Nachts am Brenner (eBook)

Ein Fall für Commissario Grauner
eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
336 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-31672-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Nachts am Brenner -  Lenz Koppelstätter
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Im Schatten der Südtiroler Alpen ermittelt Commissario Grauner in seinem persönlichsten Fall. Am sagenumwobenen Brennerpass, inmitten der Alpenidylle zwischen Südtirol und Österreich, müssen Commissario Grauner und sein neapolitanischer Kollege Saltapepe einen grausamen Mord aufklären. Ein alter Mann wurde an ein Pferd gebunden zu Tode geschleift. Er lebte zurückgezogen, spielte manchmal mit seinen schweigsamen Freunden aus Jugendtagen eine Partie Karten. Als diese befragt werden sollen, verschwindet einer von ihnen spurlos. Die Ermittlungen führen den Commissario bis in die dunkelsten Abschnitte der Südtiroler Geschichte. Und ein alter Koffer birgt Hinweise darauf, dass der Fall mit der tödlichen Tragödie auf dem Hof von Grauners Eltern zusammenhängen könnte. Für die er auch heute, nach so vielen Jahren, keine Erklärung hat. Am Brenner, dort, wo einst Staatsmänner, Schriftsteller, Händler und Weltenbummler Station machten, ist die Ruhe der Nacht trügerisch.

Lenz Koppelstätter, Jahrgang 1982, ist in Südtirol geboren und aufgewachsen. Er arbeitet als Medienentwickler und als Reporter für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und Salon. 2015 startete bei Kiepenheuer & Witsch die Krimireihe um den Südtiroler Commissario Grauner, die ein großer Erfolg bei Leser:innen und Presse ist.

Lenz Koppelstätter, Jahrgang 1982, ist in Südtirol geboren und aufgewachsen. Er arbeitet als Medienentwickler und als Reporter für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und Salon. 2015 startete bei Kiepenheuer & Witsch die Krimireihe um den Südtiroler Commissario Grauner, die ein großer Erfolg bei Leser:innen und Presse ist.

3


Normalerweise, wenn Grauner und seine Männer zu einem Tatort kamen, hatte sich da schon eine Menschenmenge versammelt. Ein Toter, insbesondere ein Ermordeter, das sprach sich schnell herum in den Dörfern Südtirols, das erzählte der Bäcker frühmorgens den Frauen, mittags, bei Speckknödeln und Gulasch, wurde bereits spekuliert, wer es wohl gewesen sei, und nachmittags traf man sich im Gasthaus oder auf den Kirchenbänken, um in großer Runde zu besprechen, was nun zu tun sei, um zu beklagen, dass das ausgerechnet im eigenen Dorf … dass man das von dem Verdächtigen nie erwartet … dass man sich immer schon gedacht habe, dass grad mit dem etwas nicht stimme.

Normalerweise war es Grauners erste Aufgabe, den Tatort freizuhalten, die Neugierigen zu vertreiben, die Flut von Gerüchten und Anschuldigungen zu kanalisieren und Wichtiges von Unwichtigem zu trennen. Doch als sie den Brenner erreichten, war da keine Menschenmenge zu sehen. Es war alles wie an jedem anderen gewöhnlichen Sommertag.

Drüben auf der Autobahn rauschte der Verkehr in beide Richtungen. Am Straßenrand reihten sich vom Bahnhof bis zum Outlet-Center die Touristenautos aneinander.

Zwei deutsche Familien hievten Einkäufe in die Kofferräume ihrer Autos. Designerjeans von Armani und Diesel; eingeschweißte Speckhammen, kiloschwer; Dreierkartons Wein, Vernatsch, Lagrein und natürlich den süßen Gewürztraminer. Schokolade, XXL-Tafeln aus Ferrara; Parmesan aus der Provinz Reggio Emilia; Holunderblütensirup; unzählige Packungen Kaffeepulver von Lavazza und ein paar Äpfel aus dem Unterland – für unterwegs. Einer der Familienväter hatte die neu gekaufte Lederhose bereits über die dicken schneeweißen Waden gezogen, jede Sekunde drohte das Kunstleder zu platzen, an einem Plastikhirschgeweihkopf, der neben ihm auf dem Boden lag, hing noch das Preisschild: 39,90 statt 89,90.

Eine Gruppe Rennradfahrer schlängelte sich an einer Touristenhorde vorbei. Sonnenverbrannte Unterarme, Leibchen der Giro-d’Italia-Idole: Gianni Bugno, Claudio Chiappucci, Marco Pantani. Kaum Schweiß auf der Stirn. Der Brenner mit seinen 1370 Höhenmetern war ein Klacks auf dem Weg zu den richtig hohen Alpenpässen.

Die Touristen schlenderten die Marktstände und kleinen Geschäfte entlang. Einst war der Brenner ein florierender Handelsort gewesen. Aus Österreich waren sie gekommen, um auf italienischer Seite billige Zigaretten zu kaufen. In Österreich waren dafür die Bananen günstiger zu haben.

Die ausgeblichenen Rollläden eines Gemischtwarenladens waren geschlossen. Vendesi stand darauf. Zu verkaufen.

Was einst ein Dorf gewesen war, war nur noch ein Abklatsch der Vergangenheit mit angebautem Einkaufstempel. Die Berge untertunnelt von monströsen Bohrmaschinen, irgendwann würde dort der Güterverkehr durchrasen. Die meisten Dorfbewohner waren weggezogen in den vergangenen Jahren. Weil es sich ohne Grenze an diesem Ort nicht mehr zu leben lohnte. Nur ein paar wenige Polizisten waren geblieben, und einige Bahnbeamte. Der Handel war zum Erliegen gekommen, nur der Schmuggel florierte nach wie vor. Keine Bananen und kein Tabak wurden mehr illegal über die Wasserscheide gebracht, aber nach wie vor Drogen, Waffen und Menschen.

An einem Kreisverkehr standen sich die italienischen Finanzer und die österreichische Grenzgendarmerie gegenüber. Sie winkten die wenigen Autos durch, die über die Staatsstraße zum Pass kamen. Das Winken, ein Reflex, in der DNA von Grenzpolizisten verankert. Nicht wegzubekommen, auch wenn die Grenze offen war. Die monströsen Maschinengewehre, die sie jahrzehntelang im Anschlag gehalten hatten, verstaubten in den Kasernen. Sie waren Reliquien einer Zeit, in der Italien und Österreich noch ihren eigenen kleinen Kalten Krieg inszenierten.

 

Auf einem Parkplatz zwischen dem Bahnhof und dem Outlet-Center wartete schon der Polizeikommandant der Brenner-Station. Er lehnte an der Fahrertür eines dunkelblauen Panda und rauchte. Neben ihm stand ein hochgewachsener unscheinbarer Kollege. Sie unterhielten sich mit einer älteren Dame. Sie musste so um die sechzig sein. Auch ein Mann in der Uniform der Beamten der Ferrovie dello Stato stand dabei.

Die Autos der Staatspolizei aus Bozen hielten nebeneinander. Grauner und Saltapepe stiegen als Erste aus. Der Commissario atmete die Brennerluft ein. Obwohl die Abgase nur wenige Meter weiter auf der Autobahn aus den Auspuffen gepumpt wurden, obwohl die Tankstellen den Sauerstoff mit Benzin und Diesel versetzten, war die Luft klar und kalt. Eine Wohltat an diesem heißen Augusttag.

»Grüß Gott«, sagte Grauner in die Runde. »Commissario Grauner von der Polizia di Stato in Bozen. Sie haben uns gerufen. Ein Mord?«

Der Polizeikommandant ging einen Schritt auf den Commissario zu, reichte ihm die Hand und musterte ihn dabei misstrauisch. Der Mann war einen Kopf kleiner als Grauner, seine Uniform spannte um den Bauch, im spiegelblank polierten, kniehohen rechten Stiefel klemmte eine Verkehrskelle.

»Ich, äh, Ispettore Superiore Paolo Ceccanti mein Name, eigentlich ging ich davon aus, ich würde die Leitung inne…«

Das geht ja gut los, dachte Grauner. Seine Miene verfinsterte sich. Ihm war bekannt, dass die wenigen am Brenner stationierten Polizisten mehr oder weniger ein sinnbefreites Eigenleben führten. Als im Zuge des Schengener Abkommens die Grenzen geöffnet wurden, hätte man sie abkommandieren müssen, sie waren aber im Wirrwarr der italienischen Polizeikompetenzen in Vergessenheit geraten.

Wenn die Grenze wegen eines politischen Ereignisses geschlossen wurde, spielten sich die verbliebenen Beamten groß auf. Wenn eine Gruppe Flüchtlinge es von Lampedusa bis an den Brenner schaffte und die Presse davon Wind bekam, holten sie die alten Panzerwagen aus der Garage – und durften sich für ein paar Stunden und Tage wieder so wichtig fühlen wie früher.

Klar, dachte Grauner, dass dieser Brenner-Kommandant so einen Mord als Chance begriff, sein Selbstwertgefühl aufzupeppen. Klar, dass ihm ein Commissario aus Bozen dabei nicht gelegen kam.

»Hören Sie, Ceccanti«, sagte Grauner, um einen Machtkampf im Keim zu ersticken, »wir sind im Auftrag der Staatsanwaltschaft unterwegs. Staatsanwalt Dr. Martino Belli hat mir die Ermittlungen zugewiesen. Er selbst wird auch bald vor Ort sein. Wir sind nicht hochgekommen, um den Verkehr zu regeln.« Er schaute herablassend auf den Stiefel des Kommandanten. Grauner spielte sich nicht gerne auf, aber nur das würde helfen. »Ich bin hier, weil es einen Mord gegeben haben soll. Also, wo ist die Leiche?«

»Äh, beh, das ist … das kann ich nicht …« Dieses beh bedeutete so viel wie: Ich kann nichts dafür! Der Kommandant blickte erst verlegen zu Boden, dann hilfesuchend zu der Frau, die nun ebenfalls herangetreten war.

»Wie?« Grauner war nun laut geworden.

Einige der Passanten, die von den geparkten Autos zum Outlet-Center strömten, schauten zu der eigenartigen Versammlung rüber. Ein Teenager machte bereits Selfies mit den Polizeiwagen im Hintergrund.

Die Frau räusperte sich.

»Mein Name ist Katharina Wieser. Der Bahnvorsteher, Herr Giuseppe Bertoldo …«, sie zeigte auf den Mann in Eisenbahneruniform, »… hat heute im Morgengrauen Stücke von Zähnen auf der Straße gefunden, außerdem Blut. Erst dachte er, es sei vielleicht Motoröl, dann aber fand er noch ein Stück Gehirn …«

»Im Morgengrauen!«, schrie Grauner. Das war ihm alles zu verrückt. Normalerweise kam man als Commissario an einen Tatort, da lag irgendwo eine Leiche, die gerade gefunden worden war, man schaute sich die Leiche an, der Chef der Spurensicherung, die in Südtirol Scientifica genannt wurde, unterrichtete einen über die Todesursache, erwürgt, erschossen, ertränkt, erstochen, was auch immer, dann verhörte man die Augenzeugen, es kristallisierten sich erste Verdächtige heraus, die Ermittlungen begannen. Aber hier?

»Im Morgengrauen? Warum, um Gottes willen, haben Sie uns dann erst mittags verständigt?«

Die beiden Polizisten und der Bahnbeamte wichen einen Schritt zurück. Nur die Bürgermeisterin hielt Grauners Gebell stand und antwortete kühl.

»Herr Bertoldo hat zuerst mich und den Kommandanten angerufen. Ich wohne unten in Gossensass, ich bin also hochgekommen und habe mir die … äh … Fundstücke angeschaut. Wir waren ja noch gar nicht sicher, ob das die Zähne und das Gehirn eines Menschen waren. Daran wollten wir zunächst gar nicht denken. Ich vermutete, das stamme von einem Tier, einer Kuh oder einem Hirschen. Deshalb haben wir erst einmal weitergesucht.«

Grauner atmete nun tief ein und aus, er versuchte vergeblich, seinen Ruhepuls zu finden. Das hatte ihm der Viechdoktor geraten, der den Kälbern seiner Kühe auf die Welt half und auch ihn manchmal untersuchte. Aber wie genau man das anstellte, das hatte Grauner noch nicht herausgefunden.

»Und dann haben Sie eine Leiche entdeckt und uns verständigt«, sagte der Commissario mit immer noch bebender Stimme. »Also zeigen Sie uns diese Leiche, sofort!«

Wieder traten die beiden Polizisten und Bertoldo einen Schritt zurück. Wieder antwortete die Bürgermeisterin unerschrocken.

»Nein. Wir haben die Straße und die nähere Umgebung abgesucht. Eine Leiche haben wir nicht gefunden, aber etwas anderes.«

Sie drehte sich um und ging zum Panda der beiden...

Erscheint lt. Verlag 5.10.2017
Reihe/Serie Commissario Grauner ermittelt
Commissario Grauner ermittelt
Zusatzinfo 2 farbige Karten
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte 3. Fall • Alpen • Bestseller-Liste • Brenner • Commissario Grauner • Drogen-Schmuggel • Familiengeheimnis • Kommissar • Rattenlinie • Südtirol
ISBN-10 3-462-31672-9 / 3462316729
ISBN-13 978-3-462-31672-8 / 9783462316728
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