Eine Art Familientreffen (Rosa Kaninchen-Trilogie, 3) (eBook)

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2015 | 1. Auflage
705 Seiten
Ravensburger Buchverlag
978-3-473-47686-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Eine Art Familientreffen (Rosa Kaninchen-Trilogie, 3) -  Judith Kerr
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Die berührende Aufarbeitung einer wahren Fluchtgeschichte Nach Kriegsende ist Anna in England geblieben. Verheiratet mit einem bekannten Autor führt sie ein zufriedenes Leben. Da wird sie nach Berlin gerufen. Ihre Mutter liegt nach einem Selbstmordversuch im Koma. Die Begegnung mit ihr führt Anna noch einmal zurück in die Jahre ihrer Kindheit. Die gesamte Reihe: Als Hitler das rosa Kaninchen stahl Warten bis der Frieden kommt Eine Art Familientreffen

Judith Kerr war die Autorin der 'Rosa Kaninchen'-Trilogie. Am 14. Juni 1923 kam Judith Kerr als Tochter des berühmten Theaterkritikers Alfred Kerr in Berlin zur Welt. Sofort nach der Machtergreifung der Nazis musste die jüdische Familie aus Deutschland fliehen. Nach Stationen in der Schweiz und Frankreich emigrierte sie 1935 schließlich nach London. Nach dem Krieg arbeitete Judith Kerr als freiberufliche Malerin und Textildesignerin. Seit 1953 war sie für die BBC tätig, erst als Redakteurin und Lektorin, später dann als Drehbuchautorin. 1954 heiratete Judith Kerr den Schriftsteller Nigel Kneale. Nach der Geburt ihrer Kinder Tacy und Matthew gab sie ihre Arbeit für einige Jahre auf. Von ihrem Mann ermutigt, begann Judith Kerr Ende der 60er Jahre die Geschichte des Mädchens Anna zu schreiben. Es ist ihre eigene Geschichte, aber die Bücher sind, wie sie betonte, 'Romane und keine Memoiren'. Der erste Band der Trilogie 'Als Hitler das rosa Kaninchen stahl' umspannt den Zeitraum von 1933 bis 1937 und spielt an den Schauplätzen Berlin, Zürich und Paris. Der zweite Band 'Warten bis der Frieden kommt' schildert Anna während der Kriegszeit in London. In 'Eine Art Familientreffen' kehrt Anna 1956 nach Berlin zurück und Erinnerungen an ihre eigene Kindheit werden wach. 'Als Hitler das rosa Kaninchen stahl' ist nicht nur ein Standardwerk der Jugendliteratur, sondern ein anerkannter Klassiker in der Emigrantenliteratur. Es wurde 1974 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet. Judith Kerr starb am 22.5.2019 in London.

Judith Kerr war die Autorin der "Rosa Kaninchen"-Trilogie. Am 14. Juni 1923 kam Judith Kerr als Tochter des berühmten Theaterkritikers Alfred Kerr in Berlin zur Welt. Sofort nach der Machtergreifung der Nazis musste die jüdische Familie aus Deutschland fliehen. Nach Stationen in der Schweiz und Frankreich emigrierte sie 1935 schließlich nach London. Nach dem Krieg arbeitete Judith Kerr als freiberufliche Malerin und Textildesignerin. Seit 1953 war sie für die BBC tätig, erst als Redakteurin und Lektorin, später dann als Drehbuchautorin. 1954 heiratete Judith Kerr den Schriftsteller Nigel Kneale. Nach der Geburt ihrer Kinder Tacy und Matthew gab sie ihre Arbeit für einige Jahre auf. Von ihrem Mann ermutigt, begann Judith Kerr Ende der 60er Jahre die Geschichte des Mädchens Anna zu schreiben. Es ist ihre eigene Geschichte, aber die Bücher sind, wie sie betonte, "Romane und keine Memoiren". Der erste Band der Trilogie "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl" umspannt den Zeitraum von 1933 bis 1937 und spielt an den Schauplätzen Berlin, Zürich und Paris. Der zweite Band "Warten bis der Frieden kommt" schildert Anna während der Kriegszeit in London. In "Eine Art Familientreffen" kehrt Anna 1956 nach Berlin zurück und Erinnerungen an ihre eigene Kindheit werden wach. "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl" ist nicht nur ein Standardwerk der Jugendliteratur, sondern ein anerkannter Klassiker in der Emigrantenliteratur. Es wurde 1974 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet. Judith Kerr starb am 22.5.2019 in London.

Sonntag

Annas Füße waren so schwer, dass sie nur mühsam gehen konnte. Es war heiß, und auf der Straße war niemand zu sehen. Plötzlich eilte Mama vorüber. Sie trug ihren blauen Hut mit dem Schleier und rief Anna zu: »Ich kann mich nicht aufhalten – ich bin mit den Amerikanern zum Bridgespielen verabredet.« Dann verschwand sie in einem Haus, das Anna bis dahin noch nicht bemerkt hatte. Sie war traurig, dass Mama sie so hatte auf der Straße stehen lassen, und es wurde immer heißer, und die Luft wurde immer drückender.

So früh am Morgen kann es doch nicht so heiß sein, dachte sie. Sie wusste, dass es früh am Morgen war, denn Max schlief noch. Er hatte die vordere Wand seines Hauses entfernt, damit die Hitze entweichen konnte, und sie konnte ihn in seinem Wohnzimmer mit geschlossenen Augen sitzen sehen. Neben ihm in einem Sessel saß seine Frau Wendy mit dem Säugling auf dem Arm und blinzelte schläfrig. Sie sah Anna an und bewegte ihre Lippen, aber die Luft war so dick, dass Anna nichts hören konnte, so ging sie weiter, die heiße, leere Straße entlang, den heißen, leeren Tag vor sich.

Wie kommt es, dass ich so allein bin, dachte sie. Es muss doch jemanden geben, zu dem ich gehöre. Aber es fiel ihr niemand ein. Die Luft war so drückend, dass sie kaum atmen konnte. Sie musste sie mit den Händen wegschieben. Und doch muss da jemand sein, dachte sie, da bin ich ganz sicher. Sie versuchte, sich an seinen Namen zu erinnern, aber er fiel ihr nicht ein. Sie konnte sich an nichts mehr erinnern, weder an seinen Namen, noch an sein Gesicht, noch an seine Stimme.

Ich muss mich erinnern, dachte sie. Sie wusste, dass er existierte, in irgendeiner Falte ihres Hirns verborgen war, dass ohne ihn alles sinnlos war, nie wieder einen Sinn haben würde. Aber die Luft war so schwer. Sie bedrängte sie von allen Seiten, lag ihr schwer auf der Brust, drückte auf ihre Augen, ihre Nase und ihren Mund. Bald würde es selbst zu spät sein, sich zu erinnern. »Da war jemand!«, schrie sie. Es war ihrer Stimme gelungen, durch die dicke Luft zu dringen. »Ich weiß, da war jemand!«

Sie fand sich im Bett wieder, in die zerwühlten Laken und Decken verwickelt, das Kopfkissen halb über dem Gesicht, neben sich Richard, der sagte: »Ist doch schon gut, ist doch schon gut.«

Einen Augenblick blieb sie still liegen, fühlte seine Nähe und spürte, wie der Schrecken verebbte. Halb sah sie, halb fühlte sie den vertrauten Raum, die Form eines Sessels, die ganze Kommode, einen Spiegel, der in der Dunkelheit matt glänzte.

»Ich habe geträumt«, sagte sie schließlich.

»Ich weiß. Du hast mich fast aus dem Bett gefegt.«

»Es war der schreckliche Traum, in dem ich mich nicht mehr an dich erinnern kann.«

Er legte die Arme um sie. »Ich bin hier.«

»Ich weiß.« Im Schein der Straßenlaterne vor dem Fenster konnte sie sein müdes und besorgtes Gesicht erkennen.

»Es ist ein fürchterlicher Traum«, sagte sie. »Was meinst du, warum ich so träume? Es ist, als hätte die Zeit sich verschoben, und ich könnte nicht mehr zurück.«

»Vielleicht ein Trick des Gehirns. Du weißt doch – der eine Hirnlappen erinnert sich, und der andere nimmt das Signal den Bruchteil einer Sekunde später auf. Es ist wie déjà vu, nur andersherum.«

Das tröstete sie nicht.

»Und wenn man nun stecken bleibt?«

»Du kannst nicht stecken bleiben.«

»Aber wenn ich es täte. Wenn ich mich wirklich nicht mehr an dich erinnern könnte. Oder wenn ich sogar an einer früheren Stelle stecken bliebe, da, wo ich noch nicht Englisch sprechen konnte. Dann könnten wir nicht einmal miteinander reden.«

»Na«, sagte er, »in dem Fall hätten wir auch noch andere Probleme. Du wärest noch keine elf Jahre alt.«

Jetzt musste sie lachen, und der Traum, der schon verblasste, löste sich in Harmlosigkeit auf. Sie spürte jetzt, wie ihr vor Schlafmangel alles wehtat, und jetzt erst fiel ihr der vergangene Tag wieder ein. »Oh Gott«, sagte sie, »Mama.«

Er drückte sie fester an sich. »Wahrscheinlich hat dieser ganze Kummer Erinnerungen in dir wachgerufen, die du fast vergessen hattest. Erinnerungen an den Verlust von Menschen – von Menschen und Orten –, als du klein warst.«

»Die arme Mama. Weißt du, damals war sie fabelhaft.«

»Ich weiß.«

»Ich wünschte zu Gott, ich hätte ihr geschrieben.« Der Himmel, den man in der Lücke zwischen den Vorhängen sah, war schwarz. »Wie spät ist es?«

»Erst sechs Uhr.« Sie sah, wie er sie im Dunkeln besorgt betrachtete. »Ich bin sicher, dass es nichts geändert hätte, wenn du ihr geschrieben hättest. Es muss etwas ganz anderes sein. Irgendetwas muss sie gequält oder ganz aus der Fassung gebracht haben.«

»Meinst du?« Sie hätte ihm gern geglaubt.

»Und dann hat sie vielleicht an deinen Vater gedacht – daran, wie er gestorben ist –, und sie hat gedacht, warum soll ich es nicht ebenso machen.«

Nein, so war es nicht gewesen.

»Bei Papa war es etwas anderes«, sagte sie. »Er war alt und hatte zwei Schlaganfälle hinter sich. Während Mama … Oh Gott«, sagte sie, »es muss doch Leute geben, deren Eltern auf natürliche Weise sterben.« Sie starrte in die Dunkelheit. »Weißt du, das Schlimme ist: Max hat ihr wahrscheinlich auch nicht geschrieben, oder wenn er geschrieben hat, ist sein Brief aus Griechenland nicht angekommen.«

»Das wäre immer noch kein Grund, Selbstmord zu begehen.«

Draußen auf der Straße klirrten Flaschen, dann hörte man das Pferd des Milchmanns zum Nachbarhaus trotten. In der Ferne startete ein Auto.

»Du musst das verstehen«, sagte sie, »wir hielten doch damals so fest zusammen. Wir konnten gar nicht anders; wir zogen von Land zu Land, und alles war gegen uns. Mama sagte immer, wenn Max und ich nicht wären, würde es sich nicht lohnen weiterzumachen – und sie hat uns ja durchgebracht; sie hat die Familie zusammengehalten.«

»Ich weiß.«

»Ich wünschte, ich hätte ihr geschrieben«, sagte sie.

Richard fuhr mit ihr im Bus zum Flughafen. Sie verabschiedeten sich in der dröhnenden Halle, in der es nach Farbe roch, und sie trennte sich von ihm, wie sie es sich vorgenommen hatte: gefasst.

Aber als sie dann an der Kontrolle ihren Pass herausholte, überkam sie plötzlich eine Welle der Verzweiflung.

Entsetzt bemerkte sie, dass Tränen ihr übers Gesicht rannen, ihre Wangen, ihren Hals und sogar den Kragen ihrer Bluse nässten. Sie konnte sich nicht rühren, stand da wie blind und wartete darauf, dass er ihr zu Hilfe kam.

»Was ist denn?«, rief er, aber sie konnte es auch nicht sagen.

»Es ist nichts«, sagte sie, »wirklich.« Sie war entsetzt, dass sie ihn so erschreckt hatte. »Es ist, weil ich nicht geschlafen habe«, sagte sie, »und ich kriege meine Tage. Du weißt doch, dass ich immer heule, wenn ich meine Tage kriege.«

Ihre Stimme kam ziemlich laut aus ihr heraus, und ein Mann mit einem steifen Hut drehte sich um und sah sie überrascht an. »Soll ich nicht doch mitkommen?«, fragte Richard. »Ich könnte heute mit einem späteren Flug oder morgen kommen.«

»Nein, nein, natürlich nicht. Es ist wirklich alles in Ordnung.« Sie küsste ihn. Dann nahm sie ihren Pass und rannte. »Ich schreibe dir«, rief sie ihm noch zu.

Sie wusste, es war zu dumm – aber sie hatte das Gefühl, ihn für immer zu verlassen.

Als sie erst im Flugzeug saß, fühlte sie sich besser.

Sie war erst zweimal in ihrem Leben geflogen und fand es immer noch aufregend, auf eine Welt von Puppenhäusern und -feldern und winzige kriechende Autos hinunterzuschauen. Es war eine Erleichterung, von allem abgeschnitten zu sein und zu wissen, dass Berlin erst in Stunden auftauchen würde. Sie schaute aus dem Fenster und richtete ihre Gedanken fest auf das, was sie dort sah. Als sie dann die Nordsee halb überquert hatten, trieben Wolken heran, und bald war nichts zu sehen als die graue Decke unten und oben der strahlend helle, leere Himmel. Sie lehnte sich zurück und dachte an Mama.

Komisch, dachte sie, in welcher Lage man sich Mama auch vorstellt, man denkt sie sich immer in Bewegung: die blauen Augen unter gerunzelten Brauen, die Lippen sprechend; Mama ringt ungeduldig die Hände, zupft ihr Kleid zurecht, betupft ihr winziges Stupsnäschen heftig mit der Puderquaste. Immer hatte Mama Angst, etwas an ihr könne in Unordnung geraten, falls sie nicht ständig alles überprüfte, und auch dann hatte sie das Gefühl, irgendetwas könne immer noch verbessert werden.

Anna erinnerte sich, wie Mama bei einem ihrer Besuche in England Konrad zum Mittagessen in Annas kleine möblierte Wohnung mitgebracht hatte. Anna hatte das einzige Gericht gemacht, das sie kochen konnte: eine große Portion Reis mit allen Zutaten, die gerade zur Hand waren. Bei dieser Gelegenheit hatte zu den Zutaten klein geschnittene Wurst gehört, und Konrad hatte höflich gesagt, die Wurst sei gut. Sofort hatte Mama gesagt: »Ich suche dir noch welche«, hatte zu Annas Ärger die Schüssel ergriffen, darin herumgestochert und ihm die Wurststückchen auf den Teller geschoben.

Wie konnte jemand, der sich mit solcher Besessenheit mit den Kleinigkeiten des täglichen Lebens befasste, plötzlich seinem Leben ein Ende machen wollen? Natürlich hatte Mama oft davon geredet. Aber das war in den letzten Jahren in Putney gewesen, als es ihr und Papa so schrecklich elend erging, und sogar damals hatte es niemand ernst genommen. Sie hatte so oft gerufen: »Ich wünschte, ich...

Erscheint lt. Verlag 1.5.2015
Reihe/Serie Rosa Kaninchen-Trilogie
Übersetzer Annemarie Böll
Verlagsort Ravensburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur
Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Schlagworte 2. Weltkrieg • Berlin • Buch • Bücher • Diktatur • Drittes Reich • Emigration • Flucht • Flüchtling • gegen Rechts • Geschenk • Geschenkidee • Heimat • Hitler • Juden • Kerr-Trilogie • Krieg • Lesen • Literatur • Nachkriegszeit • Nationalsozialismus • Propaganda • Rechtsextremismus • Schwangerschaft • Selbstmordversuch • Trauer • Verantwortung • Wiederaufbau • Zeitgeschichte • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-473-47686-2 / 3473476862
ISBN-13 978-3-473-47686-2 / 9783473476862
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