Dorothea im Wandel (eBook)
204 Seiten
tredition (Verlag)
978-3-347-26670-4 (ISBN)
Dörte Stähler, geboren 1954, verbrachte nach einem Studium der Rechtswissenschaften ihr Berufsleben als Bankkauffrau in diversen Konzernen, die letzten zwanzig Jahre vor ihrer Rente bei der Mercedes-Benz Bank AG IN Hamburg. Ihre Freizeit füllt sie mit Projektarbeiten in Westafrika aus. Im Senegal sorgte sie für die Vergrößerung einer Schule von 200 auf 850 Kinder. Sie setzt sich für eine verbreitete Bildung dort ein und engagiert sich zum Schutz des Meeres. In Gambia unterstützte sie die Vizepräsidentin bei der Wasserversorgung und in Togo bekämpft sie die Armut mit Mikrofinanzierungen gemäß dem Friedensnobelpreisträger Prof. Dr. Muhammad Yunus. 2015 organisierte sie mit Freunden das afrikanische Filmfestival AugenBlicke in Hamburg. Dezember 2017 erschien ihr erstes Buch "Der Schwindel" beim NIBE-Verlag.
Dörte Stähler, geboren 1954, verbrachte nach einem Studium der Rechtswissenschaften ihr Berufsleben als Bankkauffrau in diversen Konzernen, die letzten zwanzig Jahre vor ihrer Rente bei der Mercedes-Benz Bank AG IN Hamburg. Ihre Freizeit füllt sie mit Projektarbeiten in Westafrika aus. Im Senegal sorgte sie für die Vergrößerung einer Schule von 200 auf 850 Kinder. Sie setzt sich für eine verbreitete Bildung dort ein und engagiert sich zum Schutz des Meeres. In Gambia unterstützte sie die Vizepräsidentin bei der Wasserversorgung und in Togo bekämpft sie die Armut mit Mikrofinanzierungen gemäß dem Friedensnobelpreisträger Prof. Dr. Muhammad Yunus. 2015 organisierte sie mit Freunden das afrikanische Filmfestival AugenBlicke in Hamburg. Dezember 2017 erschien ihr erstes Buch "Der Schwindel" beim NIBE-Verlag.
1. Nachkriegsjahre
-Neubeckum/Münster
Wir schreiben das Jahr 1948. Der Krieg ist vorbei. Der Vater Erhard kommt aus der russischen Kriegsgefangenschaft zurück. Die Freude seiner Frau Margret und ihrer Eltern auf dem Gutshof in Neubeckum ist groß. Er hat gesagt: „Ich komme euch entgegen.“ Viele seiner Kameraden wären dazu körperlich nicht mehr in der Lage. Margrets Vater steigt in seinen Horch, um ihn abzuholen. Das 1,73 Meter große Männlein, das vor ihm steht, wiegt keine hundert Pfund. Wie hat er diese Gefangenschaft überlebt? Es war seine Disziplin. Das kleine Stück trockene Brot, das er morgens bekam, hatte er nicht gierig vom Hunger verschlungen. Er hatte jeden einzelnen Brosamen über den Tag hinweg genussvoll auf der Zunge zergehen lassen. Wenn die Wassersuppe mittags ein oder zwei Fettaugen hatte, machte er daraus für sich ein Fest.
Aber seine Gedanken blieben düster. Er erinnerte sich wie er sich versteckt hielt, wie er seine Fingernägel mit kleinen präparierten Zweigen säuberte, denn der Dreck dieses Landes sollte nicht in seine Ritzen dringen. Dieser Körper bedurfte fürsorglicher Pflege. Er war aber nicht dieser Körper; so, wie dieser Körper mit Namen Erhard Stahl, von Beruf Diplom Mathematiker. Galt diese Berufsbezeichnung noch? So, wie dieser Leib in diesem Lager eingeschlossen war, so war er selbst in diesem Körper eingeschlossen, in diesem Kopf, dem Knochengerüst, überzogen mit etwas Haut, gepolstert mit wenig Fett und schlappen Muskeln. Nichts fühlte sich mehr gut an. Er fühlte sich alleine, mit Leichengestank, kaum etwas zu essen und schlaflos. Er fürchtete seinen Verstand zu verlieren, so, wie alle den Verstand verloren hatten. Vielleicht würde er eines Tages nicht mehr in seinen Körper zurückfinden. Doch was würde es für einen Sinn geben, mitten im Wahnsinn, der um ihn herum ausgebrochen war, einen gesunden Verstand zu behalten? Vernunft ist abhängig von den jeweiligen Umständen. Er hatte Grausames mit ansehen müssen. Leblose Körper wurden zu den Toten auf die Pritschenwagen geworfen. Dort hat manch einer seine letzte Lebenskraft wiederentdeckt und versucht, sich von den unfreiwilligen Umarmungen der leblosen Körper zu befreien und den Todeswagen zu verlassen. Oft stürzten sie zu Boden, wo sie dann wirklich im Tode endeten. Er sah lachende Russen, die über diesen Slapstick des Todes hysterisch wirkten. Er sah Pritschenwagen, die keinen anderen Weg fanden, als über dürre Leichen zu rollen, die unter den Rädern knacksten wie brennendes Reisig.
Es sind die Gedanken, die die jedem eigene Wirklichkeit prägen. Die allgemeine Wirklichkeit ist für den Einzelnen nicht erkennbar. Er glaubte nur noch, was er sah und erlebte. Nie hätte er für möglich gehalten, zu welchen Grausamkeiten der Mensch in der Lage sein konnte. Da wurden feingeistige Philosophen und Friedensprediger zu Vergewaltigern und Folterern, im Glauben daran, so ihre eigene Haut retten zu können. Ihm wurde schlagartig klar, dass sein Verstand kurz davor war, Amok zu laufen.
Aber ist es wirklich so, dass für den Menschen nur das Realität ist, was er bereits kennt, was er schon einmal gehört, gelesen oder selbst erlebt hat, und was überdies in einem Bereich der Erinnerung abgespeichert ist, auf den er bewusst Zugriff hat? Ist es so, dass der Mensch, der mit neuen bislang unbekannten Informationen konfrontiert wird, die nicht in das bisherige Weltbild und nicht in seine Erfahrungshorizonte passen, dazu neigt, diese Informationen zunächst abzulegen? „So ein Unsinn! Das habe ich ja noch nie gehört!“ kommt die unreflektierte Antwort, als ob der Wahrheitsgehalt einer Sache davon abhängig wäre, dass er schon einmal gehört wurde. Da stellt sich die Frage, wie soll eine Entwicklung möglich sein, wenn der Mensch nur an seinen eigenen bisherigen Perspektiven festhält und alles Neue und andere ablehnt. Wie sollen damit Horizonte erweitert werden?
Über das Erlebte spricht er nicht. Auch auf dem Gutshof erzählt keiner vom Krieg. Alles in allem war der Hof ein beschaulicher Flecken; die geteerte Straße sauber und rein und von Platanen beschattet, sicherer als im Bomben geschwängerten Münster. Was die Menschen ernährte, weidete friedlich auf den umliegenden Feldern. Nun heißt es Ärmel aufkrempeln, zupacken, aufbauen. Das ist die Devise für eine bessere Zukunft. Die körperlichen Verletzungen verheilten rasch. Doch die Kerbe, die in seine Seele geschlagen hatte, schmerzte lange. Der Schlaf ließ auf sich warten. Er war zu aufgeregt. Seine Seele befand sich noch irgendwo über dem Kaukasus.
Emil, sein Freund und Margrets Bruder zieht los, um in Münster auf Holz gezogene Fotos zu verkaufen. Damit verdient er seinen Lebensunterhalt bis er dann endlich eine Anstellung als Redakteur der lokalen Zeitung bekommt. Ein abgeschlossenes Germanistikstudium hat er ja. Margrets Vater ist Landvermessungsingenieur. Genug aufzubauen gibt es jetzt im zerbombten Münster und Umgebung. Erhards Doktorarbeit der Mathematik ist zwischenzeitlich überholt. Jetzt eine neue Doktorarbeit angehen, das ist nicht der richtige Augenblick. Die Alte Leipziger Versicherungsgesellschaft braucht einen Diplom Mathematiker.
Margret war immer das Püppchen ihres Vaters. Er hat sie verwöhnt, wann immer er konnte. Ihre beiden älteren Brüder genossen eine sehr viel härtere Erziehung. Heinrich, der Älteste, zog nicht in den Krieg. Er hatte vorher bei einem Autounfall sein Leben gelassen. Margret trauerte Zeit ihres Lebens darunter.
-Bad Gandersheim-
Nun, da Erhard wieder zurückgekehrt ist, wechselt sie den Schoß vom Vater zum Gatten. Verliebt bis über beide Ohren sind sie und turteln bei jeder Gelegenheit miteinander herum. Was ihn beeindruckte, war nicht, dass sie die Schwester seines Freundes war, auch nicht die gute Familie, der sie entstammte. Es war das Gesicht, ihre hellbraunen Augen, darüber Brauen, die geschwungen waren wie zwei Bassschlüssel. Eine Familie wollen sie gründen. In Bad Gandersheim beziehen sie eine kleine, schnuckelige Wohnung. Nachwuchs kündigt sich an. Das Glück ist dem verliebten Paar nicht lange hold. Zwei Tage nach der Geburt, dieser plötzliche Kindstod. Die Trauer ist groß. Doch schon ein Jahr später kommt der gesunde Dieter zur Welt, ein Prachtexemplar. Dieser süße Junge lässt alle Trauer vergessen. Margret erkennt in ihm eine große Ähnlichkeit zu ihrem Bruder Heinrich und ist auch mit diesem Schicksalsschlag versöhnt. Es dreht sich alles um den kleinen Dieter.
Ob das Erhard immer gefällt? Er wünscht sich eine heile Familie, bei der Vater und Mutter immer einer Meinung sind. Der Sohn soll mit der gleichen Disziplin erzogen werden, wie er sie genossen hatte. Er, der nur von Frauen, seiner Mutter und deren acht Schwestern, großgezogen wurde. Sein Vater war seit seinem ersten Lebensjahr im ersten Weltkrieg vermisst gemeldet. Die Mutter blieb mit ihm allein. Materielle Einbußen, die er wegen der zwei Weltkriege erlebte, soll seine Familie nicht haben. Seine Kinder sollen die bestmögliche Erziehung und Bildung bekommen und in einem Kokon geschützt vor allen Problemen der Welt aufwachsen. Keiner will mehr an dieser schrecklichen Vergangenheit kratzen. Zum Schutze der Kinder? Wer soll hier wen schützen? Was verbirgt sich hinter dieser hoffnungsvollen Maske? Kann Zeit die Wunden heilen? Nun ja, einen Versuch ist es wert. Ein gesunder Neuaufbau soll stattfinden. So arbeitet er emsig und schafft das Geld heran. Margret ist für den Haushalt zuständig, aber bitte sparsam. Erhard hatte in der Kriegsgefangenschaft gelernt, dass Sparsamkeit das Leben verschönert. Ohne die sparsame Einteilung seiner Essenrationen hätte er nicht überlebt. Viele seiner Kriegskameraden hatten den Krieg überlebt, sind aber anschließend elendig krepiert, weil sie gierig vor Hunger zu viel Essen verschlungen haben. Erhard konnte das nicht passieren. Er machte alles mit Bedacht. Margret ist aber auf dem Gutshof selbst im Krieg noch Großzügigkeit gewohnt. Sie hatten immer Bedienstete. Ihr Vater konnte sich sogar leisten, den Juden Herz zu verstecken und mit durchzufüttern. Als es mal eng wurde, musste Purzel geschlachtet werden. Das war das Schwein, das immer so niedlich mit seinem Ringelschwänzchen wedelte, wenn die Mutter zum Füttern kam. Sein Fraß war mit einer Fünf-Sterne-Küche vergleichbar. Purzel bekam, was die Menschen nicht aufaßen. Aber essen mochte es keiner mehr als Purzel als Sonntagsbraten auf dem Tisch lag.
Sieht so Krieg aus?
Nein! Margrets Vater war in der Lage, selbst in den hässlichsten Zeiten, seine Wertigkeiten aufrechtzuerhalten. Menschlichkeit und Genuss waren sein oberstes Gebot. Ihm war es sogar gelungen, keiner weiß, wie, so schlimme Ereignisse wie Vergewaltigungen, die in naher Umgebung häufig vorkamen, von seiner Familie fernzuhalten. Er kehrte nichts untern Teppich, legte immer Wert darauf, die Dinge wahrzunehmen, die geschahen, aber ein großes Thema, das Menschen in Schockstarre fallen lässt, hat er nicht zugelassen. Er sorgte dafür, dass Grausamkeiten keine...
Erscheint lt. Verlag | 23.3.2021 |
---|---|
Verlagsort | Ahrensburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | Abtreibung • Aufarbeitung • Demokratie • Diktatur • Elternliebe • Erinnerungsverleugnung • Internat • Kriegsgefangene • Pädagogik • Rebellion • Schoa • Schülerstreiche • Selbstfindung • Spiekeroog • Wirtschaftswunder |
ISBN-10 | 3-347-26670-6 / 3347266706 |
ISBN-13 | 978-3-347-26670-4 / 9783347266704 |
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR) | |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |

Größe: 2,2 MB
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich