Die Kunst, unserer Sehnsucht zu folgen (eBook)

Spiritualität in Zeiten des Umbruchs
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
128 Seiten
Elisabeth Sandmann Verlag
978-3-945543-87-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Kunst, unserer Sehnsucht zu folgen -  Michael Bordt SJ
Systemvoraussetzungen
9,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen

Virus, Klimawandel, Digitalisierung - wir leben in Zeiten des Umbruchs. Das spüren wir im Alltag und es fällt uns schwer, dem etwas entgegenzusetzen. Etwas, das uns Ruhe, Halt und Tiefe gibt. Auch in Religionen finden viele Menschen keine Antworten mehr. Aber die Sehnsucht nach Sinn und Spiritualität, die gehört zu uns Menschen dazu. Viele lenken sich davon ab, andere sind ihr auf der Spur: Sie wandern durch den Wald, machen etwas Künstlerisches, verreisen an einen einsamen Ort, besuchen einen Yogaretreat oder Meditationskurs. Das Interesse an spirituellen Praktiken wächst - auch wissenschaftlich.

Philosoph und Bestsellerautor Michael Bordt SJ schöpft aus der spirituellen Praxis des Jesuitenordens ebenso wie anderer Religionen und zeigt Wege, wie wir unserer Sehnsucht folgen können. Raus aus dem alltäglichen Hamsterrad, hin zu einer neuen Geistesgegenwart und einer Heimat in uns selbst - und die ist für jede und jeden erreichbar.



Michael Bordt ist Jesuit und Professor an der Hochschule f&uuml;r Philosophie in M&uuml;nchen, deren Pr&auml;sident er 2005 bis 2011 war. Er studierte Theologie und Philosophie und promovierte in Oxford. Habilitation an der Universit&eacute; de Fribourg. Als Vorstand des Instituts f&uuml;r Philosophie und Leadership veranstaltet er u. a. Workshops f&uuml;r F&uuml;hrungskr&auml;fte im Topmanagement gro&szlig;er Konzerne und f&uuml;r Familienunternehmen. Zahlreiche Publikationen, darunter im Elisabeth Sandmann Verlag erschienen <em>Die Kunst, sich selbst zu verstehen</em> (2015), <em>Die Kunst, die Eltern zu entt&auml;uschen</em> (2017) und <em>Die Kunst, unserer Sehnsucht zu folgen </em>(2020).

Kapitel 1
Sehnsucht


Alles beginnt mit der Sehnsucht« heißt ein Gedicht der Nobelpreisträgerin Nelly Sachs, und ganz sicher gilt dieser Satz für unsere Suche nach Spiritualität, nach Tiefe und Authentizität. Wenn Sie, verehrte Leserin und verehrter Leser, sich mit diesem Buch auf den Weg zu ihren eigenen spirituellen Quellen begeben möchten, wenn Sie ihre eigene Spiritualität vertiefen möchten, dann ist die Sehnsucht dafür tatsächlich der beste Ausgangspunkt.

Aber nicht nur das. Die Sehnsucht wird uns auch eine verlässliche Führerin zum Ziel unserer Suche sein, was auch immer wir uns von einem spirituellen Leben erhoffen. Wer bei seiner Suche nach einer authentischen Spiritualität nicht bei der Sehnsucht ansetzt und sich von ihr leiten lässt, der gerät in Gefahr, auf halbem Wege steckenzubleiben und das Ziel zu verfehlen. Er mag dann zwar bestimmte spirituelle Übungen machen oder einen spirituellen Lebensstil pflegen. Vielleicht besucht er einen Tai-Chi-Kurs, er mag auch meditieren, besonders achtsam morgens sein Müsli essen, mit einer Salzkristalllampe eine spezielle Atmosphäre im Wohnzimmer erzeugen oder sich an der Buddhastatue im eigenen Garten erfreuen, aber all das bleibt nur äußere Praxis. Die tut uns gut, streift aber nur die Oberfläche und befreit uns nicht. Sie verändert unser Erleben nicht in der Tiefe. Spiritualität bleibt dann eine Mode, die man wechselt, wenn eine neue angesagt ist. Aber wie immer wir uns kleiden mögen: Kleidung bleibt stets oberflächlich. Sie dringt nie zum Kern unserer Persönlichkeit vor, auch wenn wir uns in unseren Lieblingsklamotten besonders wohlfühlen.

Spiritualität kann und soll aber etwas anderes leisten, wenn wir es ernst mit ihr meinen. Was immer Spiritualität sein mag: Menschen, die nach ihr suchen, haben die Hoffnung, vielleicht auch schon die Ahnung, dass sie sich selbst, andere Menschen und, ja, die ganze Wirklichkeit anders erleben können. Dass man dem äußeren Druck, der Unruhe, dem emotionalen Auf und Ab, dem Alltag mit seinen mühsamen Routinen und der Unzufriedenheit mit sich und dem Leben etwas entgegensetzen kann. Dass das Leben an Tiefe, Sinn und emotionaler Intensität gewinnt und gleichzeitig leichter wird.

Aber was ist Sehnsucht genau? ›Sehnsucht‹ ist kein Wort, das wir im Alltag oft verwenden. Wir sagen vielleicht, dass wir sehnsüchtig auf eine Nachricht warten, die uns Klarheit in einer unsicheren Situation bringt – aber mit ›sehnsüchtig‹ meinen wir in solchen Fällen eher ungeduldig und unruhig. Sicher war es nicht diese nervöse Ungeduld, von der Nelly Sachs sprach.

Ihre und unsere Sehnsucht ist verwandt mit unserem Verlangen, unserem Begehren, unserem Wollen und unseren Wünschen. Dabei gibt es allerdings einen interessanten Unterschied. Wenn wir etwas wünschen oder wollen, dann wissen wir meistens doch sehr genau, was es ist. Wir können das, was wir wollen, benennen. Bei der Sehnsucht ist das alles nicht so klar. Die Sehnsucht ist oft diffuser, schwerer zu fassen. Wir können eine Sehnsucht haben, ohne klar benennen zu können, auf was sie sich eigentlich richtet. Wir sind dann sehnsüchtig. Manche Autoren, vor allem in der Zeit der Frühromantik, meinten, es sei charakteristisch für die Sehnsucht, dass sie sich nie auf etwas Bestimmtes richtet. Die Sehnsucht, so sagten sie, sei unendlich und unbestimmt.

Ganz zustimmen müssen wir dem nicht. Wir können ja sagen, dass wir Sehnsucht danach haben, zur Ruhe zu kommen, eine Sehnsucht nach Begegnung, vielleicht auch eine Sehnsucht nach erfüllter Sexualität oder einer lebendigen, geborgenen Stille. Aber selbst dann, wenn wir der Sehnsucht eine gewisse Richtung geben können, gibt es einen wichtigen Unterschied zu unserem Begehren und Wünschen: Wenn wir das, was wir begehren oder wünschen, erst einmal bekommen haben, erlischt es, so wie wir nicht mehr hungrig sind, wenn wir ausreichend gegessen haben. Wenn wir aber das Ziel unserer Sehnsucht erreicht haben, dann erlischt sie damit nicht. Das Ziel der Sehnsucht zu erreichen ist wie Öl, das man in die Flammen gießt: Es treibt die Sehnsucht nur noch mehr an. Für einen beglückenden Moment mag sie zur Ruhe kommen, aber nur, um sich danach umso heftiger zu melden.

Wenn wir nach längerer Zeit, in der der Alltag unsere Liebe zu ersticken oder eine innige Freundschaft zu verflachen drohte, endlich einmal wieder ein persönliches, berührendes und offenes Gespräch führen können, dann führt diese erfüllende Begegnung nicht dazu, dass unsere Sehnsucht nach Nähe, Verbundenheit und Verständnis aufhört. Im Gegenteil: Die Tiefe der Erfahrung gibt der Sehnsucht neue Nahrung. Die Erfüllung der Sehnsucht ist der Motor, der sie nur noch stärker antreibt. Wir haben etwas erlebt, von dem wir denken, dass unsere Freundschaft und Liebe, dass unser Leben eigentlich immer so sein sollte.

Neben den Unterschieden gibt es aber auch eine wichtige Gemeinsamkeit zwischen der Sehnsucht und unserem Begehren und Wünschen. Wenn wir etwas begehren oder wünschen, dann ist das ein Zeichen dafür, dass wir etwas nicht haben oder dass uns etwas fehlt, das wir gerne hätten. So weit, so trivial. Bei der Sehnsucht ist es ebenso. Auch unsere Sehnsucht macht uns deutlich, dass uns etwas fehlt.

Kein anderer hat diesen Mangel so plastisch beschrieben wie der griechische Philosoph Platon vor über 2400 Jahren. Mittels einer Erzählung möchte Platon erklären, warum wir Menschen diesen Mangel haben und oft so schmerzhaft spüren. Die Erzählung findet sich in Platons Schrift Symposion, zu deutsch: dem Gastmahl. Platon lässt einen der Teilnehmer einer fiktiven Party, den Komödiendichter Aristophanes, darüber sprechen, dass wir Menschen in ferner Vorzeit ganz andere Wesen waren, als wir es heute sind. Wir hatten die Form von großen Rädern und rollten durch die Welt. Als wir eines Tages beschlossen, den Olymp, also den Sitz der Götter, zu erobern, fühlten diese sich ernsthaft bedroht und bekamen es mit der Angst zu tun. Sie sahen, wie wir Radmenschen immer kräftiger Schwung holten und ihnen immer näher kamen. Da hatte Zeus eine Idee: Er bat Hephaistos, den Gott der Schmiedekunst, uns Radmenschen mit seinem Schwert in zwei Teile zu schneiden. Und so geschah es: Wir wurden in zwei Hälften geteilt und purzelten hilflos den Olymp hinunter. Das war es dann mit der Revolte gegen die Götter. Durcheinandergeworfen und ohne unsere zweite Hälfte lagen wir nun orientierungslos am Fuße des Berges. Die Moral der Geschichte ist klar: Wir Menschen sind in der Tiefe unseres Wesens verletzt und verwundet und haben nur eine Chance, unsere ursprüngliche Ganzheit wiederherzustellen: Wenn es uns gelingt, die andere Hälfte zu finden, also den Menschen, der unserem Wesen nach zu uns gehört.

Auch wenn Platon die Geschichte durchaus mit einem Augenzwinkern erzählt – das Bild macht sehr anschaulich ein Gefühl deutlich, das auch Ihnen, verehrte Leserin und verehrter Leser, aus Phasen Ihres Lebens vertraut sein mag. Wir sind als Menschen unvollkommen, und zwar nicht nur, weil wir nicht in allem perfekt sind, sondern weil uns etwas Grundsätzliches zu unserem eigenen Glück zu fehlen scheint. Wir haben es nicht in der Hand, ob unser Leben glücken wird oder nicht. Wir können selbst kaum etwas dazu tun, vieles erscheint uns als Schicksal oder Zufall. Wir spüren, dass wir nicht eigentlich die sind, als die wir ursprünglich gedacht waren. Wir sind verwundet worden, und diese Wunde schmerzt uns bis heute.

Platon benutzt die Erzählung im Symposion zwar dazu, die Kraft des Gottes Eros, also des sexuellen Verlangens, zu erklären. Sexualität ziele auf die geschlechtliche Vereinigung mit demjenigen anderen Menschen, der ursprünglich die zu einem gehörige andere Hälfte gewesen sei. Nicht nur die eindrückliche Schilderung der uns zugefügten Verletzung und der unruhigen Suche nach etwas, das die Wunde heilt, sondern auch Platons weitere Überlegungen im Symposion haben dazu geführt, dass die Erzählung über die Sexualität hinaus immer wieder als eine Erklärung der Sehnsucht gedeutet worden ist. Die Sehnsucht erwächst aus einer ursprünglichen Verwundung, die uns immer wieder schmerzt. Das macht auch die Herkunft des Wortes aus dem Mittelhochdeutschen deutlich: ›Sensuht‹ meint eine Krankheit, die darin besteht, schmerzlich etwas zu verlangen. Vor allem natürlich Liebe.

Dass wir sehnsüchtig sein können, sagt auch etwas über uns als Menschen aus. Mit einem etwas unschönen, technischen Ausdruck haben Philosophen davon gesprochen, dass der Mensch, vor allem im Vergleich mit anderen Lebewesen, ein Mängelwesen ist. Dieser Mangel hat verschiedene Dimensionen. Eine davon ist biologisch. Wir sind Mängelwesen, weil wir, wenn wir auf die Welt kommen, viele Jahre brauchen, bis wir uns selbstständig ernähren und ein eigenes Leben führen können. Andere Säugetiere kommen schon mehr oder weniger fertig auf die Welt und finden sich schnell allein zurecht. Eine andere Dimension besteht darin, dass unsere Instinkte, anders als bei vielen Tieren, kaum unser Überleben sichern. Der Philosoph Arnold Gehlen, der auch den Begriff des Mängelwesens geprägt hat, erklärt damit den Sinn von Institutionen, zum Beispiel den Sinn einer staatlichen Ordnung. Damit wir als moderne Menschen in Gemeinschaft leben können, brauchen wir institutionalisierte Regeln, die uns unsere Instinkte nicht geben können.

Die Dimension, auf die es uns im Hinblick auf unser Thema ankommt, ist die existenzielle Dimension des Mangels, die Leerstelle in unserer eigenen Identität. Wir wissen nicht wirklich, wer wir sind. Aber es ist nicht so sehr der Mangel an Wissen, der...

Erscheint lt. Verlag 14.9.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Esoterik / Spiritualität
Geisteswissenschaften Psychologie Allgemeine Psychologie
Schlagworte Achtsamkeit • Geheimnis • Gelassenheit • Glück • Herz • Kraft • Leben • Lebensphilosophie • Ruhe • Seele • Spiritualität • Spüren • Weg
ISBN-10 3-945543-87-8 / 3945543878
ISBN-13 978-3-945543-87-0 / 9783945543870
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
Wie bewerten Sie den Artikel?
Bitte geben Sie Ihre Bewertung ein:
Bitte geben Sie Daten ein:
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 3,5 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Psychosomatische Beschwerden: Was mir die Signale meines Körpers …

von Hans Lieb; Andreas von Pein

eBook Download (2024)
Trias (Verlag)
22,99
Zwölf Wege in die Natur: Kraft schöpfen - Heilung finden

von Susanne Fischer-Rizzi

eBook Download (2023)
Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG
27,99