Leuchtturm sein (eBook)

Trauma verstehen und betroffenen Kindern helfen

(Autor)

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2019 | 1. Auflage
192 Seiten
Kösel (Verlag)
978-3-641-21580-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Leuchtturm sein -  Tita Kern
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Verletzte Kinderseelen heilen
Kinder sollen glücklich sein und unbeschwert leben dürfen - das wünschen wir Erwachsene uns für sie. Doch dieser Wunsch lässt sich leider nicht immer erfüllen. Auch Kinder werden Zeugen und Opfer schlimmer Unfälle, sie erleben Gewalt und Unsicherheit, ihre Familien können zerbrechen und auch sie werden mit Tod und Sterben konfrontiert. Dieses Buch ist für alle, die sich 'Unterstützung beim Unterstützen' eines traumatisierten Kindes wünschen, egal ob Eltern, Großeltern, Patentanten, Erzieher oder ehrenamtliche Helfer. Wenn die Orientierung auf hoher See verloren geht, brauchen Kinder - wie kleine Seefahrer - starke und sichere Leuchttürme, die ihnen wieder den Weg weisen können. Mit der richtigen Unterstützung kann auch das größte Trauma gut überstanden werden.

Tita Kern, geboren 1975, ist Psychotraumatologin und Systemische Familientherapeutin. Nach langjähriger Arbeit als Rettungssanitäterin übernahm sie die Leitung der KIT-Akademie und KIT-Nachsorge (Kriseninterventionsteam München). Sie entwickelte das mehrfach ausgezeichnete Konzept »Aufsuchende Psychosozial-Systemische Notfallversorgung (APSN)« und leitete von 2007-2011 das nach diesem Konzept arbeitende Pilotprojekt »KIDS - Kinder nach belastenden Ereignissen stützen« beim ASB. Von 2011 bis zur Gründung der AETAS-Kinderstiftung verantwortete sie die »Akuthilfe für traumabelastete Kinder und Familien« (APSN) des Trauma Hilfe Zentrums München e.V. Seit 2013 ist sie in der AETAS Kinderstiftung die fachliche Leiterin.

2.1. Grundsätzliche Tipps nach einem Sturm


Auf den folgenden Seiten wollen wir uns anschauen, in welchen vier Bereichen sich Traumafolgen zeigen:

  • Wiedererleben von Traumainhalten und Trauma-Alarme,
  • Vermeidung von Hinweisreizen,
  • Daueranspannung mit ständigem Erleben möglicher Bedrohung,
  • Erschütterung.

Wenn Sie als Bezugsperson diese Bereiche und die entsprechenden Symptome kennen, können Sie Ihr Kind wirkungsvoll unterstützen und begleiten.

Sie sind sehr wichtig in diesem Prozess, denn viele Kinder erleben allein schon dadurch eine deutliche Erleichterung, dass ihre Bezugspersonen Symptome besser verstehen und anders auf sie reagieren.

In diesem Kapitel werden zunächst einige grundsätzlich sinnvolle Punkte ausgeführt, die es Ihnen ermöglichen sollen, einen traumasensiblen Blick und dementsprechendes Verhalten zu entwickeln. Auch auf den Umgang mit den als Traumafolge typischen und einzigartigen Trauma-Alarmen wird aufgrund der hohen Relevanz bereits in diesem ersten Teil detailliert eingegangen.

Daran anschließend werden in Kapitel 2.2, in Altersgruppen eingeteilte Traumasymptome aus den vier Bereichen beschrieben und jeweils mit konkreten Vorschlägen zum praktischen Umgang verbunden.

Behalten Sie den Stresspegel im Auge

Wie in Kapitel 1.1 erklärt, liegt die Wurzel einer Traumatisierung in einer massiven Überdosis Stress, die nicht abgebaut werden kann und in der Folgezeit weiterwirkt. Plakativ gesagt, bestehen Trauma und Traumasymptome also aus Stress. Das Erleben der Symptome erzeugt ebenfalls Stress und so füttert sich der Stresskreislauf selbst, hält sich aufrecht und verfestigt sich im ungünstigsten Fall immer weiter.

Sowohl der Traumasteckbrief als auch die entstehende Vermeidung kosten ständig Kraft. Deshalb kann es sehr gut sein, dass Kinder und Jugendliche nach einer Traumatisierung einen sehr viel kürzeren Geduldsfaden, weniger Kraftreserven und grundsätzlich ein ungewohnt »dünnes Fell« haben. Häufig ist dann ein Auslöser in einer bestimmten Situation nicht mehr als eben das: ein Auslöser. Im Vorfeld haben sich schon viele kleine Schritte summiert und dann zusammengenommen dazu geführt, dass es zu viel wurde. Daher ist es sehr sinnvoll, gut auf den traumabedingten, aber auch auf den allgemeinen Stresspegel zu achten, um das ohnehin schon massiv belastete System nicht immer wieder zu überfordern.

Installieren Sie in Ihrer Wahrnehmung einen Gradmesser: Versuchen Sie, im Auge zu behalten, wie viel Kraft dem betroffenen Kind momentan noch zur Verfügung steht. Planen Sie die Tage sorgfältig, sehr viel bewusster als sonst – und mit mehr Bereitschaft, von einem einmal gemachten Plan auch wieder abzurücken. Besprechen Sie mit Ihrem Kind, warum es in dieser Zeit besonders wichtig ist, auf die eigene Kraft zu achten. Überlegen Sie gemeinsam ganz konkret, was am kommenden Tag oder in der kommenden Woche Kraft kostet und unbedingt auch, wie die Kraftreserven wieder aufgefüllt werden können.

Faktoren, die meist viel Kraft kosten und die zur Verfügung stehende Energie reduzieren, sind unter anderem:

  • Schlafmangel und Müdigkeit
  • körperliches Unwohlsein oder Hunger
  • angespannte Stimmung in der Interaktion mit anderen Menschen
  • Auftreten von Hinweisreizen
  • große Gefühle (auch Aufregung, Freude oder Überraschung)
  • sehr viele Termine oder Anforderungen ohne ausreichende Pausen.

Natürlich können Sie nicht all diese Faktoren ständig vermeiden und das wäre auch gar nicht sinnvoll. Es geht auch vielmehr darum, einen realistischen Blick auf die vorhandene Kraft und all das, wofür sie ausreichen muss, zu bewahren. Damit Sie sinnvoll planen können und dem Stresssystem eine Chance zur Erholung und Stabilisierung geben.

»Ich habe noch nie in meinem Leben einen Termin bei unserem Kieferorthopäden so sehr bereut wie diesen. Emmy war schon müde aus der Schule gekommen und alles andere als fit. Es war nur ein Kontrolltermin, aber wir warten immer so lange auf einen neuen Termin dort. Also habe ich sie hingeschleppt. Was dann losbrach, war die reinste Hölle!« Clarissa, Mutter von Emmy (6 Jahre), nach dem plötzlichen Herztod ihres Großvaters

Erklären Sie, was passiert

Nachvollziehbare Erklärungen können dazu beitragen, dass Themen weniger Angst machen und der eigene Umgang mit ihnen sicherer wird. Allein die Tatsache, etwas einordnen, begreifen und vorhersagen zu können, bewirkt oft, dass wir uns ruhiger und weniger ausgeliefert fühlen.

Natürlich geht es Kindern und Jugendlichen ganz genauso: Erklärungen zu erhalten für das, was sie an sich erleben, und zu verstehen, dass die Symptome zwar unangenehm und ängstigend, gleichzeitig aber erklärbar sind, ermöglicht bereits eine erste Beruhigung.

Bitte finden Sie für erklärende Gespräche einen ruhigen Moment, in dem der Kopf auch tatsächlich aufnehmen kann, worum es geht. Wenn gerade ein Trauma-Alarm dazu führt, dass Ihr Kind die Gegenwart mit der Vergangenheit verwechselt, ist das nicht der richtige Zeitpunkt für Erklärungen.

Wenn Sie sich entscheiden, Ihrem Kind eine Erklärung zum Thema ­Trauma anzubieten, achten Sie darauf, dass Ihre Art der Vermittlung möglichst wenig emotional ist. Weder eine Bagatellisierung noch eine übermäßige Betonung der emotionalen Bedeutung des Themas ist in diesen erklärenden Momenten hilfreich. Sie machen es sonst Ihrem Kind schwer, klar und wach einen neuen Bezug zu finden.

Wie Sie Ihrem Kind Trauma und seine Folgen erklären können

»Wenn wir etwas so Erschreckendes oder Gefährliches erleben, dass es in diesem Moment keine Lösung gibt, macht unser Kopf einen Trick: Er speichert keine normale Erinnerung, sondern eine Liste mit Punkten aus der erschreckenden Situation, die uns zukünftig warnen soll.«

Vielleicht fällt Ihnen ein Beispiel ein, um das Prinzip deutlich zu machen. Erzählen Sie etwa:

»Wenn ich bei einem Ausflug an den See barfuß in ein rotes Gummiboot steige und in eine Wespe trete, die mich kräftig in den Fuß sticht, wird mein Kopf eine kleine Warnliste anlegen. Beim nächsten Mal, wenn ich ein rotes Gummiboot sehe, wird mein Kopf eine Wespenwarnung aussprechen. Ich werde dann vielleicht nervös und vorsichtig und passe besonders gut auf, wo ich hintrete, selbst wenn diesmal gar keine Wespe dort ist. Wenn das Ereignis noch viel erschreckender ist als ein Wespenstich, speichert der Kopf mehr Punkte, die viel heftiger wirken auf seiner Warnliste, damit uns so etwas nie wieder passiert.

So kann es sein, dass der Kopf Alarm schlägt, wenn er heute etwas sieht, hört, fühlt, riecht oder wiedererkennt, das auf der Warnliste gespeichert ist. Dann fühlt sich die Situation wieder total gefährlich an, auch wenn sie das gerade eigentlich gar nicht ist.«

An dieser Stelle können Sie vielleicht mit Ihrem Kind oder Jugendlichen eine Situation reflektieren und gemeinsam überlegen, welche Punkte der Warnliste dort ­aktiviert wurden. Bleiben Sie dabei klar und überlegen Sie mit Ihrem Kind aus einer eher distanziert beobachtenden Position, damit der Kopf nicht in die alte Geschichte rutscht.

»Wenn ein Punkt der Warnliste aktiviert wurde, können unter Umständen auch andere Teile der alten Situation wieder in die Gegenwart rutschen. Dann kann es sein, dass die Gefühle aus der alten Situation (panisch, wütend, ängstlich, ausgeliefert ...), die Gedanken (Oh nein!, bitte nicht, jetzt ist alles vorbei …), die Handlungen (weglaufen, sich wehren, sich an einer Bezugsperson festklammern) oder das Körpergefühl (angespannt, gelähmt, schlapp, Kopf neblig oder leer) von damals wieder auftauchen, selbst wenn es gerade überhaupt nicht gefährlich ist.

Der Kopf passt also ständig auf und schlägt Alarm, wenn er einen Punkt von der Warnliste erkennt. Außerdem versucht er wahrscheinlich zusätzlich allen Punkten auf der Warnliste aus dem Weg zu gehen, selbst wenn diese in der Gegenwart eigentlich gar nicht gefährlich sind.

Das ist sehr, sehr anstrengend. Für den Kopf, das Herz und den Körper. Das Ziel ist es – und das braucht manchmal ein bisschen Zeit, Geduld, Durchhalten und Hilfe –, im Nachhinein das, was passiert ist, als normale Erinnerung statt als Warnliste zu speichern, damit es nicht mehr in der Gegenwart herumspukt.«

Respektieren Sie Abwehr

Vielleicht haben Sie das Gefühl, Ihr Kind sollte mehr über das Erlebte oder seine Gefühle sprechen. Die Angst vor »Verdrängung« und einem später daraus entstehenden Schaden ist weiter verbreitet. Doch viele Kinder empfinden ein frühes Sprechen über das Erlebte als zusätzliche Belastung oder die Konfrontation mit den eigenen Gefühlen als erneutes Erleben von Hilflosigkeit, von Ausgeliefertsein.

Übergehen Sie keine Abwehrsignale Ihres Kindes, das steigert den Stress im Körper-Psyche-System und trägt damit nicht zu Beruhigung und möglicher Verarbeitung bei. Dabei ist es wichtig zu beachten, dass Abwehr sich nicht immer so zeigt, dass ein Kind sagt, dass es über etwas nicht sprechen möchte. Vielleicht lenkt Ihr Kind oder Jugendlicher auch ab, fängt an herumzualbern oder zeigt eine für Sie unverständliche oder sogar unangebrachte...

Erscheint lt. Verlag 25.11.2019
Illustrationen Sabine Büchner
Zusatzinfo Durchgehend zweifarbig mit Illustrationen
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Lebenshilfe / Lebensführung
Schlagworte AETAS • Ängste bei Kindern • eBooks • Eltern • Erziehung • Erziehungsratgeber • Familientherapie • Gesundheit • Gewalt in der Familie • Kindererziehung • Kindertrauer • Krisenintervention • Plötzlicher Tod • Terror • Traumatherapie • Traumatisierte Kinder • Unfallzeugen
ISBN-10 3-641-21580-3 / 3641215803
ISBN-13 978-3-641-21580-4 / 9783641215804
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