Dem Mut ist keine Gefahr gewachsen (eBook)
432 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-97975-7 (ISBN)
Rüdiger Nehberg (1935 - 2020), Deutschlands bekanntester Abenteurer, Survival-Experte und Menschenrechtsaktivist, machte seit Anfang der 1970er-Jahre immer wieder mit spektakulären Expeditionen und Survival-Aktionen Schlagzeilen. Ab den 1980ern rückte sein Engagement für die Rettung der Yanomami in den Fokus. Mit seiner Frau Annette gründete er die Menschenrechtsorganisation TARGET e. V. und kämpfte zwei Jahrzehnte lang für die Indigenen und den Regenwald in Brasilien und für ein Ende der Weiblichen Genitalverstümmelung. Er wurde vielfach ausgezeichnet, u.?a. mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse. Von seinen Überlebensstrategien, Abenteuern und humanitärem Engagement berichtete Rüdiger Nehberg in erfolgreichen Vorträgen und Büchern, die bei Malik und Piper vorliegen. Zuletzt erschien »Dem Mut ist keine Gefahr gewachsen - Ein abenteuerliches Leben«.
Rüdiger Nehberg, 1935 geboren, ist Deutschlands bekanntester Abenteurer, Survivalexperte und Menschenrechtsaktivist. Seit Anfang der 1970er-Jahre machte er immer wieder mit seinen gefährlichen und strapazenreichen Expeditionen Schlagzeilen – ebenso mit seinem Engagement für die Rettung der Yanomami und für die Erhaltung des Regenwalds. Mit seiner Frau Annette Nehberg-Weber kämpft er mit der Organisation TARGET e.V. seit zwei Jahrzehnten für Menschenrechte und für ein Ende der Weiblichen Genitalverstümmelung. Seine waghalsigen Reisen und seine Überlebensstrategien sind in zahlreichen erfolgreichen Büchern nachzulesen. Für sein humanitäres Engagement wurde Rüdiger Nehberg vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse. Er ist mit Vorträgen auf Tour. Zuletzt wurde ihm der Weitsicht-Preis für Menschenrechte verliehen. Seine Bücher liegen bei Malik und Piper vor.
4. In jordanischen Gefängnissen
»Im Knast denkt mancher,
Gott sei Dank gibt’s Feilchen,
die im Verborgenen blühen.«
Joachim Ringelnatz
Wir sind gerade zehn Minuten auf dem Wasser, da heulen die Sirenen los. So schneidend laut, als wären sie an unserem Bug installiert. Suchscheinwerfer huschen hastig, panikartig übers dunkle Meer. Nicht nur von jordanischer Seite. Augenblicklich auch von Israel und Saudi-Arabien. Es ist die Hölle los. Uns ist klar: Man hat uns entdeckt, da bleibt kein Zweifel. Wir haben die Wachsamkeit der Soldaten unterschätzt. Dabei hatten wir extra bis halb drei Uhr nachts gewartet, wenn sie im Tiefschlaf wären. Pustekuchen.
Wir befinden uns in einem kleinen Ruderboot im Vierländereck auf dem Golf von Aqaba, Rotes Meer. Wir wollen rüber nach Bir Taba, einem kleinen Fischerhafen auf Sinai, Ägypten, geschätzte 15 Kilometer entfernt. Genau wissen wir das nicht. Unsere Karten sind mickrig. Aber bei Tage kann man den Ort drüben erahnen. Eigentlich ein Katzensprung.
Der erste Motor wird angeworfen. Dann noch einer und noch einer. Gerd ahnt es: »Die wollen bestimmt nicht zum großen Nachtangeln. Das gilt uns.«
Mit Höchstgeschwindigkeit brausen sie aus Richtung Aqaba übers Wasser. Wir hören augenblicklich auf zu rudern. Bloß keine falsche Bewegung! Die uns da fangen sollen, stehen unter Hochspannung. Ein einziger Millimeter ihrer nervösen Finger am Abzug der Maschinengewehre genügt, um uns zu durchsieben. Wir hören ihre lauten Rufe. Was sie da rufen, ist unverständlich. Aber klar ist, das heißt »Hände hoch! Keine Bewegung!«. Das haben wir längst auch ohne Aufforderung getan.
Schon sind sie ran. Es sind zwei Boote, die voll abbremsen und deren Bugwellen uns ins Wanken bringen. Die MG-Schützen verheddern sich in den Patronengurten. Wir rufen immer wieder: »Almaani! Deutscher!« Es wäre fatal, wenn sie uns für Israelis, ihre Todfeinde, hielten. Israel liegt in Reichweite, vielleicht 500 Meter entfernt. Theoretisch hätte auch das unser Ziel sein können. Wir müssen in ihre Boote umsteigen. Dann brausen sie mit uns zurück ins Militärcamp am Rand von Aqaba.
Erstes Verhör. Wir sind drei Deutsche: Gerd, Hans und ich. Wir haben in Hamburg die Konditoren-Meisterprüfung gemacht und uns dafür etwas Besonderes gönnen wollen: eine Trampreise ums Mittelmeer. Das ersehnte Besondere erleben wir in ebendiesem Moment.
Hier in diesem verflixten Hafen am Vierländereck von Saudi-Arabien, Jordanien, Israel und Ägypten hatten wir zwei Wochen ausgeharrt. Es ging einfach nicht mehr weiter. Kein Schiff wollte uns bis zum Suezkanal mitnehmen, weil hier nur Frachtschiffe anlegten, denen der Personentransport verboten war. Dann hatten wir bei den Fischern von Aqaba gefragt. Sie lehnten ab. Sie dürften sich der Golfmitte nicht nähern. Bei der Polizei hatten wir vorgesprochen wegen einer Ausnahmegenehmigung für die Fischer. Fehlanzeige. Jordanien und Ägypten waren 1959 nicht gut aufeinander zu sprechen.
Das brachte mich dann auf die verhängnisvolle Idee, mit eigener Kraft in einem der kleinen Holzboote nach Sinai zu rudern. Nachts, wenn alle schliefen. Zwei Tage zuvor hatten wir aus alten Kistenbrettern Ruder improvisiert. Hans wollte den Kahn wieder zurückbringen. Er würde drüben keine Einreiseerlaubnis erhalten. Man hatte ihm am Strand vor ein paar Tagen den Pass geklaut. Er musste zurück zur deutschen Botschaft in Amman und sich ein Ersatzdokument holen.
»Ihr wolltet nach Israel! Ihr seid Spione! Ihr seid Juden!«, brüllt der Mann, der uns verhört.
Jetzt geht uns doch die Muffe. Spionage hat weltweit einen anderen Stellenwert als unbefugte Bootsbenutzung. Vor allem in einem Königreich, das sich vom Nachbarstaat in seiner Existenz bedroht fühlt.
»Nein, wir wollten nach Ägypten, nach Bir Taba«, versichern wir erneut.
Sie glauben es nicht. Sie wiederholen ihre Beschuldigungen. Wir wiederholen unsere Antworten. Wie Pingpongbälle fliegen die zwei Sätze hin und her, verschieden nur in ihrer Lautstärke.
Als die Sonne aufgeht, werden wir dem Polizeichef überstellt. Zum Glück ist er ehrlich und bestätigt, dass wir Tage zuvor um eine Genehmigung für die Überfahrt nach Ägypten gebeten haben.
Die Situation entspannt sich spürbar. Also doch keine Feinde! Das Gepäck wird durchsucht. Da ist nichts, das nach Spionage riecht. Außer meinem uralten 38er-Revolver. Er sollte unsere Sicherheit erhöhen während der folgenden Wochen, wenn es durch endlos einsame Gebiete in Libyen ging, wo man schnell zum Freiwild werden konnte. Ich hatte die funktionierende Antiquität auf dem Schwarzmarkt in Jerusalem (damals noch Jordanien) erworben, zusammen mit sechs Patronen. Gern hätte ich ein paar mehr gehabt.
»Mehr braucht man nicht«, wusste der Händler. »Wenn du mit sechs Schüssen dein Ziel nicht triffst, nützen dir auch weitere Patronen nichts. Dann bist du ein schlechter Schütze. Oder du bist tot.«
Eine überzeugende Argumentation. Sie entsprach irgendwie auch meiner Denke. Immer schon wollte ich lieber einen Revolver als eine Pistole haben. Wenn ich je schießen müsste, so meine Überzeugung, wäre es nur im äußersten Notwehrfall. Dann hat man nicht mehr die Zeit zum Entsichern und Durchladen, sondern muss ziehen und abdrücken. Eine lebensentscheidende Sekunde. Abgesehen davon ist der Revolver weniger schmutz- und reparaturanfällig als die Pistole. Jahre später, am Blauen Nil, sollte sich das noch bewähren. Sonst gäbe es dieses Buch nicht.
Interessanterweise spielt der gefundene Revolver für die Soldaten überhaupt keine Rolle. Er wird konfisziert, und damit basta. Wir werden ins Gefängnis gebracht.
1959 ist Aqaba ein beschauliches Dorf. Eine kleine Kaimauer, an der zwei Schiffe festmachen können. Ein Sandstrand mit Dattelpalmen, Korallen bis an die Meeresoberfläche, ein Militärcamp, Schützengräben und – das romantische Gefängnis, unser neues Zuhause. Kost und Logis inbegriffen. Eine vier Meter hohe quadratische Mauer aus behauenen Sandsteinen umschließt den Gefängnishof. In zwei gegenüberliegenden Ecken des Quadrats erheben sich sechseckige zweigeschossige Türme mit schmalen Schießscharten anstelle von Fenstern. Das ganze Areal misst circa 30 Meter im Quadrat.
In dem Turm neben dem Gefängnistor wohnen unsere Gastgeber, die Wachen. Das sind schlanke, hochgewachsene Beduinen, Elitesoldaten des Königs. Sie fallen auf durch ihre dekorativen langen, braunen Gewänder und das traditionelle rot-weiß karierte Kopftuch, die Kufija. Sie wird gehalten von einem schwarzen Doppelseilring, dem Agal. Vor der Brust kreuzen sich zwei Patronengurte. Ein weiterer umspannt die Taille. Auf der Schulter ein schweres Repetiergewehr aus dem letzten Weltkrieg. Sie begrüßen uns freundlich, wohl auch neugierig. Der Chef stellt sich vor. Das geht schnell, denn er heißt schlicht und einfach Ali. Keine Silbe zu viel.
Äußerlich wirkt das Anwesen gepflegt. Wäre es meine Immobilie, würde ich im Hof drei Bäume pflanzen. Aber mich fragt ja keiner. Wir werden in dem anderen Turm einquartiert. Einziger Unterschied zum Beduinenturm: Aus den Schießscharten bei uns laufen schwarze Schmutzspuren nach unten und verschandeln die freundliche Sandsteinoptik.
»Da muss man mal mit Wasser ran«, löst Gerd das Problem im Vorbeigehen. Da wissen wir noch nicht, dass man sich durch die Mauerschlitze des Nachts seiner flüssigen Notdurft entledigt.
Zu diesen markanten Sehschlitzen müssen wir hochklettern in die erste Etage. Nicht per Wendeltreppe, sondern per Leiter.
»Na«, kritisiert Hans, »die ist aber nicht für die Ewigkeit gebaut!« Hans ist Österreicher. Bei ihm muss alles solide und ewig haltbar sein. Wie die Alpen.
»Ist doch egal«, beruhige ich ihn. »So lange will ich ohnehin nicht bleiben.«
Die anderen beiden auch nicht. Einer der wiederkehrenden Momente, wo sich die Frage aufdrängt, wie das Abenteuer wohl weitergehen wird. Wie lange wird man uns hier Gastfreundschaft gewähren? Oder Asyl? Wir gehen einer ungewissen Zukunft entgegen.
Wahrscheinlich stammt die Möchtegern-Leiter aus einer Probeübung des örtlichen Kindergartens, wenn es denn je so was gegeben haben sollte. Sie ist windschief, wackelig und geräuschintensiv. Beduine Ibrahim weist uns die Matratzen an. Sie sind aus nacktem Beton. Aber wir haben Kopftücher. So liegt wenigstens der Kopf einigermaßen weich. Vor allem aber ist es hier oben heiß. Kein Windhauch zwängt sich durch die Schießscharten. Der Wind ist froh, draußen in der Freiheit zu sein und in alle Richtungen Sand aufwirbeln zu können. Wir beneiden ihn. Durch die Scharten sehen wir den verhängnisvollen Golf von Aqaba, am Horizont Bir Taba als weißen Punkt und, zum Greifen nah, unser entliehenes Boot. Sein Eigner vertäut es soeben an der Schwimmboje im Wasser. Das Meer kräuselt sich. Entweder weil es uns auslacht oder weil der Bootseigner erleichtert ausgeatmet hat.
Gleich neben Gerd liegt Abdoulkader. Er hat den besten Platz, weil der Wind, wenn überhaupt, dann aus seiner Scharte haucht. Über ihr hat er seine Kufija angebracht. Sie fängt das Windgesäusel auf und lässt es hinab über seinen Bauch streicheln. Die anderen Mithäftlinge müssen sich mit Schwitzen begnügen. So auch wir. Nur manchmal spüren wir einen Luftzug als Geste der Gastfreundschaft und Zeichen dafür, dass es noch eine andere Welt gibt. Die da draußen, die der Freiheit. Unserem erklärten Ziel.
Abdoulkader hat das Privileg, hier Gast zu sein, nicht so einfach erworben wie wir. Es hat ihn einige Anstrengung gekostet. Und seine Schwester das Leben. Und ihren Freund auch. Abdoulkader hat die beiden Unvorsichtigen in flagranti beim Schmusen in einem Zimmer ertappt und fühlte nicht nur unbändige Abscheu...
Erscheint lt. Verlag | 6.4.2020 |
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Zusatzinfo | Mit 16 Seiten Farbbildteil und Karten |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Abenteuer • Abenteuerbücher • Amnesty International • Autobiografie • Beschneidung • bewegtes Leben • Biografie • Biografie berühmter Persönlichkeiten • Bundesverdienstkreuz • Deutschlandmarsch • Extreme • Frauenbeschneidung • Genitalverstümmelung • Geschenkbuch für Männer • Hamburg • Jordanien • Jordanien Gefängnis • jordanisches Gefängnis • Kampf für Frauenrechte • Katja Riemann • Lebenskünstler • Menschenrechte • Menschenrechtsaktivist • mit dem Fahrrad nach Marrakesch • NGO • Outdoor • Selbstverteidigung • Sir Vival • Spende • Survival • Survivalbuch • target • Tretboot • Überleben in der Wildnis • Vorträge • Waris Dirie • Weibliche Genitalverstümmelung • Wildnis • Wüsten • Wüstenblume • Yanomami • Yanomami-Indianer |
ISBN-10 | 3-492-97975-0 / 3492979750 |
ISBN-13 | 978-3-492-97975-7 / 9783492979757 |
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