Seitenwechsel ins Ungewisse (eBook)
280 Seiten
tredition (Verlag)
978-3-347-14435-4 (ISBN)
Ulrich Metzner Aufgewachsen im sächsischen Bischofswerda und im brandenburgischen Cottbus an der Spree. Seit 1980 privat im oberbayerischen Taufkirchen und beruflich vor den Toren Münchens ansässig. Tageszeitungsredakteur an Rhein und Ruhr. Chefredakteur von Frauen-, Publikums- und Genussmagazinen. 1994 Gründer und Chefredakteur des Journals SAVOIR-VIVRE in Aarau. Bücher zur Thematik Kochkunst, VIF-Restaurantführer, Land und Leute, regionale Porträts.
Ulrich Metzner Aufgewachsen im sächsischen Bischofswerda und im brandenburgischen Cottbus an der Spree. Seit 1980 privat im oberbayerischen Taufkirchen und beruflich vor den Toren Münchens ansässig. Tageszeitungsredakteur an Rhein und Ruhr. Chefredakteur von Frauen-, Publikums- und Genussmagazinen. 1994 Gründer und Chefredakteur des Journals SAVOIR-VIVRE in Aarau. Bücher zur Thematik Kochkunst, VIF-Restaurantführer, Land und Leute, regionale Porträts.
Mit Gebrüll in die Welt zur Mitternacht. Die Flucht nach Eger. Der Fremde am Gartentor. Hamstertouren aufs Land. Bonbons von den Russkis
Mitten im Krieg: Wie einmal alles begann
Es war der 9. November 1941, ein spätherbstlicher Sonntag, fünf Minuten vor Mitternacht, als der eben Geborene mit Gebrüll im Krankenhaus an der Kamenzer Straße die Welt begrüßte. Erschöpft Regina, die 19jährige Mutter, und stolz der Luftwaffen-Gefreite Heinz Metzner, mit 22 Vater geworden. Zugegen in dieser sternklaren Nacht mit leichtem Bodennebel im Kreisstädtchen Bischofswerda auch die Eltern: Walter Lange, Doktor der Rechte, ehemaliger Bürgermeister zu Schöneck im Vogtland, und Gemahlin Dorothea, wohnhaft im 1936 erbauten schmucken Haus an der Ludendorffstraße 6, heute Geschwister-Scholl-Straße. Zu begrüßen war Ulrich, so benannt auf Wunsch der jungen Mama, glühende Verehrerin des Dichters, Kirchenkritikers und gerühmt als erster Reichsritter: Ulrich von Hutten (1488-1523). Im Horoskop zum Geburtsdatum im Zeichen des Skorpions standen sehr erfreulich die Sterne. Fast deckungsgleich auch das der Schlange im chinesischen Metalljahr: Charakterfest, risikosbereir und standhaft, eisern der Wille, nach Erfolg strebender Einzelkämpfer. Interessante Aspekte für die Lebenslinien. Am 313. Tag von 1941 ließen sich dennoch drei Zeilen aus Friedrich Schillers Gedicht „Das Lied von der Glocke“ als Mahnung verstehen: „Doch mit des Geschickes Mächten ist kein ew’ger Bund zu flechten, und das Unglück schreitet schnell.“ Gern übrigens zitiert vom Großvater, wenn ich mal wieder über die Stränge schlug oder sinnbildlich mit dem Kopf durch die Wand wollte. An des Dichters Wort sollte ich mich im späteren Leben durchaus erinnern.
Die Begegnung 1940: Regina L. und Heinz M.
Im Anflug auf Dresden über Bischofswerda.
Bomber über dem Reich
In der Reichsausgabe der Deutschen Allgemeinen Zeitung (DAZ) stand an diesem 9. November von der „Revolution“ zu lesen, im Leitartikel vom einem gewissen Willy Beer. Erhöht hierbei der „Hitlerputsch“ am gleichen Tag von 1923, auch als „Marsch auf die Münchner Feldherrnhalle“ benannt. Der wiederum, so der Verfasser des Beitrags, „war gegen den 9. November 1918 gerichtet“. Gemeint die Ausrufung der Republik nach dem Zusammenbruch des Kaiserreiches, eingegangen in die Historie als „Novemberrevolution“ in Berlin. Weitere Meldungen der DAZ waren Verfolgungskämpfe der deutschen Wehrmacht an der russischen Südfront auf der Krim, wo übrigens mein Vater im Einsatz war. Weiterhin Einflüge britischer Bomber aufs Reichsgebiet. Registriert 27 Abschüsse. Und die erklärte Absicht des Josef Stalin (1878-1953), Diktator und Generalissimus der Sowjetunion, am Atlantik eine zweite Front entstehen zu lassen.
Mit Sack und Pack und Kinderwagen
Wie im Prolog kurz erwähnt, stammen erste Erinnerungen aus dem Jahr 1945. Es war der 13. Februar, als der grau bewölkte Himmel dröhnte, sich weiter verdüsterte: Bomber im Anflug auf Dresden. Von der Dachluke aus meinte ich sogar ein flammendes Rot am Horizont gesehen zu haben. In der vierten Aprilwoche die Flucht nach Eger, tschechisch Cheb, gegenüber der Oberpfälzer Orte Waldsassen und Marktredwitz. Wie Mutter mit Brüderchen Reinhard im Kinderwagen und mir die über 200 Kilometer lange Strecke zur einstigen Reichsstadt bewältigt hat, lässt sich nur vermuten. Nach Recherchen gilt es als wahrscheinlich, dass wir auf Lastwagen von einer Wehrmachtseinheit mitgenommen worden sind.
Hintergrund waren die Kampfhandlungen zwischen deutschen und sowjetischen Verbänden im Bischofswerda nahen Bautzen. Das ließ viele befürchten, dass die Russen in Kürze vor der Tür stehen. Was die Flüchtenden nicht wissen konnten, war, dass Bautzen nur vorübergehend von der Roten Armee gehalten werden konnte. Gleichsam von einem Tag zum anderen gelang die Rückeroberung; in die Militärhistorie eingegangen als die letzte große Panzerschlacht des Zweiten Weltkrieges. Nachdem die US-Army die Karlsbader Region, somit auch Eger, an Stalin abgetreten hatte, begann umgehend die „Repatriierung“ der mit Sack und Pack und Kinderwagen Gestrandeten. Die Erinnerung an den Egerfluss währt übrigens bis heute, ließ ich doch dort flache Steinchen übers Wasser flitzen.
Uniformierte Untermieter
Zurück in Bischofswerda, dem Tor zur Oberlausitz. Nach der Kapitulation des Deutschen Reiches am 8. Mai 1945 gehörte das Städtchen zum Territorium der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ). Der Begriff passte durchaus auch aufs Elternhaus, denn bald fanden sich ein Trupp uniformierte „Untermieter“ ein. Geführt von einem deutsch radebrechenden Genossen Oberleutnant, Towarischtsch Starschi leitenant, mit drei Sternchen auf den gelben Schulterklappen. Er inspizierte alle Räume, requirierte für sich und seine Leute den notwendigen Platz und war ansonsten von ausgesprochener Höflichkeit. Der schlanke Mittdreißiger duftete wie ein Parfümerieladen, was offensichtlich meiner attraktiven Mutter galt, der er schöne Augen machte. Zu nahe gekommen ist er ihr allerdings nicht. Die sehr sangesfreudigen Untergebenen ließen in kalten Nächten die Wodkaflaschen kreisen und rissen schon mal das Parkett auf, um die Stücke aus Eichenholz fürs Lagerfeuer im Wohnzimmer (!) zu entfremden. Kaum bemerkt, stauchte der Offizier seine undisziplinierten Iwans lautstark zusammen. Der schwarze Aschenfleck blieb zur bleibenden Erinnerung. Tags darauf zog das einem Stoßtrupp ähnelnde Kommando ab.
Fluchtpunkt Eger, Cheb, Ende April 1945.
Butter gegen Bückling
Monat um Monat zog die Zeit der Notlagen ins Land, bewältigt aber dank des Einfallsreichtums von Mutter und Großmutter „Otte“, schon von mir als Kleinkind so gerufen; vermutlich gewandelt von Dorothea oder „Dotte“. Den Namen ist sie zeit ihres Lebens nicht losgeworden; selbst bei den Nachbarn nicht. Mutter Regina abenteuerte schmuggelnd durch die Heimat von Süd nach Nord bis zur Ostsee. Butter gegen Bückling, beispielsweise, und anderes mehr. Was nicht ohne Folgen blieb, weil einmal erwischt und ihr die unerfreuliche Bekanntschaft mit dem Polizeigefängnis an der Bahnhofstraße bescherte. Bestens in Erinnerung das herrliche Rübenkraut, der Zuckerrübensirup im Pappbecher. Auch der Lebertran in der braunen Flasche, damit ich groß und stark werden sollte. Was sicherlich stimmte, doch das Schaudern davor überwog. Es schmeckte einfach scheußlich.
Ein Bild wie ein Gemälde: Otte und Uli.
Baumkuchen aus Bischofswerda
Festtage waren hingegen die Besuche bei Onkel Erich, dem Bruder meines Großvaters, in seiner Bäckerei und Konditorei am Altmarkt. Dort duftete es nach Brot und Brötchen vom Erdgeschoss bis hinauf zum dritten Stock. Herrlich anzusehen die Torten und Kuchen. Und immer ein Erlebnis war Urgroßmutter Selma, die so oft und gern manches Märchen vorlas und von so vielen Geschichten zu erzählen wusste. Der Vater vom Onkel, Paul Lange, war zu Hofe in Dresden ob seines Baumkuchens hochgeschätzt, insbesondere von Kronprinz Friedrich August, dem späteren König Friedrich August III. (1865-1932). Bis zur Abdankung anno 1918 ließ er das hochfeine Gebäck aus Bischofswerda regelmäßig an den Hof zu Dresden liefern lassen. Aufmerksam geworden war die Hoheit auf der Hauswand über dem zweiten Stock gut sichtbare Inschrift Specialität: Baumkuchen, darunter Conditorei & Café. Paul Lange. Da eigentlich auf der Durchreise, daher kurz nur der Halt, die Besonderheit probiert und umgehend die erste Bestellung aufgegeben. Verliehen alsbald den höchst wertschätzenden, den mit Privilegien verbundenen Titel „Königlicher Hoflieferant“. In einer „Reklame“ genannten Veröffentlichung wies der Geehrte 1899 darauf hin: „Baumkuchen in anerkannt tadelloser Qualität versendet täglich Konditor Paul Lange, Hoflieferant Seiner Königlichen Hoheit des Prinzen Friedrich August, Herzog zu Sachsen.“ Nach seinem Ableben führte Sohn Erich, der Onkel, die Konditorei weiter, hierbei weiterhin sorgsam hütend des Vaters Geheimrezept.
Friedrich August III. König von Sachsen.
1907 übrigens, drei Jahre nach der Inthronisation, stattete der überaus beliebte Monarch Bischofswerda einen offiziellen Besuch ab. Am 17. Februar1932 auf Schloss Sibyllenort nahe Breslau verstorben, überführte ein Sonderzug den aufgebahrten König nach Dresden. Hunderttausende säumten damals die Straßen zur Hofkirche. Zwischen Schloss und Theaterplatz hatte sich inzwischen eine halbe Million trauernder Landeskinder eingefunden.
Markttreiben um 1895 auf dem Altmarkt von Bischofswerda. Schon damals hatte der Baumkuchen des Konditors Paul Lange Berühmtheit erlangt.
Die Zeit nach der Rückkehr aus dem Krieg:...
Erscheint lt. Verlag | 28.9.2021 |
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Verlagsort | Ahrensburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | Biographisches und Großereignisse • Die Fahndung nach dem für tot erklärten Vater • Dokumenation • Erinnerung • Ost-West-Odyssee • Zeitreise 1941-1989 |
ISBN-10 | 3-347-14435-X / 334714435X |
ISBN-13 | 978-3-347-14435-4 / 9783347144354 |
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Größe: 35,1 MB
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