Mörderisch im Abgang: 23 Weinkrimis aus Südwest -  Anne Grießer,  Ulrike Land,  Alexa Rudolph,  Renate Klöppel,  Regine Kölpin,  Andre Rober,  Barbara Saladi

Mörderisch im Abgang: 23 Weinkrimis aus Südwest (eBook)

eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
246 Seiten
Wellhöfer Verlag
978-3-95428-792-5 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
9,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen

Breisgau, Ortenau, Kaiserstuhl, Bodensee und Markgräflerland – Top-Adressen für edle Tropfen und nicht so edle Absichten. Denn im sonnigen Südwesten gedeihen nicht nur die Trauben besonders gut. Es gären Habgier, Eifersucht und Mordlust im gemütlichen Ländle, die dem Wein eine Note verleihen, die so süß ist wie der Tod.
Lassen Sie sich einladen zu einer Weinprobe der besonders aufregenden Art. 20 bekannte Autorinnen und Autoren servieren schwarzhumorige Tröpfchen mit Schuss aus dem malerischen Südbaden.
Wohl bekomm’s!

In bester Lage


Alexa Rudolph


 

Nebel lag wie Wattebäusche über den Gräbern. Der Tag war jung und noch kalt und keine einzige Menschenseele mochte so früh unterwegs sein. Erst gegen Mittag kamen die Friedhofsgärtner, Witwen und Vereinsamten über den schmalen Weg zum Bergfriedhof gelaufen, um die Ruhestätten zu besuchen. Es war also noch Zeit und Edmund hatte den herbstlich gefärbten Gottesacker für sich allein. Er musste nicht Auskunft über sein Befinden geben, musste nicht scheu zur Seite treten, wenn der Gärtnertraktor mit Anhänger, darauf Schaufeln und schwarze, krümelige Erde, an ihm vorbeirumpelte. Den Bergfriedhof in dieser atemberaubenden Stille zu erleben, deckte sich mit Edmunds Sehnsucht nach dem eigenen Grab, in das er sich bald legen wollte. Ja, dort wäre dann Friede, nicht nur in seinem einsamen Herzen, auch in seinem Kopf, seinem Gedärm und auf seiner Haut. Er kannte Leute, die sagten, dass sie unbedingt ihr Mobiltelefon mit in den Sarg nehmen wollten, für den Fall, dass sie nicht tot sondern nur scheintot seien. Edmund besaß kein Mobiltelefon und ein solcher Mumpitz zwecks Rückversicherung oder Grabbeigabe wäre ihm nicht in den Sinn gekommen.

 

Edmund war heute mit Strickmütze, wärmerer Jacke und geschnürten Stiefeln ausgerüstet. In seiner linken Armbeuge hing ein heller, leicht schmuddeliger Stoffbeutel.

Er drückte die Eisenklinke hinunter und trat durch das sich willig öffnende Friedhofstor. Bis vor Kurzem hatten die Scharniere bei diesem Vorgang lauthals gequietscht, was ihm jedes Mal wie ein Hilferuf vorgekommen war. Ein Hilferuf auf dem Friedhof? Der Gedanke, dass hier tatsächlich jemand um Hilfe rufen könnte, bereitete ihm Unbehagen. Also hatte er vor ein paar Tagen ein Kännchen Schmieröl besorgt und das Tor in Ordnung gebracht. Jetzt glitt es so leise und sanft dahin wie die Hand des Pfarrers, die sich nach Maries Beisetzung auf seine Schulter gelegt hatte. »Lieber Edmund, trag deinen Schmerz nicht als Bürde, trag ihn als Krone eurer Liebe und fünfzig Jahre währenden Verbundenheit. Du wirst sehen, Marie ist nicht wirklich fortgegangen, sie ist nur an einem anderen Ort. Eines Tages wirst du ihr folgen, bis dahin hast du noch wichtige Aufgaben zu erfüllen, die dich aufrecht halten werden. Auch wenn deine Füße nicht mehr hüpfen und tanzen, bis zu Maries Grab werden sie dich noch tragen und du kannst mit ihr reden. Glaube mir, lieber Freund, sie wird dich hören und ich bin mir beinahe sicher, sie wird dir auch antworten. Unser Friedhofstor ist nicht verschlossen, du kannst also jederzeit eintreten.«

 

Schritt für Schritt, er hatte keine Eile und atmete sehr bewusst die würzige Luft des frischen Morgens ein, lief Edmund an den Gräbern entlang und grüßte ihre Bewohner still. Er kannte sie alle, schließlich war er Filialleiter der örtlichen Sparkasse gewesen. Alte Familiennamen, Kindernamen, den Bürgermeister, den Lehrer, den Kaminfeger und seine Töchter, den früheren Besitzer vom Weingut, den Metzger und den Bäcker. Heute gab es keine Metzgerei und keine Bäckerei mehr im Dorf, die waren längst verschwunden und wurden durch einen Supermarkt ersetzt, aber ihre Namen standen auf den Grabsteinen und erinnerten an vergangene Zeiten.

 

Edmund seufzte. Er seufzte immer an derselben Stelle, das hatte er sich so angewöhnt. Vielleicht lag es auch einfach daran, dass ihm nach zwanzig Metern die Luft ausging und er ein bisschen verschnaufen musste. Um seine Schwäche zu kaschieren, seufzte er. Sein Seufzer hörte sich gedankenverloren an, vielleicht auch ein wenig wissend. »Ach ja«, murmelte er und ging weiter. Sein Blick schweifte über die Grabsteine und hielt sich an den schlanken, dunkelgrünen Bäumen fest, die zwischen den Gräberfeldern wuchsen und wie menschliche Gestalten aussahen. Hinter den Bäumen, nur ein paar Minuten entfernt, lagen die Weinberge. Dort war sein Lebenskreis, seine badische Heimat! Dort war er geboren, dort war er immer geblieben und hatte, zusammen mit Marie, ein bescheidenes aber redliches Leben geführt.

 

Sein Herz pochte. Er griff sich an die Brust. »Ruhig, bleib ganz ruhig«, sagte er. Das Herz gehorchte und kam wieder in den rechten Takt. Edmund blieb noch eine Weile stehen, um die Schönheit der vertrauten Landschaft zu genießen. Weinberg lag neben Weinberg, wohin er auch blickte. Die Terrassen des Tunibergs schlängelten sich wellenförmig durch die Natur. Nebelfetzen hingen in der Luft, schwebten wie Engel über dem Land, streiften die buntblättrigen, windschiefen Obstbäume und akkurat wachsenden Rebstöcke. Bei genauerem Hinsehen leuchteten sogar noch einige vergessene schwarzblaue Trauben aus dem friedlichen Bild. Die Vögel würden sie holen. Edmund überlegte, ob er noch einmal aufseufzen sollte, ließ es aber sein, blickte lieber in den Stoffbeutel, um sich zu vergewissern, dass er nichts vergessen hatte. Nein, alles dabei, er hatte an alles gedacht. Auch dieses Nachschauen im Beutel war ein Ritual. Alles war bei ihm zum Ritual geworden. Das half. Nur durch die selbst auferlegte Ordnung und Taktung seines Alltags, war das Leben ohne Marie auszuhalten, nur so verkümmerte er nicht und leistete sich jeden Tag frische Socken und Unterhosen. »Marie, gleich bin ich bei dir«, flüsterte er.

 

Ihr Grab war das schönste weit und breit. Nicht, weil es üppiger als die anderen gewesen wäre, es war eher bescheidener, unauffälliger, aber in seiner Aufteilung eindeutiger. Kein bunter Firlefanz wucherte, kein Engelchen oder Grablichtlein steckte im Erdreich, keine weißen Steinchen begrenzten die Ränder. Auch waren weder ein Grabstein noch ein Kreuz aufgestellt. Maries Grab kam namenlos daher, war nur ein Hügel aus allerbester, schwarzbrauner und sorgfältig gekämmter Erde. Mittendrin eine polierte Granitplatte, ungefähr dreißig mal dreißig Zentimeter groß. Die Platte schimmerte in zartem, von grauen Adern durchzogenem Rosa und wurde von Edmund täglich gesäubert. Schon mancher Regenwurm hatte die Platte als Tummelplatz benützt und dies mit seinem Leben bezahlt. »Elender Wurm!«, konnte Edmund schimpfen und das Würmchen mit der Schere teilen. Und auch die Schnecken mussten dran glauben. Da kannte er nichts. Hatte nicht auch Marie in ihrem Garten Schnecken durch einen radikalen Schnitt umgebracht?

 

Friedhofbesucher, die zufällig bei Marie vorbei kamen, fragten sich, wozu die rosa Steinplatte auf dem Hügel lag. Kein Name stand darauf, kein Blumenbouquet, rein gar nichts.

Nun ja, Beschriftung oder Pflanzschale kommen vielleicht noch, später, wenn die Ruhestätte frisch angelegt wird, wenn Maries Sarg sich gesenkt hat und alles sowieso neu gemacht werden muss, dachten sie. Doch Edmund hatte die Platte mit Bedacht ausgewählt und sie auch ordentlich verlegen lassen, also topfeben wie eine Tischplatte, auf der man zum Beispiel zwei Gläser und eine Weinflasche abstellen konnte.

Es dauerte eine Weile, bis es sich im Dorf herumgesprochen hatte. Zuerst war es nur ein Gerücht, dann Gewissheit: »Der alte Edmund läuft jeden Morgen zum Friedhof, um dort mit Marie ein Glas Wein zu trinken. Dabei unterhält er sich mit der Verstorbenen und wenn das Wetter angenehm ist, nicht zu heiß und nicht zu kalt, gibt es noch ein zweites Gläschen. Danach packt er Gläser und Flasche wieder ein und geht beschwingt nach Hause.«

Die Leute hatten recht, genau so war es. Selbst der Pfarrer hatte sich klammheimlich davon überzeugt.

 

»Marie, ich komme!«, keuchte Edmund, riss sich vom Landschaftsbild los und lief die letzten Meter bis zum Grab, so schnell er konnte. »Guten Morgen, Marie! Hast du gut geschlafen?«, rief er schon fünf Meter vorher. Es war ja niemand da, den er hätte stören können, und Marie war längst wach. Sie war immer eine Frühaufsteherin gewesen. »Morgenstund hat Gold im Mund«, ihre Devise. »Ja, meine Liebe, recht so, du hast also gut geschlafen. Wie solltest du auch nicht. Ist doch eine ruhige Gegend hier«, sagte er.

Er war jetzt angekommen und stand vor Maries Grab. Er legte den Stoffbeutel hin und nahm ein kleines Wolltuch heraus, mit dem er die Granitplatte zu säubern begann. »Vogelmist, so eine Frechheit!«, murmelte er. »Hast du gesehen, Marie, das lassen wir uns nicht gefallen. Sie scheißen doch heute auf alles.«

 

Nachdem er mit der Säuberung der Platte fertig war, zog er eine Flasche Wein aus dem Stoffbeutel. »Schau nur, was ich mitgebracht habe!«, rief er. »Einen Spätburgunder vom Weingut Clemens Lang. Der wächst beim Clemens in bester Lage am Munzinger Kapellenberg. Du erinnerst dich doch? Eine kleine Parzelle direkt am Kalksteinfelsen.« Er nahm den Korkenzieher und begann die Flasche zu öffnen. »Ich habe die Flasche neulich zum Geburtstag bekommen. Hm, ich glaube, das könnte ein einzigartiger Tropfen sein. Marie, den trinken wir jetzt! Heute ist ein besonderer Tag, denn ich will dir etwas Wichtiges sagen.«

Er griff in den Beutel und nahm zwei feine Gläser heraus, platzierte sie auf der Granitplatte und füllte sie vorsichtig. Er stellte die Flasche ab, trat einen Schritt zurück. Zufrieden betrachtete er das seltsame, aber eindrucksvoll schöne Bild. Der Wein in den Gläsern funkelte und strahlte lebhafter als tausend Kerzen. Edmund liefen Tränen über die Wangen. Er schnäuzte sich. »Meine...

Erscheint lt. Verlag 27.9.2019
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Essen / Trinken
ISBN-10 3-95428-792-7 / 3954287927
ISBN-13 978-3-95428-792-5 / 9783954287925
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
Wie bewerten Sie den Artikel?
Bitte geben Sie Ihre Bewertung ein:
Bitte geben Sie Daten ein:
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 270 KB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich