First Responder (eBook)
126 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-037768-4 (ISBN)
Prof. Dr. Gerhard Nadler hatte an der DHGS (Deutsche Hochschule für Gesundheit und Sport, Berlin) von Sommersemester 2012 bis einschließlich Sommersemester 2021 die Professur für 'Organisation und Recht des Rettungswesens' inne. Seit Oktober 2021 leitet er das 'Kompetenzzentrum Rettungswesen' bei HUN (Heimerer University Network, München). In den 1990er Jahren war er maßgeblich am Aufbau einer der ersten beiden First Response-Projekte in Deutschland beteiligt.
Prof. Dr. Gerhard Nadler hatte an der DHGS (Deutsche Hochschule für Gesundheit und Sport, Berlin) von Sommersemester 2012 bis einschließlich Sommersemester 2021 die Professur für "Organisation und Recht des Rettungswesens" inne. Seit Oktober 2021 leitet er das "Kompetenzzentrum Rettungswesen" bei HUN (Heimerer University Network, München). In den 1990er Jahren war er maßgeblich am Aufbau einer der ersten beiden First Response-Projekte in Deutschland beteiligt.
[31]2Aufgaben und rechtliche Aspekte
2.1Aufgaben von First Response-Einheiten
Die Zeit vom Eintreten eines medizinischen Notfalls bis zur Einleitung wirkungsvoller (medizinischer) Maßnahmen wird, wie bereits in Kapitel 1 erläutert, als »therapiefreies Intervall« bezeichnet. In Abhängigkeit von Art und Schwere des Notfalls kann der Patient das so genannte therapiefreie Intervall unterschiedlich lange tolerieren, ohne weitere gesundheitliche Schäden zu erleiden. Beim Herz-Kreislauf-Stillstand treten nach etwa fünf Minuten die ersten Gehirnschäden auf, wenn innerhalb dieser Zeit keine wirkungsvollen Erste-Hilfe-Maßnahmen eingeleitet werden. Ähnlich ist die Situation beim Atemstillstand und bei anderen akuten Notfällen.
Die statistische Auswertung der Eintreffzeiten des Rettungsdienstes in den ländlichen Regionen der Bundesrepublik Deutschland gegen Ende des letzten Jahrtausends ergab im Durchschnitt eine Eintreffzeit von etwa zehn Minuten; 95 % dieser Einsatzorte wurden innerhalb von 18 Minuten erreicht, 5 % noch später.
An dieser Situation hat sich im neuen Jahrtausend nichts zum Positiven verändert. Betrachtet man die Entwicklung der Eintreffzeiten des ersten Rettungsmittels bei Notfalleinsätzen in der Bundesrepublik von 1994 bis 2017, ist eine ständige Zunahme der Eintreffzeiten festzustellen. Verantwortlich dafür [32]ist die ständig steigende Zahl der Einsätze des Rettungsdienstes. Im Zeitraum von 1994 bis 2017 hat sich die Anzahl der Notfalleinsätze des Rettungsdienstes verdoppelt.
[34]Andererseits waren und sind die meisten Bürger, wie Untersuchungen aus verschiedenen Dekaden zeigen, kaum in der Lage wirksame Erste Hilfe zu leisten.
Sinn und Zweck der Einrichtung von First Response-Systemen ist es, das therapiefreie Intervall bei zeitkritischen (medizinischen) Notfällen bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes durch eine effektive und erweiterte Erste Hilfe zu überbrücken sowie den Rettungsdienst nach dem Eintreffen zu unterstützen. Daraus ergeben sich die allgemeine Aufgabenstellung wie auch die Art und Weise der Organisation (letztere kann von Ort zu Ort differieren), die durchzuführenden Maßnahmen, die dafür erforderliche Ausrüstung und die notwendige Ausbildung. Der Aspekt der Systemverträglichkeit mit den anderen Komponenten des Rettungswesens sowie die Grenze des vertretbaren Aufwandes sind jedoch zu beachten.
First Response-Einheiten sollten insbesondere bei Herz -Kreislauf-Stillstand, Atemstillstand, Bewusstlosigkeit, Atemnot, Herzinfarktsymptomatik, Schlaganfallsymptomatik, starker äußerer Blutung sowie zum Schutz des Patienten vor extremer Witterung (z. B. Patient mit gebrochenem Bein liegt im Schnee) zum Einsatz kommen.
Aber auch die Lotsung der bodengebundenen Rettungsmittel (RTW, NEF und NAW) vom Ortseingang bzw. einem abgesprochenen Punkt zum Notfallort sowie gegebenenfalls der Transport der RTH-Besatzung vom Landeort zum Notfallort verkürzen das therapiefreie Intervall. Dies kann daher zur allgemeinen Aufgabenstellung zählen. Entscheidend dafür, ob dies zur Aufgabenstellung zählt, sind die regionale und örtliche Situation. Erfolgt keine Lotsung, ist das Einsatzfahrzeug möglichst so abzustellen, dass vom nachkommenden [35]Rettungsdienst der Einsatzort möglichst schnell gefunden werden kann (d. h. Fahrzeug soll von der Straße aus gut zu sehen sein, nachts soll zumindest das Warnblinklicht eingeschaltet sein). Zu den Aufgaben können weiterhin eine eventuell notwendige Unterstützung des Rettungsdienstes bei der Versorgung des Patienten und den Transportvorbereitungen sowie gegebenenfalls notwendige Absicherungsmaßnahmen gezählt werden.
Mit der Indienststellung einer First Response-Einheit ist es möglich, das Eintreffen organisierter (medizinischer) Hilfe bei zeitkritischen Notfällen im Ortsbereich auf etwa vier bis fünf Minuten nach Alarmierung zu verkürzen. Nicht möglich ist es jedoch die immer noch mangelhaften Kenntnisse und Fertigkeiten in der Bevölkerung in lebensrettenden Sofortmaßnahmen auszugleichen.
Herangezogene und weiterführende Literatur:
Behrend, H. et al. (2020); Fischer, P. (2018); IBSR (1999a); Koch, B./Winkels, S. (1998); Nadler, G. (1994); Pfalzgraf, U. (1989); Schmiedel, R./Behrend, H. (2019)
2.2Rechtliche Einordnung
In den letzten 25 Jahren sind First Response-Systeme in vielen Regionen der Bundesrepublik ein fester Bestandteil der Rettungskette geworden. Sie leisten erweiterte Erste Hilfe und überbrücken damit die Zeit bis der Rettungsdienst eintrifft. Allerdings ist die »organisierte Erste Hilfe auf örtlicher Ebene« weder eine Pflichtaufgabe der Feuerwehren nach den Brand[36]schutz- bzw. Feuerwehrgesetzen, noch zählen die »örtlichen Einrichtungen organisierter Erster Hilfe« zu den Einrichtungen des Rettungsdienstes nach den Rettungsdienstgesetzen.
Rechtliche Einordnung bei genereller Betrachtung
Bei genereller Betrachtung dieser Problematik gelangt man zu folgendem Ergebnis: Die »organisierte Erste Hilfe auf örtlicher Ebene« kann eine freiwillig wahrgenommene Aufgabe der Kommune sein, die von der Ortsfeuerwehr ausgeführt wird und in Abstimmung mit dem Träger des Rettungsdienstes erfolgt.
Kommunen haben nach dem Verfassungsrecht und auch dem Kommunalrecht das »Recht zur Selbstverwaltung« und können aufgrund dessen neben den Pflichtaufgaben auch »freiwillige Aufgaben« übernehmen. Vergleiche dazu Art. 28 Abs. 2 GG; ferner z. B. für Bayern: Art. 83 Abs. 1 Bayer. Verf., Art. 6, 7 BayGO; für Baden-Württemberg: Art. 71 I und II Verf. BW, § 2 GemO BW; für Hessen: Art. 137 Abs. 1 Verf. HE, § 2 Abs. 1 HGO; für Mecklenburg-Vorpommern: Art. 72 Abs. 1 Verf. M-V, § 2 Abs. 1, 2 KV M-V; für Niedersachsen: Art. 57 Abs. 3 Nds. Verf., § 2 Abs. 1 NGO; für Sachsen: Art. 84 Abs. 1 Sächs. Verf., § 2 Abs. 1 SächsGemO. In Anlehnung an Art. 57 Abs. 1 S. 1 BayGO lässt sich hierzu formulieren:
Beachte: Die Kommunen haben nach den Gemeindeordnungen die Aufgabe in den Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit und entsprechend den örtlichen Verhältnissen die öffentliche Einrichtungen zu schaffen, die zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erforderlich sind. [37]Dazu gehört unter anderem der Schutz des Lebens und der Gesundheit des Einzelnen. Die »organisierte Erste Hilfe auf örtlicher Ebene« kann aber auch eine freiwillige Leistung einer Hilfsorganisation sein, die aufgrund einer Vereinbarung mit dem Träger des Rettungsdienstes erfolgt. |
Rechtliche Einordnung aus Sicht der Exekutive
Um einen Überblick über die in den Bundesländern existierenden landesrechtlichen Vorschriften für First Response-Systeme zu erhalten sowie die rechtliche Einordnung der First Response-Systeme in den einzelnen Bundesländern in Erfahrung zu bringen, wurden im März 2020 die zuständigen Ministerien angeschrieben. Die für den Rettungsdienst zuständigen Länderministerien wurden um Beantwortung der folgenden Fragen gebeten:
1) | Gibt es in Ihrem Bundesland landesrechtliche Vorschriften zum First Response-Dienst (z. B. Rettungsdienstgesetz, Feuerwehrgesetz, Rechtsverordnungen)? |
2) | Wie ist der First Response-Dienst aus Ihrer Sicht (verwaltungs-)rechtlich einzuordnen? |
3) | Gerne können Sie noch ein kurzes Statement zur Bedeutung von First Responder-Einheiten bei zeitkritischen Notfällen anfügen. |
Die Antworten aus den Länderministerien sind nachfolgend abgedruckt; Text im Kursivdruck weist auf eine sinngemäße Zusammenfassung hin.
[38]Sofern einzelne Ministerien wegen Arbeitsüberlastung aufgrund der Coronapandemie nicht in der Lage waren auf alle Fragen einzugehen, sondern lediglich auf Änderungen bei den landesrechtlichen Vorschriften hingewiesen haben, wurde zur Frage 2 die Antwort vom November 2002, die bereits in der ersten Auflage abgedruckt ist, übernommen. Diese Antworten sind mit * gekennzeichnet.
Sofern einzelne Ministerien wegen Arbeitsüberlastung aufgrund der Coronapandemie nicht in der Lage waren die gestellten Fragen zu beantworten, wurden zu den Fragen 1 und 2 die Antworten auf die Anfrage vom November 2002, die bereits in der ersten Auflage abgedruckt sind, übernommen. Diese Antworten sind mit ** gekennzeichnet.
Tabelle 2: [zurück]
Baden-Württemberg |
Zu 1): | Gesetzliche Regelungen enthält das Rettungsdienstgesetz Baden-Württemberg (RDG) vom 08.02.2010. In § 10b RDG ist geregelt, dass ehrenamtlich tätige Helfer vor Ort als »Organisierte Erste Hilfe« ergänzend zur Notfallrettung mitwirken können. Näheres zur Organisation, Ausstattung... |
Erscheint lt. Verlag | 19.4.2023 |
---|---|
Zusatzinfo | 18 Abb., 3 Tab. |
Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Technik |
Schlagworte | Erste Hilfe • Ersthelfer • First Response • Notfallmedizin • Rettungswesen |
ISBN-10 | 3-17-037768-X / 317037768X |
ISBN-13 | 978-3-17-037768-4 / 9783170377684 |
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