Blauer Enzian -  Michael Maniura

Blauer Enzian (eBook)

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2020 | 1. Auflage
164 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7504-6795-8 (ISBN)
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An Hand einer fiktiven Dampfsonderfahrt schildert der Autor, welch ausgeklügeltes technisches und menschliches Zusammenspiel die Jagd nach wertvollen Fahrplanminuten bedingt. Außerdem nimmt der Leser am Bewusstseinswandel einer Psychologiestudentin Teil und erfährt, warum eine 350 PS starke Rangierlok einen ganzen Güterzug zu verschieben vermag, ein Sport-Pkw gleicher Leistung jedoch nicht.

Michael Maniura, * 11. Februar 1953 in Frankfurt am Main, ist ein Softwareentwickler im Ruhestand, der in dieses Werk seine jahrzehntelange Erfahrung mit der digitalen Welt einbringt.

1. Mai 2020

Nürnberg – München


Am 1. Mai 2020 schreckte kurz vor fünf Uhr morgens ungewöhnliches Röhren die Anwohner des Nürnberger Hauptbahnhofs auf. Wer den Drang hatte, dessen Ursache auf den Grund zu gehen und sich deshalb aus dem Bett erhob, konnte mit etwas Glück einen schicken kobaltblauen Zug vorfahren sehen, der von einer Lokomotive gezogen wurde, deren rundliche Formen bewiesen, dass sie vergangenen Zeiten entstammt. Ihr Purpurrot ist deutlich dunkler als das aktuelle Verkehrsrot nach RAL 3020, das alle Fahrzeuge der Deutschen Bahn AG tragen. Das klassische Altrot, das die V 200 017 ziert, hört auf den nüchternen Namen RAL 3004.

Was das Einsteigen in Züge betrifft, betrachtete sich Georg Klausenburg als Optimierer. Darunter versteht ein Profi des öffentlichen Verkehrs jemanden, der auf dem Bahnsteig genau da zu stehen versucht, wo ‚seine‘ Tür zum Stillstand kommt. Der Barwagen des Fernschnellzugs ‚Blauer Enzian‘ hing als Fünfter von Achten ungefähr in der Mitte.

Gutes Omen, fast getroffen! Klausenburg musste sich nur zwei Meter nach vorn bewegen, um den Barwagen zu betreten, in dem auch das Reiseleiterabteil untergebracht war. Er hatte überlegt, von Anfang an dabei zu sein, wenn seine Leute die Garnitur auf dem FSG-Gelände in Fürth fahrfertig machen würden, hatte dann aber davon abgesehen: Sein heutiger Arbeitstag würde bis sieben Uhr abends gehen, wenn alles glatt ging, sonst länger. Und wirklich helfen konnte er ohnehin nicht.

Georg Klausenburg war Geschäftsführer des Reisebüros Fränkische Sonderzug GmbH, die er 35 Jahre zuvor als gemeinnützigen Verein gegründet hatte, um das von der damaligen Deutschen Bundesbahn endlich aufgehobene Dampfverbot für eigene Fahrten nutzen zu können. Von Anfang an hatte ihm Hauptbahndampf vorgeschwebt und nicht, mit einer Tenderlokomotive über die wenigen Kilometer einer privaten Linie vor und zurück zu pendeln. Schnell war ihm allerdings aufgegangen, dass er in so einem Verein mehr damit zu tun hatte, gegenläufige Interessen unter einen Hut zu bringen, als sich seiner Leidenschaft zu widmen. Ebenso schnell und konsequent hatte er ihn in eine GmbH umgewandelt, in dem er allein das Sagen hatte. Damit wurde der Betrieb zwar steuerpflichtig, aber der Gewinnfall machte das mehr als wett und im Verlustfall hatte er es jedenfalls versucht.

Mittlerweile hatte der Betrieb mehrere Standbeine, darunter Volumengeschäfte wie privaten Güterverkehr und eine Reisebürokette. Georg Klausenburg vergoss sein Herzblut aber nach wie vor für Dampffahrten, deren Höhepunkt heute bevorstand. Sein erster Versuch, einen Fernschnellzug wiederzubeleben, datierte aus dem Jahr 2015, als er den ‚Roland‘ das Teilstück von Frankfurt nach Kassel und zurück auf die Reise geschickt hatte. Alle weiteren Versuche waren mangels Anmeldungen gescheitert, denn die Fernschnellzug-Projekte unterschieden sich in einem gewichtigen Punkt von seinen anderen mit Dampfzügen: Scheinanfahrten wie sonst üblich entfielen, da nach Möglichkeit der Fahrplan eines bestimmten Zuges in einer bestimmten Fahrplanperiode nachgestellt werden sollte.

Noch im selben Jahr – 2015 – hatte ihm einer seiner Stammfahrgäste vorgeschlagen, einen der bekanntesten F-Züge der Nachkriegszeit zu bilden, dessen Laufweg München – Hamburg den Vorteil aufwies, dass zu einem großen Teil die Neubaustrecke parallel verlief.

Georg Klausenburg begrüßte im Reiseleiterabteil seinen Co-Leiter Mikis Kalomanossos, der in Fürth wohnte und bereits auf dem Betriebsbahnhof zugestiegen war.

Gabriel Voßbeil hatte das erste Abteil von Wagen 1 in Besitz genommen, von dem er wusste, dass er es bis München für sich haben würde, denn seine drei Mit-‚Verrückten‘ wollten erst ab dort, dem eigentlichen Start des Blauen Enzian dabei sein. Voßbeil war das gar nicht so unrecht, denn er war ganz gern für sich, um seinen Gedanken nachzuhängen. Dass ihm Annette Großfeld, die Büroleiterin der FSG, das erste Abteil im vordersten Wagen zugebilligt hatte, lag nicht nur daran, dass er als einer der ersten gebucht hatte, sondern vermutlich auch daran, dass die Idee zu den Fahrtmodalitäten ursprünglich von ihm stammte. Ganz recht war ihm das nicht, denn erfahrungsgemäß versammelten sich dort unterwegs jede Menge Fahrgäste von weiter hinten im Gang und versperrten den Abteilinsassen die Sicht. Gern erinnerte sich Voßbeil an eine zweiwöchige Fahrt vor fast 13 Jahren, als er einen pensionierten Englischlehrer zum Mitreisenden gehabt hatte, der alle ‚Freeloaders‘ vor dem Gangfenster erfolgreich weggebissen hatte. Mal sehen, wie es heute wird, dachte er; spektakuläre Rampenfahrten stehen ja nicht auf dem Programmm und bei schneller Fahrt verwischt sich der Auspuff der Dampfzylinder zu einem wilden Stakkato. Bis München würde er allerdings ganz hinten sitzen.

23 042 (oben) und 38 1301 (unten) am 5. Juni 2010 bei Abfahrt aus dem Bahnhof Nördlingen

Da Voßbeil sowieso übernachten musste und er Nürnberg liebte, hatte er es vorgezogen, trotz sehr früher Stunde hier zuzusteigen. Einerseits bedauerte er es, andererseits war es vielleicht gut, dass er nicht im Fränkischen wohnte, denn sonst wöge er wahrscheinlich statt zwei Zentnern deren vier; um der Wahrheit die Ehre zu geben, erstreckte sich die Liebe vor allem aufs Essen. Leider gibt es in Monaten ohne ‚r‘ keinen gebackenen Karpfen, denn die waren sein unbestrittener Favorit. Also galt es sich in den Frühlings- und Sommermonaten mit Schäufele und Bratwurst zu begnügen. Zum Glück war gestern noch April gewesen.

Morgens um Vier bietet natürlich kein Hotel Frühstück an. Mal sehen, dachte Voßbeil, wie weit sie im Barwagen sind und ob sie eventuell schon einen Kaffee ’rausrücken.

Die V 200 017 war Georg Klausenburgs größtes Sorgenkind. Vor zwölf Jahren war in ihm der Entschluss gereift, eine eigene historische Lokomotive zu erwerben, um auch bei den Zubringern stilecht fahren zu können und das mit einer gewissen Unabhängigkeit. Eine Dampflok wäre ideal, aber ihr Betrieb zu aufwändig gewesen, da diese Fahrten möglichst ohne längere Unterbrechungen durchgeführt werden sollten. Das Aufrüsten einer Dampflok ist jedoch nicht überall möglich und außerdem bräuchte sie alle zwei Fahrstunden Wasser. Auch ein elektrisches Triebfahrzeug war nicht in Frage gekommen, weil die Startpunkte der Fahrten häufig Bahnhöfe betreffen, die nicht vom Fahrdraht erreicht werden.

Dieseltankstellen gibt es hingegen über das ganze Streckennetz verteilt, auch in seinem Heimatbahnhof Fürth. Eine Diesellok also. Eine 218 hätte auf der Hand gelegen, denn die fuhren noch zu Hauf in Deutschland herum und befanden sich in entsprechend gutem Erhaltungszustand. Obwohl zu jener Zeit 35 Jahre alt und damit Oldtimer, wären sie Autos gewesen, akzeptierte sie die FSG-Gemeinde dennoch nicht als wirklich historisch.

Die V 200 ist eine Stilikone der 50er Jahre, die sich sogar den Titel ‚Ehrendampflok‘ ergattern konnte. So weit, so gut, aber mit Georg Klausenburgs Ehrgeiz, die letztlich ausgewählte 017 entgegen ihrer ursprünglichen Konstruktion mit einer elektrischen Heizungsanlage auszustatten, begann ein Leidensweg. Um einen Teil der Investition wieder herein zu holen, hatte er einige Fahrten in der fränkischen Umgebung und bis Sachsen mit ihr ausgeschrieben. Die war er aber alle wieder abzusagen gezwungen, weil die Zugheizung nicht zuverlässig funktionierte. Zwei Jahre dauerte es, bis das einigermaßen der Fall war, dann fing es mit den Motoren an. Neue, fremde einzubauen wäre zwar konsequent gewesen, aber um die an den mechanischen Teil anzupassen, hätte sich die FSG drei weitere Lokomotiven zulegen können. Also wurden die beiden Originale seitdem mit Flickwerk am Leben gehalten.

Klausenburg hatte beim Einfahren die Ohren gespitzt. Zu seiner Beruhigung klangen beide Antriebseinheiten, als liefen sie rund. Selbst jetzt, in seinem Abteil im fünften Wagen ließ er zur Anfahrt ein Fenster leicht geöffnet, um keinen Aussetzer zu verpassen.

„Jetzt mach’ dich doch nicht verrückt“, kommentierte Mikis, der neben ihm saß und die Befindlichkeiten seines Chefs nur zu gut kannte.

Die moderne Eisenbahn kommt ohne Abfahrtspfiff aus. Für historische Züge wird allerdings gern eine Ausnahme gemacht. Der Nürnberger Fahrdienstleiter ließ es sich heute nicht nehmen, ihn um Punkt fünf Uhr morgens persönlich ertönen zu lassen. Er war nämlich ein ausgesprochener Liebhaber von Dieselloks und das sonore Brummen älterer Bauarten hatte es ihm besonders angetan. Vielleicht hätte er anders gedacht, wäre er gezwungen gewesen, auf so einer mitzufahren. Gerade die Führerstände der V 200 waren wegen ihres Lärmpegels berüchtigt; teilweise waren die Lokführer nicht in der Lage gewesen, die Abfahrtssignale wahrzunehmen. Nur ein aufwändiger Umbau hätte diesem Übel Abhilfe zu schaffen vermocht, und den war die damalige Deutsche Bundesbahn in Auftrag zu geben nicht mehr gewillt. So...

Erscheint lt. Verlag 10.2.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Technik
ISBN-10 3-7504-6795-1 / 3750467951
ISBN-13 978-3-7504-6795-8 / 9783750467958
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