Auckland (eBook)
332 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-403447-8 (ISBN)
Ilse Aichinger wurde am 1. November 1921 in Wien geboren. 1948 veröffentlichte sie ihren Roman über die Kriegszeit in Wien, »Die größere Hoffnung«, und ihre ersten berühmten Geschichten. Für ihren Roman, ihre Gedichte, Hörspiele und Prosastücke, die in viele Sprachen übersetzt wurden, erhielt sie zahlreiche literarische Auszeichnungen, u. a. 1952 den Preis der Gruppe 47, 1982 den Petrarca-Preis, 1983 den Franz-Kafka-Preis, 1995 den Österreichischen Staatspreis für Literatur und 2015 den Großen Kunstpreis des Landes Salzburg. Ilse Aichinger starb am 11. November 2016 im Alter von 95 Jahren.
Ilse Aichinger wurde am 1. November 1921 in Wien geboren. 1948 veröffentlichte sie ihren Roman über die Kriegszeit in Wien, »Die größere Hoffnung«, und ihre ersten berühmten Geschichten. Für ihren Roman, ihre Gedichte, Hörspiele und Prosastücke, die in viele Sprachen übersetzt wurden, erhielt sie zahlreiche literarische Auszeichnungen, u. a. 1952 den Preis der Gruppe 47, 1982 den Petrarca-Preis, 1983 den Franz-Kafka-Preis, 1995 den Österreichischen Staatspreis für Literatur und 2015 den Großen Kunstpreis des Landes Salzburg. Ilse Aichinger starb am 11. November 2016 im Alter von 95 Jahren.
Straße, starker Regen
JOHN
Hast du es heute wieder gehört, Ann?
ANN
Ja. Wie immer. Kurz bevor ich wegging.
JOHN
Und die andern? Hören die es auch?
ANN
Jean sagt, man gewöhnte sich so daran, daß man es zuletzt nicht mehr hört. Sie ist schon zwei Jahre in der Abteilung und hört es fast nicht mehr. Und auch Rosie sagt, sie hätte zuerst Angst davor gehabt.
Jetzt hat sie keine mehr.
JOHN
Und du?
ANN
Mir wird es auch so gehen. Zuerst werde ich keine Angst mehr haben und zuletzt höre ich es gar nicht mehr. Und dann ist alles gut.
JOHN
Ja, meinst du?
ANN
Jean sagt, wir sollten uns hüten, uns darüber zu beschweren. Die Mädchen in den andern Abteilungen werden immerfort entlassen, und wenn wir die Zwirn- oder Elfenbeinknöpfe hätten, wären wirs auch schon. Nur weil wir bei den schönen Knöpfen sind, werden wir noch gehalten. Als John nichts antwortet, eifriger Jean sagt auch, wenn es auf die Zwirnknöpfe oder auf die Elfenbeinknöpfe oder auf sonst etwas ankäme, müßten wir längst schließen. Nur wegen der schönen Knöpfe läuft der Laden weiter.
JOHN
Und deshalb dürft ihr nicht fragen, weshalb die Wand abbröckelt?
ANN
Es ist nicht die Wand, es ist hinter der Wand, John. Rosie meint, es hinge vielleicht mit der Herstellung zusammen. Aber es ist besser, nicht zu fragen, sonst denkt der Alte, wir wollten dahinterkommen.
JOHN
Ich würde gern einmal einen von diesen Knöpfen sehen.
ANN
Schön sind sie. Sie glänzen auch, wie andere Knöpfe nicht glänzen. Wenn ich sie angreife, denke ich manchmal, ich könnte sie wie Früchte zwischen meinen Fingern pressen, aber sie sind ganz hart. Wenn ein Knopf eine Farbe hat, so hat er doch die andern Farben alle auch. Und einer von ihnen kostet mehr als mein Wochenlohn. Nach einem Augenblick Aber ich kann keinen nach Hause nehmen, auch wenn ich ihn am nächsten Tag zurückbrächte. Sie würden es merken.
JOHN
Dann will ich einen kaufen und dir schenken, Ann.
ANN
Nein, ich will keinen haben. Ich hätte immer das Gefühl, ich trüge etwas Fremdes auf mir.
JOHN
Etwas Fremdes?
ANN
Und für soviel Geld! Ein ganzer Wochenlohn.
JOHN
Ich wollte, du brauchtest keinen Wochenlohn mehr, Ann, und du müßtest nie mehr dorthin gehen.
ANN
nachdenklich Ja, das möchte ich auch.
JOHN
Aber der Regen läßt jetzt nach, komm weiter!
ANN
Was ich sagen wollte, John: dieses Geräusch im Laden, es klingt doch nicht ganz wie Regen. Eher wie Hagel. Oder wie das Prasseln von Feuer.
Raum in der Fabrik. Das Geräusch hinter der Wand
ANN
Schon wieder.
ROSIE
Das höre ich gar nicht mehr. Und wenn du einige Zeit hier bist –
ANN
Und wenn ich zehn Jahre hier wäre, ich würde immer neu erschrecken.
ROSIE
Das denken alle zu Beginn. Ich hätte mir noch vor sechs Wochen nicht denken können, daß ich nicht erschrecke.
JEAN
Wenn ihr einmal zwei Jahre in einer Abteilung seid. Ich glaube, ich würde erschrecken, wenn ich es nicht mehr hörte.
ANN
Und zu Beginn?
JEAN
Ich weiß nicht mehr, wie es da mit mir war. Gähnt
ANN
Aber das muß doch – verwirrt es muß doch möglich sein, daß man zu irgend jemandem geht und ihn fragt. Vielleicht ist alles ganz einfach.
JEAN
Möglich.
ANN
Vielleicht wissen es sogar Bill oder Jack. Wenn jemand Vertreter ist –
JEAN
Ja, sicher wissen sie’s. Vermutlich hängt es mit der Herstellung zusammen.
ANN
Und du hast nicht gefragt, Jean? Die ganzen zwei Jahre hast du nicht gefragt?
JEAN
Weil es mich nichts angeht. Die Herstellung ist geheim. Ich will nicht entlassen werden.
ANN
Du bist doch gut mit Bill?
JEAN
Und ich will es auch bleiben.
ROSIE
Vielleicht werden die Knöpfe gebrannt.
ANN
Vielleicht.
ROSIE
Oder gedreht. Aber wir haben schon lange kein neues Modell gehabt, Jean.
JEAN
Das letzte war gerade neu, als ich kam.
ROSIE
Elisabeth.
ANN
Ist das der blaue Knopf?
JEAN
Kurz vorher waren auch Silvia und Vernon entstanden.
ANN
Und du warst hier allein?
JEAN
Bis Rosie kam.
ANN
Und hattest keine Angst? Ich meine, als du es zum erstenmal hörtest, Jean?
JEAN
Bill hat mir gleich Gesellschaft geleistet, und auch Jack. Nein, ich glaube, ich hatte keine Angst.
ANN
Auch nicht ganz zu Beginn?
JEAN
nachdenklich Ganz zu Beginn?
Anderer Raum
BILL
Sie sind das neue Fräulein?
JEAN
Ich – ich glaube, ja.
BILL
Glück gehabt.
JEAN
Ich bin auch glücklich.
BILL
In den andern Abteilungen werden alle entlassen, nur hier –
JEAN
Ist diese Abteilung hier eine besondere?
BILL
Für Schmuckknöpfe, ja. Meiner Meinung nach die einzige, die zuletzt bleiben wird. Aber Sie haben gar nichts Besonderes zu tun. Nur Knöpfe zu sortieren und dann zu zählen.
JEAN
Schöne Knöpfe.
BILL
Sie haben alle Namen. Dies ist Vernon. Und das ist Elisabeth. Und hier sind die Fächer, wo sie hineinkommen.
JEAN
Ich glaube, ich finde mich bald zurecht.
BILL
Um so besser. Ich heiße Bill und bin Vertreter.
JEAN
Ich heiße Jean.
BILL
Dann – auf gutes Einvernehmen, Jean!
JEAN
Das hoffe ich.
BILL
Wir werden oft miteinander zu tun haben.
Raum wie vorher. Das Geräusch hinter der Wand
JEAN
Was war das eben?
ANN
Jetzt bist du erschrocken, Jean!
JEAN
Ich führte nur in Gedanken ein Gespräch mit Bill. Mein erstes Gespräch noch einmal.
ROSIE
Als ich kam, empfing mich Jack.
JEAN
Und wahrscheinlich sagte er dasselbe.
ANN
Ich möchte wissen, weshalb es hier so heiß ist. Manchmal dreht sich mir alles.
ROSIE
Von den elektrischen Öfen, es ist diese trockene Hitze.
JEAN
Ihr könnt froh sein, daß ihr’s warm habt.
ANN
Und was mit den vielen Knöpfen geschieht, die wir täglich ordnen; was der Alte damit macht.
JEAN
Wenn er einen verkauft, lebt er lange davon. Bill sagt, allein die Provision –
ANN
Aber die andern?
JEAN
Darum mach dir keine Sorgen, Ann!
ANN
Ich frage mich: woher kommen die Knöpfe?
Auf der Straße
JOHN
Und woraus werden sie gemacht, Ann?
ANN
Aus Zwirn und Schildpatt und Elfenbein.
JOHN
Ich meine die in eurer Abteilung.
ANN
Wenn ich das wüßte!
JOHN
Und wenn du sie anrührst, wenn du sie zwischen den Fingern hältst, tausendmal jeden Tag?
ANN
Dann weiß ich auch nur, woraus sie nicht sind, John.
JOHN
Aber es muß doch etwas geben, mit dem du sie vergleichen kannst. Wie aus Holz oder Glas –
ANN
Als nähme ich Kirschen vom Baum und sie wären alle rot und steinhart. Und ich möchte sie zwischen Zunge und Gaumen wärmen und wieder Früchte werden lassen und kann es doch nicht, weil ich sie zählen muß. Aber ich rede Unsinn. Jean war heute sehr müde, und ich bin’s jetzt auch. Sie muß mich angesteckt haben.
JOHN
Wenn es kein Unsinn wäre?
ANN
Wir müssen froh sein –
JOHN
Wenn ich froh bin, Ann, bin ich’s lieber freiwillig.
ANN
Ach Gott, John!
JOHN
Du bist anders heute. Auch dein Gesicht.
ANN
Es ist nur dunkler geworden. Das wenige Licht von vorhin ist auch verschwunden.
JOHN
Wir wollen gehen. Aber bring morgen einen Knopf mit, Ann, bring einen mit!
Raum in der Fabrik
ROSIE
June – Margaret – Vernon – June – June – June –
ANN
Hör auf, Rosie.
ROSIE
Ich zähle nur laut.
ANN
Zähl leise.
ROSIE
Weshalb?
ANN
Weil es immer klingt, als riefst du nach jemandem. Du könntest ebensogut sagen Ann – Ann – Ann.
ROSIE
Ann – Ann – Ann –
JEAN
Weshalb auch nicht?
ANN
Oder Jean.
ROSIE
Jean –...
Erscheint lt. Verlag | 6.10.2015 |
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Reihe/Serie | Ilse Aichinger, Werke in acht Bänden (Taschenbuchausgabe) |
Ilse Aichinger, Werke in acht Bänden (Taschenbuchausgabe) | |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Lyrik / Dramatik ► Dramatik / Theater |
Schlagworte | Auckland • Dialog im Pfarrhaus • Drama • Gare maritime • Hörspiel • Knöpfe • Theaterstück |
ISBN-10 | 3-10-403447-8 / 3104034478 |
ISBN-13 | 978-3-10-403447-8 / 9783104034478 |
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