Wacholdersommer (eBook)

eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
320 Seiten
cbt Jugendbücher (Verlag)
978-3-641-21515-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wacholdersommer -  Antje Babendererde
Systemvoraussetzungen
8,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Der Duft von Freiheit
Die 17-jährige Halbindianerin Kaye war schon als Kind in Will verliebt, den Enkel eines benachbarten Schafzüchters und Silberschmieds, doch dann geschah etwas Schreckliches. Als der 19-jährige Will nach fünf Jahren Gefängnis plötzlich wieder auftaucht, ist Kaye ratlos: Ihre Briefe hat er nicht einmal gelesen - und doch kann sie nicht glauben, dass er getan hat, wofür er angeklagt wurde. Außerdem ist da noch immer die unverminderte Anziehungskraft zwischen den beiden ...

Dieses Buch ist bereits unter dem Titel 'Zweiherz' bei cbt erschienen.

Antje Babendererde, geboren 1963, wuchs in Thüringen auf. Nach einer Töpferlehre arbeitete sie als Arbeitstherapeutin mit Kindern in einem Fachkrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie. Seit 1996 ist sie freiberufliche Autorin mit einem besonderen Interesse an der Kultur, Geschichte und heutigen Situation der Indianer. Ihre einfühlsamen Romane zu diesem Thema für Erwachsene wie für Jugendliche fußen auf intensiven Recherchen und USA-Reisen und werden von der Kritik hoch gelobt.

1. Kapitel

Bleib nicht so lange, Kaye!« Arthur Kingleys dunkle Stimme kam unter dem aufgebockten Ford Pick-up hervor, einem zerschrammten Lieferwagen, der auch schon bessere Tage gesehen hatte.

»Ja, Dad«, rief das Mädchen in den ausgewaschenen Jeans. »Ich bringe Großvater Sam nur sein Essen.« Mit Schwung warf sie ihren schweren geflochtenen Zopf über die Schulter. Kaye stellte den Korb mit den beiden Emailletöpfen vorsichtig auf den Beifahrersitz und stieg hinter das Lenkrad ihres roten Geländewagens. Jazz – ein zotteliger Mischlingshund mit hellbraunem Fell – hockte schon auf der Rückbank des Jeep Wrangler und blickte sie aus seinen runden Hundeaugen erwartungsvoll an. Sein Fell war staubig und steckte voller trockener Halme und Samenkörner. Weiß der Teufel, dachte Kaye, wo er sich wieder herumgetrieben und nach Mäusen gejagt hatte.

»Das sagst du jedes Mal«, brummte Arthur, während er sich unter dem Ford hervorschob. Er wischte sich Schweiß und ölige schwarze Schmiere aus dem sonnengebräunten Gesicht, um seiner Tochter nachzusehen, die vor dem Abend nicht zurückkommen würde.

Kaye fuhr los und sofort legte sich eine dichte Staubwolke um ihren Jeep. Im Vorbeifahren winkte Kaye den beiden indianischen Rancharbeitern, die den Weidezaun ausbesserten. Ashie Benally und Hoskie Whitehead winkten zurück. Shádi, Kayes dunkelbraune Stute, rannte noch eine Weile auf der Koppel neben dem Jeep her, bis der Elektrozaun am Ende des Fahrweges sie daran hinderte, Kaye weiter zu folgen. Der Jeep ratterte über das Viehgitter und bog von der Schotterpiste auf die glatte Teerstraße.

Mit offenen Fenstern fuhr Kaye in Richtung Süden. Der Jeep hatte Klimaanlage, aber sie mochte es, den Fahrtwind zu spüren. Schon seit Tagen blies der Sommer seinen heißen Atem über das Land. Dabei war es erst Anfang Juni. In wenigen Wochen würde das große Navajo-Reservat im nördlichen Arizona unter der Mittagssonne zu glühen beginnen.

Kaye liebte das Land und den Wechsel der Jahreszeiten. Ihr Vater, ein Schafrancher, war ein Weißer, aber ihre Mutter Sophie war eine Vollblut-Navajo gewesen. Sie hatte ihrer Tochter die Liebe zu diesem weiten Land vererbt. Kaye war mit der staubigen roten Erde, den von Wind und Regen geformten Felsen, den Pinienwäldern und den Wüstenpflanzen aufgewachsen. Das Big Res, das große Navajo-Reservat auf der Hochebene des Colorado-Plateaus, das sich bis nach New Mexico und Utah erstreckte, war ihr Zuhause.

Nach knapp zwei Meilen drosselte sie das Tempo. Das einst gelb gestrichene, nun arg verwitterte Holzhaus von Sam Roanhorse war von der Straße aus zu sehen. Kaye bog auf eine ausgewaschene Sandpiste, durchquerte hundert Meter Steinwüste, die von Salbei- und Wacholderbüschen gesprenkelt war, und parkte den Jeep unter einer Pappel hinter dem Haus.

Ein paar schwarze Hühner stiebten gackernd davon. Großvater Sams Schafe begannen zu blöken, das Motorengeräusch hatte sie aus ihrem Mittagsschlaf geweckt. Es waren ungefähr zwanzig Tiere, die in einem Korral im Schatten dreier Pappeln und eines verkrüppelten Pflaumenbaumes standen und ihre dünnen Leiber aneinanderdrängten. Sie waren vor vier Wochen erst geschoren worden und die Wolle noch nicht wieder nachgewachsen. Zwei von Sams Schafen waren so schwarz wie die Kohle von der Black Mesa.

Ein Ebenbild von Jazz umrundete freudig bellend den Wagen. Kaye öffnete die Tür, und Jazz sprang heraus, um seinen Bruder Jasper zu begrüßen. Die beiden sahen einander verblüffend ähnlich, nur dass Jaspers Fell um eine Nuance dunkler war.

Sams Hütehund, der im Augenblick von seinen Pflichten entbunden war, weil die Schafe mit ihren Lämmern im Korral standen, führte Jazz zu einer Stelle, an der Pinyonmäuse ihre Löcher hatten. Beide Hunde begannen winselnd zu graben. Damit würden sie eine Weile beschäftigt sein.

»Yá’át’ééh, Großvater, ich bringe dein Essen!«, rief Kaye. Sie blieb eine Weile auf der überdachten Veranda stehen, damit der alte Mann Zeit hatte, sich auf ihren Besuch einzustellen.

Sam Roanhorse war nicht wirklich Kayes Großvater, auch wenn sie ihn liebevoll so nannte. Die Eltern ihrer Mutter waren früh gestorben. Vielleicht war das der Grund, warum Sophie angefangen hatte, dem Alten sein Sonntagsessen zu bringen. Sie begann damit, als Sams Sohn John sich zum Militärdienst meldete und nach Deutschland versetzt wurde. Kayes Mutter kannte John Roanhorse von ihren Versammlungen und hatte sich für seinen alten Vater verantwortlich gefühlt.

Sophie hatte ihr »Essen auf Rädern« nur einmal für kurze Zeit eingestellt. Es war in den Wochen, die zwischen Johns Rückkehr aus Deutschland und jenem schwarzen Tag lagen, an dem er sich in den Bergen hinter dem gelben Haus eine Gewehrkugel in den Kopf gejagt hatte.

Niemand wusste, warum John Roanhorse mit fünfundvierzig Jahren seinem Leben ein Ende gesetzt hatte. Vielleicht hatte der alte Sam eine Erklärung für den Tod seines Sohnes. Doch wenn es so war, dann behielt er sein Wissen für sich.

Johns Freitod hatte den alten Mann schwer getroffen. Aber das Leben ging weiter, und Sam brauchte jemanden, der sich um ihn kümmerte. Er hatte einen Enkel, Will, doch der Junge saß in einem Staatsgefängnis in Texas und konnte nicht für seinen Großvater sorgen.

Sophie war vor zwei Jahren bei einem Autounfall tödlich verunglückt und Kaye hatte den Dienst ihrer Mutter übernommen. Jeden Sonntag brachte sie dem alten Mann sein Essen. Kaye tat es gern, weil sie Sam mochte. Aber ihre sonntäglichen Besuche bei ihm hatten noch einen anderen Grund. Es war der Junge: Will Roanhorse. Seit fünf langen Jahren saß Sams Enkel verurteilt wegen Totschlags hinter Gittern und hatte noch weitere fünf Jahre abzusitzen. Bei einem heftigen Streit hatte Will den Direktor seiner Internatsschule getötet und war von einem Gericht zu zehn Jahren Haft verurteilt worden – obwohl er damals erst vierzehn Jahre alt gewesen war.

Kaye und Will, das war von Anfang an etwas Besonderes gewesen. Dass der Junge fort war, hinderte das Mädchen nicht daran, an ihn zu denken. Und wenn sie bei Großvater Sam am Küchentisch saß, dann konnte sie sogar über Will reden.

Kaye fand, dass sie dem Alten nun genug Zeit gelassen hatte, und trat durch die klapprige Fliegengittertür ins Haus. Großvater Sam saß schon am zernarbten, aber blank gescheuerten Holztisch in der Küche und wartete. Kaye holte einen zerkratzten Emailleteller aus dem Wandschrank und tat dem Alten auf. Geröstete Kartoffeln, Bohnen und Lammgulasch. Das Essen war noch heiß. Für den Weg von der Ranch bis zum Holzhaus von Sam Roanhorse brauchte Kaye nur zehn Minuten.

»Setz dich, Tochter!«, sagte der alte Indianer, der das gute Essen und die Gesellschaft des Mädchens zu schätzen wusste.

Kaye reichte ihm Messer und Gabel und setzte sich ihm gegenüber. Er schnitt sich das Fleisch sehr klein, denn er hatte nur noch wenige Zähne. Zu einem Gebiss hatte Kaye ihn bisher nicht überreden können. Ebenso wenig wie zu einer Brille, die er dringend brauchte, weil seine Augen immer schlechter wurden. Sams spärliches grau meliertes Haar endete in einem winzigen, länglichen Knoten am Hinterkopf, der typischen Haartracht der Navajo. Der Indianer war sehr alt. Aber in Wahrheit wusste Kaye nicht, wie alt er wirklich war.

Um die faltige Stirn hatte Sam ein ausgeblichenes rotes Tuch gebunden. Er trug ein sauberes blau-weiß kariertes Baumwollhemd, denn Kaye kümmerte sich auch um die Wäsche des Alten. Seine abgetragenen Kordhosen wurden von breiten Hosenträgern gehalten. Die Haut des Indianers war sehr dunkel und die Hände knotig vom Alter. Kaye wunderte sich immer wieder aufs Neue, wie er mit diesen Händen und seinen schlechten Augen noch so wunderbare Dinge schaffen konnte.

Sam Roanhorse war Silberschmied. Silberklopfer, wie die Navajo dazu sagten. Die kunstvollen Schmuckstücke, die in seiner kleinen Werkstatt entstanden – Halsketten, Armreifen, Ringe und Gürtelschnallen aus getriebenem Silber und Türkisen –, waren bei den Touristen als Souvenirs sehr begehrt. Und Kaye sorgte in ihrem Laden im dreizehn Meilen entfernten Window Rock dafür, dass sie gut verkauft wurden. Auf diese Weise sicherte sie dem alten Mann sein Auskommen – auch wenn er eines Tages nicht mehr arbeiten konnte. Die Unterstützung, die er vom Staat bekam, war knapp und reichte kaum für ein einfaches Leben.

»Hat Will geschrieben?«, fragte Kaye, nachdem sie eine Weile gewartet hatte.

Es war die eine Frage, die sie Sam Roanhorse immer wieder stellte. Jeden Sonntag, wenn sie ihm das Essen brachte. Und fast immer war die Antwort des alten Mannes dieselbe: Er richtete seine Augen auf das Mädchen und schüttelte bedauernd den Kopf. Auch diesmal war ein Kopfschütteln die Antwort, doch etwas war anders, das spürte Kaye sofort.

»Es ist jetzt fast zwei Monate her, dass du den letzten Brief von ihm bekommen hast, Großvater. Ich mache mir Sorgen.«

Der alte Mann schluckte hinunter, was er sorgsam zwischen Gaumen und Zunge zermahlen hatte, und stellte eine unerwartete Behauptung in den Raum: »Mein Enkelsohn wird bald nach Hause kommen, Tochter. Du und ich, wir haben lange genug gewartet.«

Ein freudiger Schreck jagte durch Kayes Körper. Sie spürte, wie Röte ihre Wangen überzog und es in ihrer Magengegend seltsam zu flattern begann. Einige Zeit verstrich, bis sie ihre Gedanken ordnen und darüber nachdenken konnte, was der Alte gesagt hatte. Großvater Sam konnte manchmal voraussehen, was passieren würde. Er hatte ein Gespür für solche Dinge, einen Sinn mehr als andere Menschen. Sam Roanhorse war ein hataalíí, ein Sänger und Heiler; jemand, der in der Lage...

Erscheint lt. Verlag 10.7.2017
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Schlagworte ab 12 • ab 14 • eBooks • ewige Liebe • Indianer • Indigosommer • Jugendbuch • Libellensommer • Mädchen • Navajo • Sommer • Young Adult
ISBN-10 3-641-21515-3 / 3641215153
ISBN-13 978-3-641-21515-6 / 9783641215156
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
Wie bewerten Sie den Artikel?
Bitte geben Sie Ihre Bewertung ein:
Bitte geben Sie Daten ein:
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 730 KB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich