Abendgespräche mit Sri Aurobindo -  A. B. Purani

Abendgespräche mit Sri Aurobindo (eBook)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
920 Seiten
Aquamarin Verlag
978-3-96861-120-4 (ISBN)
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Sri Aurobindo ist im Westen vor allem durch seine großen Meisterwerke zur Transformation des Bewusstseins bekanntgeworden. Er zählt zu den wenigen herausragenden spirituellen Lehrern der Gegenwart, deren Denken sowohl die westliche als auch die östliche Weisheits­tradition umspannte.
Die „Abendgespräche“ zeigen in ihrer immensen Vielfältigkeit auf, dass Sri Aurobindo nicht nur ein exzellenter Kenner der abendländischen Dichtung oder der modernen Kunst war, sondern dass er ebenso berufen war, über die aktuelle Tagespolitik oder bestimmte spirituelle Entwicklungen in der Welt zu sprechen. Sein „Integraler Yoga“ zielte auf die Verwirklichung des Göttlichen in der irdischen Inkarnation. Daher setzte er seine ganze Geisteskraft dafür ein, diese Verwirklichung herbeizuführen und alle diejenigen Personen oder Bewegungen zu unterstützen, die diesem Prozess förderlich waren. Wie dies im Einzelnen geschah, zeigt sich in den von A.B. Purani sorgfältig dokumentierten Gesprächen.
In keinem anderen Buch kommt man der Persönlichkeit Sri Aurobindos so nahe wie in diesen tiefschürfenden Dialogen mit seinen engsten Schülern und Wegbegleitern.

Treffen mit dem Meister in Pondicherry


I


Ich verließ Pondicherry vorübergehend im Jahre 1947, als Indien unmittelbar davor stand, seine aufgeteilte Freiheit zu erlangen. Bei meiner Rückreise im Monat Juli 1947 wurde ich mir der Tatsache bewusst, dass ich an einen Ort zurückkehrte, wo ich fast fünfundzwanzig Jahre nacheinander verbracht hatte. Die Erinnerung an meinen ersten Besuch im Jahre 1918 erweckte in mir lebhaft all die alten Eindrücke. Es wurde mir bewusst, dass schon in jener Frühzeit Sri Aurobindo für mich die Verkörperung des höchsten Bewusstseins gewesen war. Ich begann im Geiste nach dem exakten Zeitpunkt zu suchen, wo ich ihn kennengelernt hatte. Weit in die Vergangenheit zurückreisend, fand ich, dass es 1914 gewesen sein musste, als ich im Bombay Chronicle auf eine Notiz über die Publikation einer Monatszeitschrift – den von Sri Aurobindo in Pondicherry herausgegebenen Arya – stieß. Ich zögerte keinen Moment, meinen Namen in die Abonnentenliste eintragen zu lassen. Um in jenen Tagen der politischen Stürme nicht den Verdacht der College-Verwaltung und der Polizei auf mich zu ziehen, hatte ich angeordnet, dass die Zeitschrift an eine Adresse außerhalb des Colleges geliefert werden solle. Sri Aurobindo erschien mir damals als die Personifikation des Ideals eines göttlichen Lebens, das er der Menschheit im Arya so vortrefflich vor Augen hielt.

Aber die Frage „Warum bestellte ich den Arya überhaupt?“ blieb. Beim Versuch, eine Antwort darauf zu finden, fand ich, dass ich ihn schon vor dem Erscheinen des Arya gekannt hatte.

Der Kongress brach 1907 in Surat auseinander. Sri Aurobindo hatte in jener historischen Sitzung eine führende Rolle gespielt. Von Surat kam er nach Baroda, und im Vankaner Theater und dem alten Gymnasium Professor Manik Rao’s in Dandia Bazar hielt er mehrere Reden, welche die Herzen der Zuhörer nicht nur im Sturm eroberten, sondern den Verlauf vieler Leben entscheidend veränderten. Auch ich hörte ihn, ohne alles zu verstehen, was gesprochen wurde. Aber seit ich ihn gesehen hatte, beherrschte mich das Gefühl, dass ich ihn schon immer kannte, und somit fand ich keine Antwort auf die Frage, wann genau der Beginn dieser Bekanntschaft anzusetzen war. Gewiss ist, dass die Verbindung mit der großen Flutwelle der nationalen Bewegung im politischen Leben Indiens ihren Anfang zu nehmen schien; allerdings denke ich, dass auch dies nur der augenscheinliche Beginn war. Die Jahre zwischen 1903 und 1910, das war die Zeit eines noch nie da gewesenen Erwachens und einer unerhörten Revolution. Die nachfolgenden Generationen sollten Zeugen von weiteren zwei bis drei machtvollen Flutwellen der nationalen Bewegung werden. Aber der allererste Ansturm des neu erwachten nationalen Bewusstseins von Indien war einzigartig. Jene Flutwelle legte in ihrem ersten Ansturm das Ziel von Indiens politischem Ideal fest – dasjenige einer unabhängigen Republik. Ebbe und Flut in der nationalen Bewegung wechselten sich in der Folge ab, bis das Ziel im Jahre 1947 erreicht war. Das Leben der Führer und Arbeiter, die willentlich und freudvoll auf dem gefährlichen Kamm der Flutwelle ritten, unterlag dramatischen Veränderungen. Und unsere kleine Gruppe in Gujarat erhielt ihr festes Ziel – das Erlangen uneingeschränkter Freiheit für Indien.

Alle Energien der Führerpersönlichkeiten gerieten in den Bann der Freiheitsbewegung. Nur wenige von ihnen versuchten, jenseits des Horizonts der politischen Freiheit die Konturen eines Ideals menschlicher Vollkommenheit zu erkennen, denn schließlich ist Freiheit nicht das letzte Ziel, sondern Vorbedingung für den Ausdruck des kulturellen Geists Indiens. In Swami Shraddhananda, Pandit Madanmohan Malavia, Tagore und Mahatma Gandhi – um nur die Namen einiger Führerpersönlichkeiten zu nennen – sehen wir den Doppelaspekt der Inspiration am Wirken. Unter allen Visionen der Vervollkommnung des menschlichen Geistes auf Erden schien mir die synthetische und integrale Schau Sri Aurobindos die rationalste und zufriedenstellendste. Sie trifft das Bedürfnis des Individuums und des kollektiven Lebens der Menschheit von heute. Sie ist die internationale Form der grundlegenden Elemente der indischen Kultur. Sie ist – in den Worten Dr. S. K. Maitras – die Botschaft, die in einer Welt der Verzweiflung die Hoffnung am Leben hält.

Dieser Aspekt von Sri Aurobindos Vision zog mich ebenso sehr an wie die natürliche Verwandtschaft, die ich empfunden hatte, als ich ihn sah. Ein ernsthaftes Studium des Arya eröffnete mir den Zugang zu sehr rationalen Schlussfolgerungen in Bezug auf Lösungen zu den tiefsten Lebensproblemen. Ich begann einen Briefwechsel mit ihm, und im Jahre 1916 begann ich mit seiner Erlaubnis, den Arya ins Gujarati zu übersetzen.

Aber obwohl ich ihn bei Versammlungen aus der Ferne gesehen hatte und eine unerklärliche Vertrautheit ihm gegenüber empfand, hatte ich ihn immer noch nicht persönlich kennengelernt. Als sich die Frage nach der praktischen Umsetzung des Revolutionsplans stellte, den Sri Aurobindo meinem Bruder, dem verstorbenen C. B. Purani, im Jahre 1907 in Baroda gegeben hatte, hielt ich es für nötig, zuerst Sri Aurobindo um sein Einverständnis zu bitten. Barindra, sein Bruder, hatte die Formel für den Bau von Bomben meinem Bruder anvertraut, und auch ich brannte darauf, das Werk in Angriff zu nehmen. Trotz alledem hielten wir es für angebracht, die große Führungspersönlichkeit, von der wir die Inspiration erhalten hatten, zu konsultieren, da das Leben vieler junger Männer von diesem Plan abhing.

Ich war im Besitz einer Einladung von Sj. V. V. S. Aiyar, der sich damals in Pondicherry aufhielt. Im Dezember 1918 kam ich in Pondicherry an. Ich hielt mich nicht lange bei Hrn. Ayar auf, sondern packte mein Bündel Bücher – hauptsächlich den Arya – und begab mich zur Rue François Martin Nr. 41, dem Büro des Arya, wo auch Sri Aurobindo wohnte. Das Haus machte einen etwas seltsamen Eindruck; rechts beim Eingang sah man einige Bananenstauden und neben ihnen eine Beige zerbrochener Ziegel. Auf der linken Seite des offenen Hofes gaben vier Türen den Eingang in vier Zimmer frei. Die Veranda draußen war breit. Es war ungefähr 8 Uhr morgens. Die Zeit für das Treffen mit Sri Aurobindo war auf 3 Uhr nachmittags angesetzt. Ich verbrachte die ganze Wartezeit im Hause und unterhielt mich gelegentlich mit den beiden anwesenden Mitbewohnern.

 

*

 

Sri Aurobindo saß auf einem Holzstuhl hinter einem mit einem indigoblauen Tuch bedeckten Tischchen auf der Veranda des oberen Stockwerks, als ich ihn traf. Ich hatte den Eindruck eines spirituellen Lichts, das sein Antlitz umgab. Sein Blick war durchdringend. Er kannte mich schon durch meine Briefe. Ich erinnerte ihn an meinen Bruder, den er in Baroda getroffen hatte; er hatte ihn nicht vergessen. Dann informierte ich ihn darüber, dass unsere Gruppe jetzt bereit sei, die revolutionären Aktivitäten zu beginnen. Wir hatten ungefähr elf Jahre gebraucht, um uns zu organisieren.

Sri Aurobindo verhielt sich einige Zeit lang schweigend. Darauf stellte er mir Fragen über meine Sadhana – die spirituelle Praxis. Ich beschrieb meine Bemühungen und fügte hinzu: „Die Sadhana ist schon recht, aber es ist schwierig, sich darauf zu konzentrieren, solange Indien nicht frei ist.“

„Vielleicht ist es nicht nötig, revolutionäre Maßnahmen zu ergreifen, um Indien zu befreien“, sagte er.

„Aber wie sonst soll die britische Regierung aus Indien vertrieben werden können?“, fragte ich ihn.

„Das ist eine andere Frage; wenn Indien jedoch ohne revolutionäre Maßnahmen befreit werden kann, warum solltet ihr dann den Plan in die Tat umsetzen? Es ist besser, sich auf den Yoga – die spirituelle Praxis – zu konzentrieren“, erwiderte er.

„Aber Indien ist ein Land, das die Sadhana im Blut hat. Sobald Indien frei ist, glaube ich, werden sich Tausende dem Yoga widmen. Aber wer in der Welt von heute wird schon auf die Wahrheit oder Spiritualität von Sklaven hören?“, fragte ich ihn.

Er erwiderte: „Indien hat sich bereits entschlossen, die Freiheit zu erringen, somit werden sich sicher Führer und Männer finden lassen, die für dieses Ziel arbeiten. Aber nicht alle sind für den Yoga berufen. Wenn Sie schon den Ruf verspüren, ist es dann nicht besser, sich darauf zu konzentrieren? Wenn Sie das Revolutionsprogramm ausführen wollen, so steht Ihnen das frei, aber meine Einwilligung dazu kann ich nicht geben.“

„Aber Sie haben uns dazu inspiriert und die revolutionäre Aktivität in Gang gebracht. Warum weigern Sie sich jetzt, Ihre Einwilligung zu deren Ausführung zu geben?“, fragte ich ihn.

„Weil ich die Arbeit getan habe und ihre Schwierigkeiten kenne. Junge Männer stellen sich der Bewegung zur Verfügung, beseelt von Idealismus und Begeisterung. Aber diese Elemente halten nicht lange an. Es wird sehr schwierig, strikte Disziplin einzuhalten. Kleine Gruppen beginnen sich innerhalb der Organisation zu bilden, Rivalitäten wachsen zwischen Gruppen und sogar zwischen Individuen. Es wird um die Führerschaft gestritten. Den Agenten der Regierung gelingt es im Allgemeinen, sich von Anfang an in diese Gruppierungen einzuschleichen. Und so sind die Organisationen nicht in der Lage, effektiv zu handeln. Manchmal sinken sie sogar so tief, dass um Geld gestritten wird“, sagte er ruhig.

„Aber selbst unter der...

Erscheint lt. Verlag 1.7.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Esoterik / Spiritualität
Geisteswissenschaften Religion / Theologie Hinduismus
ISBN-10 3-96861-120-9 / 3968611209
ISBN-13 978-3-96861-120-4 / 9783968611204
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