Wir haben das KZ überlebt - Zeitzeugen berichten (eBook)

Mit zahlreichen Fotos und ausführlichem Glossar
eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
256 Seiten
cbj Kinder- & Jugendbücher (Verlag)
978-3-641-15680-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wir haben das KZ überlebt - Zeitzeugen berichten -  Reiner Engelmann
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Wer Überlebende des Holocaust trifft, spürt den Abgrund, der sie von anderen Menschen trennt. Sie waren in Auschwitz, Buchenwald, Dachau. Sie haben unsägliches Leid erfahren. Der Tod war ihr ständiger Begleiter. 70 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz gibt es nicht mehr viele Zeitzeugen. Umso wichtiger ist es, ihre Erfahrungen für die Nachwelt zu dokumentieren. Im Gedenken an die Toten, aber auch für den Frieden in der Zukunft. Damit sich die Hölle auf Erden nicht wiederholt.

Reiner Engelmann hat Max Mannheimer, Esther Bejarano, Eva Mozes Kor und sieben weitere Zeitzeugen befragt und ihre Erinnerungen für Jugendliche aufgeschrieben. Ein erschütterndes Zeugnis und ergreifendes Mahnmal wider das Vergessen. Und zugleich ein zutiefst bewegendes Plädoyer für das Leben.

Mit schwarz-weiß Fotos und ausführlichem Glossar.

Reiner Engelmann wurde 1952 in Völkenroth geboren. Nach dem Studium der Sozialpädagogik war er im Schuldienst tätig, wo er sich besonders in den Bereichen der Leseförderung, der Gewaltprävention und der Kinder- und Menschenrechtsbildung starkmachte. Für Schulklassen und Erwachsene organisiert Reiner Engelmann regelmäßig Studienfahrten nach Auschwitz. Er ist Autor und Herausgeber zahlreicher Anthologien und Bücher zu gesellschaftlichen Brennpunktthemen. Für sein engagiertes Wirken in der Gedenk- und Erinnerungsarbeit wurde Reiner Engelmann mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet.

„Wir sind alle Menschen!
Wir wollen leben!“

Er hatte nicht geahnt, welche Folgen diese eine Frage an seinen Bruder für ihn haben würde. Der große Bruder Benek, der stets ein Vorbild für Edward war, trug seit einiger Zeit eine Uniform. Edward fand es nicht ganz ungewöhnlich, eine Uniform zu tragen. Aber es war ein Risiko in jener Zeit. Und Risiken mussten vermieden werden, das hatten die Eltern ihren Kindern klargemacht. Das Risiko kam daher, dass Deutschland Polen binnen Wochen erobert hatte und seither von der polnischen Bevölkerung unbedingten Gehorsam erwartete. Da konnte eine Uniform, auch wenn sie bloß eine Pfadfinder-Uniform war, schon lebensgefährlich sein. Denn die Pfadfinder – das war unter den Polen bekannt – unterstützten auch die Armia Krajowa, die polnische Heimatarmee.

Aber daran dachte Edward in dem Augenblick nicht, als er seinen Bruder fragte, ob er auch so eine Uniform haben könne. Es war einfach der Wunsch eines Jungen, der sich Abenteuer ausmalte, sich nach Abwechslung sehnte, so wie früher, bevor die Nazis kamen.

Als Edward Paczkowski am 20. März 1930 in der polnischen Kleinstadt Grabow geboren wurde, gehörte die Roma-Familie noch zum fahrenden Volk. Nicht der Geburtsort, sondern das ganze Land war ihre Heimat. Besonders angetan hatte es ihnen das Gebiet um Lodz.

Nur in den Wintermonaten mieteten sie sich irgendwo auf dem Land eine Wohnung und einen Stall für ihre Pferde. Doch die Familie konnte es kaum abwarten, dass es endlich wieder Frühling wurde, denn sie liebten es, unterwegs zu sein, in ihren Wagen zu schlafen, tagsüber draußen in der Natur zu leben. So zogen sie spätestens im März eines jeden Jahres wieder los.

Doch 1938 hatte dieses Nomadenleben ein Ende. Die Familie wurde in Tomaszów Mozowiecki sesshaft. Es wurde immer schwerer, die größer werdende Familie auf der Wanderschaft durchzubringen. Fünf Kinder waren es nun schon und das sechste war unterwegs. Der Vater besann sich darauf, dass er nach seiner Schulzeit eine Lehre als Schmied gemacht hatte, und in diesem Beruf wollte er arbeiten.

Er gründete einen Betrieb und konnte schon bald Männer einstellen, die in seiner neuen Firma Mähmaschinen für die Getreideernte produzierten. Die Auftragslage war gut, die Familie hatte dadurch ein gesichertes Einkommen. Die Mutter kümmerte sich um den Haushalt und die Erziehung der Kinder. Damit hatte sie alle Hände voll zu tun. Ein anderes Leben konnte sie sich nicht vorstellen.

Edward wie auch seine schulpflichtigen Geschwister besuchten zu jener Zeit die Volksschule in ihrer neuen Heimatstadt.

Der Krieg, der seit einigen Monaten im Land tobte, hatte alles verändert. Edward hörte, wenn die Familie abends zusammensaß, wie der Vater von der Zerstörung polnischer Städte durch die Deutschen erzählte und auch von den vielen Toten, besonders unter der Zivilbevölkerung. Verstehen konnte Edward das allerdings nicht, dafür reichte die Fantasie des neunjährigen Jungen nicht aus. Was er aber in diesen Monaten mitbekam, war, dass in ihrer Stadt, in der Stadt, die sie sich zum Leben ausgesucht hatten, ein Ghetto eingerichtet wurde. Nach und nach wurden alle jüdischen Familien dort interniert.

Und in dieser Situation tauchte nun Edwards drei Jahre älterer Bruder Benek in der neuen Uniform auf.

»Wo hast du die gekauft?«, fragte Edward. »Ich will auch so eine schöne Uniform!«

»Die kann man nicht kaufen!«, entgegnete Benek scharf und schaute Edward so von oben herab an, als wollte er sagen: Werde du erst mal erwachsen, bevor du dich für Uniformen interessierst!

Aber Edward wäre nicht Edward gewesen, wenn er sich mit der Antwort abgefunden hätte. Also bohrte er weiter: »Wo bekommt man die denn sonst, wenn nicht in einem Laden?«

»Wenn du auch so eine Uniform willst, musst du dich unserer Gruppe anschließen«, antwortete Benek und tat dabei furchtbar wichtig.

»Und was ist das für eine Gruppe?« Edwards Neugierde war jetzt nicht mehr zu bremsen.

Benek nahm den kleinen Bruder zur Seite und tat sehr geheimnisvoll. Er schaute sich zuerst nach allen Seiten um, dann flüsterte er Edward ins Ohr: »Ich bin in der Pfadfindergruppe und wir haben dort geheime Einsätze.«

Benek machte eine kleine Pause, schaute Edward an, um zu sehen, ob der Bruder auch alles verstand. »Wir unternehmen etwas gegen die Deutschen! Aber das darfst du niemandem sagen, hörst du? Niemandem!«

»Auch nicht den Eltern?«, fragte Edward, denn vor denen hatte er noch nie ein Geheimnis gehabt.

»Nein!«, sagte Benek etwas lauter als beabsichtigt. »Denen schon gar nicht! Die würden sich Sorgen machen! Das, was ich dir gerade gesagt habe, muss unser Geheimnis bleiben, verstehst du? Kann ich mich auf dich verlassen?«

Edward nickte und schaute den Bruder mit großen Augen an. Das hatte er nicht erwartet. Nein, unter diesen Umständen wollte er lieber doch keine Uniform. Zumindest jetzt noch nicht. Lieber war er zu Hause, bei der Mutter, bei den Geschwistern. Das schien ihm sicherer.

Das kurze Gespräch mit dem Bruder ging Edward aber nicht mehr aus dem Kopf. Wieder und wieder dachte er darüber nach, was Benek ihm anvertraut hatte. Seine anfängliche Zurückhaltung, seine Bedenken gab er immer mehr auf. Das Neue, das Abenteuer, als das er das Ganze sah, begann ihn zu reizen.

Kurz nach seinem zehnten Geburtstag hatte er endgültig alle Vorbehalte beiseitegeräumt. Edward wurde Mitglied der Pfadfinder. Dafür kamen extra drei Männer zu ihm an die Schule. Bevor er seine Uniform erhielt, musste er vor dem Heiligenbild in der Klasse einen Schwur ablegen und versprechen, dass er seine Heimat liebe und sie verteidigen werde, was auch immer geschehe. Verstanden hatte er das nicht, aber die Aussicht auf die Uniform ließ ihn die Wörter nachsprechen, die ihm einer der drei Männer vorsagte.

Auf der Toilette zog er seine Uniform an und stellte sich damit der Klasse vor.

Einige Wochen nach Edwards großem Tag sprach Benek ihn an.

»Jetzt bist du schon eine Zeit lang bei den Pfadfindern, nun könntest du auch noch unserer Gruppe beitreten. Da reden wir nicht mehr bloß über die Verteidigung unserer Heimat, da tun wir was«, sage er geheimnisvoll.

Edward zögerte. Was war das für eine andere Gruppe, zu der Benek gehörte. Warum wusste er nichts davon? Warum hatte Benek ihm nie etwas darüber erzählt? Also fragte er ihn.

»Ich bin noch in der Armia Krajowa, der polnischen Heimatarmee. Das heißt, ich bin natürlich Pfadfinder, aber mit unserer Gruppe gehören wir zur Armee und unterstützen sie im Kampf gegen die Deutschen.«

Edward brauchte Bedenkzeit. Mitglied bei den Pfadfindern zu sein, das fand er in Ordnung, und die Uniform trug er auch gern. Aber kämpfen? Würde er dazu in der Lage sein? Er war doch erst zehn?

Doch Benek war sein Vorbild. Dem konnte, dem wollte er keinen Wunsch abschlagen. Einige Tage später sagte er ihm, er habe es sich überlegt, er wolle dabei sein.

Auch für die Aufnahme in diese Gruppe traf er wieder die drei Männer, dieses Mal an einem geheimen Ort, den Edward bislang nicht kannte. Und wieder musste er einen Schwur ablegen. Der war allerdings viel klarer und schärfer als der erste. Es lief ihm kalt den Rücken hinunter, als er nachsprechen musste, dass bei Verrat der Gruppe sein Elternhaus mitsamt der Familie in Flammen aufgehen würde.

Doch nun hatte er geschworen, nun war er dabei.

Nach dem Schwur bekam er eine Pistole, die er bei jedem Einsatz tragen müsse. Das war ein Befehl. Sollte man vom Feind gefasst werden, so hatte man die Pistole, um sich selbst das Leben zu nehmen. Denn die Verhörmethoden des Feindes, sagte man ihm, seien furchtbarer als der Tod.

In den folgenden Tagen und Wochen brachte Benek ihm bei, wie sie ihre Anschläge verübten.

»Zuerst musst du die Benzinflasche auf den Panzer werfen, dann die Granate entsichern, bis drei zählen und sie hinterherwerfen. Und dann müssen wir ganz schnell wegrennen, damit uns niemand fasst!«

Mit Attrappen versuchten sie, solche Situationen durchzuspielen. Dosen waren ihre Benzinflaschen, Steine die Granaten, ein Steinhaufen, einige Schritte entfernt, der Panzer. Aber auch mit echten Gegenständen übten sie.

Edward hörte zu, nickte zu allem, es war ja der große Bruder, der mit ihm sprach, der musste es wissen. Selbst verstand er aber nichts.

Das sollte sich allerdings bald ändern. Schon nach zwei Wochen bekamen sie einen Einsatzbefehl, bei dem auch Edward eingesetzt wurde. Der Anschlag sollte in der Stadt Piotrków stattfinden. Vier Panzer und zwei Panzerwagen sollten sie in Piotrków zerstören.

Es war sein erster Einsatz. Alles klappte. Benek hatte ihn gut vorbereitet. Sie konnten rechtzeitig fliehen. Edward war stolz, mit dabei gewesen zu sein. Und es gab ihm Selbstvertrauen. Denn auch bei den nächsten Angriffen in Kielce und Radom sollte er mit dabei sein.

Edward fühlte sich in der Gruppe gebraucht. Von Mal zu Mal wurde er sicherer und im Laufe des ersten Jahres hatten sie zwanzig Panzer und zwölf Panzerwagen des Feindes zerstört.

Dann kam ein neuer Einsatzbefehl. In Kielce sollten sie von Neuem aktiv werden.

Zunächst verlief alles wie immer. Sie warteten ab, bis die deutsche Patrouille vorbei war. Die Späher gaben ihnen ein Zeichen, dass die Luft rein war, doch offenbar hatten sie sich nicht gründlich genug umgeschaut.

Wie aus heiterem Himmel war auf einmal die Gestapo da und verhaftete sie. Es ging so schnell, dass sie nicht einmal mehr in der Lage waren, ihre Pistolen zu ziehen, um sich zu erschießen....

Erscheint lt. Verlag 28.9.2015
Zusatzinfo Mit Fotos
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur
Kinder- / Jugendbuch Sachbücher Geschichte / Politik
Schlagworte ab 12 • Auschwitz-Birkenau • Drittes Reich • eBooks • Fotos • Holocaust • Konzentrationslager • Max Mannheimer • Nationalsozialismus • Schullektüre • Zeitzeugen
ISBN-10 3-641-15680-7 / 3641156807
ISBN-13 978-3-641-15680-0 / 9783641156800
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