Das mystische Wort: Erleben und Sprechen in Versunkenheit (eBook)
300 Seiten
Crotona Verlag
978-3-86191-192-0 (ISBN)
Carl Albrecht war Arzt, als er erstmals mit den Entspannungsübungen des Autogenen Trainings in Kontakt kam. Dies stellte den Anfang seines „Weges nach innen“ dar. Er begann, eine eigene Versenkungstechnik zu entwickeln, die ihn allmählich zu einem tiefgreifenden mystischen Erleben führte.
Als Mensch des 20. Jahrhunderts, wissenschaftlich geschult in rationalem Denken, stellten ihn seine inneren Erfahrungen vor eine immense Herausforderung: Es galt, das innerlich Geschaute mit dem klaren Licht des Verstandes zu versöhnen. Albrecht nahm diese Herausforderung an – und meisterte sie.
Dieses Buch ist ein entscheidender Baustein für ein spirituelles Erleben aus einem aufgeklärten Bewusstsein heraus. Es zeigt Wege, die ein mystisches Erkennen aus einer über-rationalen Klarheit ermöglichen.
Ein maßgeblicher Beitrag, um das so weitsichtige Wort Karl Rahners zu bestätigen: „Der Christ der Zukunft wird Mystiker sein – oder er wird nicht mehr sein.“
1. Zur Einführung
Durch einen Text, der aus der Versunkenheit gesprochen wird, können die Erfahrungen, die in ihm zur Sprache kommen, deutlicher werden als durch umständliche Erklärungen. Echte Versunkenheitsaussagen teilen immer mehr mit, als sich über sie und über das Sprechen in der Versunkenheit sagen lässt. Das gilt in besonderer Weise für mystische Verlautbarungen.
Im Raum des Grundes.
Der Ort ist offen.
Im Sinnen Gottes.
Das Urgeheime
ist laut geworden.
Gelichtet im Dunkel.
Verborgen im Leuchten.
Urheilige Ruhe
im Singen des Meeres.
Urgrund
im Ursprung
aufgetan.
Flamme
in der Schale
des Ja.
(1.12.1962)
Dem Unerfahrenen bleibt diese urheilige Ruhe im Singen des Meeres zwar unvorstellbar, sie kann ihm aber in solchen Aussagen vernehmlich werden. Dem Nachdenken bleibt ein solches Ereignis im Wort, mag es auch zuweilen strahlende Gestalt annehmen, im Leuchten verborgen; es kann nur einige innere Voraussetzungen des Geschehens aufdecken und seinen Spuren nachgehen; indem es sich diesen ausgesprochenen, aufgezeichneten Worten zuwendet, darf es sich der besonderen Verfassung des Menschen vergewissern, in der solche Worte gesprochen werden können.
Die Form dieser Aussagen beeindruckt; ihre schlichte Klarheit spricht für die Helligkeit des Bewusstseins und eine absichtslose Wahrhaftigkeit des Erlebens, das sich Ausdruck verschafft. Die phänomenologische Analyse dieser Erfahrungen kann nachweisen, dass sie in einer aller Willkür entledigten Passivität eintreten, die nahezu oder ganz frei geworden ist von den Möglichkeiten des Trugs und der Selbsttäuschung. Damit sind freilich die objektiven Dimensionen des Geschehens nicht erfasst, sondern lediglich wahrscheinlich geworden, dass nämlich einem radikal erschlossenen Dasein die Ankunft und Anwesenheit eines wirklich Anderen widerfährt, dass es von dieser Anderheit betroffen und zur Aussage ermächtigt werden kann. Diese konkrete Begegnung, die mystische Beziehung, und deren Verlautbarung, das mystische Wort, bleiben der einfachen Reflexion entrückt. Das Phänomen, das sich in mystischen Versunkenheitsaussagen artikuliert, lässt sich nicht an den Tag bringen. Es bleibt einem Denken, das sich auf Objektivationen und Verifikation im Objektiven eingeschworen hat, verborgen. Wir können uns seiner nur in einer kritischen Umwendung des Verstehens vergewissern. Ereignet sich mystische Begegnung doch in einer Tiefe, die auch dem Denken voraus und zugrunde liegt. Aus ihr kommt es hervor ins Sagbare; über ihr schwebt alle Erkenntnis gelichtet im Dunkel, wenn das Schweigen bricht und das Urgeheime laut wird, wenn der Urgrund im Ursprung sich auftut. Darauf kann das Phänomen, von dem ich zu berichten habe, aufmerksam machen.
Nun ist mir aufgetragen worden, möglichst einfach und klar Bericht zu erstatten. Ich bin mir der Gefahr bewusst, auf diese Weise das mystische Sprechen aus der Versunkenheit allerlei Missverständnissen auszusetzen, durch die es für Theologie und Philosophie und für die Wissenschaften des weiteren Bedenkens unwert erscheinen könnte. Andererseits bedeutet der Versuch, sich einer der wissenschaftlichen Redeweisen zu bedienen, wohl auch eine Versuchung; ist doch gar nicht gewiss, ob sich in der Art und Weise, wie heutzutage wissenschaftlich gesprochen wird, das mystische Phänomen angemessen beschreiben lässt. Man wird dazu verleitet, sich einer vermeintlichen Objektivität zuliebe als neutral auszugeben und so, wie das Wort ne-utrum besagt, keinem von beiden gerecht zu werden, weder der subjektiven noch der objektiven Dimension dieses stets einheitlichen Geschehens, das wir mystisch nennen. Man mag dann die persönliche Aufrichtigkeit des einzelnen Mystikers ebenso wenig bestreiten wie die Fremdheit dessen, was sich ihm zu erkennen gibt; aber man wird nicht imstande sein, das Phänomen zu erfassen, wenn man es nicht als eine wirkliche Begegnung von Präsenz und Präsenz, als ein Geschehen zu denken vermag, in dem Offenheit, die »ohne Erwartungen wartet«, sich der verborgenen oder aufgetanen Anwesenheit eines wirklich Anderen hinhält und unterzieht.
Aus Scheu vor weitreichenden Konsequenzen neigt man dazu, die mystischen Phänomene ins bloß Subjektive abzudrängen und sie womöglich der Psychologie zu überantworten – oder sie derart objektiv vorzustellen, dass nur noch die Theologie für ihre Begutachtung zuständig sein kann. Auf die eine wie auf die andere Weise wird die mystische Beziehung auseinandergerissen, um in isolierten Perspektiven irgendwelche Feststellungen zu treffen. Als könne man davon absehen, dass gerade dieses Auf-einander-Bezogensein von Subjekt und Objekt der Erfahrung, ja, ihre mögliche Einung, das mystische Phänomen ausmachen, unterwirft man die Mystik bedenkenlos Kriterien, die erst gelten, wenn dieser Bezug zerfallen und die zugrunde liegende Einheit zerrissen ist. Mystische Aussagen werden dann nur als Zeugnisse oder Diktate einer Art von Offenbarung – oder als somnambules Gestammel verstanden werden können. Dass die Beziehung sich selber im Wort ereignen und ausformen kann, dass sie sich in einer Sprache verleiblicht, die weder Selbstaussage des jeweiligen Mystikers noch reine Verlautbarung der mystischen Anwesenheit, sondern eine Aussage des Geschehens zwischen beiden in einer authentischen Sprachform ist – das wird dann undenkbar und unverständlich.
Das Thema des mystischen Sprechens aus der Versunkenheit nötigt also zu einer kritischen Reserve gegenüber den verfügbaren Kategorien, die eine adäquate Beschreibung vermutlich nicht gewährleisten. Jeder, der ›über‹ oder ›von‹ etwas redet, begibt sich in eine Distanz, die diesem Phänomen so wenig entspricht wie dem wahrhaft Konkreten. Wenn Mystik überhaupt zur Sprache des Denkens gebracht werden soll, dann wohl nur, indem alle Überlegungen vom konkreten Erleben ausgehen und ihm zugewandt bleiben. Das gilt nicht nur im Allgemeinen, sondern besonders angesichts einer mystischen Erfahrung, die sich selbst als eine radikale Herausforderung des Denkens, als wissenschaftliches Problem verstanden hat. Soviel ich weiß, hat es das bislang noch nicht gegeben: Einen Mystiker, der methodisch nach einer wissenschaftlich einwandfreien Denkmöglichkeit sucht, in der er die mystische Erfahrung zum Verständnis bringen kann, weil er sie verantworten will. Dieses Verlangen ist sonderbar.
Es hat sich nicht aus naiver Kritiklosigkeit ergeben, die meint, nur das sei als wirklich anzuerkennen, was sich ›wissenschaftlich‹ wenn schon nicht exakt verifizieren, so doch als möglich, zumindest als nicht auszuschließen und insofern wahrscheinlich bestätigen lasse. Vielmehr äußert sich in diesem Versuch Carl Albrechts Vertrauen sowohl zur Mystik wie zum gemeinsamen Denken, dessen kritischer Überprüfung sie sich gelassen auszusetzen habe, denn echte Mystik halte jeder Kritik stand.
Dies bedarf der Erläuterung. Könnte man sicher sein, dass die Wissenschaft in allen ihren Bereichen zu einem aufgeklärten Verständnis ihrer selbst und – durch unablässige Reflexion auf die Bedingungen ihrer Möglichkeit und auf die apriori, durch ihre Methoden gesetzten Begrenzungen – zur Gewissheit des Grundes gelangt wäre, aus dem sich ihre Zuverlässigkeit und das Anrecht auf Geltung ergeben, so dürfte statt von einem ›gemeinsamen Denken‹ auch von Wissenschaftlichkeit als Kriterium die Rede sein. Doch leider wird nicht in allen Wissenschaften Disziplin im Sinn einer solchen philosophischen Selbstkritik verstanden und geübt. Deshalb sei hier nur unbestimmt von einem »gemeinsamen Denken« gesprochen. Als intersubjektive Disziplin der Überprüfung nicht erst der Ergebnisse, sondern auch der Voraussetzungen, der Vorentscheidungen und Vor-Urteile der Methode und aller auf dem Weg gedanklicher Annäherung vorgenommenen Eingrenzungen, Aussonderungen und Bestimmungen, kurzum, des gesamten Prozesses, der Interpretation erlaubt – so verstanden genügt »gemeinsames Denken« wohl durchaus den Kriterien der Wissenschaftlichkeit. Nicht nur der Sache nach, auch historisch ist diese in ihm begründet. Es hat sie eingesetzt, und sie bleibt auf die Möglichkeit, sich miteinander einer Sache zu vergewissern, angewiesen.
So mag es ungewiss bleiben, ob sich die Mystik als »Gegenstand« der Wissenschaften und von jedweder Wissenschaftlichkeit erfassen und verifizieren lässt. Dass sie sich vor dem gemeinsamen Denken als natürliches, gesundes Erleben ausweist und als echtes Erkennen bewahrheiten kann, steht außer Zweifel. Psychologisch sind die wesentlichen mystischen Erfahrungen so zu charakterisieren, dass der Verdacht, es handele sich in jedem Fall um wahnartige, krankhafte Erlebnisse, auszuschließen ist; und in einem präzise angebbaren Bereich ist in diesen Erfahrungen die Möglichkeit eines trugfreien Erkennens nachzuweisen, das dem Denken eine neue Transparenz verleihen kann.
Dies lässt sich zumindest im Erleben und Denken dieses Arztes und Mystikers Carl Albrecht beobachten: Wissenschaftliche Kritik und Versunkenheitserfahrungen, philosophische und mystische Aufmerksamkeit vereinigen sich in einem ungewöhnlich wachen Erleben; denkende Vergewisserung und Schau durchdringen einander. Dadurch ist es möglich geworden, das mystische Phänomen und – als eine besondere Möglichkeit seiner Aussage – das mystische Sprechen zu reflektieren und gedanklich aufzudecken.
Dabei korrespondierten sehr tiefe Erfahrungen mit einem sehr hellen Denken....
Erscheint lt. Verlag | 1.7.2020 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Esoterik / Spiritualität |
ISBN-10 | 3-86191-192-2 / 3861911922 |
ISBN-13 | 978-3-86191-192-0 / 9783861911920 |
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