Die Frist (eBook)

Eine Komödie
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2020 | 2. Auflage
160 Seiten
Diogenes (Verlag)
978-3-257-60849-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Frist -  Friedrich Dürrenmatt
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»Ein alter Tyrann liegt im Sterben. Inszenierung und Zeitpunkt seines Todes liegen jedoch in den Händen verschiedener Fraktionen: da sind die Alten, die ihn in den Jahren seiner Herrschaft umgeben haben; die revolutionäre, die religiöse, die monarchistische Fraktion; die bürokratische und technologische und schließlich die Medizin selbst. Jede Fraktion hat ihre eigenen machtpolitischen Gründe für eine Verkürzung oder Verlängerung der Sterbezeit des Tyrannen. Dürrenmatt stürzt sich in diesem Stück mehr auf die groteske Wirklichkeit als auf irgendwelche erfundenen Gräßlichkeiten. Immerhin, es gibt noch Platz für Phantastisches. Die unheimlichsten Momente sind jene, in denen die maskierten Matriarchinnen ihren Auftritt haben, gekleidet wie die spanische Königsfamilie auf den historischen Porträts von Goya. Seit einst die Hexen in Macbeth über ihrem Kessel kauerten, sind keine solchen Ungeheuer über die Bühne gegangen.«

Friedrich Dürrenmatt wurde 1921 in Konolfingen bei Bern als Sohn eines Pfarrers geboren. Er studierte Philosophie in Bern und Zürich und lebte als Dramatiker, Erzähler, Essayist, Zeichner und Maler in Neuchâtel. Bekannt wurde er mit seinen Kriminalromanen und Erzählungen ?Der Richter und sein Henker?, ?Der Verdacht?, ?Die Panne? und ?Das Versprechen?, weltberühmt mit den Komödien ?Der Besuch der alten Dame? und ?Die Physiker?. Den Abschluss seines umfassenden Werks schuf er mit den ?Stoffen?, worin er Autobiografisches mit Essayistischem verband. Friedrich Dürrenmatt starb 1990 in Neuchâtel.

Friedrich Dürrenmatt wurde 1921 in Konolfingen bei Bern als Sohn eines Pfarrers geboren. Er studierte Philosophie in Bern und Zürich und lebte als Dramatiker, Erzähler, Essayist, Zeichner und Maler in Neuchâtel. Bekannt wurde er mit seinen Kriminalromanen und Erzählungen ›Der Richter und sein Henker‹, ›Der Verdacht‹, ›Die Panne‹ und ›Das Versprechen‹, weltberühmt mit den Komödien ›Der Besuch der alten Dame‹ und ›Die Physiker‹. Den Abschluss seines umfassenden Werks schuf er mit den ›Stoffen‹, worin er Autobiografisches mit Essayistischem verband. Friedrich Dürrenmatt starb 1990 in Neuchâtel.

Zweiter Teil


Vier Wochen später. Der Thronsaal hat sich auf eine gespenstische Weise verändert. Es ist, als hätte sich vor das alte Bild ein neues Bild geschoben, durch welches das alte schimmert. Zwar sind die alten Möbel noch da, auch der Sandsteinthron, der Schreibtisch, die Couch hinter dem Paravent, doch nun ist eine technische Welt eingebrochen; einerseits die medizinische: überall Mattscheiben mit Röntgenbildern, Kontrollapparate, Ärzte, haufenweise Krankenschwestern, einige von ihnen verschwinden mit einem oder gar zwei Medizinern bisweilen hinter dem Paravent, andrerseits hat sich das Fernsehen breitgemacht: Scheinwerfer, Kabel, Kameras, Techniker. Vor dem Publikum sind an der Rampe einige Fernsehapparate aufgestellt, mit der Mattscheibe gegen die Bühne. Zu Beginn des zweiten Teils ist eine Massenszene bei ständigem Lichtwechsel. Zwar ist der Lüster nun erloschen, dafür leuchten die Scheinwerfer. Wer vom immer noch lebenden, schwer leidenden Generalissimus kommt oder zu ihm geht, wird von Fernsehkameras verfolgt; dann ist das Licht gleißend. Wer hineingeht, wird geschminkt, wer herauskommt, wird abgeschminkt. Wo dies geschieht, Probleme der Regie, nicht meine, am besten je nach Notwendigkeit der Bühne. Die Mattscheiben der Röntgenfotos dagegen und die Herz- und Hirnüberwachungsapparate werfen ein – gegenüber den Scheinwerfern – geradezu humanes Licht. Zu Beginn sind der Herzog von Saltovenia und der Herzog von Valdopolo immer noch mit Fußball beschäftigt. Sie sitzen links vorne, unter der Zentnerlast ihrer Orden fast zusammenbrechend, eng zusammengerückt und nehmen in einem Zuber ein gemeinsames Fußbad. In der Mitte, auf dem Kanapee, räkeln sich die Professoren Goethel und Gnägelmann, zwei dicke Kolosse in grüner und blauer Chirurgentracht. Goethel mit Schmissen und Glatze, Gnägelmann mit gewaltiger Hornbrille und kurzgeschnittenem rotem Haar. Bisweilen sprechen sie Dialekt, doch sonst reines Deutsch. Um die beiden Professoren herum haben sich Champagnerflaschen angesammelt. Vor dem Schreibtisch sitzt untröstlich der Erzbischof im roten Kardinalsgewand, ein prachtvoller Bariton, sein linkes Bein und sein Kopf verbunden, die Mitra auf einem Stuhl. Hinter dem Schreibtisch läßt sich Exzellenz von James einseifen. Ferner irgendwo im Hintergrund der Staatssekretär Sebulon.

ERZBISCHOF stöhnt

Unser Kopf.

EXZELLENZ

Was brauchten Sie auch zu den Klapperschlangen hineinzustürmen, Erzbischof.

ERZBISCHOF

Um mit den alten Damen für den Generalissimus zu beten.

EXZELLENZ

Die schäumen vor Wut, weil er noch nicht gestorben ist. Genug eingeseift, James.

ERZBISCHOF

Die Unseligen stürzten sich Harpyien gleich auf uns. Stöhnt Unser Bein.

EXZELLENZ

Zum Glück mangelte es nicht an Ärzten, Sie zusammenzuflicken.

Aus dem Fernsehgerät die Stimme des betenden Nostromanni.

NOSTROMANNI

Pater noster, qui es in coelis: sanctificetur nomen tuum.

ERZBISCHOF

Aufhören!

EXZELLENZ

Warum denn, Erzbischof, Nostromanni assistiert dem Kardinal hervorragend. Er spielt ihn an die Wand.

ERZBISCHOF

Einhalten!

NOSTROMANNI

– Adveniat regnum tuum. Fiat voluntas tua, sicut in coelo et in terra –

EXZELLENZ

Nostromanni ahmt Sie täuschend nach, Erzbischof.

ERZBISCHOF

Schluß damit!

EXZELLENZ

Er lispelt wie Sie.

ERZBISCHOF

Auf der Stelle verbieten! Sofort abbrechen!

EXZELLENZ

Ton abstellen, Sebulon.

SEBULON

Ton abstellen.

Goethel erwacht, als der Ton abgestellt wird.

GOETHEL

Wat brüllt det Männeken?

GNÄGELMANN erwacht

I verschtoh ne nöd. I verschtoh nüt.

GOETHEL

Was gurgeln Sie da, Collega?

GNÄGELMANN

Entschuldigung, nämlich ich habe Dialekt gesprochen. Eigentlich Mittelhochdeutsch, sprachhistorisch gesehen.

GOETHEL

Interessant, Collega. Prösterchen. Trinkt Gnägelmann zu.

GNÄGELMANN

Prost.

ERZBISCHOF

Eine Blasphemie!

GOETHEL

Hat sich der Gottesmann immer noch nicht abgeregt?

ERZBISCHOF

Das Sterben eines Menschen wird verhöhnt.

GNÄGELMANN

Ich verstehe die Landessprache nicht, Collega Goethel.

ERZBISCHOF

Die heiligen Sakramente werden mißbraucht.

GOETHEL

Skandal. Von Deutsch hat niemand einen blassen Schimmer.

GNÄGELMANN

Deutsch ist keine Weltsprache mehr.

ERZBISCHOF

Unsere heilige Kirche wird lächerlich gemacht.

GOETHEL

Gnägelmann, Gnägelmann, unsagbar, wo wir kulturell gelandet sind: Goethe und Thomas Mann sprachen noch ein Deutsch, das verstand der Kosmos. Da waren wir noch die geistige Weltmacht kat’exochēn.

GNÄGELMANN

Prost.

GOETHEL

Prösterchen.

Sie schlafen wieder ein.

Inzwischen beginnt James, Exzellenz zu rasieren.

EXZELLENZ

James, du gehst heute brutal mit mir um. Ich bin nicht der Generalissimus, und du bist kein Mediziner.

James wetzt das Messer noch einmal.

ERZBISCHOF

Exzellenz, Wir leugnen die Notwendigkeit dieser täglichen Fernsehreportagen ja nicht.

Sebulon erhebt sich im Hintergrund.

SEBULON

Die sensationellste Live-Übertragung seit der ersten Mondlandung. Nur ergreifender.

ERZBISCHOF

Wir bitten, nicht unterbrochen zu werden.

SEBULON

Verzeihung.

EXZELLENZ

Reden Sie weiter, Erzbischof, aber nur nicht aufregen: Hauptsache, daß James mich nicht schneidet.

ERZBISCHOF

Exzellenz, Wir bestreiten es nicht: Das Volk ist ergriffen mitzuerleben, wie ein Christ mit dem Tode ringt – und der Generalissimus ist ein Christ, das hat er stets betont. Wenn aber die Massenmedien den einsamen Kampf eines Menschen mit seinem Schöpfer manipulieren und neben dem Kardinal einen Schauspieler Unserer Maske –

EXZELLENZ

Kein Grund. Niemand manipuliert. Der Generalissimus leidet echt.

ERZBISCHOF

Aber Wir, Exzellenz, Wir sind nicht echt! Stöhnt. Unser Bein!

GNÄGELMANN wacht auf

Was den Kirchenvater wohl jetzt wieder in Rage bringt?

ERZBISCHOF

Unser Kopf! Beginnt verzweifelt herumzuhumpeln.

GOETHEL wacht auf

Ick jloobe, det Männeken betet inbrünstig.

GNÄGELMANN

Scheint nicht an uns Ärzte zu glauben.

GOETHEL

Unlogisch, Collega. Wer an Gott glaubt, glaubt auch an die Medizin. Drehen Sie mal den Knopf, Gnägelmann, ob der Generalissimus noch so schön stöhnt.

Gnägelmann dreht an einem Apparat. Durch einen Lautsprecher kommt Stöhnen.

GOETHEL

Stöhnt eindrucksvoll, Gnägelmann. Tönt prachtvoll.

GNÄGELMANN

Und das nach mehr als drei Wochen.

GOETHEL

Kammerkomplex phänomenal.

GNÄGELMANN

Nach einer Herztransplantation und einer Magenresektion.

GOETHEL

Chapeau. T-Wellen göttlich.

GNÄGELMANN

Nach der Amputation beider Beine –

GOETHEL

War eigentlich unnötig, Collega.

GNÄGELMANN

Arkanoff bestand darauf.

GOETHEL

Er wollte selber mal glänzen.

GNÄGELMANN

Die künstliche Niere zeigt wieder einmal, was sie kann.

GOETHEL

Hilft auch. Aber am meisten hilft der Glaube, Collega, der Glaube. Weil der Generalissimus stockkatholisch ist, hält er durch. Wir zwei Atheisten wären längst im Nirwana. Bin neugierig. Wenn sich der geistliche Rummel verzieht, na, greif ich heute abend mal ein bißchen ein, Collega, unter uns geflüstert. Ich nehme eine kleine Leberprobe vor. Zwar auch nicht nötig, aber nun, einen Helden haben wir nicht jeden Tag unter dem Messer.

Der Erzbischof hat einen Blick hinter den Paravent geworfen.

ERZBISCHOF

Nein! Nimmermehr!

GOETHEL

Jetzt jault der Gottesmann aber mächtig auf.

ERZBISCHOF

Gott, erbarme dich unser!

GOETHEL

Pathetisch, die Brüder, was? Prösterchen.

GNÄGELMANN

Prost.

Beide schlafen wieder ein. Im Lautsprecher weiter Stöhnen. Der Erzbischof kommt nach vorn.

ERZBISCHOF

Exzellenz! Auf diesen Palast konzentrieren sich die Gebete der Nation, und Wir sind ihrer unwürdig.

EXZELLENZ

Wie gehen Sie denn bloß wieder mit Ihren Nerven um, Erzbischof? Wenn Nostromanni Sie aufregt, werfen Sie doch einfach keinen Blick mehr auf den Bildschirm.

ERZBISCHOF

Wir warfen keinen Blick auf den Bildschirm, Wir warfen einen hinter den Paravent.

EXZELLENZ

Und?

ERZBISCHOF

Ein Arzt kopuliert mit einer Krankenschwester.

EXZELLENZ

Nun? Dreißig Ärzte und an die fünfzig Krankenschwestern versuchen mit allen medizinischen Künsten, unseren armen Generalissimus wieder aufzumuntern, und...

Erscheint lt. Verlag 16.3.2020
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Lyrik / Dramatik Dramatik / Theater
Schlagworte 20. Jahrhundert • Drama • Dürrenmatt • Klassiker • Komödie • Literatur • Machtkampf • Machtpolitik • Politik • Schweiz • Sterben • Theaterstück • Tod • Tyrann
ISBN-10 3-257-60849-7 / 3257608497
ISBN-13 978-3-257-60849-6 / 9783257608496
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