Der Placebo-Effekt - Wie die Seele den Körper heilt -  Manfred Poser

Der Placebo-Effekt - Wie die Seele den Körper heilt (eBook)

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2020 | 1. Auflage
256 Seiten
Crotona Verlag
978-3-86191-155-5 (ISBN)
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Kaum ein anderes Phänomen beschäftigt die medizinische Forschung der Gegenwart stärker als der sogenannte Placebo-Effekt. Er spielt eine entscheidende Rolle bei der Zulassung neuer Medikamente und bei der Erforschung der Wirkung nicht pharmazeutischer Faktoren auf die Heilung. Manfred Poser entschlüsselt den Placebo-Effekt von seinen Anfängen her und diskutiert die neuesten Erkenntnisse der modernen Heilungsforschung. Er analysiert das gesamte Umfeld, in dem sich der Placebo-Effekt abspielt, und lenkt sein Augenmerk vor allem auf den Einfluss geistig-seelischer Faktoren. Dieses Buch richtet sich einerseits an Menschen in allen Heilungsberufen, gibt andererseits aber jedem Einzelnen entscheidende Hinweise, wie die gewaltige Kraft, die sich im Placebo-Effekt offenbart, für die eigene Heilung genutzt werden kann. Ein medizinischer Ratgeber, der eine neue Dimension im Heilwissen der Menschheit erschließt!

2: Die überschätzte Arznei


 

Die Pille, global betrachtet


 

Die Pille ist sicher die klassische Form, in der Arznei gereicht wird. Sie stellen wir nun in den Mittelpunkt. Sie ist, wie der Placebo-Effekt, eindeutig demonstriert, ein Vehikel, das nur innerhalb eines therapeutischen „Drumherums“, im Sinne des „Heilens im Kontext“, ihre Wirkung entfalten kann. Sie (die Pille) transportiert die heilende Substanz in den Körper, wie die Hostie bei der christlichen Eucharistie das mit heiliger Substanz tut, weshalb sie früher „Medikament [phármakon] der Unsterblichkeit“ hieß. Die Transsubstantiation – also die Wandlung von Wein und Hostie zu einer geistigen Speise – geschieht symbolisch in der Arztpraxis, wenn der Arzt oder die Ärztin das Rezept ausfertigt. Das beglaubigt den Pakt: Du wirst gesunden. Nimm hin, meine Tochter, und gehe in Frieden. Sie hat nun etwas in der Hand, Brief und Siegel auf den Heilungspakt. Doch bis die rettende Substanz eingenommen werden kann, wird noch der Gang zum Apotheker fällig.

Im Mittelalter gab es die „Ess-Zettel“, auf die man einen Wunsch schrieb und sie dann verzehrte, um sich die Bedeutung einzuverleiben. Das Wort, der „logos“, war zentral. Emotionen können vielleicht die Wirkung von Nahrung verändern, indem sie diese mental aufladen. Die Pille ist auch eine Art Speise, und in einer psychoanalytischen Theorie wurde sie mit der Muttermilch gleichgesetzt.

 

Was drinsteckt


 

Der Erzähler Wolfdietrich Schnurre hat einmal über Lyrik geschrieben: „Sie hat Kapsel-Charakter. Umschließt, was man meint.“27 Bei Kleist, fast 200 Jahre früher, müssen die Wörter den „Geist einhüllen“ und dafür sorgen, dass „der Gedanke, den sie einschließen, erscheine“, was fast gleichlautend auch Herder gesagt hat: „Wörter sind nicht bloß Zeichen, sondern gleichsam die Hüllen, in welchen wir die Gedanken sehen.“ Im Inneren ist also die heilende Substanz, ist der Geist und der Gedanke; das Wort (die Substanz) muss auf fruchtbaren Boden fallen, es kommt zu einer Begegnung wie bei Michelangelo, wo Gottvater mit seinem Zeigefinger den Finger des liegenden Menschen berührt – mit großen Folgen.

Goethe hat in seiner „Italienischen Reise” über ein „Büchlein“ geschrieben, man nehme es „wie andere für Speise, da es eigentlich die Schüssel ist. Wer nichts hineinzulegen hat, findet sie leer.“28 Das Leermedikament. Oder ist die Schüssel etwa auch voll? Brian Molko, Sänger der englisch-luxemburgischen Rockband „Placebo“, sagte über deren Album „Loud Like Love“ von 2013, es „gehört mir nicht mehr. Jeder kann darin finden, was er will.“ In den 1990er Jahren benannten sich englische Bands nach Drogen, und die Alternative war die Band Placebo, deren zweites Album an das Nichts erinnerte, das beim Placebo immer durchschimmert: „Without You I’m Nothing“: Ohne dich bin ich nichts. Ein französischer Artikel über die Band hatte den hübschen Titel: „Placebo wiederholt uns den Effekt.“

Ist eine Placebo-Pille (und eine „echte“ Pille) ein Schlüssel, der aufschließt? Viele bekommen denselben Schlüssel (dieselbe Pille) – und alle gesunden. Das ist das eigentliche Heilungswunder. Dieser Schlüssel wirkt wie ein Zauberwort oder wie ein Zauberstab, den das wahre Wort begleitet – wie bei Harry Potter. Auch an das Zepter wäre zu denken, das Symbol des Herrschers, das an den Stab mit den gewundenen Schlangen erinnert, den Äskulap-Stab oder Heroldsstab, den der Bote Hermes oder der „Hochzeitslader“ mit sich trägt.

 

Vermittler und Fetisch


 

Die Pille ist jedenfalls ein Vermittlungsobjekt, das Heilkraft vom Therapeuten zum Patienten überträgt. Das „Mittel“ als Wirksubstanz ist ja nur eine Abwandlung des „Mittlers“, der wiederum nichts anderes ist als das „Medium“, ob als paranormal begabte Person oder als Fernsehen, Radio und Zeitungen, die Medien zwischen der verwalteten Welt und den Bürgern.

Die Pille ist also eine Botschafterin, ist das Medium zwischen Heiler und Kranken und nimmt eine derart große Bedeutung ein, dass in ihr, der Pille, das wertvolle Heilritual und sogar die Heilung konzentriert und verdinglicht erscheint. Die Placebo-Pillen werden auch in vertrauten Schächtelchen ausgeliefert, auf denen womöglich „P-Tablette“ steht, und unter Inhaltsstoffe heißt es dann: „Lactose-Monohydrat, Magnesiumstearat, Kartoffelstärke“ etc.

In der alten Zeit gab es Priester-Ärzte, die sich als Zwischenhändler in Städten zu den Heilgöttern begaben, um deren Schutz auf den Wohnort ihrer Klienten und diese selbst herabzuflehen. In der französischen Region Poitou versahen meist alte Frauen den Dienst, zwischen dem Grab der wundertätigen heiligen Radegonde und dem Aufenthaltsort derer zu pendeln, die nicht reisen konnten oder wollten.

Bisweilen konnte sogar ein Dritter geheilt werden. Christus tat dies auf das Bitten von jemandem, und der Bittende war auf dem Prüfstand, sein Glaube war entscheidend. In der Magie des Mittelalters behandelte man das Schwert, das die Wunde geschlagen hatte, und es galt das „pars pro toto“: Ein Blutstropfen des Kranken oder eines seiner Haare konnte behandelt werden, auch wenn sich der Patient hunderte Kilometer entfernt aufhielt, und so hielten das auch manche Indianerstämme. Analog dazu konnte eine Haarsträhne der Hildegard von Bingen einen Kranken heilen, wenn sie ihm auf die Brust gelegt wurde, und vermutlich genügte es, wenn er glaubte, dass die Strähne von Hildegard stammte.

Im Mittelalter glaubten die Menschen zwar, dass Gott die Wunder bewirkte – und dennoch riefen sie Heilige an, wenn sie sich Wunder wünschten. Diese waren „die idealen Kandidaten für die Vermittlung“, Mittler also zwischen Gott und dem Menschen wie sonst nur die Priester.29 Der klassische Bote Hermes bewegt sich in einem Zwischenreich zwischen Nichtsein und Sein, und Karl Kerenyi schrieb so pathetisch, wie man vor hundert Jahren schrieb: „Der Urbote und -Mittler bewegt sich zwischen dem absoluten Nein und dem absoluten Ja (Tod und Leben) … Er steht da auf einem Grund, der keiner ist, und schafft den Weg.“30

Hermes, der Totenbeschwörer und Geleiter der Toten in den Hades, hält seinen schönen goldenen Stab vor sich hin. Bei den Römern hieß er Merkur (das Bewegte, der „Geist“ der Alchemie), und er war der Gott der Händler und der Diebe, immer gewitzt, und laut Horaz hat er „die thessalischen Wachtfeuer und die Troja feindlichen Lager umgangen“. Dem Boten eignet also immer etwas Zwielichtiges, der Betrug spielt immer mit. Das Medikament (oder das Placebo) verspricht und verheißt etwas, doch der Empfänger der Botschaft muss ihr Glauben schenken …

Bei indigenen Völkern sorgt für die Vermittlung der Fetisch oder sorgen die Fetische, die für kleine Götter stehen, denn der Große Schöpfer ist unerreichbar weit weg und unansprechbar. „Was sind Medikamente für uns?“, fragt der französische Psychiater Jean-Louis Chassaing. „Haben wir sie nicht zu einem Fetisch gemacht?“ Auch die Pille ist ein Stellvertreter der Heilgottheit. Der Fetisch, der nur ein angebeteter Teil ist, wirkt auch nur auf einen Teil. Jeder Heilige war oft nur für ein spezielles Leiden zuständig.

So ist das auch mit den Pillen. Sie wirken nach Meinung ihrer Befürworter spezifisch und werden für Sonderaufgaben eingesetzt. Es gibt so viele von ihnen und so viele Produkte in dieser Gesellschaft. Je mehr es gibt, desto mehr wollen sie sich voneinander abheben. Marx sprach vom Warenfetischismus; und der Fetischismus verehrt einen Teil, den er für das Ganze nimmt. Diese westliche Gesellschaft ist hoch spezialisiert und hat das Ganze aus dem Blick verloren.

Ein Placebo wirkt unspezifisch, was nur ein Ausdruck dafür ist, dass wir nicht genau wissen, worauf und wie es wirkt. Aber auch beim echten Mittel treten unspezifische Wirkungen auf, man kann sie nicht ausschließen. Diese Unklarheit ist den Pharmazie-Anhängern ein Gräuel. Sie sind wie Ödipus, der auf das Rätsel der Sphinx eine klare Antwort wusste. Die Sphinx lässt alles offen, und ihre Antwort lässt den hoffen, der hoffen kann. Ödipus legt sich fest (und begreift dann doch nicht, was abläuft). Die neue Physik jedoch gibt der Sphinx recht. Die Welt ist nichtlinear und chaotisch, nicht eindeutig und binär, wie es Ödipus gern gehabt hätte. Darum gibt es auch keinen eindeutigen Weg, der zum Placebo-Effekt führt. Auch die Therapie kann unspezifisch sein, denn vieles kann helfen, und Kreativität hilft immer. Das Wie ist wichtiger als das Was.

Das Placebo ist eher ein Roman, denn wir sind im Unklaren, die Handlung ist nicht wirklich passiert (hat keinen „Referenten“ in der Außenwelt), und ihre Wirkung auf die Leser ist eine symbolische, nicht auslotbare. Das „Verum“ wäre ein Sachbuch, das behauptet, etwas Bestimmtes über diese Welt auszusagen, und dies tut es in unmissverständlicher, profaner Sprache. Als die Poesie noch geschätzt wurde, konnte der italienische Dichter Giacomo Leopardi sagen, die poetische Sprache bestehe darin, „unbestimmt“ zu sprechen oder „nicht genau bestimmt“ und immer „weniger bestimmt als das prosaisch-vulgäre Sprechen“. Das Placebo: Unspezifisch wie Lyrik und die Sphinx; das Verum: Spezifisch und klar wie Prosa und Ödipus, wenngleich diese Klarheit über viel Unklarheit hinwegtäuscht.

Die echte Arznei ist geschriebene Sprache, die trotz der vierlei Kombinationen von Wörtern ein grobes Instrument bleibt. Aussagen schwarz auf weiß wollen klar sein, lassen aber Missverständnisse zu – Nebenwirkungen. Das Placebo ist die gesprochene Sprache, die durch Andeutungen, Mimik und Tonfall weitaus...

Erscheint lt. Verlag 3.4.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Esoterik / Spiritualität
ISBN-10 3-86191-155-8 / 3861911558
ISBN-13 978-3-86191-155-5 / 9783861911555
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