Checkpoint Jerusalem (eBook)

Eine Liebe in Zeiten des Terrors
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2016 | 1. Auflage
224 Seiten
cbt Jugendbücher (Verlag)
978-3-641-19027-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Checkpoint Jerusalem -  Manfred Theisen
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Die Geschichte von Amer und Maya spielt mitten in der zweiten Intifada. Auf dem Weg nach Jerusalem trifft Amer das israelische Mädchen Maya. Maya gefällt Amer sofort. Sie ist hübsch und sehr freundlich zu ihm, dem palästinensischen Jungen. Als er Maya gegen den Widerstand ihrer Eltern wiedertrifft, verlieben sich die beiden. Doch in Amer steigt der Hass gegen alle Israelis auf. Ihre Liebe scheint aussichtslos ...

Manfred Theisen wurde 1962 in Köln geboren. Der Politologe forschte zwei Jahre für das deutsche Innenministerium in der Sowjetunion und arbeitete als leitender Redakteur einer Kölner Tageszeitung. Er hat im Nahen Osten und in Afrika recherchiert und dort für das Auswärtige Amt und für das Goethe-Institut gearbeitet. Seit 2000 ist er freier Autor und lebt mit seiner Familie in Köln. Seine Bücher sind in zahlreiche Sprachen übersetzt und ausgezeichnet.

1.

»Komm endlich!«

Marie lässt das Lenkrad los, stützt ihren Arm auf den Beifahrersitz und ruft aus dem Fenster: »Jetzt mach schon, Sabreen! Wir warten!« Dann dreht sie sich nach hinten und sagt zu Amer, der den Rucksack vor seinen Füßen verstaut: »Was macht sie denn noch so lange?«

»Weiß nicht.«

»Es ist gleich halb zehn.«

»Das musst du mir nicht sagen, Marie. Ich muss nicht ins Krankenhaus, sondern sie.«

»Kannst du sie nicht holen?«

In dem Moment tritt Sabreen aus dem Haus, die schwarzen Haare hochgebunden und unter dem Kopftuch verborgen; sie trägt verwaschene Jeans, Bluse und Jeansjacke. Die künstlichen Steine, die auf den Brusttaschen aufgesetzt sind, funkeln grün, gelb und blau in der Sonne.

»Wir müssen«, sagt Marie noch einmal vorwurfsvoll, dann dreht sie den Zündschlüssel. Und noch mal. Jetzt erst ruckt der Ford Escort unwillig an und hustet Ruß. Marie drückt das Gaspedal im Leerlauf durch, um den Motor freizubekommen. Dann geht es die Straße hinunter nach Jerusalem, vorbei an Ahmeds Fleischerei, Optiker Jaber und den gackernden Hühnern der Metzgerei neben Amers Haus.

Alle zwei Wochen muss Marie mit Sabreen zur Blutwäsche nach Jerusalem und immer trödelt Sabreen. Sie hat sich auf die Rückbank gelegt, den Kopf auf Amers Schoß.

»Seht euch das an«, sagt Marie. »Anscheinend wollen die israelischen Soldaten überhaupt keinen Palästinenser mehr durchlassen.«

Vor dem Checkpoint nach Jerusalem staut sich der Verkehr. Die Soldaten durchsuchen einen Minibus. Etwa zehn Leute haben in den Bussen – meist Ford Transit – Platz. Sie sind das Hauptfortbewegungsmittel der Palästinenser.

»Das kann Stunden dauern«, sagt Marie und fackelt nicht lange. Sie fährt sofort auf die linke Straßenseite – vorbei an den wartenden Fahrzeugen, die ihre Motoren laufen lassen, als hofften sie, es ginge gleich weiter. Marie müsste jetzt die Schlange kreuzen, sie durchbrechen, um auf der anderen Seite in eine winzige Nebenstraße einzubiegen.

»Können Sie nicht ein bisschen zurücksetzen?«, fragt Marie den bärtigen palästinensischen Fahrer, der keine Lust hat, Platz zu machen. Sie hupt, fährt ihm fast in die Seite. Hupt wieder.

Die israelischen Soldaten stehen mit ihren Maschinenpistolen im Anschlag am Kontrollpunkt. Sie blicken kurz zu dem blauen Escort hinüber, der, knapp 50 Meter von ihnen entfernt, die dösende Schlange aufmischt. Dann nehmen sie weiter den Minibus auseinander.

Endlich. Der palästinensische Fahrer macht Platz und Marie quetscht sich durch. »Mit ein bisschen Höflichkeit geht’s doch.« Marie ist fast sechzig. Niemand, der sie mit ihren zerzausten, schulterlangen blonden Haaren am Steuer sitzen sieht, käme auf die Idee, dass sie einem evangelischen Orden angehört, im sittsamen Davos aufwuchs, dort in einem Sanatorium zur Krankengymnastin ausgebildet wurde und heute die Leiterin eines palästinensischen Waisenhauses ist.

Marie fährt über den Schleichweg. Die halb zerstörte Straße ist die einzige Chance, mit Sabreen nach Jerusalem zu gelangen. Das Mädchen ist sechzehn und besitzt bloß einen orangen Pass, mit dem sie nicht von Bethanien nach Jerusalem reisen darf. Nur wer einen blauen, einen israelischen Pass hat, Jerusalemer oder Israel-Araber ist, kann die Checkpoints zwischen Palästina und Israel ohne spezielle Genehmigung passieren. Die Übrigen wie Sabreen versuchen, irgendwie auf Nebenstraßen um den israelischen Kontrollpunkt herumzukommen. Das wissen natürlich auch die Israelis und machen deshalb mit Panzern und Bulldozern die Schleichwege schwer passierbar. Marie überholt einen Mann auf einem Esel und weiter jagt der blaue Kombi den Berg hinauf, umschifft Schlaglöcher und Asphaltstücke und wackelt dabei mit dem Heck wie eine Biene mit ihrem Hinterteil beim Tanz.

»Pass auf!«, sagt Amer.

Da schrammt Marie auch schon an einer Hauswand entlang. Zurück bleibt ein blauer Kratzer vom Seitenspiegel.

»Wir müssen uns beeilen«, sagt Sabreen.

Marie explodiert fast bei diesen Worten. Aber als sie sich umsieht und in Sabreens schelmisches Gesicht blickt, muss sie lachen. »Du willst mich nur ärgern.«

Sabreen nickt und Amer streichelt ihr über die Wange. Die beiden waren ein halbes Jahr zusammen, gegen den Willen von Amers Vater, einem strengen Katholiken. Der wollte nicht, dass sein Sohn eine Muslima aus dem Waisenhaus nimmt. Und dann, als er sich endlich abgefunden hatte, war es aus zwischen den beiden – Amers Streicheln ist nur noch eine Angewohnheit. Eigentlich wollte er nicht mal mehr mit zur Klinik kommen, damit Sabreen sich keine falschen Hoffnungen macht. Auch Sabreen weiß das, genießt aber trotzdem seine Nähe.

»Das Schlimmste haben wir geschafft«, sagt Marie.

Die höchste Stelle ist erreicht.

Die Altstadt von Jerusalem liegt unten im Tal hinter der mächtigen Mauer, ein gesunkenes Schiff aus sandigen Farben, durch das Menschen wie Korallenfische schwimmen. Juden, Moslems, Kopten, Katholiken, Protestanten. Gläubige und Ungläubige. Jede Hautfarbe, jede Religion, alle wohnen in diesem Labyrinth, diesem Drunter und Drüber, füllen jeden Winkel mit Leben. Während die goldene Kuppel des Felsendoms neben der Al-Aksa-Moschee die ersten Strahlen des Tages einfängt, kontrolliert ein Militärhubschrauber den Himmel über Jerusalem, bewacht die Klagemauer, an der die Juden beten und ihre Oberkörper hin und her wiegen wie Flammen im Wind.

Marie schaltet in den Leerlauf. Der Wagen rollt hinab und zieht einen Schal aus Staub und Ruß hinter sich her. Die Schlaglöcher sind kratergroß und die Vorgärten der Häuser winzige Handtücher, sie bieten gerade genug Platz für einen Olivenbaum, einen Feigenbaum, Tomatensträucher und ein paar Stühle im Schatten. Vorüber geht es an einem Rohbau, in den niemand mehr einziehen wird, weil er nicht mitten im Krieg leben will.

»Na, da hast du dich ganz umsonst aufgeregt«, sagt Amer, als sie endlich wieder auf die Asphaltstraße biegen. »Den Schleichweg haben wir hinter uns und noch fast eine halbe Stunde Zeit.« Kaum ein Auto ist in ihre Richtung unterwegs. Alle sitzen am Checkpoint fest.

»Die Israelis müssen einen Tipp bekommen haben, sonst hätten sie den Minibus nicht so auseinandergenommen.«

»Die brauchen keinen Tipp, Marie. Die wollen nur Stress machen«, sagt Sabreen und setzt sich auf. Sie sieht zwischen den Vordersitzen hindurch. »Ganz ruhig, Marie. Du musst die Karre nicht mehr so heizen.«

»Ja, stimmt.«

Genau da setzt der Ford auf. Es knackt, als hätte jemand eine Betonsäule durchgebrochen.

»Was war das?«, fragt Amer.

Ein schabendes Geräusch unter dem Wagen.

»Weiß nicht.«

Der Wagen wird langsamer – aus.

»Und jetzt?«

Marie zuckt mit den Schultern, überlegt einen Moment und steigt aus – Amer und Sabreen folgen.

Amer bückt sich und robbt unter den Escort. »Die Achse«, sagt er und kommt, in Staub und Dreck gehüllt, wieder vor. »Gebrochen. Mahmud muss uns abschleppen.«

»Wie bitte? Meinst du, die lassen Mahmud am Checkpoint durch, weil seine Freunde gerade unerlaubt über den Schleichweg nach Israel gefahren sind?« Marie schimpft – über den Checkpoint, über die Soldaten, über… »Die lassen unsere Leute nicht her und Sabreen kommt nicht in die Klinik.« Mit unsere Leute meint Marie die Palästinenser. Obwohl sie bis heute einen Schweizer und keinen arabischen Pass besitzt, fühlt sie sich wie eine von der Westbank, eine Palästinenserin. Marie hat jüdische Freunde, kennt die jüdische Gemeinde wie ihre christliche, doch sie lebt schon seit 19 Jahren in den besetzten Gebieten, einen Steinwurf von Jerusalem entfernt, mitten zwischen Palästinensern, und leitet das Waisenhaus, in dem drei Jungen und zwei Mädchen wohnen. Die Schweiz ist ihr so fremd wie Jerusalem der Schnee. Und Sabreen, ihre Schwester Haya und die Jungen Tariq, Jamal und Omar sind ihr so nah, als wären sie ihre eigenen Kinder.

»Ein Auto«, sagt Amer und zeigt auf den Volvo, der ihnen den Berg hinab entgegenkommt. Amer stellt sich mit seinem Rucksack auf die Fahrbahn.

»Was machst du?«, sagt Marie noch, als der Volvo schon neben ihnen anhält. Das Mädchen auf der Rückbank zischelt ihrem Vater etwas zu. Er lässt die Scheibe runter.

»Können Sie uns helfen?«

Amer registriert erst jetzt, dass der Fahrer Jude sein muss. Der Wagen hat ein gelbes, ein israelisches Nummernschild – Palästinenser haben grüne. Und unter dem Autoradio hängt die blau-weiße israelische Flagge mit dem Davidstern.

»Können Sie uns bitte zum Ölberg in die Klinik fahren?«, fragt Amer stockend.

Der Fahrer sieht ihn erstaunt an, und Amer sagt: »Sabreen muss dringend zur Blutwäsche. Wir haben einen Termin. Sie ist krank.«

Wieder keine Reaktion des Israelis.

»Lass sie einsteigen, Papa.« Die Tochter redet in Hebräisch auf ihren Vater ein, und ihre Mutter auf dem Beifahrersitz sagt: »Hör auf Maya.«

Während Sabreen kaum Hebräisch, sondern eigentlich nur Arabisch und ein wenig Englisch versteht, weiß Amer genau, was das Mädchen jetzt erklärt: »Sie sind in Not. Das sind keine Terroristen. Das sind einfache Leute, die in Not sind.«

Amer nickt ihr zu und lächelt sie freundlich an.

»Ihre Tochter hat recht«, sagt Amer auf Hebräisch. »Bitte, nehmen Sie uns mit. Es ist kein Umweg für Sie. Die Straße führt fast an der Klinik vorbei.«

Marie sagt: »Ich bleibe beim Wagen und warte, bis Mahmud durchkommt«, da klappen auch schon die Türen des taubengrauen Volvo zu, und er...

Erscheint lt. Verlag 9.5.2016
Verlagsort München
Sprache deutsch
Maße 130 x 130 mm
Themenwelt Literatur
Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Schlagworte ab 12 • ab 13 • eBooks • Israel • Jugendbuch • Jugendbücher • Liebesgeschichte • Nahostkonflikt • Nahost-Konflikt • Palästina • Romeo und Julia • Terrorismus • Young Adult
ISBN-10 3-641-19027-4 / 3641190274
ISBN-13 978-3-641-19027-9 / 9783641190279
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