Sprach- und Schriftsprachförderung wirksam gestalten: Innovative Konzepte und Forschungsimpulse -

Sprach- und Schriftsprachförderung wirksam gestalten: Innovative Konzepte und Forschungsimpulse (eBook)

eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
186 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-036336-6 (ISBN)
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Der Band stellt die BiSS-Entwicklungsprojekte vor. Diese haben das Ziel, innovative und theoretisch fundierte Konzepte und Maßnahmen in der Sprachbildung, -förderung und Schriftsprachförderung zu erproben und zu optimieren. Sie schließen Forschungslücken zu Förderideen, die zwar aus theoretischer Sicht vielversprechend erscheinen, die aber bislang nicht praktisch umgesetzt wurden oder zu denen es wenig empirische Evidenzen gibt. Die einzelnen Kapitel des Bandes stellen Projekte aus dem Elementar-, Primar- und Sekundarbereich vor. Diskutiert werden deren theoretischer Hintergrund, die empirischen Befunde und die Nutzbarkeit der Ergebnisse für die Praxis.

Die Herausgeberinnen und der Herausgeber arbeiten und forschen am DIPF| Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation in Frankfurt am Main.

Die Herausgeberinnen und der Herausgeber arbeiten und forschen am DIPF| Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation in Frankfurt am Main.

Kapitel 2:
Fühlen – Denken – Sprechen: Sprachbezogene Interaktions- und Dialogmuster in frühpädagogischen Fachkraft-Kind-Settings


Anika Göbel, Oliver Hormann & Peter Cloos


Wie stellen Kinder und Fachkräfte sprachbezogene Interaktionen innerhalb pädagogisch gerahmter Kontexte her? Durch welche sprachlichen Mittel können pädagogische Fachkräfte die Entstehung alltagsintegrierter Sprachbildung bei Kindern in Kindertageseinrichtungen ermöglichen? Diesen Kernfragen wird der folgende Beitrag vorrangig aus qualitativer Forschungsperspektive nachgehen. Grundlage sind videografierte Situationen aus dem Alltag von Kindertageseinrichtungen, welche im Rahmen des BiSS-Entwicklungsprojektes »Fühlen – Denken –Sprechen«1 aufgezeichnet wurden. Anhand von drei Beispielen zu Interaktionsmustern in Essenssituationen und Bilderbuchbetrachtungen wird zum einen exemplarisch aufgezeigt, dass die jeweilige Ausgestaltung des komplexen Interaktionsrahmens für eine alltagsintegrierte Sprachbildung bedeutungsvoll und zugleich durch grundlegende pädagogische Orientierungen gerahmt ist. Zum anderen wird aus semiotischer Perspektive die Rolle von Sprachlehrstrategien in der Initiierung und Aufrechterhaltung sprachbildungsförderlicher Dialoge analysiert und auf die genannten pädagogischen Orientierungen hin ausgelegt.

Einleitung


In der Praxis wurde zuletzt ein Bedeutungsgewinn alltagsbegleitender Formen der Sprachbildung sichtbar. Diese haben das Ziel, Sprachlerngelegenheiten in unterschiedlichen Gesprächssituationen des Kindergartenalltags zu ermöglichen. Das interdisziplinäre Längsschnittprojekt »Fühlen – Denken – Sprechen« (kurz FDS) verfolgt vor diesem Hintergrund das Ziel, eine Fortbildungsmaßnahme für frühpädagogische Fachkräfte zu entwickeln, die alltagsintegrierte Sprachbildung mit der Förderung von frühkindlichen Kompetenzen in den Bereichen des wissenschaftlichen Denkens und des Emotionswissens integriert.2 Zur wissenschaftlichen Fundierung3 und Evaluation der Fortbildung wurden u. a. videografische Beobachtungen von Fachkraft-Kind-Interaktionen in den teilnehmenden Kindertageseinrichtungen durchgeführt, die mit Mitteln der qualitativen und quantitativen Videoanalyse ausgewertet werden.

In diesem Beitrag werden Teilergebnisse der qualitativen Videostudie vorgestellt. Es geht um die Frage, wie alltagsintegrierte Sprachbildung innerhalb pädagogisch gerahmter Settings gestaltet wird und wie Fachkräfte durch die Verwendung sogenannter Sprachlehrstrategien übergreifende, dialogisch organisierte Gesprächssequenzen herstellen. Besonderes Augenmerk wird auf die semiotischen4 Funktionen der Sprachlehrstrategien und die Bedeutung des handlungsleitenden Orientierungsrahmens, dem die Akteure in den sprachlich ausgestalteten Interaktionen bewusst oder unbewusst folgen, gelegt. Ausgehend von der im Wesentlichen auf quantitative Forschungsbefunde gestützten Erkenntnis, dass nicht alle Sprachlehrstrategien gleichermaßen dafür geeignet sind, langanhaltende Dialoge herzustellen, zeigen die vorliegenden qualitativen Videoanalysen auf, dass diese Strategien in konkreten pädagogischen Situationen in komplexe Interaktionsrahmen eingebettet sind und ihre situative Wirkung davon abhängt, wie die jeweiligen Interaktionsrahmen gestaltet werden. Hieraus wird geschlossen, dass es zur Professionalisierung von alltagsintegrierter Sprachbildung nicht ausreicht, pädagogischen Fachkräften Sprachlehrstrategien zu vermitteln, sondern der Fokus auf die interaktive Einbindung der Sprachlehrstrategien gelenkt werden sollte. Dieser Aufgabe wurde in der Diskussion um die alltagsintegrierte Sprachbildung noch nicht hinreichend Beachtung geschenkt.

Im ersten Abschnitt dieses Beitrages wird der Bezugsrahmen für die Analyse der Fachkraft-Kind-Interaktionen erläutert. Daran anschließend werden in Abschnitt 2 zunächst die methodischen Zugänge der Untersuchung und in Abschnitt 3 die Ergebnisse der qualitativen Videoanalysen mit Bezug auf die grundlegenden Interaktionstypen sowie die Bedeutung sprachlicher Mittel für die Herstellung von Dialogen als intersubjektive Gesprächssequenzen vorgestellt. Im vierten Abschnitt wird das untersuchte Material abschließend hinsichtlich der Frage beleuchtet, inwieweit die hier eingesetzten Analyseinstrumente und methodischen Strategien neue Einsichten in die Muster sprachförderlichen Handelns von pädagogischen Fachkräften ermöglichen.

1             Theoretisch-empirischer Bezugsrahmen


Zahlreiche Studien verweisen auf die Bedeutung gelingender Interaktionen zwischen Fachkräften und Kindern für eine positive soziale wie kognitive Entwicklung von Kindern (vgl. Anders, 2013; Wertfein, Wildgruber, Wirts & Becker-Stoll, 2017). Forschungsergebnisse aus dem deutschsprachigen (Kammermeyer, Roux & Stuck, 2011; Koch, 2011) und internationalen Raum (Leseman, Rollenberg & Rispens, 2001; Mashburn et al., 2008) liefern zudem quantitative Evidenzen für den lernförderlichen Einfluss von Fachkraft-Kind-Gesprächen auf die frühkindliche Sprachentwicklung.

In der Frage der pädagogischen Gestaltung dieser sprachförderlichen Interaktionen gewinnt der Diskurs um Sprachlehrstrategien an Bedeutung (vgl. Kucharz, Mackowiak & Beckerle, 2015; Löffler & Vogt, 2015). Darunter werden Fördertechniken verstanden, die das Kind dabei unterstützen, die im Sprachangebot enthaltenen grammatischen und pragmatischen Regeln möglichst gut zu erkennen und sie für eigene sprachliche Produktionen zu nutzen (vgl. Ritterfeld, 2000). Dabei wird von einem Modell der Vermittlung sprachlicher Strukturen ausgegangen, gemäß dem der Empfänger sprachlicher Äußerungen die in ihnen enthaltenen Konzepte am besten entschlüsseln kann, wenn diese an seine Lernvoraussetzungen angepasst sind (vgl. Donato, 1994; Ricart Brede, 2011). Hierzu leisten die in Tabelle 2.1 in einer Übersicht5 dargestellten Sprachlehrstrategien einen essenziellen Beitrag. Die Lernwirksamkeit des Sprachangebots hängt jedoch nicht allein vom Einsatz der Sprachlehrstrategien ab. Genauso wichtig sind die Interaktionen selbst, durch welche die Kinder an der Organisation des für sie passenden ›Inputs‹ – letztlich auch an der Auswahl der für sie geeigneten Strategien – beteiligt sind (Dannenbauer, 1999).

Zugespitzt könnte man sagen, dass das Sprachförderpotenzial pädagogischer Interaktionen vom Einsatz der Sprachlehrstrategien abhängt, dass aber umgekehrt deren Effektivität von der dialogischen Qualität der Interaktionen mit beeinflusst wird. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach den Wechselwirkungen zwischen dem Einsatz von Sprachlehrstrategien und dem Charakter der Interaktionen, deren Bestandteil sie sind. Die bisherigen Befunde hierzu sind jedoch lückenhaft (vgl. Hormann & Skowronek, 2019).

In einer quantitativ ausgerichteten Studie (ebd.) im Rahmen des FDS-Projekts können Hormann und Skowronek zeigen, dass nicht alle in Tabelle 2.1 aufgeführten Strategien gleichermaßen dafür geeignet sind, langanhaltende Dialoge6 herzustellen. Als wirksame Einflussgrößen erwiesen sich Modellierungs- und Korrekturtechniken, geschlossene Fragen und Wiederholungstechniken. Aus quantitativer Perspektive musste die Frage offenbleiben, warum diese Strategien wirksam mit den Dialogstrukturen zusammenhingen und andere, ebenfalls getestete Fördertechniken (z. B. Parallelsprechen oder die Ergänzungsfragen) nicht. Und für offene Fragen, deren Wirkung auf die Antwortbereitschaft von Kindern bereits nachgewiesen werden konnte (u. a. de Rivera, Girolametto, Greenberg & Weitzman, 2005; Röhner, Li & Hövelbrinks, 2010), findet Hormann (2020) – ebenfalls mit quantitativen Daten – Evidenzen dafür, dass die tatsächliche Sprachwirksamkeit der Fragen erheblich davon abhängt, an welcher Stelle des Dialogs sie gestellt werden. Je weiter der Dialog vorangeschritten war, desto ausführlicher antworten Kinder auf offene Fragen. Doch auch hier sind die wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen der Effektivität dieser Sprachlehrstrategie und den umgebenden Gesprächssequenzen bzw. Handlungsrahmen noch nicht hinreichend untersucht.

Tab. 2.1: Übersicht der Sprachlehrstrategien mit Beispielen
Quelle: O. Hormann & M. Skowronek (2019). Wie adaptiv ist der Einsatz von Sprachlehrstrategien in KiTas? Ergebnisse einer Videoanalyse. Frühe Bildung 8(4), S. 194–199. Hier S. 195.

Anmerkung: FK = Fachkraft; K = Kind

Um diese Forschungsleerstelle zu füllen, werden im vorliegenden Beitrag zwei unterschiedliche methodische Zugänge – die dokumentarische (vgl. u. a. Bohnsack,...

Erscheint lt. Verlag 15.4.2020
Co-Autor Janin Brandenburg, Tim Brosowski, Necle Bulut, Pia Claes, Peter Cloos, Jan-Henning Ehm, Kathrin Gabler, Anika Göbel, Evghenia Goltsev, Ilonca Hardy, Sofie Henschel, Birgit Heppt, Rosa Hettmannsperger, Oliver Hormann, Sina Simone Huschka, Katja Koch, Diemut Kucharz, Alina Lausecker, Valerie Lemke, Rabea Lemmer, Markus Linnemann, Claudia Mähler, Susanne Mannel, Nicole Marx, Kristina Schierbaum, Petra Schulz, Merle Skowronek, Christine Sontag, Torsten Steinhoff, Sabine Stephany, Katharina Voltmer, Maria von Salisch
Mitarbeit Herausgeber (Serie): Michael Becker-Mrotzek, Hans-Joachim Roth, Marcus Hasselhorn, Petra Stanat
Zusatzinfo 19 Abb., 16 Tab.
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Pädagogik
Schlagworte Bildung • Schrift • Sprache
ISBN-10 3-17-036336-0 / 3170363360
ISBN-13 978-3-17-036336-6 / 9783170363366
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