Das stumme Haus (eBook)

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2021 | 1. Auflage
208 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-7336-0420-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das stumme Haus -  Uticha Marmon
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Die große Einsamkeit und eine Taschenlampe als Rettung in der Not. Ein spannender Krimi und eine Geschichte über Zusammenhalt, Freundschaft und die Wichtigkeit des Hinsehens Im 'Kaninchenbau', wie das Haus, in dem die Zwillinge Nikosch und Nini wohnen, genannt wird, ist immer was los. Man kümmert sich umeinander, die Kinder wachsen gemeinsam, man kennt sich. Aber dann ist von einem Tag auf den anderen alles anders, niemand darf raus, keine Schule, keine Freunde. Das ist nicht nur langweilig, das ist auch anstrengend. Schnell werden die Kinderzimmer viel zu eng, die schulfreie Zeit stressig. Und was soll man denn die ganze Zeit machen? Nikosch sieht wie seine Schwester aus dem Fenster, und da fällt ihm alles Mögliche auf. Zum Beispiel, dass sich in dem nagelneuen, superschicken Haus gegenüber etwas tut. Nachts blinkt dort immer wieder eine Taschenlampe. Bald erkennen Nikosch und Nini: Das ist ein Morsecode. SOS! Da ist jemand in Gefahr!

Uticha Marmon wurde 1979 in Berlin geboren. Sie studierte Dramaturgie, Vergleichende Literaturwissenschaft und Pädagogik und hat danach am Theater und in Verlagen gearbeitet. Heute lebt sie in Hamburg und arbeitet freiberuflich als Dramaturgin, Lektorin und Autorin. Ihr Kinderbuch »Mein Freund Salim« über einen syrischen Flüchtlingsjungen wurde 2016 mit dem Leipziger Lesekompass ausgezeichnet.

Uticha Marmon wurde 1979 in Berlin geboren. Sie studierte Dramaturgie, Vergleichende Literaturwissenschaft und Pädagogik und hat danach am Theater und in Verlagen gearbeitet. Heute lebt sie in Hamburg und arbeitet freiberuflich als Dramaturgin, Lektorin und Autorin. Ihr Kinderbuch »Mein Freund Salim« über einen syrischen Flüchtlingsjungen wurde 2016 mit dem Leipziger Lesekompass ausgezeichnet.

Bevor diese Geschichte beginnt


Ist euch schon mal ein lebendig gewordenes Marshmallow begegnet, gepaart mit einer grünen Seifenblase? Nein?

Seht mich an. Ich bin genau das.

Und habt ihr schon mal versucht, in diesem Aufzug einen Einbrecher dingfest zu machen? Nein, habt ihr nicht, schon klar. Ich auch nicht. Aber genau das ist der Plan. Kein guter, wie sich gerade herausstellt.

»Virus, bist du da?«, knistert Ninis Stimme aus dem Funkgerät.

Nicht so laut. Das hört man ja noch drei Straßen weiter. Aber ich komme leider nicht an den Knopf, um Nini leiser zu drehen. Die Seifenblase, ihr wisst schon.

»Virus 1, hier ist, äh, auch Virus 1«, plärrt Nini noch mal. »Bitte kommen!«

Witzig.

Diese ganze Sache war die dümmste Idee der Welt. Selbst wenn wir den Einbrecher heute Nacht enttarnen – nur für den Fall, dass er taub und bei Ninis Geplärre nicht schon längst über alle Berge ist: Wie soll ich ihn denn so verfolgen? Die Seifenblase ist mal das eine. Der Marshmallow-Anzug das andere. Aber das ist echt noch nicht alles. Bevor ich rennen kann, muss ich erst mal aufstehen. Und das gelingt mir leider nicht. Es ist nicht zu glauben. Vor kurzem bin ich noch schwerelos in der Ewigkeit herumgeschwebt, und jetzt liege ich hier auf dem Rücken und zapple wie ein umgekippter Käfer. Vor zehn Minuten habe ich es wenigstens geschafft, mich vom Bauch in diese Position zu rollen. Ich dachte, das wäre schlau. War es nicht. So herum ist die ganze Sache noch viel unbequemer und aussichtsloser.

»Nikosch! Mann, wo bist du?!«, ruft Nini aus dem Lautsprecher.

Ich würde meine Schwester zu gerne fragen, wo zum Geier sie ist. Aber das Funkgerät liegt irgendwo unter meinem Po, also unter dem Gummiball, in dem ich stecke. Gleich bei meiner Brille. Wie die beiden da hingekommen sind?

Bevor ich euch das erzähle, müsst ihr erst noch ein paar andere Sachen wissen.

Erstens: Wir wohnen im Kaninchenbau. Wir, das sind Mama, Papa, Natti, die eigentlich Natalja heißt, der Zwerg, der noch in Mamas Bauch ist und darum keinen Namen außer Zwerg hat, meine mir total unähnliche Zwillingsschwester Nini, die eigentlich Nina heißt, und ich, Nikosch. Ich heiße eigentlich Nikolai. Nikolai Wolkow.

Denkt nicht, das hier wird so eine Phantasiegeschichte, in der wir alle Tiere sind und ihr am Ende was gelernt habt über euch oder die Welt. Nein, das hier ist echt. So echt, dass mir ein bisschen Phantasie gerade ganz lieb wäre. Aber man bekommt eben nicht immer, was man sich wünscht, richtig? Der Kaninchenbau ist darum jedenfalls kein Erdloch. Das ist unser Haus. Den Namen habe aber nicht ich erfunden und auch Nini nicht, obwohl das gut sein könnte. Das Haus wird irgendwie schon immer so genannt. Es war mal als Schimpfwort gedacht, weil hier auf fünf Stockwerken so viele Leute leben, dass man echt den Überblick verlieren kann.

Aber alle wohnen gerne hier. Darum nennen wir unser Haus auch selbst den Kaninchenbau. Kaninchen sind doch auch ganz niedlich, oder? Ihr sagt aber nicht weiter, dass ich das finde! Ehrenwort?! Das könnte ernsthaft meinen Ruf gefährden.

Manchmal ist es bei uns ziemlich laut, weil die Wohnungen für die meisten Familien zu klein sind. Darum stehen immer ein paar Wohnungstüren offen, und es sitzt irgendwer auf den Stufen oder im Hinterhof, unterhält sich oder telefoniert. Manche kommen auch einfach in den Hof, um die Sonne zu sehen. Irgendwer hat mal einen großen Stapel Plastikstühle gekauft. Die stehen kreuz und quer im Hof, aber man weiß immer, wer zuletzt mit wem zusammensaß. Man erkennt es an ganz winzigen Dingen: eine Kaffeetasse, die neben einem Stuhl vergessen wurde. Ein Sitzkissen. Ein roter Nagellackkratzer. So was eben. Aber sie erzählen einem ziemlich viel über die Bewohner des Kaninchenbaus.

Zum Beispiel dass Banu Shirvani, die Mutter von Ajas aus dem Erdgeschoss, immer Schlappen mit schwarzen Sohlen trägt. Die haben an fast allen Stuhlbeinen schon Striemen hinterlassen. Oder dass Oma sich jeden Morgen ein Butterbrot mit Erdbeermarmelade schmiert, um es im Hof zu essen. Ihren Lieblingsplatz erkennt man daran, dass die Armlehnen klebrig sind. Der rote Nagellack stammt von Frau Lehnhardt, die im ersten Stock wohnt. Die Lehnhardts sind zu viert. Wenn man nur die Menschen zählt. Sie haben auch noch zwei Katzen und einen Dackel. Und einen Hamster in dritter Generation. Die ersten beiden Nager haben sich mit den Katzen nicht verstanden. Bei den Lehnhardts müsst ihr eigentlich nur Jan kennen und vielleicht noch seine Schwester Lena.

Die ganzen bunten Kleckse auf den Stühlen stammen von Severina, Alex und Leonora. Die wohnen im dritten Stock. Alex ist der Cousin von Leo und Sevi, und alle drei können richtig gut malen. Die werden bestimmt mal Graffiti-Sprayer. Im vierten wohnen keine Kinder. Da sind Oma und Opa Stein, die Großeltern von Alex, Sevi und Leo. Die heißen aber nur Oma und Opa. Sie sind so jung, dass man sie garantiert nicht für Großeltern halten würde, wenn man es nicht genau wüsste. Neben Oma und Opa Stein wohnen noch andere Steins. Auch lauter Cousinen und Cousins, allerdings von Oma Stein, nicht von Alex, Sevi und Leo.

Es gibt auch vier Wohngemeinschaften im Haus mit Studenten. Die wechseln aber so oft, dass man da wirklich keinen Überblick behalten kann. Und dann sind da noch Steffi und Rieke, ganz unten neben den Shirvanis, die sind neu eingezogen und kriegen, wie wir, bald ein Baby. Unten wohnen auch noch die Meiers, Siggi und Gerlinde. Die haben eine Tochter, aber sie ist schon lange ausgezogen. Dann gibt es noch die Yilmaz’ im dritten Stock. Die haben auch Zwillinge – noch ganz winzige.

Ein anderer Nachbar, den man den Innenhofstühlen auch ansieht, ist Ralf. Ralf wohnt zur Untermiete bei Oma und Opa. Sonst hätten sie sich ihre Wohnung im ersten Stock neben den Lehnhardts nicht mehr leisten können. Weil die Miete teurer geworden ist. Was seltsam ist, weil sich sonst im Kaninchenbau nichts verändert hat. Jedenfalls hat sich Opa eines Morgens zur Universität aufgemacht. Er hat dazu ein Hemd angezogen und seine besten Schuhe. Sogar die Krawatte. In der Uni hat er einen Zettel aufgehängt. Und schon zwei Tage später ging die Schlange der Studenten, die sich das Zimmer ansehen wollten, einmal um den Block. Warum sich Oma und Opa für Ralf entschieden haben, weiß ich nicht. Vielleicht weil er es nicht seltsam fand, dass er in ihrem Schlafzimmer wohnen sollte. Natürlich haben Oma und Opa ihr Bett rausgeräumt, als Ralf eingezogen ist. Aber der Kleiderschrank ist fest an der Wand, den mussten sie drin lassen. Jetzt holt Ralf seine Kleider jeden Morgen aus der Einbauschrankwand im Wohnzimmer und Oma und Opa ihre aus dem Schrank in Ralfs Zimmer. Aber das klappt gut, Ralfs Kleider stören sich nicht daran, im Wohnzimmer zu liegen.

Ich finde Ralf irgendwie unheimlich. Nini und Paula auch. Ganz blass und dünn ist er, und er guckt immer schrecklich ernst. Alle paar Sekunden schiebt er seine Brille zurück auf die Nase, was aussichtslos ist, weil sie gleich wieder runterrutscht. Und er starrt immer so seltsam vor sich hin. Also, da sind wir uns einig. Mit Ralf stimmt was nicht.

Leider sind wir die Einzigen im Kaninchenbau, die das so sehen. Alle anderen fliegen auf ihn. Weil Ralf ihnen bei all den komplizierten Briefen hilft, die sie nicht verstehen. Meistens sind es welche vom Amt. So offizielle, wisst ihr? Wichtige Post, in der steht, dass man was Bestimmtes tun muss, und zwar sofort, sonst kostet es Geld. Meistens ist das jedenfalls so. Für Ralf sind die aber ein Klacks. Er studiert Jura. Da hat er den ganzen Tag mit Sätzen zu tun, die wie ein Geheimcode klingen. Zum Beispiel so was wie »Die Wohnung ist unverletzlich«. Das hat Ralf neulich mal zu Kamran gesagt. Warum der das wissen wollte? Keine Ahnung. Wer Kamran ist, erzähle ich euch später. Und warum sich eine Wohnung nicht verletzen kann? Das dürft ihr mich nicht fragen. Geheimcode. Sag ich doch. Im Übrigen sehe ich das seit neuestem auch anders.

Die Plastikstühle im Hof verraten jedenfalls immer durch Kaffeeflecken, dass Ralf auf ihnen gesessen hat. Er trinkt eine Unmenge davon, wenn er hier draußen über seinen Büchern und den Briefen sitzt. Manchmal machen Nini, Paula und ich auch draußen Hausaufgaben. Das zeigen die Tintenflecken auf den Sitzflächen. Noch öfter als im Hof sitzen wir zum Hausaufgabenmachen allerdings im Treppenhaus. Zumindest im Frühling, im Herbst und natürlich im Winter. Vor unserer Wohnungstür steht ein kleiner Tisch. Den benutzt Mama, wenn sie frei hat, für ihren Kaffeeklatsch mit Vicky und Neneh, der Mutter von Ebo aus dem zweiten Stock. Vicky wohnt nebenan und ist die Mutter von Paula. Und die ist Ninis beste Freundin. Meine auch. Wobei auch Ebo und Ajas nah dran sind, meine besten Freunde zu sein.

Das sind übrigens immer noch nicht alle. Im zweiten Stock wohnen auch noch Çilgins. Das sind Mehtap und Filiz mit ihren Eltern.

Neneh sagt über uns Kinder im Haus immer, wir würden summen und brummen wie die Bienen. Das ist nicht ganz verkehrt. Irgendwie sind wir eher ein Bienenstock als ein Kaninchenbau. Aber Bienen eignen sich wohl nicht so gut für ein Schimpfwort, weil doch jeder weiß, dass Bienen wichtig sind.

Jedenfalls habt ihr jetzt eine Ahnung davon, wie viel bei uns los ist. Jeder kennt jeden, und einmal im Jahr haben wir sogar ein Fest, bei dem dann das ganze Treppenhaus ein einziges riesiges Buffet ist. Alle machen mit, bis auf Herrn Friedrich. Der kann niemanden im Kaninchenbau leiden. Aber das macht nichts. Wir mögen ihn auch nicht besonders.

Eines steht fest: Wer findet dass »Kaninchenbau« wirklich ein Schimpfwort...

Erscheint lt. Verlag 24.2.2021
Zusatzinfo 11 s/w-Abbildungen
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Kinder- / Jugendbuch Kinderbücher bis 11 Jahre
Schlagworte Abenteuer • Bande • Buch für Jungen ab 10 • Corona • Covid-19 • Dreizehn Wochen Sonntag oder Wie ich den Kaninchen die Sprache zurückgab • Freundschaft • Geschwister • Hamburger Literaturpreis • Häusliche Gewalt • Isolation • Kinderarmut • Kinderbuch ab 10 • Kinderkrimi • Pandemie • Quarantäne • Schullektüre • Spannung • Zwillinge
ISBN-10 3-7336-0420-2 / 3733604202
ISBN-13 978-3-7336-0420-2 / 9783733604202
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