Das Glück ist grau (eBook)

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2020 | 1. Auflage
416 Seiten
DuMont Buchverlag
978-3-8321-7038-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Glück ist grau -  Christopher McDougall
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Vom Autor des Bestsellers BORN TO RUN Warme Augen, vorwitzige Ohren, die Hufe eines Champions und das Herz eines Helden: Das ist Sherman. Doch der kleine Esel strotzte nicht immer vor Lebensfreude - ganz im Gegenteil. Als Christopher McDougall ihn bei sich aufnimmt, ist er so stark verwahrlost, dass kaum jemand an sein Überleben glaubt. Fest entschlossen, Sherman seinen Lebenswillen zurückzugeben, fasst McDougall den wahnwitzigen Plan, ihn für Eselrennen auszubilden, wie man sie in den Rocky Mountains veranstaltet. Auf seinem Weg zum selbstbewussten Läufer wird Sherman von McDougalls Familie, Freunden, Nachbarn und ein paar seiner Artgenossen begleitet. Und erweist sich dabei für einige seiner Gefährten als Quelle des Trostes und der Unterstützung. Christopher McDougall gelingt es, ein authentisches Bild des ländlichen Amerikas zu zeichnen - lebendig, liebevoll, unverkitscht. Und er führt uns vor Augen, was die meisten von uns verloren haben: die jahrtausendealte enge Verbindung von Mensch und Tier.

Christopher McDougall arbeitete als Kriegsberichterstatter in Ruanda und Angola, bevor er seinen Bestseller >Born to Run< schrieb. Seine Faszination für die Grenzen des menschlichen Potenzials führte ihn zur Entwicklung der Web-Serie >Art of the Hero< des Outside Magazins. Er lebt mit seiner Frau, zwei Töchtern, Sherman und einer bunten Mischung aus Bauernhoftieren in Lancaster County, Pennsylvania.

KAPITEL 1

Ein Schatten in der Dunkelheit

In dem Moment, als der Pick-up in unsere Einfahrt einbog, wusste ich, dass etwas nicht stimmte. Ich hatte seit über einer Stunde auf Wes gewartet, und noch bevor er anhielt, verriet mir sein Blick, dass ich mich wappnen musste.

»Sieht übel aus«, sagte Wes, als er aus dem Wagen stieg. »Es geht ihm weit schlechter, als ich dachte.« Ich kenne Wes schon seit mehr als zehn Jahren, fast seit jenem Tag, als meine Frau Mika und ich unser Leben in Philadelphia aufgaben, um auf eine kleine Farm im Siedlungsgebiet der Amischen in Pennsylvania zu ziehen, und ich hatte ihn noch nie so ernst gesehen. Zusammen gingen wir zur Rückseite des Wagens und öffneten die Anhängertür.

Ich warf einen Blick hinein, dann griff ich sofort nach dem Handy in meiner Tasche. Zum Glück war die Nummer gespeichert.

»Scott, du musst sofort herkommen. Sieht echt schlimm aus.«

»Okay«, antwortete Scott. »Sorgt dafür, dass er es bequem hat; ich komm dann morgen früh vorbei.«

»Ja. Nein. Ich glaube, du solltest, äh …« Ich schwieg kurz und versuchte, den Knoten in meiner Zunge zu lösen. Zwar war Scott der Experte und nicht ich, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass uns nicht mehr so viel Zeit blieb, um etwas auszurichten. Ich versuchte, ihm zu beschreiben, was ich vor mir sah.

In dem Anhänger stand ein grauer Esel, dessen Fell so kotverkrustet war, dass sein eigentlich weißer Bauch schwarz war. Es gab viele kahle Stellen in seinem Fell, an denen wunde Haut zum Vorschein kam, die höchstwahrscheinlich von Parasiten befallen war. Sein Körper war von Mangelernährung aufgetrieben wie ein Fass, das Maul eine einzige Katastrophe; ein Zahn war so verfault, dass er ausfiel, als ich ihn berührte. Aber das Schlimmste waren seine Hufe, die so grässlich lang gewachsen waren, dass sie eher wie Klauen aussahen.

»Im Ernst, Scott. Du solltest ihn dir ansehen.«

»Keine Sorge«, entgegnete Scott. »Ich hab schon so ziemlich alles gesehen. Bis morgen.«

Der Esel gehörte eigentlich einem Mitglied von Wes’ Gemeinde. Wes ist ohnehin schon ein unglaublich netter Mensch, und darüber hinaus ist er als Mennonit verpflichtet, jedem Menschen – oder eher, wie dieser Fall zeigte, jeder Kreatur – in Not zu helfen. Er hatte mitbekommen, dass ein Angehöriger seiner Kirchengemeinde ein Tierhorter war und in einer verfallenen Scheune unter erbärmlichen Bedingungen Ziegen und einen Esel hielt. Der Mann war arbeitslos, und auch seine Familie litt unter seinem Messie-Syndrom; Geld, das dringend für Lebensmittel und Miete gebraucht wurde, ging stattdessen für Tierfutter drauf. Wes und mehrere Kirchenälteste hatten ihn zu überreden versucht, sich von seinen Tieren zu trennen, aber er hatte nichts davon wissen wollen. Schließlich strapazierte Wes seine eiserne Wahrheitsliebe, soweit es ihm möglich war. Wie wäre es denn, fragte er den Mann, wenn man die Tiere nur vorübergehend woanders unterbringen würde? Nur für zwei Jahre. Er könne sie bei einer guten Familie in Pflege geben, bis sie wieder gesund wären. So habe er die nötige Zeit, um eine Weide einzuzäunen und den Stall gründlich auszumisten. Das sei ja eigentlich auch keine Lüge, tröstete sich Wes, sondern eher eine Hoffnung – die Hoffnung, dass der Besitzer im Verlauf von zwei Jahren die armen Tiere vergessen und sein Leben wieder auf die Reihe kriegen würde.

»Willst du es nicht wenigstens versuchen?«, fragte Wes.

»Na schön«, sagte der Mann. »Aber es muss wirklich eine gute Familie sein.«

Wes machte sich sofort auf die Suche. Die Ziegen unterzubringen, war einfach – einen Gratis-Rasenmäher können die Leute in Lancaster immer gebrauchen –, einen Esel zu vermitteln, war dagegen verdammt schwer. Sie sind nicht nur berüchtigt dafür, störrisch und bissig zu sein und auszukeilen, sie sind auf einer Farm auch praktisch nicht zu gebrauchen. Man kann sie weder melken noch schlachten, in vielen Fällen nicht mal reiten. Sie durchzufüttern, kann teuer werden, von dem, was man für die Zahnpflege, die Entwurmung und die Impfungen berappen muss, ganz zu schweigen.

Warum also wollte ich ihn überhaupt aufnehmen?

Um ehrlich zu sein: Ich wollte das gar nicht. Nicht, nachdem ich ihn mir genauer angesehen hatte jedenfalls, so viel war sicher. Als Stadtmenschen ohne den geringsten Schimmer vom Farmleben hatten meine Frau und ich uns an ein paar Anfängertiere herangewagt. Das erste war eine streunende schwarze Katze, die einfach an der Hintertür auftauchte, und als sich herausstellte, dass sie überleben und bleiben würde, machten wir mit ein paar Hühnern hinter dem Haus weiter. Dann liehen wir uns von einem benachbarten Amischen ein Schaf aus, um zu sehen, wie wir damit zurechtkämen – ein bisschen wie Erstklässler, die die Klassenschildkröte übers Wochenende mit nach Hause nehmen dürfen. Wes gehört die Farm neben unserer, und als er mir erzählte, dass er einen Esel zu retten versuche, dachte ich: Warum nicht? Wir könnten ihn hinter dem Haus auf der Weide halten, und die Kinder könnten ihn mit Apfelkitschen füttern. Ich wollte Wes allerdings nichts versprechen, solange wir den Esel nicht mit eigenen Augen gesehen hatten, womit Wes einverstanden war; sein Besitzer sei ein bisschen schwierig und wolle mich auch erst mal kennenlernen.

Und so fuhr ich eines Nachmittags mit meinen beiden kleinen Töchtern zum Haus des Eselbesitzers. Insgeheim hatten die Mädchen und ich, schon bevor wir ins Auto stiegen, beschlossen, dass wir das Tier, wenn es nicht völlig durchgeknallt und tobsüchtig war, mit nach Hause nehmen würden. Auf der Fahrt überlegten wir, wie wir Mika davon überzeugen könnten und welchen Namen wir unserem zukünftigen Haustier geben würden.

»Schädelspalter?«

»Auf gar keinen Fall!«

»Zorro?«

»Nein! Na ja, vielleicht.«

Unser fröhliches Geplänkel erstarb schlagartig, als wir die Scheune erreichten. Sie war windschief, stand auf einem matschigen Feld und sah aus, als könnte sie beim kleinsten Nieser wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen. Wir gingen hinein, versuchten, in der Dunkelheit etwas zu erkennen und unsere Gummistiefel aus dem knöcheltiefen, schmatzenden Matsch zu ziehen. Am Vortag hatte es geschüttet wie aus Eimern, und eine der Boxen war überflutet, sodass zwei Ziegen sich auf Strohballen geflüchtet hatten, um nicht im Wasser stehen zu müssen. Neben den Ziegen befand sich eine weitere Box, die dunkel und eng war wie eine Gefängniszelle. Das Wesen darin ließ sich vor der schwarzen Wand kaum ausmachen. Der Besitzer lockte es mit einer Handvoll Futter an.

Zögernd löste sich ein Schatten aus der Dunkelheit. Seine langen Ohren richteten sich auf und zuckten nervös, während er einen Schritt in unsere Richtung machte. Der Esel stand fast bis zu den Knien in Mist und verfaultem Stroh und hatte in dem engen Verschlag kaum genug Platz, um sich umzudrehen. Der Mann gab meiner Tochter Futter, und sie hielt es dem Esel hin, der den Hals reckte und es vorsichtig von ihrer Handfläche knabberte. Wir starrten ihn schweigend an. Unsere Freude über das neue Haustier war wie weggeblasen; jetzt ging es uns nur noch darum, ihn hier rauszuholen.

Der Besitzer erklärte sich tatsächlich dazu bereit, ihn uns zu überlassen, doch über Nacht änderte er seine Meinung. Als Wes am darauffolgenden Morgen mit dem Anhänger bei ihm vorfuhr, schaltete der Mann auf stur und sagte, der Esel gehöre zur Familie und die Familie müsse zusammenbleiben.

»Aber es ist doch nur, bis es ihm wieder besser geht. Nur für zwei Jahre«, redete Wes auf ihn ein, bis der Mann schließlich nachgab und die Tür des Verschlags öffnete. Erst jetzt entdeckte Wes, dass die Hufe des Esels so verformt waren, dass er kaum laufen konnte. Zusammen bemühten sich Wes und der Besitzer, das kranke Tier Schritt für Schritt aus der dunklen Scheune ans Tageslicht und in den Anhänger zu bugsieren.

»Wie sollen wir ihn aus dem Anhänger bekommen, wenn er nicht laufen kann?«, fragte ich Wes und fürchtete mich fast davor, dass er eine Antwort haben könnte. Ich hielt den Atem an und hoffte insgeheim, er würde sagen, es sei aussichtslos und er müsse den Esel rasch zu einem Gnadenhof oder einer Notstation für Tiere bringen – oder wo auch immer man sich um die hoffnungslosen Fälle kümmert.

»Langsam, schätze ich«, antwortete Wes. Er griff nach dem abgewetzten grünen Halfter des Esels und zog ihn behutsam vorwärts. Und was sollte ich tun? Mich hinter ihn stellen und schieben? Das erschien mir dann doch ein bisschen zu aggressiv. Außerdem wusste ich genug über Esel, um zu ahnen, dass ich dadurch einen wütenden Tritt vors Knie riskierte. Oder sollte ich ihn vielleicht anheben?

Ich umfasste mit beiden Armen den Bauch des Esels und versuchte auf diese Weise etwas ungeschickt, seine kranken Hufe zu entlasten. Beim kleinsten Anzeichen von Gegenwehr hätte ich sofort losgelassen, aber selbst dafür fehlte ihm anscheinend die Kraft. Der Esel sah benommen aus, eher wie ein stockfleckiges Stofftier vom Dachboden und nicht wie ein lebendiges Wesen. Zögernd setzte er einen Huf vor den anderen und rührte sich nur, wenn wir ihn dazu drängten; wenn nicht, blieb er einfach stehen, als könnte er sich nicht mehr daran erinnern, wie man selbstständig denkt und geht. Nachdem wir das Ende der Rampe erreicht hatten, machte er sich nicht mal über das saftige grüne Gras her; er erstarrte einfach wieder zum Stofftier, blieb stehen und ließ den Kopf hängen.

Wes musste los. Bei ihm zu Hause warteten hundertfünfzig Milchkühe darauf, gemolken zu werden, und die Befreiungsverhandlungen mit dem Besitzer des Esels hatten ihn in...

Erscheint lt. Verlag 22.9.2020
Übersetzer Simone Jakob, Anne-Marie Wachs
Sprache deutsch
Original-Titel ›Running with Sherman. The donkey with the heart of a hero‹
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Esoterik / Spiritualität
Sachbuch/Ratgeber Sport
Schlagworte Amerika • Amische • Autobiografie • Bauernhof • Belletristik • Bob der Streuner • born to run • bücher übers laufen • Bücher über Tiere • burro-rennen • Depression • donkey • Erfüllung • Esel • Eselbuch neu erschienen • eselrennen • eseltouren • Familie • Freundschaft • Gefährten • Gemeinschaft • geschichte über esel • grüngraues Cover mit Esel • Haustiere • heilkraft der tiere • Hilfe für Tiere • Katze • Landschaft • Laufen • leben mit esel • Leben mit Tieren • Lebensaufgabe • Lebenssinn • macDougell • Marathon • Marley und ich • mcdougel • Mensch-Tier-Beziehung • Mensch und Tier • Nachbarschaft • Nature writing • Neustart • Penguin Bloom • Pferdebuch • Pferdeflüsterer • Rocky Mountains • Roman • Schicksalsschlag • Sherman • shermann • Sinnsuche • Tapferkeit • tierhorter • tierisches familienmitglied • Tierliebe • Tiermemoir • Tierpflege • Tierrettung • Treue • Verbindung Mensch und Tier • verwahrloste tiere • volle kanne • volle kanne buchhempfehlung • volle kanne esel • Wandern mit Eseln • wohlfühlbücher
ISBN-10 3-8321-7038-3 / 3832170383
ISBN-13 978-3-8321-7038-7 / 9783832170387
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