar Schindlers Liste landet. Die Arbeit in seiner Fabrik rettet Niusia und den Ihren das Leben. Seit ihrer Rolle als Beraterin bei den Dreharbeiten von »Schindlers Liste« setzt sich die beeindruckende Zeitzeugin unermüdlich für das Erinnern ein und dafür, dass sich die Geschichte niemals wiederholt.
Erschütternd, aufrüttelnd, zutiefst bewegend - ein eindringliches Plädoyer gegen das Vergessen

Reiner Engelmann wurde 1952 in Völkenroth geboren. Nach dem Studium der Sozialpädagogik war er im Schuldienst tätig, wo er sich besonders in den Bereichen der Leseförderung, der Gewaltprävention und der Kinder- und Menschenrechtsbildung starkmachte. Für Schulklassen und Erwachsene organisiert Reiner Engelmann regelmäßig Studienfahrten nach Auschwitz. Er ist Autor und Herausgeber zahlreicher Anthologien und Bücher zu gesellschaftlichen Brennpunktthemen. Für sein engagiertes Wirken in der Gedenk- und Erinnerungsarbeit wurde Reiner Engelmann mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet.

Ghetto Podgórze


Familie Horowitz war nicht allein auf dem Weg nach Podgórze. Während sie aber ihr Gepäck in Taschen trugen, waren andere Familien mit Handkarren oder Pferdewagen unterwegs, um die wenige Habe, die sie vor den Deutschen noch hatten retten können, zu ihrem neuen Wohnort zu bringen. Niemand von all diesen Menschen, die in langen Kolonnen über die Weichselbrücke liefen, hatte eine Vorstellung davon, wo sie unterkommen würden. Nur eines wussten sie: Sie mussten sich am Rynek Podgórski, dem Marktplatz von Podgórze, melden. Dort hatte der Judenrat ein paar Tische aufgestellt, um den Ankömmlingen die Adresse ihrer zukünftigen Bleibe zu nennen. Das war schwierig, denn es gab nicht genügend Wohnungen. Oft mussten sich mehrere Familien ein Zimmer teilen. Doch Familie Horowitz wusste noch nicht, was auf sie zukommen würde.

Auf dem ganzen Weg nach Podgórze waren sie von SS-Soldaten bewacht worden. Niemand durfte aus der Reihe ausscheren. Es bestand kein Zweifel: Die Soldaten würden sofort von ihren Schusswaffen Gebrauch machen. Beweise dafür sahen sie zur Genüge am Straßenrand liegen – Tote über Tote.

Drei, die mit ihnen in die gleiche Richtung laufen mussten, kannte Dolek. Es waren sein Schwager Hermann Rosner mit seiner Frau Manci und ihrem Sohn Olek. Auch sie hatten bis zuletzt in ihrer Wohnung ausgeharrt. Wo werden sie wohnen?, überlegte Dolek. Vielleicht auch bei seinen Eltern Sara und Szachne, so wie er es für sich und seine Familie erhoffte?

Dolek und Hermann blieben stehen und sahen sich an. Angst und Unsicherheit standen in ihren Gesichtern.

»Wir müssen weitergehen, sonst schießen sie«, sagte Hermann in gedämpftem Ton.

»Weißt du was von deinen Eltern und Geschwistern?«, wollte Dolek noch wissen. Hermann zuckte nur mit den Schultern.

Sie gingen weiter, damit sie nicht auffielen.

Jedem nicht jüdischen Bürger Krakaus war es untersagt, das Ghetto zu betreten. Niemand sollte mitbekommen, unter welchen Bedingungen die jüdische Bevölkerung in dem neuen Wohngebiet leben musste, und vor allem, was dort mit ihnen geschah. Das Ghetto lag zentral in der Stadt und trennte einige Stadtbezirke voneinander. Bis zur Errichtung des Ghettos war es kein Problem gewesen, von einem Bezirk in den andern zu gehen oder die Straßenbahn zu benutzen. Die Straßenbahn war zwar immer noch in Betrieb und fuhr auch weiter quer durch Podgórze, doch wurden für die Dauer der Durchfahrt sämtliche Türen verriegelt. Und die Fenster der Bahnen waren auf dieser Strecke mit einer undurchsichtigen Folie überklebt, damit niemand nach draußen schauen konnte.

Unzählige Menschen gingen an diesem 20. März 1941 durch die Straßen und Gassen von Krakau, alle in Richtung der Weichselbrücke, die sie zu ihrem neuen Wohngebiet führte. Als Familie Horowitz endlich das Ghetto erreichte, stellten sie fest, dass vielen schon eine neue Wohnung zugewiesen wurde. Die Menschen trugen Möbel, Koffer und Taschen in Hauseingänge.

Andere reihten sich vor den Tischen des Judenrats auf und hofften darauf, eine passende Wohnung zugewiesen zu bekommen.

Dolek und seine Familie kamen nur langsam vorwärts. Mit Regina hatte er besprochen, dem Judenrat vorzuschlagen, bei seinen Eltern in der Limanowskiego-Straße zu wohnen. Seine Eltern hatten dort eine kleine Wohnung.

»Wir werden uns einschränken müssen«, meinte Dolek.

Regina nickte. Das schien ihnen allemal besser, als sich womöglich mit fremden Familien eine Wohnung zu teilen.

Der Judenrat stimmte dem Wunsch zu und sofort machten sie sich auf den Weg.

Niusia freute sich, als sie ihre Großeltern sah. Ein Gefühl von Geborgenheit überkam sie nach all der Angst und Unsicherheit der letzten Tage und Wochen.

Manchmal traute sie sich sogar raus auf die Straße. Sie brauchte frische Luft und etwas Bewegung. Irgendwann lernte sie auch ein paar Mädchen kennen, die schon etwas älter waren. Gemeinsam streiften sie durch das Ghetto.

Die Erwachsenen plagten offenbar große Sorgen. Sie scherzten nicht mehr mit ihr wie früher, sie lachten nicht, freuten sich nicht, wenn sie ihre Nähe suchte. Meist saßen sie mit ernsten Gesichtern am Tisch und redeten miteinander. Niusia verstand nicht, worum es dabei ging. Sie sah nur, dass Mama und Oma manchmal den Kopf schüttelten oder ihnen Tränen über die Wangen liefen.

»Was wird aus uns werden?« Diese Frage stellte Regina immer wieder.

Auch Dolek und seinem Vater waren die Angst und Verzweiflung deutlich anzumerken. Sie sahen keine Chance, die Stadt oder das Land zu verlassen, um sich in Sicherheit zu bringen. Die Deutschen hatten sie eingekesselt, an Flucht in ein Nachbarland war nicht zu denken. Selbst das Ghetto wurde dichtgemacht. Stacheldraht und eine hohe Mauer, die von den jüdischen Bewohnern selbst errichtet werden musste, schotteten sie von der Außenwelt ab. Die Mauer musste, so die Anweisung der Deutschen, die Form von jüdischen Grabsteinen haben.

Teil der Ghetto-Mauer Krakau, die von den jüdischen Bewohnern gebaut werden musste. Der obere Teil musste abgerundet sein und bekam so die Form jüdischer Grabsteine.

Die Juden waren isoliert, Kontakte zu früheren Freunden außerhalb des Ghettos waren unmöglich. Doch es kam noch schlimmer.

Ihre vorläufig sicher geglaubte Bleibe bei Doleks Eltern war nur von kurzer Dauer. Sie mussten umziehen in eine Wohnung am Rynek Podgórski, Hausnummer 1, die der Judenrat ihnen nun zuteilte. Proteste von Dolek blieben wirkungslos. Den Grund für die Verlegung konnte er nur ahnen. Einerseits sah er es als reine Schikane der Deutschen, da auch andere Menschen ständig innerhalb des Ghettos umziehen mussten. Andererseits hieß es, weitere jüdische Bürger müssten untergebracht werden.

Die Familie Horowitz ahnte nicht, was auf sie zukommen würde, als man ihnen mitteilte, es sei eine Zweizimmerwohnung. Sie betraten das Haus und suchten nach der Eingangstür zu der Wohnung, die man ihnen genannt hatte.

Dolek klopfte vorsichtig, da er hinter der Tür Stimmen hörte. Weil niemand reagierte, öffnete er die Tür und blieb schockiert stehen. Das ganze Zimmer war voller Menschen.

Dolek sagte, man habe ihm und seiner Familie die Wohnung zugewiesen.

Einige Bewohner zeigten ein müdes Lächeln, und einer von ihnen meinte: »Schau dich im nächsten Zimmer um, das ist noch nicht so voll, dort findet ihr sicher noch einen Platz.«

Dolek zwängte sich mit Frau und Kindern durch den überfüllten Raum, öffnete die Tür zum nächsten Zimmer und blieb kopfschüttelnd stehen. Auch dort saßen schon viele auf dem Fußboden, auf Kisten oder Hockern. Er zählte sie durch. Es waren tatsächlich ein paar weniger als im ersten Raum.

»Wie sollen wir hier leben?«, fragte Regina, als sie sich umgeschaut hatte. »Es gibt nicht einmal genügend Platz zum Schlafen. Und die Kinder! Wir können sie doch hier nicht einsperren! Es sind Kinder, die brauchen Bewegung!«

»Sich beschweren ist zwecklos«, sagte einer der Bewohner. »Entweder ihr bleibt oder ihr müsst es euch auf der Straße bequem machen.«

Tatsächlich fanden bei Weitem nicht alle Menschen, die man in das Viertel getrieben hatte, eine Wohnung. Viele suchten notdürftig Schutz in Hauseingängen, Schuppen oder unter irgendwelchen Überdachungen. Selbst auf der Straße ließen sich einige nieder und hofften darauf, dass ihnen der Judenrat bald etwas zuweisen würde. An manchen Stellen saßen Hunderte auf der Straße, ohne jeglichen Schutz.

Mit der Aussicht, als Alternative im Freien schlafen zu müssen, entschieden sich Dolek und Regina schließlich doch, in dem Zimmer einen Platz zu ergattern. Sie schauten sich um, wo sie sich mit ihren Kindern niederlassen könnten. Sie baten den einen oder andern, ein kleines Stück zur Seite zu rücken, damit die ganze Familie nebeneinandersitzen konnte. Doch keiner der Angesprochenen tat es, jeder verteidigte seinen Platz und gab keinen Zentimeter frei. So mussten sie sich an getrennten Stellen niederhocken, Dolek zusammen mit Ryszard, Regina zusammen mit Niusia schräg gegenüber an der Wand. Lethargie und die Körperausdünstungen der Bewohner hatten sich im Raum breitgemacht. Niemand sagte etwas, alle saßen, dick in ihre Jacken oder Mäntel gepackt, und starrten vor sich hin.

Dolek war froh, dass er und Regina eine Arbeit hatten. So konnten sie, mit der entsprechenden Arbeitserlaubnis, morgens das Ghetto verlassen und nach Feierabend wieder zurückkommen. Doch was sollten sie mit den Kindern machen? Konnten sie sie den ganzen Tag allein in dem Zimmer lassen? Dolek musste sich etwas überlegen.

»Gibt es hier in der Wohnung so etwas wie eine Küche, in der man kochen kann?«, fragte Regina in die Runde.

»Wenn du noch etwas zum Kochen hast, kannst du den Herd in der Küche benutzen«, bekam sie zur Antwort. »Pass aber auf, dass nichts wegkommt! Hier haben alle Hunger und Hunger kennt keine Moral. Wenn jemand etwas Essbares findet, nimmt er es.«

»Wir haben alle Hunger«, sagte ein älterer Mann, der offensichtlich keine Zähne mehr hatte, »man muss sich an der Volksküche anstellen und hoffen, noch etwas zu kriegen. Die Lebensmittel sind sehr knapp und die Suppenteller werden nicht immer voll.«

Die Tatsache, dass Dolek und Regina arbeiten konnten, war ein Grund zur Freude, konnten sie so doch etwas Geld verdienen, um ein paar Lebensmittel zu organisieren. Ob es reichen würde, jeden Tag satt zu werden, hing nicht allein von der Höhe ihres Verdienstes ab, sondern auch davon, ob es überhaupt Lebensmittel gab, und von der Frage, ob ihnen der Lohn wirklich ausbezahlt...

Erscheint lt. Verlag 18.4.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Schlagworte 2022 • 2. Weltkrieg • ab 14 • Auschwitz • Das Mädchen im blauen Mantel • Deportation • eBooks • Erinnerungskultur • Eva Mozes Kor • Geschichte • Holocaust • Ich habe den Todesengel überlebt • Judenverfolgung • Jugendbuch • Konzentrationslager • Krakauer Ghetto • Monica Hesse • Neuerscheinung • Oskar Schindler • Schindlers Liste • Tatsachenbericht • Weltkrieg • Young Adult • Zeitzeuge • Zwangsarbeit • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-641-27324-2 / 3641273242
ISBN-13 978-3-641-27324-8 / 9783641273248
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