Christsein in der Konsumgesellschaft (eBook)
144 Seiten
Francke-Buch (Verlag)
978-3-86827-822-4 (ISBN)
Thomas Weißenborn machte seine ersten geistlichen Schritte im EC. Er studierte an der Philipps-Universität Marburg, wo er mit einem Thema aus der Ökumene zum Doktor der Theologie promovierte. Neben dem Studium engagierte er sich in dieser Zeit im Christus-Treff Marburg, wo er unter anderem für die Entwicklung und Durchführung von Glaubens und Jüngerschaftskursen verantwortlich war. 1996/1997 arbeitete er in London in der reformierten Gemeinde Westminster Chapel und der Christian Union mit. Von 1997-1999 machte er Vikariat in der Evangelischen Kirche von Hessen und Nassau. Seit 1999 ist er Dozent am Marburger Bildungs- und Studienzentrum (mbs), dort lehrt er u.a. Dogmatik. Er ist verheiratet und hat vier Kinder.
Thomas Weißenborn machte seine ersten geistlichen Schritte im EC. Er studierte an der Philipps-Universität Marburg, wo er mit einem Thema aus der Ökumene zum Doktor der Theologie promovierte. Neben dem Studium engagierte er sich in dieser Zeit im Christus-Treff Marburg, wo er unter anderem für die Entwicklung und Durchführung von Glaubens und Jüngerschaftskursen verantwortlich war. 1996/1997 arbeitete er in London in der reformierten Gemeinde Westminster Chapel und der Christian Union mit. Von 1997-1999 machte er Vikariat in der Evangelischen Kirche von Hessen und Nassau. Seit 1999 ist er Dozent am Marburger Bildungs- und Studienzentrum (mbs), dort lehrt er u.a. Dogmatik. Er ist verheiratet und hat vier Kinder.
Nur ein schlechtes Gewissen?
Ein seltsames Phänomen schleicht sich nach und nach in unser Leben in der westlichen Welt. Im Prinzip geht es dabei um nichts Neues, denn die Fakten liegen eigentlich schon seit Jahrzehnten auf dem Tisch, obwohl sie zwischendurch immer wieder erfolgreich verdrängt worden sind. Mit dem Klimawandel ist jedoch ein aus den Ölkrisen der Siebzigerjahre des letzten Jahrhunderts bekanntes Gefühl mit Macht zurückgekehrt: Weil unsere Welt endlich ist, können wir nicht mehr so weitermachen wie bisher. Überall regt sich daher das schlechte Gewissen; der Markt für Bioprodukte boomt; nicht zuletzt aufgrund der gestiegenen Energiekosten haben Wärmedämmung und alternative Energiequellen Hochkonjunktur. „Nachhaltigkeit“ ist zum neuen Modewort geworden.
Verbunden mit dem Stichwort der Globalisierung steigt zudem das Unbehagen mit den weltwirtschaftlichen Gegebenheiten. Ohne dass wir es konkret bei den von uns erworbenen Waren belegen können, haben wir doch zumindest die Vermutung, dass vieles von dem, was wir kaufen, unter fragwürdigen Bedingungen hergestellt worden ist. Lebensmittelskandale etwa offenbaren immer auch, welche Missstände sozusagen zum Normalbild einer ganzen Branche gehören. Wer wusste zum Beispiel vor dem Aufkommen von BSE, dass Rinder in unserem Landwirtschaftssystem zum Kannibalismus gezwungen werden, indem man Tiermehl an sie verfüttert? Wer ahnt die weltweiten Verflechtungen der Lebensmittelindustrie, wenn sie nicht dadurch ans Tageslicht kommen, dass „deutsche“ Sahnebonbons von giftigen Panschereien in der chinesischen Milchindustrie mitbetroffen sind?
Anderes schlummert eher unter der Oberfläche, erzeugt vielleicht ein diffuses schlechtes Gewissen, dem man allerdings nur schwer nachgehen kann. Mittlerweile schwant es jedem, dass in der Textil- und Schuhindustrie unter Arbeitsbedingungen produziert wird, die teilweise so erbärmlich sind, dass man eigentlich von Sklaverei reden müsste. Das Gleiche gilt für andere Branchen, die ihre Produktionsstandorte in „Sonderwirtschaftszonen“ von Staaten haben, die man treffenderweise „Billiglohnländer“ nennt. Wer mit offenen Augen durch die Welt geht, wird also entdecken, dass unser Lebensstil hohe Kosten verursacht – so hohe, dass wir nur hoffen können, der Rest der Welt werde vernünftiger sein und ihn nicht übernehmen.
Hiermit verbunden ist ein zunehmendes Entsetzen über die Tatsache, dass nicht wenige selbst mit unserem Lebensstil noch nicht zufrieden sind. Auch innerhalb der Wohlstandsgesellschaften wird deshalb nicht nur die Schere zwischen Arm und Reich immer größer, es entsteht eine ganz neue Schicht von Superreichen, die anscheinend über jede Notlage oder wirtschaftliche Krise erhaben sind, während die Mittelschicht schon kleinere Konjunkturprobleme am eigenen Leib zu spüren bekommt. Die Kritik am System der Marktwirtschaft, am „Neoliberalismus“ und „Turbokapitalismus“ ist deshalb in aller Munde.1
Damit sind wir freilich bei dem Punkt, an dem das Phänomen seltsam wird. Alle Analysen scheinen darauf hinzudeuten, dass wir ein Problem mit dem Zuviel haben: zu viel Energie- und Ressourcenverbrauch, zu viel Umweltverschmutzung, zu viele Wegwerfprodukte. Die logische Konsequenz müsste also in der Abkehr vom Zuviel und damit im Weniger in allen Bereichen liegen. Konkret bedeutet das Verzicht. Wenn die Welt besser werden soll, müssen wir auf Wohlstand verzichten – und damit auf Einkommen, Autos, Urlaubsreisen, große Wohnungen, modische Kleidung, Fertigprodukte, Multimediaentertainment und vieles mehr.
Ein Horrorszenario? Genau. Vielleicht wagt es deshalb niemand, uns wirklich Verzicht zu predigen. Wir träumen lieber davon, dass man mit Hybridautos weiterhin genauso mobil bleiben kann wie bisher, dass man große Häuser CO2-neutral klimatisieren kann, dass Bio-Kiwis aus Neuseeland auch künftig zu jeder Jahreszeit möglich sind. Hollywood-Größen machen uns schließlich vor, wie man im Luxus schwelgen und gleichzeitig keinen „ökologischen Fingerabdruck“ auf unserem Planeten hinterlassen kann.
Nicht möglich erscheint dagegen Verzicht. Kein Globalisierungsgegner fordert eine allgemeine Einkommenssenkung in den Wohlstandsländern, im Gegenteil. Gerade die Kritiker des „Neoliberalismus“ wollen steigende Löhne, damit die Binnennachfrage angekurbelt wird. Alte, wenig umweltfreundliche Produkte sollen durch neue, „bessere“ ersetzt werden – obwohl längst klar ist, dass es weitaus sinnvoller für die Umwelt wäre, ein funktionierendes Gerät noch eine Weile zu gebrauchen anstatt es zu entsorgen und durch ein frisch hergestelltes zu ersetzen. Rechnet man den Energie- und Ressourcenverbrauch zum Beispiel bei der Produktion eines Autos, kann das alte ruhig ein wenig mehr Sprit fressen, die Energiebilanz wird immer noch besser sein als wenn wir das alte verschrotten und durch ein neues ersetzen.2 Doch diese Logik ist unserem Denken fremd. Wir reagieren statt dessen auf die Krise des Zuviels mit dem Allheilmittel des Nochmehr. Damit allerdings marschieren wir sehenden Auges in die Katastrophe, wobei es wenig hilft, dabei auch noch ein schlechtes Gewissen zu haben.
Ebenso wenig hilft es jedoch, flammende Reden gegen den Materialismus und die „Gier“ zu halten, die angeblich unsere Zeit prägen. Denn so materialistisch und gierig, wie es auf den ersten Blick scheint, sind wir doch eigentlich gar nicht. Betrachten wir einmal die Comicfigur Dagobert Duck als Urbild des Geizkragens, der für Geld alles tut, selbst aber nahezu bedürfnislos lebt: Solche Menschen sind im Alltag ebenso selten wie ein Franz von Assisi, der all seinen Besitz den Armen gibt und fortan bettelnd durch die Lande zieht. Kennzeichnend für unsere Welt ist vielmehr der Schnäppchenjäger und Ratenkäufer, der heute schon den Lebensstandard erreichen möchte, den er sich eigentlich erst morgen leisten kann (und dann auch nur vielleicht).
In unserer von Internet-Auktionshäusern geprägten Einkaufskultur zeigt sich zudem ein weiteres Phänomen: Wir sind längst nicht mehr nur Kunden und Verbraucher, wir werden zunehmend auch zu Anbietern und Verkäufern. Damit jedoch fällt uns der erste Teil von Jesu Forderung an den reichen Jüngling immer weniger schwer: „Verkaufe, was du hast!“ (Matthäus 19,21).
Gerade in einer Wegwerf- und Verkäufergesellschaft kann man daher nicht davon ausgehen, dass ihre Mitglieder zu den von ihnen erworbenen Waren eine besondere Bindung entwickeln, sonst könnten sie sich nicht so mühelos von ihnen trennen. Im Gegenteil, es liegt sogar die Annahme nahe, dass wir in vielem ein ähnlich distanziertes Verhältnis zu den materiellen Gütern haben wie die altkirchlichen Asketen. Wir gebrauchen sie, aber wir hängen nicht an ihnen und können deshalb jederzeit von ihnen Abschied nehmen – vor allem dann, wenn wir sie durch andere ersetzen.3 Damit jedoch könnte auch ein Weg zum Verzicht möglich sein.
Um ihn wirklich frohen Herzens gehen zu können, müssen wir allerdings zuvor einen tieferen Einblick in die spirituellen4 Grundlagen unseres Wirtschaftssystems bekommen. Diese Grundlagen sind es schließlich, die es uns nicht nur schwer machen, uns von unserer Art zu leben zu verabschieden. Weil es sich um spirituelle Grundlagen handelt, prägen sie zudem unsere Denkweise – und damit auch unser Verständnis von Christentum, Gemeinde und Kirche. Betrachten wir Letztere nämlich ausschließlich in dem von unserem System vorgegebenen Rahmen, hören sie auf, kritisches Gegenüber der Gesellschaft und Kultur zu sein, sondern gehen in ihnen auf, werden ein Teil von ihnen. Entsprechend wenig können sie zur Lösung unseres tiefgreifenden Dilemmas beitragen, es sei denn, sie werden von Grund auf anders gedacht und gelebt. Deshalb werden wir uns auch mit den sich daraus ergebenden Fragen und Problemen beschäftigen.
1 „Eine kurze Geschichte der Konsumkritik“ liefert zum Beispiel Tanja Busse in ihrem Buch: Die Einkaufsrevolution. Konsumenten entdecken ihre Macht, akt. Taschenbuchausgabe, München 2008, S. 29ff.
2 Nach Schätzungen des Verkehrsclub Deutschland (VCD) könnte man allein mit der zur Herstellung eines neuen Fahrzeugs benötigten Energie ein altes zwei Jahre lang betreiben. Die Anschaffung eines Neuwagens ist aus umweltpolitischen Gesichtspunkten also nur dann sinnvoll, wenn er deutlich weniger verbraucht als der, den er ersetzt, bzw. aufgrund eines Rußpartikelfilters oder geregelten Katalysators sehr viel weniger Schadstoffe ausstößt. Ansonsten gilt für so aufwändig produzierte und langlebige Gebrauchsgüter wie Autos generell, dass man sie so lange wie möglich nutzen sollte, bevor sie ersetzt werden (Quelle: www.tagesschau.de/wirtschaft/abwrackpraemie118.html, abgelesen am 02.02.2009)
3 Vgl. William T. Cavanaugh: Being Consumend. Economics and Christian Desire, Grand Rapids (USA) 2008, S. xi. Cavanaughs Analyse unseres Wirtschaftssystems bildet den Hintergrund der hier ausgeführten Gedanken.
4 Mir ist bewusst, dass es sich bei „Spiritualität“ um ein Modewort handelt, das durch seinen häufigen Gebrauch immer sinnentleerter wird. Allerdings fällt es schwer, diesen Begriff durch einen anderen zu ersetzen, der etwas Ähnliches ausdrückt. Wenn hier von Spiritualität die Rede ist, sind also die geistlich-weltanschaulichen Grundlagen eines Systems gemeint, das, was unhinterfragt...
Erscheint lt. Verlag | 26.10.2015 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Religion / Theologie |
Schlagworte | Ethik • Heiligung • Nachfolge • Nachhaltigkeit |
ISBN-10 | 3-86827-822-2 / 3868278222 |
ISBN-13 | 978-3-86827-822-4 / 9783868278224 |
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Größe: 233 KB
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