Laufrausch (eBook)

Wie ein Paar Laufschuhe unverhofft mein Leben auf den Kopf stellte
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
304 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-99856-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Laufrausch -  Carsten Polzin
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Sport interessiert ihn eigentlich nicht die Bohne. Doch als Carsten Polzin mit Anfang dreißig beim Aufräumen über ein altes Paar Laufschuhe stolpert, zieht er sie kurz entschlossen an - und geht das erste Mal richtig laufen. Zehn Jahre später hat er drei Ironmans gefinisht, ist 23 Kilometer durch den Zürichsee geschwommen, von München nonstop auf die Zugspitze gerannt und am Polarkreis 150 Kilometer weit übers Eis geirrt. Er ist 100 Kilometer auf einem Münchner Friedhof und 24 Stunden im Olympiapark im Kreis gelaufen. Und er hat die ganzen 239 Kilometer des Jurasteigs in 48 schlaflosen Stunden bewältigt. Mit einer ordentlichen Portion Selbstironie erzählt er von seinem unverhofften Sportlerleben und gewährt Einblicke in die faszinierende Welt des Extremsports. Er berichtet von der kleinen Gemeinschaft der Ultraläufer, dem Größenwahn der Massenveranstaltungen und von den Absurditäten der kostspieligen Sportlerausrüstung. Von besessenen Läufern, die ihre Ehe für den Sport opfern, und von den total gechillten Laufveteranen, die mal eben zur Entspannung 100 Kilometer weit laufen. Carsten Polzin befeuert die Lust am Laufen, inspiriert Anfänger und Erfahrene gleichermaßen und zeigt, dass jede und jeder selbstgesteckte Ziele erreichen kann - auch wenn sie noch so verrückt erscheinen. Aber vor allem meint er: Egal, was du tust - lebe so intensiv wie möglich. Ein inspirierendes Buch für Läufer und solche, die es werden wollen!

Carsten Polzin, geboren 1976 in Hannover, studierte Rechtswissenschaften, arbeitete in der Schweiz und in Kambodscha und war lange als Verlagslektor in München tätig, bevor er 2020 die Literaturagentur textbaby gründete. Nebenbei schlüpft er in jeder freien Minute in seine Laufschuhe. Er lebt mit seiner Frau und seiner Tochter in Wien. Von ihm erschien »Laufrausch: Wie ein Paar Laufschuhe unverhofft mein Leben auf den Kopf stellte«; als Koautor wirkte er mit an Jonas Deichmanns SPIEGEL-Bestseller »Das Limit bin nur ich: Wie ich als erster Mensch die Welt im Triathlon umrundete« und an Savan Cobans »Trail der Träume ... und Albträume: Mein Weltrekordlauf durch Peru«. 

Carsten Polzin, geboren 1976, war lange Verlagslektor, bevor er 2020 die Literaturagentur textbaby gründete. Nebenbei schlüpft er in jeder freien Minute in seine Laufschuhe. Er lebt mit seiner Frau und seiner Tochter in Wien. "Laufrausch" ist sein erstes Buch.

Mission Vaseline


Eine Woche verging, und ich war zufrieden mit meiner Entscheidung.

Die zweite Woche war ich zuversichtlich, dass die Entscheidung Bestand haben würde.

In der dritten Woche begann die Unruhe. Ich wusste nicht einmal, woher sie rührte, nur dass sie in den Beinen begann und jeden Tag weiter hinaufwanderte. Ein forderndes Kribbeln war es, ein eindringlicher Hinweis darauf, dass etwas fehlte. Ein Haufen Informationen wurden von Nervenzellen an Synapsen weitergegeben, elektrische Impulse wurden in chemische umgewandelt, und eine Botschaft wurde weitergetragen, bis sie sich endlich in meinem Kopf zu einem Gedanken formte: laufen.

Ich wollte laufen. Das »Nie wieder« hatte genau sechzehn Tage gehalten. Nun, in der Weltgeschichte hatten Menschen schon schneller ihre Meinung geändert. Und mir ging es inzwischen besser. Das Knie hatte sich seit der Finish Line im Olympiastadion nicht mehr gemeldet, so als hätte die Kombination aus 42 Kilometern und vier Ibuprofen es geheilt. Vielleicht lag es aber nur daran, dass ich seitdem nicht mehr gelaufen war.

Und so gern ich wieder in die Laufschuhe schlüpfen mochte, so wenig wollte ich die Grenze in dieses dunkle Land überschreiten, das Schmerzen für jeden bereithielt, der sich dorthin verirrte. Es gab keine Grenzkontrollen bei der Einreise, man war drin, bevor man es bemerkte. Ich wollte auch keine Tabletten mehr schlucken müssen, um Sport zu machen. Ich wollte ich selbst sein, der etwas schaffte.

Also brauchte ich eine Alternative. Mein Hausarzt wiegte bonbonlutschend den Kopf, als ich ihn um seine Meinung fragte. »Na ja, wenn das Laufen wehtut – haben Sie schon mal an Rennradfahren gedacht?«

»Niemals«, erwiderte ich. Seit mein erstes Rennrad zerfallen war, hatte ich auf keinem mehr gesessen. Und überhaupt, diese ganze Szene, die Tour de France mit ihren mittelalten Männern. Warum sollte sich jemand freiwillig die Beine rasieren und diese lächerlichen Helmchen aufsetzen? Desillusioniert verließ ich die Praxis und machte erst mal gar nichts.

Bis sich herausstellte, dass die Nervenzellen und Synapsen sich gar nicht für meine Erwägungen interessierten. Sie arbeiteten unermüdlich weiter und schickten ihre elektrischen Impulse und chemischen Boten den Körper rauf und runter. Rennrad zu fahren war womöglich doch besser als nichts. Und wenn ich nebenbei noch etwas laufen könnte?

Vielleicht also Triathlon, das war das auf Hawaii. Gab es aber auch woanders, entdeckte ich. Und vor allem in Distanzen, die mir im Gegensatz zu einem Ironman machbar erschienen: Eine Volksdistanz beinhaltete zwanzig Kilometer Radfahren und fünf Kilometer Laufen. Als Triathlet müsste ich viel weniger Strecke in Laufschuhen verbringen, was definitiv weniger Pein bedeuten würde. Nun gut, fünfhundert Meter musste man vorab auch noch schwimmen, und das waren immerhin zehn Bahnen im Becken des Olympiabads. Die ganze Distanz zu kraulen war völlig undenkbar. Aber, so las ich, es handelte sich durchaus um einen anfängerfreundlichen Sport, in dem auch Brust- oder Rückenschwimmen toleriert wurde. Das klang schon besser.

Nachdem ich einige Zeit an dem Thema herumgelesen hatte, wurde mir klar, dass diese Sportart für mich gewissermaßen alternativlos war. Meinen Kollegen Sebastian, der früher selbst Triathlon gemacht hatte, fragte ich unauffällig danach, ob er es für eine blöde Idee halte, wenn jemand wie ich das mal ausprobierte. Nein, er finde das hervorragend. Natürlich sei es genau das Richtige für mich, und er gehe davon aus, dass ich auch im ersten Jahr mit der begrifflich etwas Furcht einflößenden Olympischen Distanz einsteigen könne: 1,5 Kilometer Schwimmen, 40 Kilometer Radfahren und 10 Kilometer Laufen. Das war schon wieder mehr Laufen, als ich mir vorgenommen hatte, klang aber nach einer Herausforderung. Also meldete ich mich für den kommenden Juni kurzerhand beim Stadttriathlon Erding an.

Vorher musste ich noch ein paar unwesentliche Dinge kaufen: Rennrad, Neoprenanzug, Triathloneinteiler. Es ist ein Shopping-Sport. Alles ist hip, alles ist neu, alles ist teuer. Aber schließlich hatte ich Outfit und Ausrüstung beisammen und stürzte mich ins Training. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn regelmäßig kippte ich mitsamt Rad um, wenn ich die Schuhe nicht aus den Klickpedalen bekam. »Das gehört dazu«, beruhigte mich Sebastian per Ferndiagnose. Einmal im Training, wollte ich nun aber auch lernen, einigermaßen ordentlich zu schwimmen.

Beim ersten Kraulversuch im Schwimmbad war ich zwar von einem älteren Herrn überholt worden, der mich als Anfänger beschimpft hatte, aber ich hatte fast eine 25-Meter-Bahn durchgehalten. Das war mehr Kraul, als ich in den letzten zwanzig Jahren geschwommen war. Von meiner Frau, die offensichtlich spürte, dass das so nichts werden würde, bekam ich zum Geburtstag private Schwimmstunden bei einem ehemaligen Triathlonprofi geschenkt.

»Lass mal sehen«, schickte mich mein weitsichtiger Coach ins Becken. »Kraul einfach mal eine Bahn durch.«

Ich tat wie geheißen und stieg hinten wieder aus dem Wasser. Lange sagte er gar nichts und murmelte dann: »Na gut, du bist ja hier, um zu lernen.«

Ja, lernen wollte ich. Und ich sog fortan alles auf, was ich über das Schwimmen finden konnte. Unzählige Videos von Rennen und Anleitungen zum Kraulschwimmen machten es vor, und ich machte es nach. Im März war ich ganz zufrieden mit dem, was ich erreicht hatte. Fünfhundert Meter Kraul gingen sensationellerweise nonstop, vielleicht gar etwas mehr. Anderthalb Kilometer waren im Juni zu absolvieren, noch dazu im Baggersee, aber für meinen ersten Wettkampf behielt ich mir vor, zu Brust, Rücken oder Hundepaddeln zu wechseln, sobald es angezeigt war.

Auch beim Laufen schien nun plötzlich alles prima. Denn im Triathlon trug man keine 500-Gramm-Klötze an den Füßen, sondern Minimalschuhe, schnelltrocknend und superleicht. Also brauchte ich neue Schuhe. Wieder den alten Laden zu betreten kam natürlich nicht infrage. Allein der Anblick des Verkäufers hätte mich erneut einem schweren Trauma ausgesetzt. Also suchte ich ein anderes Geschäft aus und traf dort auf eine freundliche, aber bestimmte Verkäuferin, die sich weigerte, mir Schuhe zu verkaufen, wenn ich keine Videoanalyse machte. Mir blieb also keine Wahl, ich stieg aufs Band und trabte los.

»Hm«, machte sie. »Zieh doch mal eben die Einlagen aus, bitte.« Ich hatte ihr gar nicht gesagt, dass ich welche trug. Außerdem wollte ich einwenden, dass ich ohne diese Dinger keinen Meter weit schmerzfrei laufen könne, doch sie duldete keinen Widerspruch.

»Das habe ich mir gedacht«, sagte sie wenig später. »Du läufst absolut gerade, nicht nach außen, nicht nach innen. Du brauchst einen Neutralschuh. Keine Einlagen. Kein nix.«

Ich sah sie an, dann meine Füße. Ein Augenblick der Entscheidung. Ich hätte nun wimmernd darüber zusammenbrechen können, dass all die Leiden, die Arztbesuche, die Trainingsausfälle, die ganze Verzweiflung möglicherweise nur den falschen Schuhen geschuldet gewesen waren. In ihren Armen liegend, hätte ich klagen können, was gewesen wäre, hätte ich gleich zu Anfang eine Laufanalyse gemacht, und sie hätte mir durchs Haar streifen und mich beruhigen können, dass sie ja jetzt da sei und ich mir keine Sorgen mehr machen müsse … Nein, das war keine Option. Lieber war ich erleichtert. Konnte das tatsächlich der Beginn eines Lebens in Freiheit sein? Der Start einer neuen Laufkarriere? Ich warf die Einlagen noch im Laden in den Müll, stieg in die neuen Schuhe und lief. Tage, Wochen, Monate. Ich konnte auf Knieschmerzen warten, solange ich wollte.

Sie kamen nicht wieder.

 

Schließlich hatte sich die Welt bis zum Juni vorangedreht, dann bis zur Rennwoche, dann bis zum Renntag. Einen Kälteeinbruch und Regen hatte sie gleich mitgebracht.

Nun, zumindest im Neoprenanzug würde mir nicht kalt werden. Ich ordnete mein Rad in den riesigen Pulk der Wechselzone ein und bereitete mich auf den Schwimmstart vor. Wie jeder Neoprenanzug saß auch meiner wahnsinnig eng, was nicht nur beim Schwimmen unangenehm ist, sondern auch danach, wenn man ihn unter immensem sozialem Druck so schnell wie möglich wieder loswerden möchte. Der Wechsel, die vierte Disziplin beim Dreikampf, ist wie eine Operation am offenen Herzen, bei der es um Sekunden geht. Keine überflüssige Bewegung, kein Handgriff zu viel. Wer hier pfuscht, hat sich selbst den Tag verdorben, und den anderen irgendwie auch, denn sie müssen sich das mit ansehen. Der Stress beginnt in dem Moment, in dem man mit rasselndem Atem aus dem Baggersee steigt und versucht, sich das Neopren vom Körper zu zerren. Am Oberkörper machbar, aber die Fersen gebärden sich wie Widerhaken. Noch schlimmer, wenn es kalt ist, denn dann kann man die Füße ohnehin nicht bewegen. Vor dem Start in Erding hatte ich mir also Gedanken gemacht, wie ich Verstöße gegen diese Etikette im Rennen vermeiden könnte, und war auf einen Geheimtipp gestoßen: die Füße und Knöchel vor dem Schwimmen mit Vaseline einschmieren.

Ich schraubte die Dose mit der Mineralölmasse auf und begann in aller Ruhe das Fett auf meinen Füßen zu verteilen.

»Was immer du da tust, du solltest dich beeilen!«, rief mir ein anderer Teilnehmer zu und rannte davon. Ich sah auf die Uhr. Zwei Minuten bis zum Start, jetzt noch 1:59, längst waren alle unten am Strand versammelt. Ich hatte Vaseline an den Füßen, aber nicht einmal die Badekappe auf. Ohne Kappe erwischt zu werden bedeutete Disqualifikation, nicht weil die Veranstalter ihre rosafarbene Kappe so schick fanden, sondern weil man einen untergehenden Kopf im Gewühl am besten sieht, wenn er möglichst farbenfroh leuchtet. Hektisch zerrte ich mir das Silikon über die Ohren, griff zur Schwimmbrille und rannte dem anderen...

Erscheint lt. Verlag 15.3.2021
Zusatzinfo Mit 8 Seiten Farbbildteil
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Sport Leichtathletik / Turnen
Schlagworte Eisschwimmen • Extremsport • Fahrradfahren • Joggen • Laufbuch • Laufen • laufen anfangen • laufen motivation • Marathon • Motivation • Motivationsbuch • Motivationstraining • München • Runner's High • Schwimmen • Trail • Triathlon • Ultraläufer • Ultramarathon
ISBN-10 3-492-99856-9 / 3492998569
ISBN-13 978-3-492-99856-7 / 9783492998567
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