Als Deutschland erstmals einig wurde (eBook)

Reise in die Bismarckzeit
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
448 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-32057-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Als Deutschland erstmals einig wurde -  Bruno Preisendörfer
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Als sich Wilhelm I. - von Bismarck dazu gedrängt - 1871 zum Kaiser krönen ließ, war ?sein? Berlin noch »die einzige europäische Großstadt, in welcher wir tagtäglich an den Ufern stinkender Rinnsteine wandeln« - Kanalisation gab es nicht. Als 1890 Bismarck ging, waren 144 Kilometer an Kanälen gebaut und 584 Kilometer an Rohrleitungen verlegt. Was das für die Nasen der Bewohner und die Bewegungsfreiheit des Verkehrs bedeutete, kann man in Bruno Preisendörfers Buch nachlesen. Ähnlich ging es überall. In unglaublicher Geschwindigkeit wurden Tausende Kilometer Eisenbahnlinien, Strom- und Telegraphenleitungen verlegt, Fabriken gebaut, die Bevölkerung vervielfachte sich. Das Gefälle zwischen Reich und Arm wuchs enorm, alte Arbeits- und Familienstrukturen sowie Wertesysteme zerbrachen. In Bruno Preisendörfers Zeitreise spazieren wir durch die Wilhelmstraße und lernen Haus für Haus ihre Bewohner kennen, besuchen Cafés, Ateliers und Tanzpaläste genauso wie Fabriken, Amtsstuben und Hinterhöfe. Wir zuckeln mit der Bahn in 16 Stunden von Berlin nach Köln, erleben, wie die ersten sechs Mädchen zum Abitur zugelassen werden und wie mit Franziska Tiburtius die erste Ärztin eine Praxis aufmacht. Wir tafeln mit Fontane, gehen mit Ferdinand Lasalle zum Duell, mit Marx zur Arbeiterversammlung, mit Bismarck in den Krieg und mit dem Kaiser zur Krönung.

Bruno Preisendörfer ist freischaffender Publizist und Schriftsteller mit eigener Internetzeitschrift (www.fackelkopf.de). Er hat zahlreiche Bücher veröffentlicht, u.a.: »Die letzte Zigarette«, »Der waghalsige Reisende. Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben« und »Die Verwandlung der Dinge. Eine Zeitreise von 1950 bis morgen«. Seine beiden Bücher »Als Deutschland noch nicht Deutschland war. Reise in die Goethezeit« und »Als unser Deutsch erfunden wurde. Reise in die Lutherzeit« waren SPIEGEL-Bestseller. Letzteres wurde zudem mit dem NDR-Sachbuchpreis ausgezeichnet. 

Bruno Preisendörfer ist freischaffender Publizist und Schriftsteller mit eigener Internetzeitschrift (www.fackelkopf.de). Er hat zahlreiche Bücher veröffentlicht, u.a.: »Die letzte Zigarette«, »Der waghalsige Reisende. Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben« und »Die Verwandlung der Dinge. Eine Zeitreise von 1950 bis morgen«. Seine beiden Bücher »Als Deutschland noch nicht Deutschland war. Reise in die Goethezeit« und »Als unser Deutsch erfunden wurde. Reise in die Lutherzeit« waren SPIEGEL-Bestseller. Letzteres wurde zudem mit dem NDR-Sachbuchpreis ausgezeichnet. 

Einleitung
Im Spiegelsaal der Geschichte


Ein Blitz zuckt durchs Halbdunkel. Sein Licht fällt auf das Gesicht eines schnauzbärtigen Mannes, der reglos im Bett liegt. Zwei Gestalten stehen für einen bizarren ›historischen Moment‹ vom Licht wie aus dem Morgengrauen geschnitten im Raum. Die eine schaut durch eine Kamera auf einem Stativ, die andere hält eine Magnesiumlampe in die Höhe. In eine Ecke gedrückt beobachtet der Totenwächter die Photographen. Er hat den beiden gegen Geld in den frühen Morgenstunden des 31. Juli 1898 ermöglicht, durch ein Fenster in das Sterbezimmer des Mannes zu steigen, der die preußische, deutsche und europäische Politik jahrzehntelang maßgeblich mitbestimmt, zeitweise dominiert hat. Sein Kopf wurde auf dem Kissen von den Photographen für das makabre Porträt zurechtgerückt. Ein übersehenes Nachtgeschirr, das nach dem Entwickeln des Bildes zum Vorschein kommt, wird retuschiert. Die Photographen machen es so ähnlich wie ihr Objekt: Bismarck war in seinen Memoiren notorisch unzuverlässig, die Kleinigkeiten und Kleinlichkeiten, gewissermaßen die Nachtgeschirre des Geschehens, hat er bei dessen Verwandlung in Geschichte retuschiert. Das Photo wiederum wurde über Annoncen in Berliner Zeitungen zum Verkauf angeboten. In einem darauf folgenden Prozess verurteilte das Gericht die Photographen und den bestechlichen Totenwächter zu Gefängnisstrafen.

*

Otto Eduard Leopold von Bismarck kam am 1. April 1815 im altmärkischen Schönhausen zur Welt, gut anderthalb Monate vor der endgültigen Niederlage Napoleon Bonapartes am 18. Juni in der Schlacht bei Waterloo. Der Sieg der britischen und preußischen Armeen hatte die Festsetzung Napoleons als britischen Gefangenen auf St. Helena und den Zusammenbruch des Kaiserreichs zur Folge. Anstelle von Napoleon II., dem einzigen Sohn Bonapartes, ergriff ein Bourbone als König Ludwig XVIII. in Frankreich die Macht, dem als letzter Bourbone Karl X. folgte. Die Pariser Julirevolution von 1830 brachte Louis Philippe an die Macht – den ›Bürgerkönig‹, der seine Krone dem Parlament verdankte –, bis die Revolution von 1848 die Monarchie durch eine Republik ersetzte, der wiederum Charles-Louis Napoleon, ein Neffe Bonapartes, im Dezember 1851 mit einem Staatsstreich ein Ende machte. Ein Jahr später ließ er sich als Napoleon III. zum Kaiser der Franzosen ausrufen, mit Seitenblick in den Spiegel der Geschichte symbolbewusst am 2. Dezember, jenem Tag, an dem sich Napoleon Bonaparte 1804 selbst zum Kaiser gekrönt hatte.

Knapp neunzehn Jahre später, Anfang September 1870, geriet Napoleon III. nach der verlorenen Schlacht bei Sedan in preußische Gefangenschaft. In Paris wurde wieder eine Republik ausgerufen, nach 1789 und 1848 nunmehr die dritte, und der gestürzte Potentat wurde im Kasseler Schloss Wilhelmshöhe untergebracht, wiederum mit Seitenblick in den Spiegel der Geschichte. Denn während der Besetzung deutscher Länder durch französische Truppen von 1806 bis 1813 hieß die Wilhelmshöhe – benannt nach einem hessischen Landgrafen – zeitweise Napoleonshöhe und war Residenz des als ›König von Westphalen‹ installierten Jérome Bonaparte, Napoleons jüngstem Bruder.

Während sich der gestürzte und auf der Wilhelmshöhe festgesetzte Kaiser der Franzosen an einen Aufenthalt als kleiner Junge bei seinem Onkel auf der Napoleonshöhe zu erinnern suchte, wurde am 18. Januar im Schloss von Versailles der preußische König Wilhelm I. zum Kaiser ausgerufen, von Bismarck wieder mit Blick in den Spiegel der Geschichte arrangiert, denn am 18. Januar 1701 hatte sich der Kurfürst von Brandenburg in Königsberg als Friedrich I. zum König in Preußen gekrönt, und Wilhelm I. hatte mit seiner Selbstkrönung am 18. Oktober 1861 in Königsberg das von Volk und Verfassung unabhängige Gottesgnadentum seiner Herrscherwürde bekräftigt. Im Jahr darauf, am 8. Oktober 1862, ernannte er Bismarck zum preußischen Ministerpräsidenten, ohne vorhersehen zu können, dass ihm dieser Mann keine zehn Jahre später die Kaiserkrone aufdrängen würde.

Einen »Witz der Geschichte« nannte es Bismarck, dass die nach Versailles gereiste Delegation des Norddeutschen Reichstages von Eduard Simson angeführt wurde, der 1849 als Präsident der Frankfurter Nationalversammlung einer Deputation vorgestanden hatte, die Wilhelms Vorgänger Friedrich Wilhelm IV. die Kaiserwürde antrug – die der gar nicht wollte: Preußische Herrscher pflegten ihre Kronen nicht von dahergelaufenen Parlamentariern zu empfangen, sondern von Gott und aus eigener Hand unter Zustimmung der deutschen Fürsten.

1870 war der ranghöchste dieser Fürsten König Ludwig II. von Bayern. Er bat den aus Preußenstolz widerstrebenden Wilhelm im Namen der übrigen Fürsten in einem Brief um die Annahme des Kaisertitels. Der eigentliche Verfasser des Briefes war Bismarck als Verfechter der kleindeutschen Lösung der deutschen Einheitsfrage unter Preußens Führung beim gleichzeitigen Ausschluss Österreichs. Die Rolle als Botenjunge des preußischen Ministerpräsidenten ließ sich der bau- und wagnersüchtige Bayernkönig im Wortsinn vergolden: mit 300000 Goldmark jährlich.

Was Bismarck bei seinem historischen Triumphmoment als ›Reichsgründer‹ im Spiegelsaal von Versailles am 18. Januar 1871 nicht vorhersehen konnte, war die Versammlung, die am 18. Januar 1919 die Beratungen über den Vertrag zur Beendigung des Ersten Weltkriegs aufnahm, der ein halbes Jahr später von der deutschen Delegation unter Protest unterschrieben und in der Weimarer Republik zum Racheanker des Revanchismus wurde.

Das zweite Deutsche Reich, nach lange verzögerter Einheit aus symbolischen Gründen überstürzt am 18. Januar 1871, noch vor der Beendigung des Krieges mit Frankreich, gegründet, währte recht kurz – knapp 48 Jahre, bis zur Novemberrevolution 1918. Das dritte, das ›Tausendjährige Reich‹, brach nach zwölf Jahren zusammen, die Hälfte davon Kriegsjahre – Jahre eines verlorenen Krieges, trotz der von Albert Speer zum Großen Stern umgesetzten Siegessäule[1], eingeweiht 1873 zum dritten Jahrestag des Sieges von Sedan, und trotz des in unmittelbarer Nähe aufgestellten Bismarck-Denkmals, das ursprünglich vor dem Reichstag stand, noch nach des Kanzlers Tod die Abgeordneten einschüchternd.

Während sein Standbild die Parlamentarier in Schach hielt, fuhr er selbst von Walküren eskortiert in den germanischen Götterhimmel auf wie ein Krieger der nordischen Sagenwelt, so jedenfalls stellt es ein zeitgenössisches Gemälde von Alexander Zick dar. Die Walküren hatten sich unter der musikalischen Leitung von Richard Wagner zu einer deutschen Männerphantasie ausgewachsen. Als 1876 im gerade fertiggestellten Bayreuther Festspielhaus der »Walkürenritt« in Wagners Oper ertönte, saßen Kaiser Wilhelm und Bismarcks Kaiserbote König Ludwig von Bayern im Publikum. Der ›Drive‹ dieser Musik, wie man heute sagen könnte, wurde später ein Mittel der Ästhetisierung des Krieges, vor allem des Angriffskrieges aus der Luft, sei es in propagandistischer (wie bei der Deutschen Wochenschau von 1941 über die Luftlandung auf Kreta) oder in kritischer Absicht (wie in Coppolas Kinofilm Apocalypse Now von 1979 beim Hubschrauberangriff auf ein vietnamesisches Dorf).

Die deutsche Mannsbesessenheit von den germanischen Heroinen ging so weit, dass die nationalsozialistischen Maßnahmen zur Niederschlagung eines Aufstands gegen das Regime als »Operation Walküre« zusammengefasst wurden. Die Widerstandskämpfer vom 20. Juli 1944 wiederum übernahmen die Bezeichnung für die eigenen Umsturzpläne mit dem Ziel einer vorläufigen Machtübernahme durch das Militär.

Keine zehn Monate nach dem gescheiterten Umsturz kapitulierte die Wehrmacht, und die drei Siegermächte – Frankreich, dessen Hauptstadt von Juni 1940 bis August 1944 von der Wehrmacht besetzt war, gehörte nicht dazu – teilten auf einer Konferenz in Potsdam, der Symbolstadt für preußischen Militarismus, das zerstörte Land und die ehemalige Hauptstadt Berlin in vier Zonen beziehungsweise Sektoren auf, aus denen 1949 die beiden deutschen Staaten hervorgingen.

In Ostberlin wurde das im Krieg teilweise ausgebrannte Stadtschloss der Hohenzollern abgebrochen, später an seiner Stelle der Palast der Republik errichtet, der nach dem Zusammenbruch der DDR seinerseits abgebrochen wurde. Inzwischen steht an dieser Stelle ein Museumsbau mit fingierter, höflicher gesagt: rekonstruierter Barockfassade, der faktisch an den Wilhelminismus erinnert, aber vorsichtig nach den Brüdern Humboldt benannt ist. In Westberlin wurde die 1895 am Vorabend des 25. Jahrestages des Sieges bei Sedan eingeweihte Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche als ausgebaute Ruine zur ›Gedächtniskirche‹ des Bombenkrieges.

Der Nimbus ›Bismarck‹ hat wie alle vorhergehenden Kriege auch diesen überlebt. In der zertrümmerten Gedächtniskirche schaut der ›Eiserne Kanzler‹ grimmig und schnauzbärtig aus der Hinterwand eines Reliefs und blickt uns über einen militärischen Kartentisch hinweg an, als wäre nichts geschehen: keine Weltkriege, keine europäischen Revolutionen, keine deutsche Teilung, keine Wiedervereinigung.

Den letzten großen Auftritt hatte Bismarck 1990 anlässlich des hundertsten Jahrestages seiner Entlassung als Kanzler. Hingegen wurde 2021 der 150. Jahrestag der Reichsgründung in...

Erscheint lt. Verlag 7.10.2021
Zusatzinfo mit 24 Abbildungen zum Buch
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik
Geisteswissenschaften Geschichte
Schlagworte Alltagsgeschichte • Als Deutschland noch nicht Deutschland war • Als unser Deutsch erfunden wurde • Berlin • Bismarckzeit • Bruno Preisendörfer • Deutsche Geschichte • Deutsches Kaiserreich • Deutschland • Ferdinand Lasalle • Friedrich Engels • Gründerzeit • Industrialisierung • Karl Marx • Kulturgeschichte • Otto von Bismarck • Sozialgeschichte • Sozialistengesetz • Theodor Fontane • Vergangenheit • Wilhelm I. • Zeitreise
ISBN-10 3-462-32057-2 / 3462320572
ISBN-13 978-3-462-32057-2 / 9783462320572
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