Was nicht mehr im Duden steht (eBook)

Eine Sprach- und Kulturgeschichte

(Autor)

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2019 | 1. Auflage
176 Seiten
Duden (Verlag)
978-3-411-91284-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Was nicht mehr im Duden steht -  Peter Graf
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Flugmaschine, Überschwupper, Zugemüse, Federbüchse, Fagöttchen und Nebelbild - diese Wörter stehen nicht mehr im Duden. Wann und warum wurden sie entfernt? Ein spannendes zeit- und kulturhistorisches Panorama eröffnet sich unter diesem neuen Blickwinkel auf das berühmte Wörterbuch: Es wird einmal nicht beleuchtet, welche Wörter neu aufgenommen werden, sondern nach dem Gegenteil gefragt.

Kleider machen Wörter

Überschwupper

Mode und Textilien

»Es gehört«, so steht es im 1982 erschienenen »Handbuch der Phraseologie«, »auch zu den sprachlichen Charakteristika des Bürgertums, daß es salopp-umgangssprachliche Phraseologismen meidet oder nur mit entschuldigender Relativierung verwendet.« Als Beispiel dient den Autoren des Handbuchs die Wendung alles Jacke wie Hose oder, genauer gesagt, ein Fontane-Zitat. Es stammt aus seinem Roman »L’Adultera«. Die Hose am Ende der von Fontane in den Satz eingebauten Wendung alles Jacke wie Hose ist durch drei Auslassungspunkte ersetzt. Sie verweisen ironisch darauf, dass sich die Verwendung des Wortes damals in besseren Kreisen nicht schickte. Mitte des 19. Jahrhunderts hatte sich als Ersatz dafür der Ausdruck die Unaussprechlichen eingebürgert, abgeleitet von dem englischen the inexpressibles. Eingang in den Duden fanden die Inexpressibles in der 9. Auflage von 1915, gestrichen wurden sie in der 11.Auflage von 1934. »Meyers Großes Konversations-Lexikon« von 1907 erklärt dazu:

Inexpressibles (engl., die Unaussprechlichen), in England übliche Benennung der Beinkleider, nicht weil man in dem Begriff der Hosen an und für sich etwas Unanständiges findet, sondern weil das englische Wort dafür (breeches) in der Einzahl Steiß bedeutet.

Die Prüderie der Engländer führte also zu einer Wortneubildung, die der anscheinend noch größeren Prüderie des Bürgertums in Deutschland half, das noch Unaussprechlichere zu maskieren. In Stefan Zweigs »Die Welt von Gestern« liest sich das so:

Vielleicht wird man heute noch verstehen, daß es in jener Zeit als Verbrechen gegolten, wenn eine Frau bei Sport oder Spiel eine Hose angelegt hätte. Aber wie die hysterische Prüderie begreiflich machen, daß eine Dame das Wort Hose damals überhaupt nicht über die Lippen bringen durfte? Sie mußte, wenn sie schon der Existenz eines so sinnengefährlichen Objekts wie einer Männerhose überhaupt Erwähnung tat, dafür das unschuldige Beinkleid oder die eigens erfundene ausweichende Bezeichnung – Die Unaussprechlichen – wählen.

Welchen Aufschrei es auslöste, als die ersten Frauen nicht nur Hose sagten, sondern selber welche trugen, ist überliefert. Berühmtheit erlangten die Skandale, die etwa die Schriftstellerin George Sand auslöste, als sie in Paris in Hosen auf die Straße ging oder mehr noch auf Mallorca, wo sie mit ihren Kindern und mit ihrem Freund Frédéric Chopin den Winter 1838/39 verbrachte. Am 9. Mai 1951 berichtete das Nachrichtenmagazin »Der Spiegel«:

Katharine Hepburn, 41, Doktor der Psychologie und amerikanischer Filmstar, erschien auf einer Pressekonferenz in London in einem haferschleimfarbenen Hosenanzug und flachen braunen Schuhen. Sie sprach: »Ich habe es aufgegeben, Röcke zu tragen. Sie zeigen meine Deformierungen zu deutlich. Ich weiß, daß ich schlicht und dürr bin. Früher störten mich meine vielen Sommersprossen, aber jetzt sind sie mir gleichgültig. Ich kümmere mich auch nicht mehr um Schönheitspflege und Maniküre. Nur die wirklich schlichten Frauen kennen die Liebe. Die schönen Frauen verschwenden ihre Zeit, faszinierend zu sein.«

Hepburns Understatement ist geradezu kokett. Sie war in ihrer Zeit ebenso stilprägend wie die andere Modeikone gleichen Nachnamens: Audrey Hepburn. Spätestens mit dem Film »Frühstück bei Tiffany« wurden diese und das »Kleine Schwarze« unsterblich. Und natürlich hatte auch sie eine Leidenschaft für Schuhe, insbesondere für bunte Ballerinas aus Kidleder (11/1934), die sie sich von Salvatore Ferragamo schustern ließ. Dieser verzauberte von Florenz aus auch Filmdiven wie Marlene Dietrich, Sophia Loren, Gina Lollobrigida, Rita Hayworth oder Marilyn Monroe mit seinen Schuhkreationen.

Ikonografisch ist auch das Film-Still aus »Frühstück bei Tiffany«, das Hepburn zeigt: die Hände und Unterarme in lange, schwarze Handschuhe gehüllt und mit langer Zigarettenspitze, die sie lässig in ihrer linken Hand hält, während die rechte ihr Kinn abstützt. Die Hochsteckfrisur, die sie auf dem Bild trägt, wird Beehive, also Bienenkorb genannt. Zwei Jahre später, 1963, schuf der Friseur Vidal Sassoon mit dem Bob einen revolutionären Kurzhaarschnitt, dem Audrey Hepburn ebenso zu Popularität verhalf, aber mehr noch als sie vielleicht Twiggy, das Starmodel der 1960er-Jahre. Der Bob stand in der Tradition der Kurzhaarschnitte der Zwanzigerjahre: des Bubikopfs mit Sonderformen wie dem Pagen- und dem Etonschnitt (12/1941). Der Etonschnitt ist eine sehr kurz geschnittene Form des Bubikopfs, der damals gerne mit viel Pomade getragen wurde.

Am 19. April 1925 notiert Harry Graf Kessler in sein Tagebuch:

Mittags bei Stresemann in seiner Villa. Frau Stresemann, die sich durch einen Bubikopf sehr verjüngt hat, empfing mich. Nachher eine Stunde allein mit Stresemann gesprochen. Er war über die Kandidatur Hindenburgs unverhohlen und ehrlich verzweifelt; nahm seine düsterste Miene an, als ich das Gespräch darauf brachte und die katastrophalen außenpolitischen Folgen einer Wahl Hindenburgs schilderte.

Bei den vielen Berichten über die Goldenen Zwanzigerjahre in Berlin und den anderen Großstädten Deutschlands vergisst man leicht, dass die junge Republik von allen Seiten bedroht und angefeindet wurde. Vieles stieß vielen auf, auch der freizügige, oft dekadente Lebensstil und die Mode.

Dezenter kleidete sich Stresemann selbst. Stresemann, Reichskanzler, aber vor allem langjähriger Außenminister und 1926 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet, trug im Dezember 1925 anlässlich der in London feierlich zelebrierten Unterzeichnung der »Verträge von Locarno« einen aus einer schwarz-grau gestreiften Hose, einem schwarzen Jackett und einer dunklen Weste bestehenden Anzug, den er mit einem weißen Hemd mit Umschlagmanschetten komplettierte. Eigentlich war zu solchen Anlässen ein Cut (oder Cutaway) vorgeschrieben, aber Stresemann ignorierte das Protokoll und trug zum gestreiften Beinkleid statt eines Gehrocks ein schwarzes Sakko. Eine Kombination, die viele Nachahmer fand, auch später in der Bonner Republik.

Im Trend lag in den 1920er-Jahren auch die Sportmode. Sweater, auf Deutsch als Schwitzer (16/1967 West, 15/1957 Ost) bezeichnete Pullover sowie Überziehjacken und -blusen aus Trikotstoff kamen in Mode, ebenso die beim Tennissport gerne getragenen weißen Pullover mit V-Ausschnitt, die auch beim Cricket beliebt waren. Diese wurden im Deutschen »halb scherzhaft«, wie es im Duden hieß, Überschwupper (12/1941) genannt. Joseph Roth, ein Verächter der Sport- und Freizeitmode der Zwanzigerjahre, reimte polemisch:

Rechts Tennisplatz, links die Fabrik

Dazwischen gähnt ein tiefer Graben –

es führt kein Weg vom Leid zum Glück –

und Tod und Sport sind Schicksalsgaben:

es hüpft ein Ball – durch Mauern dringt

ein Radgestöhn, das sich verirrte –

Ein Kronprinz tummelt sich beschwingt

vom Sport weg in die Illustrierte …

Hier ist Kultur! – Die Diele blinkt

in amourösem Ampelscheine –

Wer Geld hat, lebt! Wer Geld hat, trinkt!

Wer kein’s hat, hat die Wäscheleine! …

Joachim Ringelnatz, der dem Sport ebenso komische Seiten abgewinnen konnte wie den häufig wechselnden Moden, war da weniger sozialkritisch:

Für die Mode, nicht dagegen

Sei der Mensch! – Denn sie erfreut,

Wenn sie sich auch oft verwegen

Vor dem größten Kitsch nicht scheut.

Ob sie etwas kürzer, länger,

Enger oder anders macht,

Bin ich immer gern ihr Sänger,

Weil sie keck ins Leben lacht.

Durch das Weltall sei’s gejodelt

Allen Schneidern zum Gewinn:

Mode lebt und Leben modelt,

Und so haben beide Sinn.

Ihm hätte deshalb, man darf es annehmen, auch ein anderes Kleidungsstück nicht die Zornesröte ins Gesicht getrieben: der Autocoat (aufgenommen in der 17. Auflage [West] von 1973 und gestrichen in der 26.Auflage von 2013), gebildet aus deutsch Auto und englisch coat. Dabei handelt es sich um einen Mantel, der sich aufgrund seiner Kürze besonders zum Autofahren eignet – aber natürlich auch darüber hinaus getragen wird. Sehr populär war er in den Sechzigerjahren.

Während die Autocoats der Sechziger auch aus leichten Materialien wie Nylon und Baumwolle gefertigt wurden, gestaltete sich die Kleiderfrage für Autofahrer zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch ganz anders. In Autos, die weder eine Heizung noch ein Dach hatten, mussten Mäntel vor allem eines: ihre Besitzer wärmen. In Otto Julius Bierbaums wunderbarem Buch »Eine empfindsame Reise im Automobil« von 1903 hieß es zur Kleiderfrage:

Gewiß, unserer Expedition ist nicht so kriegerisch und überseeisch wie die des Weltmarschalls, aber ich habe immer bemerkt, daß, wenn einer Automobil fährt, beträchtliche Veränderungen in seiner Garderobe vor sich gehen. Er kleidet sich in Leder, wendet das Fell des Pelzes nach außen, setzt sich eine Maske und eine gigantische Mütze auf, – kurz, jedes Kleidungsstück ruft laut und vernehmlich: Töff! Töff! Auch Herr Hoffmann hatte mit mir weitgehende schneiderische...

Erscheint lt. Verlag 8.5.2019
Reihe/Serie Duden - Sachbuch
Duden-Sachbuch
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Sprach- / Literaturwissenschaft Sprachwissenschaft
Schlagworte alte Wörter • Archaismen • Archaismus • aussterbende Wörter • Deutsch • Duden • Geschichte • gestrichen • Kultur • Kulturgeschichte • Philologie • Redewendung • Redewendungen • Sprache • Sprachgeschichte • Sprachwandel • Unbekannte Wörter • varaltete Wörter • veraltete Wörter • Vergessene Wörter • Vokabular • von damals • Wortbedeutung • Wörter • Wörterbuch • Wortlisten • Wortschatz • Wortstreichungen • Zeitgeschichte • Zeitreise
ISBN-10 3-411-91284-7 / 3411912847
ISBN-13 978-3-411-91284-1 / 9783411912841
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