Der Pfad - Die Geschichte einer Flucht in die Freiheit (eBook)

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2017 | 1. Auflage
240 Seiten
cbj Kinder- & Jugendbücher (Verlag)
978-3-641-16196-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Pfad - Die Geschichte einer Flucht in die Freiheit -  Rüdiger Bertram
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Über schmale, steile Pfade in die Freiheit - die Flucht eines Jungen vor den Nazis
Frankreich 1941: »Gut oder böse?« ist mehr als nur der Name eines Spiels, mit dem sich der zwölfjährige Rolf und sein Vater die Zeit auf der Flucht vertreiben. Wie so viele andere deutsche Flüchtlinge, die von der Gestapo gesucht werden, sitzen die beiden in Marseille fest, weil sie keine Ausreisegenehmigung erhalten. Ihr Ziel ist New York, wo Rolfs Mutter auf sie wartet, doch der einzige Weg in die Freiheit ist ein steiler Pfad über die Pyrenäen. Fluchthelfer Manuel, ein Hirtenjunge kaum älter als Rolf, soll sie über die Berge führen. Heimlich und gegen das Verbot seines Vaters, nimmt Rolf seinen geliebten Hund Adi mit, und so machen sie sich zu viert auf einen gefährlichen Weg in eine ungewisse Zukunft.

Rüdiger Bertram wurde 1967 in Ratingen geboren und arbeitete nach seinem Studium (Geschichte, Volkswirtschaft und Germanistik) zunächst als freier Journalist. Heute schreibt er Drehbücher und hat zahlreiche erfolgreiche Bücher für Kinder veröffentlicht. Mit seiner Frau und seinen beiden Kindern lebt er in Köln.

Marseille 1941

Das Beste an Marseille war das Meer, dachte Rolf. Das hatte es in Paris nicht gegeben und das war auf jeden Fall schon mal eine kapitale Verbesserung. Paris hatte mit der Seine nur einen stinkenden Fluss zu bieten gehabt und nicht für eine Million hätte Rolf seinen kleinen Zeh dort hineingetaucht. Früher war er mit seinen Eltern in Berlin oft an den Wannsee gefahren. Damals war ihm das Gewässer am Rande der Stadt riesig vorgekommen. Nachdem er in Marseille das Mittelmeer gesehen hatte, erschien es ihm winzig.

Von ihrem Hotel liefen Rolf und sein Vater Ludwig eine Viertelstunde immer bergab bis zum Hafen und dann noch einmal dieselbe Strecke, um zu dem kleinen Sandstrand zu gelangen, den die Franzosen »Anse des Catalans« nannten. Links wurde der Strand von einem uralten Befestigungsturm begrenzt und im Meer direkt vor ihnen befand sich ein schmaler, aufgeschütteter Damm aus Steinen. Rolf hatte einmal versucht, bis dort hinaus zu schwimmen. Aber schon nach der Hälfte hatte er aufgegeben, weil es viel weiter war, als er gedacht hatte.

Um von der Straße zum Strand zu gelangen, mussten er und sein Vater ein paar ausgetretene Steinstufen hinuntersteigen. Neben der Treppe standen bunt gestrichene Umkleidekabinen, in denen sie ihre Badesachen anzogen. Adi, Rolfs weißer Foxterrier, wartete ungeduldig vor der Tür darauf, dass sein Herrchen endlich wieder ins Freie trat.

Ein paar ältere Damen saßen in ihren Liegestühlen und schauten plaudernd aufs Meer hinaus. Im Wasser konnte Rolf keine Schwimmer entdecken und genauso war es ihm am Liebsten. Er und sein Vater hatten das Mittelmeer ganz für sich alleine.

Rolf und Ludwig breiteten ihre Handtücher auf dem Sand aus und rannten ins Meer. Adi sprang hinter ihnen her, stoppte aber genau an der Wasserlinie. Vater und Sohn liefen weiter den Wellen entgegen. Es war Frühling, die Luft war warm und auch das Wasser nur in den ersten Sekunden frostig kühl.

»Komm schon, Paps! Wenn man sich erst mal getraut hat, ist es gar nicht mehr so schlimm.« Rolf stand bereits bis zur Brust im Meer, während seinem Vater das Wasser gerade bis zu den Knien reichte.

»Das ist glatt gelogen!« Ludwig schlang sich fröstelnd die Arme um seinen dicken Bauch. »Würde mich gar nicht wundern, wenn hier gleich ein Eisberg vorbeigeschwommen kommt.«

»Und ich dachte immer, Fett wärmt«, rief Rolf und grinste.

»Na, warte! Wenn ich dich kriege!« Ludwig tat ein paar Schritte auf seinen Sohn zu, hielt aber erneut inne, als das Wasser seine Oberschenkel erreichte.

»Pass auf, ich helfe dir!« Rolf schlug mit der flachen Hand in eine der anrollenden Wellen. Das Wasser spritzte bis zu seinem Vater, der aufschrie. Dann rannte er lachend auf Rolf zu. Adi lief kläffend am Strand auf und ab, während die beiden miteinander rangen. Plötzlich entzog sich Rolf dem Griff seines Vaters und verschwand unter der nächsten Welle.

Ludwig sah sich suchend um, konnte seinen Sohn aber nirgendwo entdecken. Besorgt drehte er sich im Kreis und rief: »Wo bist du? Das ist nicht mehr lustig!«

Rolf tauchte in einem weiten Bogen um seinen Vater herum und sprang ihm von hinten auf den Rücken. Ludwig versuchte, sich zu befreien, aber es gelang ihm nicht, seinen Sohn abzuschütteln. Rolf hatte seine Arme fest um den Hals seines Vaters geschlungen und ließ erst los, als Ludwig den Halt unter den Füßen verlor und sie kreischend im Wasser versanken.

Rolf liebte es, mit seinem Vater ausgelassen im Meer herumzutoben. In Europa herrschte Krieg. Täglich starben Menschen und noch viel mehr waren auf der Flucht. In diesem Augenblick aber, hier im Meer, konnte er das alles für einen Moment vergessen.

Als sich die beiden erschöpft zurück an den Strand schleppten, waren die alten Damen mit ihren Liegestühlen verschwunden. Nur Adi erwartete sie schon sehnsüchtig und sprang aufgeregt an seinem Herrchen hoch, während Rolf und Ludwig sich mit einem der Handtücher abtrockneten. Dann wechselten Vater und Sohn in den Umkleidekabinen ihre Badesachen und liefen mit noch feuchten Haaren zurück zum Alten Hafen.

Ludwig sprach Französisch und auch Rolf hatte in Paris genug aufgeschnappt, um sich in der fremden Sprache verständigen zu können. Was er nicht konnte war Englisch. Aber das würde er brauchen, wenn sie schon bald mit dem Schiff von Lissabon nach New York reisten. Sein Vater nutzte ihre Spaziergänge, um Rolf die paar Brocken beizubringen, die er selbst mehr schlecht als recht beherrschte.

»Sprich mir nach«, forderte Ludwig seinen Sohn auf. »Gud Murning.«

»Good Morning«, murmelte Rolf gelangweilt. »Das hatten wir doch alles schon.«

»Wir wiederholen ja auch nur. Sag Tank Ju.«

»Wofür soll ich dir denn Danke sagen? Dafür, dass ich bei dem schönen Wetter lernen muss?«

»Sehr komisch«, erwiderte Ludwig. »Mach schon, sprich mir nach. Du willst dich doch mit Mama unterhalten können, wenn wir sie wiedersehen.«

»Glaubst du, sie versteht kein Deutsch mehr?«, fragte Rolf besorgt.

»Natürlich versteht sie dich noch«, beruhigte ihn Ludwig. »Aber wenn wir alle zusammen in Amerika sind, sollten wir auch die Sprache sprechen.«

»Mama konnte auch kein Englisch, als sie gefahren ist.«

»Sie ist Tänzerin, da ist das nicht ganz so wichtig. Bei mir ist das etwas ganz anderes. Ich bin Journalist, ich schreibe, und wenn ich das auf Deutsch mache, wird das in Amerika keiner lesen können. Und du solltest das auch lernen. Du willst da drüben doch Freunde finden, oder?«

»Meinst du, Mama geht es gut?«

»Klar, geht es ihr gut. Was glaubst du denn?«

»Warum schreibt sie dann nicht?«

»Dass keine Briefe von ihr hier ankommen, heißt nicht, dass sie keine schreibt.« Ludwig legte seinem Sohn einen Arm um die Schulter. »Du kennst doch die Lage.«

Rolf nickte. Natürlich kannte er die Lage.

»Und was machen wir jetzt, Paps?«, fragte Rolf, als sie den Hafen erreicht hatten.

»Was wir immer machen«, antwortete Ludwig. »Wir gehen ins Café.«

»Und dann redet ihr und redet und redet. Das ist so kapital langweilig. Krieg ich wenigstens ein Croissant?«, fragte Rolf.

»Wenn es im Café welche gibt und sie nicht so teuer sind«, antwortete Ludwig, der unauffällig die Münzen in seiner Jackentasche zählte. »Gestern gab es keine.«

»Und vorgestern auch nicht«, bemerkte Rolf. »Und davor auch nicht.«

Rolf überlegte, wann er im Café das letzte Mal ein Croissant nicht nur bestellt, sondern auch bekommen hatte. Er war so in Gedanken versunken, dass er den Mann nicht bemerkte, der ihnen auf der Hafenstraße entgegenkam. Er trug einen grauen Anzug, der schon reichlich abgetragen wirkte. Die meisten der Frauen und Männer, die hier in Marseille in den Cafés rund um den Hafen saßen, hatten ihre Hemden, Jacken und Hosen noch in Berlin oder Paris gekauft. Bei dem dunkelblauen Anzug seines Vaters war es genauso und das sah man der Hose und dem Jackett auch an.

»Ludwig?! Bist du das?!« Der Fremde war vor Rolfs Vater stehengeblieben.

»Hans? Hans!«, rief Ludwig und umarmte den Mann lachend, dann wandte er sich an Rolf. »Das ist Hans. Ein Kollege aus Berlin. Wir haben für dieselben Zeitungen geschrieben.«

»Dein Sohn?«, fragte Hans und zeigte dabei auf Rolf. »Als ich ihn das letzte Mal in Berlin gesehen habe, konnte er noch gar nicht laufen. Da war der so!«

Hans hielt seine Hand einen knappen Meter über den Boden. Rolf lächelte gequält, weil es nicht stimmte. Er war sieben gewesen, als sie vor fünf Jahren aus Deutschland geflohen waren und natürlich hatte er da schon laufen können.

Rolf schaute den Fischern zu, die ihren Fang aus den Booten luden. Es war nicht das erste Mal, dass sein Vater auf ihrer Flucht alte Bekannte traf, und es würde auch nicht das letzte Mal sein. So viele Wege von Europa nach Amerika gab es nicht. Da war es nur logisch, dass man sich unterwegs begegnete. Zumindest – und auch das wusste Rolf – galt das für diejenigen, die es noch rechtzeitig aus Deutschland herausgeschafft hatten.

Die Männer umarmten sich ein zweites Mal, dann sahen sie sich lange an.

»Ich befürchtete schon, du wärst …« Ludwig beendete seinen Satz nicht.

»Ach was, Unkraut vergeht nicht. Ich bin gestern hier angekommen«, erwiderte Hans. »Und was machst du hier?«

»Urlaub!« Ludwig lachte, als er Hans’ verdutztes Gesicht sah. »Quatsch, ich mach das, was alle machen. Ich versuche, die nötigen Papiere zusammenzukriegen, um mit Rolf nach Amerika zu kommen.«

»Ist es gefährlich hier in Marseille?«

»Nicht mehr als anderswo, allerdings tauchen in letzter Zeit immer mehr braune Katzen auf.« Rolfs Vater deutete mit seinem Kinn auf einen schwarzen Wagen, der die Hafenstraße entlangrollte. Auf dem Rücksitz saß ein Mann in einer deutschen Uniform. Das Auto fuhr so dicht an ihnen vorbei, dass Ludwig und Hans die Hakenkreuze an der Jacke erkennen konnten. Schnell drehten sich die beiden weg, damit der Mann im Wagen ihre Gesichter nicht sehen konnte.

»Echt? Wo sind Katzen?«, fragte Rolf neugierig

Ludwig strubbelte seinem Sohn beruhigend durch die Haare und wechselte gleichzeitig einen besorgten Blick mit Hans.

»Hast du die am Hafen nicht gesehen? Die sitzen doch immer bei den Fischerbooten und hoffen auf ein paar Sardinen«, sagte Ludwig.

»Ach, die meinst du«, entgegnete Rolf und hielt nach Adi Ausschau, der Katzen nicht leiden konnte und schon mehr als eine davon rund um das Hafenbecken gejagt...

Erscheint lt. Verlag 16.10.2017
Illustrationen Heribert Schulmeyer
Zusatzinfo Mit s/w Comics
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Schlagworte ab 12 • Adolf Hitler • Antolin • eBooks • Flucht • Flüchtlinge • Jugendbuch • Marseille • Nationalsozialismus • Nazis • Pyrenäen • Verfolgung • Young Adult
ISBN-10 3-641-16196-7 / 3641161967
ISBN-13 978-3-641-16196-5 / 9783641161965
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