Religiöse Erwachsenenbildung (eBook)

Zugänge - Herausforderungen - Perspektiven
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2013 | 1. Auflage
144 Seiten
TVZ Theologischer Verlag Zürich
978-3-290-17745-4 (ISBN)

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Religiöse Erwachsenenbildung -
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Religiöse Erwachsenenbildung befindet sich im Umbruch: Während die erfolgreiche Ära kirchlicher Bildungshäuser zu Ende geht, entstehen neue urbane Lehr- und Lernzentren. Die klassische Katechese weicht vermehrt einer Bildung, die sich im Dienst religiöser Selbstauslegung bzw. biografischer Selbststeuerung versteht. Die vorliegende Publikation beleuchtet diese Verschiebungen, diskutiert Theoriemodelle und fragt nach einer religiösen Erwachsenenbildung der Zukunft. Auf dem Hintergrund einer vielfach konstatierten Milieuverengung kirchlicher Angebote analysieren die Autorinnen und Autoren Profile von Teilnehmerinnen und Teilnehmern sowie Zielgruppen und reflektieren so eine Thematik, die in den letzten Jahren im akademischen Diskurs wenig bearbeitet wurde. Mit Beiträgen von Stefan Altmeyer, Monika Jakobs, Claudia Kohli Reichenbach, Isabelle Noth, David Plüss, Thomas Schlag, Daniel Schmid Holz, Friedrich Schweitzer, Jürgen Wolff.

Claudia Kohli Reichenbach, Dr. theol., Jahrgang 1975, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Theologischen Fakultät der Universität Bern. Isabelle Noth, Dr. theol., Jahrgang 1967, ist Professorin für Seelsorge, Religionspsychologie und Religionspädagogik an der Theologischen Fakultät der Universität Bern.

Claudia Kohli Reichenbach, Dr. theol., Jahrgang 1975, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Theologischen Fakultät der Universität Bern. Isabelle Noth, Dr. theol., Jahrgang 1967, ist Professorin für Seelsorge, Religionspsychologie und Religionspädagogik an der Theologischen Fakultät der Universität Bern.

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Sprachschule für die Freiheit, Option für die Armen oder perspektivenverschränkende Bildung?


Zugänge zu ausgewählten Theoriemodellen der Evangelischen Erwachsenenbildung

Jürgen Wolff

1. Vorbemerkungen


Die religiöse Erwachsenenbildung befindet sich im Umbruch. So lautet die Prämisse für die Tagung und dieser entsprechen auch die Wahrnehmungen aus der Bildungspraxis. Traditionelle Bildungshäuser werden aufgegeben, Planstellen werden gestrichen, staatliche und kirchliche Finanzmittel werden reduziert. Diese Veränderungsprozesse in der religiösen Erwachsenenbildung korrespondieren mit grundlegenden gesamtgesellschaftlichen Transformationsmustern, die mit den Begriffen Globalisierung, Beschleunigung, Privatisierung und Individualisierung von Weltanschauungen nur angedeutet werden können. Denn (religiöse) Erwachsenenbildung ist eine Signatur ihrer Zeit. Sie darf nicht nur individualistisch verstanden werden als organisiertes und strukturiertes Lernen von Individuen, sondern zugleich auch als Lernprozess von Erwachsenen, die in einen historischen und gesellschaftlichen Kontext eingebunden sind. Nach diesem Verständnis ist Erwachsenenbildung «sowohl Bildungsgeschehen als auch Bestandteil unseres Bildungssystems und damit Ausdruck eines gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses.»43 Sie ist eingebunden in eine konkrete kultur- und sozialgeschichtliche Situation und Konstellation, der sie Rechnung tragen muss. Diese gesamtgesellschaftlichen Veränderungen wiederum wirken zurück auf die Erwachsenenbildungslandschaft.

Die religiöse Erwachsenenbildung muss sich in einer pluralen, sich permanent verändernden Gesellschaft neu definieren und dabei ihr spezifisches Profil zwischen der Vermittlung der christlich-jüdischen Tradition, den religiös-spirituellen Bedürfnissen Sinn suchender Individualisten und den gegenwärtigen gesellschaftlichen Herausforderungen finden. Welche Erkenntnisse aus der Theoriediskussion können Inspiration sein auf dem Weg zu einer zukunftsfähigen religiösen Erwachsenenbildung? In einem Rückgriff auf drei exemplarische Theoriemodelle der religiösen Erwachsenenbildung soll ein theoriegeschichtlicher Zugang zu dieser Fragestellung unternommen werden, um anschliessend Perspektiven und |28| Herausforderungen für unsere Fragestellung und für die gegenwärtige Bildungspraxis zu skizzieren.

2. Annäherungen


Noch immer ist die wissenschaftliche Begleitung und Reflexion der Praxis der religiösen Erwachsenenbildung defizitär. So stellte Martina Blasberg-Kuhnke bereits im Jahr 1995 fast schon resigniert die Frage: «Wie ist das verhängnisvolle Theorie-Praxis-Problem der Erwachsenenbildung zu überwinden, das wissenschaftliche Theoretiker der Erwachsenenbildung und ihre Veranstalter aneinander vorbeiarbeiten lässt, mit der Konsequenz einer weithin theoriearmen Praxis und zahlreicher folgenloser Theorieentwürfe?»44 Leider fühlt sich – nach wie vor – keine wissenschaftliche Disziplin letztlich für dieses Handlungsfeld zuständig, weder die Praktische Theologie noch die profane Erwachsenenbildung/Weiterbildung, am ehesten noch die Religionspädagogik, die die Evangelische Erwachsenenbildung allerdings zumeist lediglich als Teilbereich der (in einem weiten Sinne verstandenen) Gemeindepädagogik thematisiert. Mit dem skizzierten Theoriedefizit korrespondiert eine defizitäre Forschungslage. Manche Dissertationen sind zweifellos kluge Werke, die inspirieren, in denen aber die konkrete Bildungspraxis nur schwache Spuren hinterlässt. Mit Rudolf Englert soll daher idealtypisch unterschieden werden zwischen:

  1. Funktionärstheorien, die vorwiegend der Legitimation der eigenen Praxis dienen und häufig die Erwartungen von Zuschussgebern im Blick haben
  2. Qualifikationstheorien, die vor allem als wissenschaftlicher Qualifikationsnachweis ihres Verfassers/ihrer Verfasserin dienen mit keinem oder wenig Bezug zur Praxis
  3. Überschalltheorien, d. h. grossflächig angelegte, z. T. sehr innovative Theoriemodelle ohne Bezüge zu den Spezifika des erwachsenenbildnerischen Alltagshandelns.
  4. Praxistheorien, bei denen es primär um die Aufklärung gegenwärtiger oder geschichtlicher Praxis geht mit der Intention, Orientierungsperspektiven für die zukünftige Praxis generieren zu können.45

Die Forderung nach Theoriemodellen, die ihren Ausgangspunkt bei der konkreten Erwachsenenbildungspraxis haben, ist nicht akademische Rhetorik, denn sowohl Grundlagenforschung als auch empirische Bildungsforschung sind notwendig, um die gesellschaftlichen und kirchenpolitischen Potenziale der religiösen |29| Erwachsenenbildung zu erkennen, zu reflektieren und zu strukturieren. Noch immer fristet religiöse Erwachsenenbildung im kirchenpolitischen Spektrum ein Schattendasein und zählt zu den verzichtbaren adiaphora. Religiöse Erwachsenenbildung darf nicht eindimensional reduziert werden auf Evangelische Akademien. Es gibt auch den Alltag, die Arbeit in Institutionen mit einer regionalen Bedeutung: Heimvolkshochschulen, städtische Bildungszentren, dekanatliche Bildungswerke, Familienbildungsstätten. Dabei sind auch die spezifischen institutionellen und strukturellen Rahmenbedingungen der jeweiligen Institution, die Bildungshandeln ermöglichen, erschweren oder auch verhindern können, zu berücksichtigen. Exemplarisch seien folgende Problemfelder gegenwärtiger Bildungspraxis genannt: Geänderte Förderrichtlinien als Folge kirchlicher und staatlicher Sparmassnahmen führen zur Notwendigkeit, zunehmend Drittmittel (Projektmittel, Gelder von Stiftungen, Sponsoring) generieren zu müssen. Inhaltliche Entscheidungen werden aufgrund dessen durch extern definierte Kriterien für eine Förderung determiniert. Qualitätsmanagementsysteme werden als Voraussetzung für eine finanzielle Förderung fast flächendeckend eingeführt, ohne jede bildungstheoretische oder theologische Begründung und ohne qualifizierte empirische Überprüfung, ob der Anspruch einer Qualitätssteigerung auch tatsächlich erfüllt wird.

3. Theoriemodelle


Im Folgenden werden drei ausgewählte Theoriemodelle vorgestellt, die einen Zugang zur Theoriediskussion eröffnen sollen. Alle drei Modelle sind nicht neu, doch sie stehen exemplarisch für Theoriebeiträge, die – aus meiner Sicht – für einen Dialog mit der Praxis inspirierend sein können. Deshalb sollen die Modelle zunächst kurz charakterisiert werden; anschliessend wird eine Perspektive für die aktuelle Bildungspraxis formuliert.

3.1. Ernst Lange: Evangelische Erwachsenenbildung als Sprachschule für die Freiheit 46

Die grundlegenden Veränderungen in Gesellschaft, Politik und Wissenschaft der späten 1960er und frühen 1970er Jahre unter den Leitbegriffen von Emanzipation und Mündigkeit, die einher gingen mit einem quantitativen und qualitativen Ausbau der Erwachsenenbildung, fanden auch ihren Niederschlag in Reformbestrebungen innerhalb der Evangelischen Kirche. Zu den profiliertesten Vertretern dieser kirchlichen Erneuerungsbewegung zählte zweifelsohne der ökumenische |30| Theologe Ernst Lange47, dessen Programm einer Sprachschule für die Freiheit die Theoriediskussion der Evangelischen Erwachsenenbildung aus emanzipatorischer Perspektive in dieser Phase bestimmte. Grundlegend für Langes Verständnis von Erwachsenenbildung ist sein Anspruch, Erwachsenenbildung nicht theologisch-deduktiv oder kirchlich-strukturell zu instrumentalisieren, sondern auf die wirkliche und unverfälschte Situation des Menschen einzugehen. Der Erwachsenenbildung mass Lange die Aufgabe zu, die Situation der Menschen, die er unterdrückt sah durch subtile, gesellschaftliche Zwänge im Westen oder durch massive wirtschaftliche und politische Zwänge in der Dritten Welt, zu erhellen im Lichte der biblischen Verheissungen.48 In diesen Argumentationsfiguren zeigen sich die beiden Pole von Langes Ansatz. Ausgehend von der Analyse der politischen, sozialen und psychischen Wirklichkeit der jeweiligen Gesellschaft hat die Evangelische Erwachsenenbildung die Aufgabe, bestehende Unterdrückungen aufzudecken und Lernprozesse zu initiieren, in denen als Zielhorizont die Verheissungen des Alten und Neuen Testamentes erscheinen.

Die gesellschaftliche Wirklichkeit sieht Ernst Lange charakterisiert durch die Begriffe Freizeitgesellschaft und Bildungs- oder Lerngesellschaft. Freizeitgesellschaft trägt der Tatsache Rechnung, dass in den fünfziger und sechziger Jahren die arbeitsfreie Lebenszeit durch Arbeitszeitverkürzungen, verlängerten Jahresurlaub und frühere Verrentung erheblich gestiegen war. Zudem hatten sich die Erwartungen an die arbeitsfreie Zeit grundlegend verändert. «Sie soll die Verheissungen des eigentlichen Lebens, des eigenen freien, erfüllten, humanen Lebens enthalten – im Gegensatz zur Arbeit, zum entfremdeten Leben.»49 Nicht mehr der Beruf, sondern die Freizeit wird der Ort persönlicher Identitätsfindung. In der Freizeit soll man entschädigt werden für die durch Arbeit verlorene, entfremdete und sinnleere Lebenszeit. «Die Freizeit wird zur vita activa, nicht zur vita contemplativa.»50 Allerdings können zwei Drittel der Menschheit51 an den zweifellos vorhandenen Segnungen der Freizeit nicht teilhaben, und auch das verbleibende Drittel zeigt sich häufig als unfähig, mit der gewonnenen freien Zeit sinnvoll umzugehen, denn es verharrt in einer rezeptiven, konsumierenden Fremdbestimmung. «Der Freizeitmensch ist ein Mensch auf dem Rückzug, auf der Flucht.»52 |31| Er flieht aus...

Erscheint lt. Verlag 1.9.2013
Reihe/Serie Praktische Theologie im reformierten Kontext
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Religion / Theologie
Schlagworte Praktische Theologie • Reformierter Glaube • urbane Lehr- und Lernzentren
ISBN-10 3-290-17745-9 / 3290177459
ISBN-13 978-3-290-17745-4 / 9783290177454
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