Im Zeichen der Acht -  Benjamin Lebert

Im Zeichen der Acht (eBook)

eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
324 Seiten
Atrium Verlag AG Zürich
978-3-03880-133-7 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
8,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
20 Jahre nach 'Crazy': Benjamin Lebert ist zurück mit einem neuen Jugendbuch! In den Tiefen des Schwarzwalds hat sich eine Pforte geöffnet, durch die zwei Wesen aus einer versunkenen Zeit in unsere Welt gekommen sind. Einst sind Tristan und Martha Menschen gewesen. Sie kennen sich gut. Ihre Wege haben sich immer wieder gekreuzt. Nun sind sie Boten. Sie begeben sich auf die Suche, um die sechs verbleibenden Mitstreiter für ihren finalen Kampf zu finden, der über unsere Zukunft entscheiden wird ...

Benjamin Lebert, 1982 geboren, hat sieben Romane veröffentlicht, darunter seinen Erstling ?Crazy?, der über 1,2 Millionen Mal verkauft, in 33 Sprachen übersetzt und fu?rs Kino erfolgreich verfilmt wurde. Der Autor ist Gründungsmitglied des von Gu?nter Grass initiierten Lübecker Literaturtreffens. In Freiburg im Breisgau aufgewachsen, ist der Autor seit seiner Kindheit mit den Mythen und Legenden des Schwarzwalds vertraut. Lebert lebt mit seiner Familie in Hamburg.

Benjamin Lebert, 1982 geboren, hat sieben Romane veröffentlicht, darunter seinen Erstling ›Crazy‹, der über 1,2 Millionen Mal verkauft, in 33 Sprachen übersetzt und fürs Kino erfolgreich verfilmt wurde. Der Autor ist Gründungsmitglied des von Günter Grass initiierten Lübecker Literaturtreffens. In Freiburg im Breisgau aufgewachsen, ist der Autor seit seiner Kindheit mit den Mythen und Legenden des Schwarzwalds vertraut. Lebert lebt mit seiner Familie in Hamburg.

2


Der Sommer hatte sich schon lange von der Erde gelöst. Hatte sein Licht zusammengerafft. Aber die Nadelbäume, die allgegenwärtigen finsteren Nadelbäume des Schwarzwalds, hielten fest an ihrem Grün.

Unter diesen Fichten und Tannen, die schon immer weit hinauf in die Höhe ihrer Träume ragten, ging sie.

Sie kannte den Weg. Kannte ihn gut.

Als Isabell eine freie Anhöhe erreichte, sah sie die bewaldeten Gebiete ringsum, die uralten Hügel und den Himmel wie gewölkter Marmor, in dem Dunkelheit anwuchs.

 

Unter sich sah sie die Lichter von Hofsgrund leuchten. Funken von Heimat und Hass. Ein Ort von wenigen Hundert Einwohnern, die auf über tausend Metern Höhe unterhalb des Schauinslandgipfels lebten. Ein beliebtes Ziel für Wanderurlauber und Skifahrer. Hofsgrund lag in der Weite schöner Natur. Aber die Weite der Gedanken ließen seine Bewohner nicht gern zu.

Isabell glaubte, unter sich in der Ferne das Schindeldach des Hauses in der Silberbergstraße zu erkennen, in dem sie zusammen mit den anderen Teenagern lebte, den Aufsässigen, den Haltlosen.

Die Betreuerin, die kaum älter war als sie, kam immer wieder vorbei, um nach ihnen zu sehen.

Sie verhielt sich so, als gehörte sie zu ihnen. Als wäre sie eine Freundin. An Tagen, an denen man schwach war, glaubte man ihr.

Es gab sie oft, diese Tage.

 

Isabell lief über das ausgezehrte Gras einer Wiese und drang tiefer in den Wald vor. Die Blautöne des Abends, die Ranken, Schlinggewächse und Zweige wurden zu einem immer feineren Gespinst. Isabell musste sich beeilen. Die Betreuerin hatte mit strenger Miene deutlich gemacht, wann sie sie zurückerwartete.

 

Schon einmal war Isabell abgehauen und hatte über einen Tag hier oben im Freien verbracht, bis ein Suchtrupp losmarschiert war und sie zurückgeholt hatte. Sie erinnerte sich gut an diesen Tag hier draußen. An die Geräusche, die nach und nach lauter und intensiver wurden: das Rascheln, das Scharren und Kratzen. Sie erinnerte sich an die Bewegung ungesehener Flügel, und an die leichten Luftströme. An den leise nagenden Hunger. An Pflanzen, die so langsam wuchsen, dass man sich vor ihnen fürchtete. Weil man nicht ahnen konnte, was sie vorhatten. Manche der Pflanzen hatte sie gegessen. Obwohl sie keine Ahnung hatte, welche davon giftig waren. Besonders an eine Pflanze erinnerte sie sich, die länglich und schmal auf einer Lichtung hervorwachsend in den Himmel stach. Hinterher hatte Isabell Bauchkrämpfe bekommen. Weiter geschah nichts. Aber noch immer hatte sie viel zu häufig Bauchkrämpfe. Dann schmeckte sie jedes Mal diese Pflanze auf ihrer Zunge …

Die Zeit war wie in einem Traum dahingeglitten. Dennoch hatte sie sich zum ersten Mal nach langer Zeit wieder frei gefühlt.

Ja, eigentlich durfte Isabell nicht mehr allein in den Wald. Aber heute gab es eine Ausnahme. Heute war ein besonderes Datum.

Ein Datum, das alle anderen Kinder und Jugendlichen in ihrem Umkreis mit Halloween verbanden. Die alten Kelten hatten sie Samhain genannt, die Nacht zum ersten November, in der angeblich so manche Grenze auf mysteriöse Weise aufgehoben wurde.

Isabell kannte ihren Weg, kannte ihn gut.

Sie ahnte nicht, dass etwas aus erdigen Tiefen hervorkam.

Näher und näher kam.

 

 

Die kleine Kapelle St. Margareta lag tief verborgen im Wald. Kein ausgewiesener Weg führte dorthin. Manche Wanderer, die sich aufgemacht hatten, sie zu finden, kehrten abends mit der Geschichte ihres Scheiterns zurück. Der Wald trug die Kapelle im Herzen.

 

Isabell hatte in der Bücherstube des Heimatmuseums darüber gelesen. Christian Albert, ein alter Mann, den sie jede Woche besuchte, hatte sie einmal dorthin mitgenommen.

Es war nicht so langweilig, wie sie erwartet hatte. In einem Buch stand auch etwas über die Kapelle. Die Häuser, die es hier einmal gegeben hatte, waren schon vor langer Zeit zerstört worden.

Damals, im 19. Jahrhundert, hatte hier der Holzhandel floriert und die Weißtannen waren abgeholzt und zu Masten der holländischen Kriegs- und Handelsschiffe verarbeitet worden. Da war der Wald fast verschwunden und die Lebensgrundlage der Menschen bedroht. Der badische Staat beanspruchte daraufhin die Gebiete für sich, um sie wieder aufzuforsten. Viele Bauern waren gezwungen, ihre Grundstücke aufzugeben.

Aber die kleine Kapelle stemmte sich gegen die Jahrhunderte, blieb bestehen.

Es gab eine Legende aus weit entrückten Zeiten, als die Pest die Täler des Schwarzwalds heimsuchte. Der Legende nach blieben nur die Orte, in denen das Glockenläuten von St. Margareta zu hören war, von der Krankheit verschont.

 

 

Als Isabell in die Kapelle trat, schlug ihr eine feuchte Kühle entgegen. Sie zündete eine Opferkerze an. Zaghaft breitete sich ihr Licht aus, kam aber gegen die tiefer werdende Dunkelheit kaum an. Nach und nach verschwanden die Farben der Buntglasscheiben.

Isabell blickte in die Kerzenflamme und hatte das Gefühl, dass sich ihr Körper in die Nacht verflüchtigte. Sie glaubte nur noch aus einem Gesicht zu bestehen, das schwerelos in der modrigen Luft schwebte und Ausschau hielt. Die Augen starr auf die Flamme gerichtet. Für einen kurzen Moment glaubte sie einen Gesang zu hören. Eine Art von Chor. Dann war es wieder still.

Im dünnen Lichtschein der Kerze kniete sie. Mit gefalteten Händen, als würde sie beten. Aber sie betete nicht. Sie versuchte an ihre Mutter zu denken.

 

Jedes Jahr am Geburtstag der Mutter zündete Isabell hier eine Kerze an. Aber die Bilder, die in ihrem Geist auftauchten, waren nicht die der Mutter. Es waren Bilder anderer Frauen, denen sie flüchtig begegnet war. Frauen, denen sie manchmal heimlich auf der Straße nachlief, weil etwas an ihnen sie an ihre Mutter erinnerte. Die Statur, das gewellte Haar, ein Hauch von Parfüm. Isabell versuchte immer hinauszuzögern, den Frauen ins Gesicht zu sehen, damit das süße Trugbild bestehen blieb. Aber dann tat sie es doch. Diese Frauen waren am Leben und gingen ihrer Wege. Aber ihre Mutter, sie war tot.

 

Als Isabell wieder hinaus an die Luft kam, stand der Mond am Himmel. Wie eine schimmernde Kerbe, die in die Nacht geschlagen worden war. Sie blieb vor dem Eingang der Kapelle stehen und atmete die kalte Luft. Sie stellte den Kragen ihres Mantels auf, der zu dünn war für diese Jahreszeit. Sie mochte ihn aber, weil sie sich in ihm sexy fühlte und er sich farblich perfekt von ihren blonden Haaren abhob.

Isabell dachte auf einmal an Daniel, dem sie immer begegnete, wenn sie mit dem Fahrrad zum Bauernhof fuhr, um Eier zu kaufen. Er war sechzehn – genauso alt wie sie – und ging in ihre Parallelklasse. Seinem Vater gehörte der Bauernhof. Wenn sie dorthin kam, blickte sie der junge Mann immer so staunend an. Ihre Freundinnen sagten alle, dass er viel zu brav wäre. Langweilig. Aber Isabell mochte sein sanftes Gesicht. Sehr sogar. Es war nicht verriegelt wie die Gesichter anderer Jungs. Es gab vieles preis. Man merkte, dass er aus einer abgesteckten Welt kam, die nach Butterblumen, Heu und Kuhmist roch. Man merkte, dass er sich für Dinge, die in der Erde wurzelten, mehr interessierte als für Bilder, die auf Touchscreens aufschimmerten. Aber genau das gefiel ihr an ihm.

 

 

Im Mondlicht stand der Baum, den Isabell schon häufiger betrachtet hatte. Eine Hängebuche, die sich linker Hand neben der Kapelle auf der kleinen Lichtung befand. Ihr düsteres Gewirr aus kleinen und großen Ästen sank ausladend fast bis auf die Erde herab. Für einen kurzen Moment verfing sich ihr Blick in diesem Gewirr.

Dann hörte Isabell plötzlich ein Geräusch.

Zuerst glaubte sie nur den Wind zu hören, der durch den Wald strich. Dann merkte sie, dass es mitnichten der Wind war. Es war ein leise gurgelndes Ächzen wie ein angestrengter Atem, der nicht nachlassen wollte. Das Geräusch kam aus der Tiefe. Aus der Tiefe des stillgelegten, halb zerfallenen Brunnens, der sich auf halber Höhe zwischen Hängebuche und Kapelle befand. Das Geräusch schien in der Verborgenheit des Schachtes anzuschwellen und immer näher zu rücken.

Isabell huschte hinter einen Mauervorsprung der Kapelle.

Ihr Atem ging flach und schnell. Sie lugte zum Brunnen hinüber und sah, was dort aus dem Schacht hervorkam.

Sie sah Hände, einen sich von der Dunkelheit abhebenden Körper, der sich hinaus ins Freie schob. Isabell hörte das Pulsieren ihres Blutes in den Ohren. Ein nacktes Wesen mit wundem, verkohltem Fleisch wälzte sich vom Brunnenrand hinab ins Gras. Isabell wagte nicht, sich zu rühren. Ihre Augen wollten nicht länger hinsehen und taten es dennoch. Sie sah, wie der Körper mühevoll auf der Erde vorwärtskroch. Sie hörte den schwer gehenden Atem, der anders klang als bei einem Menschen. Fast so, als müsste dieses Wesen mühevoll lernen zu atmen. Es raschelte und knackte im Gras, als das Wesen weiterkroch. Es kroch auf die Hängebuche zu und verschwand hinter dem Vorhang der herabhängenden Zweige. Dort blieb es liegen, atmete. Atmete.

 

Isabell wollte wegrennen. Aber sie konnte es nicht. Etwas fesselte sie an diesen Ort. Was dort in die Schatten geschlüpft war, schien ein unsichtbares Band zu ihr geknüpft zu haben.

Vorsichtig näherte sie sich dem Baum, der im Blau der Nacht wie entrückt schien. Als sie ihn erreicht hatte, blieb sie zaudernd stehen. Immer noch durchströmte Angst ihren Körper. Aber dann fasste sie sich ein Herz. Sie spürte die Berührung feiner Zweigspitzen, als sie unter den hängenden Ästen hindurchschlüpfte.

Dort unter dem Baumstamm im schwachen...

Erscheint lt. Verlag 13.3.2020
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Schlagworte Bestsellerautor • Crazy • Fantasy • Gut und Böse • Jugendbuch • Kampf • Mythen • Pforte • Schwarzwald • Verbündete
ISBN-10 3-03880-133-X / 303880133X
ISBN-13 978-3-03880-133-7 / 9783038801337
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
Wie bewerten Sie den Artikel?
Bitte geben Sie Ihre Bewertung ein:
Bitte geben Sie Daten ein:
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 1,1 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich