Herkules und der Stall des Augias / Der Prozeß um des Esels Schatten (eBook)
240 Seiten
Diogenes (Verlag)
978-3-257-60842-7 (ISBN)
Friedrich Dürrenmatt wurde 1921 in Konolfingen bei Bern als Sohn eines Pfarrers geboren. Er studierte Philosophie in Bern und Zürich und lebte als Dramatiker, Erzähler, Essayist, Zeichner und Maler in Neuchâtel. Bekannt wurde er mit seinen Kriminalromanen und Erzählungen ?Der Richter und sein Henker?, ?Der Verdacht?, ?Die Panne? und ?Das Versprechen?, weltberühmt mit den Komödien ?Der Besuch der alten Dame? und ?Die Physiker?. Den Abschluss seines umfassenden Werks schuf er mit den ?Stoffen?, worin er Autobiografisches mit Essayistischem verband. Friedrich Dürrenmatt starb 1990 in Neuchâtel.
Friedrich Dürrenmatt wurde 1921 in Konolfingen bei Bern als Sohn eines Pfarrers geboren. Er studierte Philosophie in Bern und Zürich und lebte als Dramatiker, Erzähler, Essayist, Zeichner und Maler in Neuchâtel. Bekannt wurde er mit seinen Kriminalromanen und Erzählungen ›Der Richter und sein Henker‹, ›Der Verdacht‹, ›Die Panne‹ und ›Das Versprechen‹, weltberühmt mit den Komödien ›Der Besuch der alten Dame‹ und ›Die Physiker‹. Den Abschluss seines umfassenden Werks schuf er mit den ›Stoffen‹, worin er Autobiografisches mit Essayistischem verband. Friedrich Dürrenmatt starb 1990 in Neuchâtel.
6. Im Hause des Herkules in Theben
Polybios bleibt rechts stehen.
Der Podiumsvorhang teilt sich.
Deianeira in einem griechischen Interieur. Sie sitzt auf einem griechischen Kanapee und bürstet die Löwenhaut.
DEIANEIRA
Die Heftigkeit tut mir leid, Polybios, mit der dich Herkules behandelt hat.
POLYBIOS
O bitte.
DEIANEIRA
Herkules schätzt dich. Seine Schale ist rauh, aber sein Herz ist gut.
POLYBIOS
Das ist auch das wichtigste.
DEIANEIRA
Dein Bein schmerzt wohl noch?
POLYBIOS
Hauptsache, daß ich kein Fieber mehr habe.
DEIANEIRA
Und was führt dich zu mir?
POLYBIOS
Der Präsident von Elis schrieb einen Brief.
DEIANEIRA
Der drollige Bauer, der von Herkules verlangt, er möge ihm das Land ausmisten? Ich mußte über diese Geschichte furchtbar lachen.
POLYBIOS
Ich hatte leider noch keine Gelegenheit dazu, Madame. Mein Bein.
DEIANEIRA
Natürlich, Polybios. Dein Bein.
Sie schweigt verlegen, bürstet weiter.
DEIANEIRA
Du meinst doch nicht etwa, wir hätten den Auftrag annehmen sollen?
POLYBIOS
Madame, in Anbetracht unserer Schulden –
Sie starrt ihn verwundert an.
DEIANEIRA
Wir haben Schulden?
POLYBIOS
In der Tat, Madame.
DEIANEIRA
Viele?
POLYBIOS
Wir werden von den Gläubigern belagert, und von den Betreibungen mag ich gar nicht erst reden. Wir stehen vor dem Konkurs, Madame.
Schweigen. Trotziges Bürsten.
DEIANEIRA
Ich verkaufe meinen Schmuck.
POLYBIOS
Madame, Ihre Steine sind nicht mehr echt. Wir waren gezwungen, sie durch falsche zu ersetzen. Nichts in diesem Hause ist mehr echt.
DEIANEIRA
Nur die Löwenhaut.
Sie schüttelt sie. Eine wahre Staubwolke breitet sich aus.
POLYBIOS hustet
Sehr wohl, Madame.
Deianeira bürstet weiter, hält dann inne.
DEIANEIRA
Wieviel bietet Augias?
POLYBIOS
Das auszurechnen, ist kompliziert. Die Elier sind ein Bauernvolk. Fleißig, einfach, ohne Kultur. Sie vermögen nur bis drei zu zählen. Sie haben eine Pergamentrolle mit lauter Dreis beschrieben, die ich noch zusammenzähle. Doch sind es bis jetzt über dreihunderttausend Drachmen.
DEIANEIRA
Wären wir damit saniert?
POLYBIOS
Im großen und ganzen.
DEIANEIRA
Ich will mit Herkules reden.
POLYBIOS
Ich danke Ihnen, Madame.
Polybios humpelt erleichtert nach rechts.
POLYBIOS
Das wäre geschafft.
Polybios ab.
DEIANEIRA
Herkules!
Sie bürstet weiter.
DEIANEIRA
Herkules!
Im Hintergrund erhebt sich Herkules, offensichtlich verkatert.
HERKULES zögernd
Hallo.
DEIANEIRA freundlich
Hallo.
HERKULES mutiger
Spät?
DEIANEIRA
Es geht gegen Abend.
HERKULES etwas erschrocken
Gegen –
Er faßt sich wieder.
HERKULES
Eben wach geworden.
DEIANEIRA
Setz dich.
HERKULES
Lieber nicht. Sonst schlafe ich wieder ein. Du bürstest?
DEIANEIRA
Ich bürste. Deine Löwenhaut sieht wieder einmal unbeschreiblich aus.
HERKULES
Ein unmögliches Kostüm. Und viel zu delikat für meinen Beruf.
DEIANEIRA
Unmöglich, mein Geliebter, ist vor allem dein Lebenswandel, seit du den Brief des Augias empfangen hast. Du mißhandelst deinen Sekretär, säufst in den Kaschemmen Thebens herum, vergewaltigst die Hetäre Euarete im öffentlichen Stadtpark und wankst erst heute morgen betrunken nach Hause. Mit zwei Mädchen.
Schweigen. Bürsten.
HERKULES verwundert
Mit zwei Mädchen?
DEIANEIRA
Halbverhungerte Dinger aus Makedonien. Ich ließ sie mit dem nächsten Schiff nach Hause spedieren.
Schweigen. Bürsten.
HERKULES
Ich habe gräßliche Kopfschmerzen.
DEIANEIRA
Kann ich mir denken.
HERKULES
Ich erinnere mich an nichts mehr.
DEIANEIRA
Die Polizei war hier.
HERKULES
Die Polizei?
DEIANEIRA
Polizeileutnant Diomedes.
HERKULES
Warum hat man mich nicht geweckt?
DEIANEIRA
Man versuchte es. Darauf mußte ich den Polizeileutnant persönlich empfangen. Als ich noch im Bade lag.
Schweigen. Bürsten.
HERKULES
Du willst doch nicht behaupten –
DEIANEIRA
Doch.
HERKULES
Du hast diesen Diomedes im Bade –
DEIANEIRA
Mein Badezimmer, mein Lieber, ist noch lange kein öffentlicher Stadtpark.
HERKULES
Dieser Diomedes ist der berüchtigtste Frauenjäger Griechenlands.
DEIANEIRA
Außer dir.
Schweigen. Bürsten.
HERKULES
Was wollte der Kerl?
DEIANEIRA
Mich informieren.
HERKULES grimmig
Über die Hetäre Euarete. Kann ich mir vorstellen. Das muß ihm das Luder persönlich erzählt haben, kein Mensch war im Stadtpark Zeuge – wenn die Geschichte überhaupt stimmt.
DEIANEIRA
Sie stimmt. Eine Gruppe von Stadtvätern wandelte vorbei. Aber deswegen ist Diomedes nicht gekommen. Du demolierst Banken.
HERKULES
Banken?
DEIANEIRA
Der Thebanischen Nationalbank legtest du die Säulenreihe vor dem Eingang um, der Dorischen Bank hängtest du die erzenen Türflügel aus, und dem Bankhaus Eurystheus decktest du das Dach ab. Was hast du nur auf einmal gegen Banken?
HERKULES
Nichts! Aber ich habe es satt, immer nur Nützliches zu tun und für die Menschheit zu sorgen! Das ewige Roden, Sümpfe austrocknen und Ungeheuer erlegen hängt mir zum Halse heraus, und diese vollgestopften zufriedenen Bürger, die von meiner Nützlichkeit profitieren, kann ich nicht mehr sehen! Ich muß einfach hin und wieder rasen! Und im übrigen habe ich Schulden! Ich gehe wieder schlafen.
Deianeira bürstet.
HERKULES
Dieser verfluchte Staub.
DEIANEIRA
Ich habe ein ernstes Wort mit dir zu reden.
HERKULES
Ein ernstes Wort? Aber schon den ganzen Morgen –
DEIANEIRA
Es ist spätnachmittags.
HERKULES
Aber schon den ganzen Spätnachmittag redest du ein ernstes Wort mit mir.
Deianeira deutet aufs Kanapee.
HERKULES
Bitte.
Er setzt sich rechts aufs Kanapee neben Deianeira.
DEIANEIRA
Herkules. Seit einem Jahr arbeitest du nicht mehr.
HERKULES
Der verdammte Erymanthische Eber.
DEIANEIRA
Als Nationalheld kannst du dir keine Erfolglosigkeit leisten.
HERKULES
Kein Mensch glaubt mir die Geschichte mit der Gletscherspalte.
DEIANEIRA
Alpinistische Geschichten sind immer unglaubwürdig. Deshalb müssen wir das Angebot des Augias annehmen.
Schweigen.
DEIANEIRA
Es bleibt uns nichts anderes übrig.
Schweigen.
HERKULES
Deianeira! Ich habe meinen Sekretär Polybios die Treppe hinunter und zur Türe hinaus in den Hof geschmettert, wie er nur die leiseste Andeutung über dieses Thema machte.
DEIANEIRA
Nun, willst du mich auch irgendwohin schmettern?
HERKULES
Du kannst doch unmöglich von mir verlangen, daß ich misten gehe!
DEIANEIRA
Wir haben Schulden!
HERKULES
Ich habe die schrecklichsten Ungeheuer erlegt, die Giganten besiegt, die Riesen Geryones und Antaios, das Himmelsgewölbe habe ich getragen, das Riesengewicht seiner Sterne. Und nun soll ich das Land eines Mannes ausmisten, der nur bis drei zählen kann und nicht einmal König ist, sondern nur Präsident? Niemals!
DEIANEIRA
Das Haus wird gepfändet.
HERKULES
Ganz Griechenland würde in ein Höllengelächter ausbrechen.
DEIANEIRA
Wir stehen vor dem Konkurs.
HERKULES
Ich weigere mich.
DEIANEIRA
Das kannst du dir nicht leisten. Nicht das ist wichtig, was einer tut, sondern wie er es tut. Du bist ein Held, und so wirst du auch als ein Held ausmisten. Was du tust, wird nie lächerlich sein, weil du es tust.
Schweigen. Bürsten.
HERKULES
Deianeira.
DEIANEIRA
Herkules?
HERKULES
Ich kann nicht. Ich kann nicht. Ich kann nicht.
Schweigen.
Sie legt die Bürste weg, erhebt sich.
DEIANEIRA
Dann nehme ich eine Woche Urlaub.
HERKULES
Urlaub? Er blickt sie unsicher an....
Erscheint lt. Verlag | 16.3.2020 |
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Verlagsort | Zürich |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Lyrik / Dramatik ► Dramatik / Theater |
Schlagworte | 20. Jahrhundert • Antike • Auseinandersetzung • Drama • Dramen • Dürrenmatt • Griechenland • Held • Klassiker • Leitbild • Literatur • Mythologie • Satire • Schweiz • Streit • Theater • Theaterstück |
ISBN-10 | 3-257-60842-X / 325760842X |
ISBN-13 | 978-3-257-60842-7 / 9783257608427 |
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