Hotel de Dream (eBook)
232 Seiten
Männerschwarm Verlag GmbH
978-3-86300-196-4 (ISBN)
Edmund White wurde 1940 in Cincinnati geboren. Als Mitbegründer der Autorengruppe The Violet Quill ist er seit den 1970er Jahren eine der wichtigsten Stimmen der Literatur schwuler Autoren der USA. In Deutschland erschienen seine Romane seit Anfang der 1980er Jahre bei Rowohlt, S. Fischer und Kindler; inzwischen umfasst sein Werk zwölf Romane sowie Reiseberichte, biografische und autobiografische Texte und Essays. Besondere Aufmerksamkeit erlangte er hierzulande mit seiner Biografie über Jean Genet. Die schwule Leserschaft kennt ihn als Verfasser von 'Staaten der Sehnsucht', einer Bestandsaufnahme schwulen Lebens in den USA zu Beginn der Schwulenbewegung, als Ko-Autor des Sexratgebers 'Die Freuden der Schwulen' und durch die autobiografisch gefärbte Romantrilogie 'Selbstbildnis eines Jünglings', 'Das schöne Zimmer ist leer' und 'Abschiedssymphonie'. Seit 1998 unterrichtet Edmund White kreatives Schreiben in Princeton; seit 1995 lebt er mit seinem Freund - und seit 2012 Ehemann - Michael Carroll zusammen. Dass der 'Anti-Assimilationist' White sich zu heiraten entschloss, war dem 'Advocate' ein einseitiges Interview wert.
Edmund White wurde 1940 in Cincinnati geboren. Als Mitbegründer der Autorengruppe The Violet Quill ist er seit den 1970er Jahren eine der wichtigsten Stimmen der Literatur schwuler Autoren der USA. In Deutschland erschienen seine Romane seit Anfang der 1980er Jahre bei Rowohlt, S. Fischer und Kindler; inzwischen umfasst sein Werk zwölf Romane sowie Reiseberichte, biografische und autobiografische Texte und Essays. Besondere Aufmerksamkeit erlangte er hierzulande mit seiner Biografie über Jean Genet. Die schwule Leserschaft kennt ihn als Verfasser von "Staaten der Sehnsucht", einer Bestandsaufnahme schwulen Lebens in den USA zu Beginn der Schwulenbewegung, als Ko-Autor des Sexratgebers "Die Freuden der Schwulen" und durch die autobiografisch gefärbte Romantrilogie "Selbstbildnis eines Jünglings", "Das schöne Zimmer ist leer" und "Abschiedssymphonie". Seit 1998 unterrichtet Edmund White kreatives Schreiben in Princeton; seit 1995 lebt er mit seinem Freund - und seit 2012 Ehemann - Michael Carroll zusammen. Dass der "Anti-Assimilationist" White sich zu heiraten entschloss, war dem "Advocate" ein einseitiges Interview wert.
Der Himmel hing voll schwerer Wolken, nur von der Wall Street her strahlte ein kaltes Abendlicht zu uns herüber, als sei der Westen dort im Süden. Die Gebäude ragten unterschiedlich hoch in den Himmel, ohne jeden Plan in verwirrender Vielfalt der Baustile, wie Gräser, die in einem verwilderten Garten um ein sonniges Plätzchen kämpfen: neben den Rüschen des Farnkrauts die scharfe Klinge des Grases; klassizistische Säulen, viel zu breit und gedrungen, als ächzten sie unter einer großen Last; barocke Balkone mit protzigen, sinnlosen Verzierungen; ein französisches Renaissance-Schloss mit Zier-Schornsteinen und Mansarden unter einem steilen Dach, willkürlich übersät mit Ornamenten wie Sommersprossen auf dem Gesicht eines Bauern - gerade richtig, um ein Wachsfigurenkabinett zu beherbergen. Alle Männer trugen steife Hüte, nur ich war mit meinem Schlapphut unterwegs und Elliott mit der Zeitungsjungenkappe. Um uns herum flammten Lichter auf und verströmten ihr Gold, eine leichte Brise ließ die Markisen über den Fenstern erzittern wie schwere Lider, die im Schlaf zuckten. Die Namen der Geschäfte, die allmählich in der zunehmenden Dunkelheit verschwanden, zeugten von einer babylonischen Sprachverwirrung: Pinaud, Gottschalk, Ruggiero, und ein verspätetes Pferdefuhrwerk verkündete: 'Henry Adam - Möbel und Pianos'. Wir bogen in westlicher Richtung in die Bleecker Street ein und blieben schließlich vor einer Fassade stehen, die sich durch nichts von den anderen unterschied. 'Das ist das Slide, hier lernen Sie meine Schwestern und Mütter kennen' - er sah mich von der Seite an und lächelte wie ein Junge vom Land -, 'Sie wissen schon, andere Tunten, junge und alte.' 'Oh', sagte ich und zuckte mit der Achsel, 'ich dachte schon, du sprichst von richtigen Frauen, denen würd' ich's mal zeigen.' 'Vorsicht, Liebling', sagte er, schon ganz in einer anderen Rolle, 'zeig ihn lieber nicht bei der Kälte hier draußen, sonst friert er noch ab!' Er war nicht besonders gut in dieser Rolle, aber ich knuffte ihn trotzdem. Das Lokal, das wir betraten, sah auf den ersten Blick genauso aus wie irgendwelche anderen Kneipen. An der linken Seite verlief ein langer, geschnitzter Holztresen, und dahinter standen Schnapsflaschen in gläsernen Regalen; ein großer Spiegel hinter dem Tresen reflektierte recht schmeichelhaft die Gesichter der müden Männer, die auf den Barhockern saßen. Auf einem fettigen Tablett lag Schinken und Käse, beides nicht mehr ganz frisch. Die Gaslampen verbreiteten ein grelles Licht. Es war noch früh, und nur wenige Männer saßen am Tresen; an einem Tisch weiter hinten im Raum saßen Frauen mit großen Bierkrügen. 'Das sind keine Frauen', sagte Elliott, ein wenig stolz auf seine Milieukenntnis. Ich sah genauer hin und erkannte, dass die Hände um die Krüge groß und derb waren, die Nägel aber lackiert. Die Gesichter waren grell geschminkt wie Clownsmasken, aber die Nasen waren zu groß, die Knochen zu kräftig, und dann - nun ja, die verräterischen Adamsäpfel. 'Hallo, Schätzchen', krächzte eine von ihnen. 'Du darfst dich der Hohen Pforte nähern.' Oberlehrerhaft flüsterte Elliott, 'Das heißt, wir dürfen sie besuchen.' Wir gingen langsam auf sie zu - absurderweise nahm ich den Hut ab und hielt ihn in den Händen, genau wie Elliott, als ob wir Domestiken wären, die von der Herrschaft gerufen wurden. 'Was hast du denn da im Schlepptau, Fräulein Pussy?', fragte derselbe Transvestit Elliott. 'Er ist ganz und gar normal', sagte Elliott mit dümmlichem Grinsen. 'Hmm, normal vielleicht, aber offensichtlich interessiert', erwiderte das Wesen. Er hob ein groteskes Lorgnon empor, das vor Rheinkristallen funkelte, und musterte mich. 'Kein besonders kräftiger Normaler. Eher einer dieser schwächlichen Normalos, wie sie heutzutage ihr normales Unwesen treiben. Sieht aus wie 'ne ertrunkene Ratte, dein Mr Normalo, wenn du mich fragst. Aber Augen wie ein Reh. Und du sagst, er gehört nicht dazu?' 'Oh nein, Eure Majestät, er ist ein richtiger Mann.' 'Uuh, sieht er nicht doch ein bisschen weiblich aus, was meint ihr?' Eine der anderen Grazien am Tisch trällerte den Refrain 'Rück das Ding mehr nach links, und dann ging's!', und alle gackerten. 'Er ist keine Tunte', dröhnte ein dritter Mann mit tiefer Stimme durch rotglänzende Lippen. 'Das sieht man doch am Stammbaum!' Plötzlich starrten mir alle in den Schritt. (Elliott flüsterte, 'Stammbaum sagt man zu dem Paket zwischen den Beinen.') Das Lorgnon wurde auf meinen Hosenschlitz gerichtet. Der Erste aus der Tisch-Gesellschaft fragte, 'Was schleppen Sie denn da herum, das Rockingham Teeservice?' Der Sänger stimmte ein neues Lied an, diesmal war es 'Weißes Gesicht, strähniges Haar, großes Saxophon ...', daraufhin gerieten alle außer Rand und Band, wobei sie nicht eigentlich lachten, sondern Lachen spielten - sie hielten sich buchstäblich die Seiten oder kippten nach vorn wie Handpuppen, die über den Bühnenrand hängen. 'Das ist kein Stammbaum', sagte der Basso Profundo, 'das ist nur ein Zahnstocher.' 'Uuh, du verschreckst unser Fräulein Mann doch nur' - dabei zeigte er mit dem Kopf in meine Richtung. (Anscheinend war ich 'Fräulein Mann'.) Und dann, an den anderen Transvestiten gewandt: 'Was bist du doch für eine schlimme alte Schwuchtel! Eine böse Fee! Die leibhaftige Delilah!' 'Von wegen Tequila!', erwiderte er. 'Ich bin die Kaiserin von Astonia und du heißt - Fräulein Musch I. Dusch!' Ich fand sie komisch, aber wie immer bei professionellen Komikern war ich auch besorgt: Wie lange würden sie das durchhalten? Dann versuchte ich, mir diese Damen in ihren normalen männlichen Kleidern und ihren normalen Berufen vorzustellen. Vielleicht war die Kaiserin ein Schlachter mit einer alten Ehefrau drüben in Brooklyn und vier Kindern mit schmutzigen Gesichtern. Der andere hatte unter seinen dunkelroten Handschuhen, die bis zum Ellbogen reichten, vielleicht Tattoos aus seiner Zeit bei der Marine. Unter seinem langen Kleid spreizte er die Beine auf wenig damenhafte Weise. Und der dritte war wahrscheinlich Italiener mit behaarter Brust und einem goldenen Kruzifix unter seiner Bluse mit der Brosche. 'Und wovon lebt unser Fräulein Mann, Schätzchen? Ich hoffe, sie hat die guten Jahre nicht schon hinter sich, wie der Rest deiner Kundschaft.' 'Er ist Journalist', erwiderte Elliot voller Stolz. Das Wort Journalist war kaum gefallen, da fing alles zu Kreischen an, Fächer fächelten und Augen rollten. 'Heißt das, Fräulein Mann schreibt über uns, damit sie uns die Bude dicht machen oder die Normalos herkommen und uns begaffen - oder sie lockt uns noch das Fräulein Justitia in die gute Stube! Die Töchter des Anstands! Sag schon, und zwar die Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit!' 'Er meint die Polizei', übersetzte Elliott, aber ich merkte, dass er selbst kaum mehr verstanden hatte als ich. 'Manchmal nennen sie die Bullen auch Inspizienten. Oder Gardinenspanner.' Er hielt sich die Hände überkreuz vors Gesicht und spreizte die Finger. 'Aber meine Damen', sagte ich und senkte die Handflächen beruhigend nach unten, wie ein Dirigent, damit die Streicher leiser spielen, 'bitte machen Sie sich keine Sorgen. Es ist unmöglich, über Sie zu schreiben; die Leser der Morgenzeitung wären so schockiert, dass sie an ihrem Toast erstickten.' Ihre Aufregung und auch die Verkleidung beruhigten mich. Ich spürte, dass ich für diese Schar verängstigter, aufgescheuchter Wesen verantwortlich war. 'Denkt immer daran, ihr Süßen: Wahre Majestät gibt ihr Geheimnis nicht preis', sagte der Basso Profundo. 'Preisgeben, Eure Zickigkeit?', wiederholte die Kaiserin. 'Denkt Ihr etwa daran, Euer eigenes Geheimnis preiszugeben? Wir würden wohl eine Lupe benötigen, um zu erkennen, was dabei zum Vorschein käme.' 'Rehäuglein', sagte die dritte Dame und zupfte mir am Ärmel, 'wie wär's mit einer Runde Bier? Für jeden ein halbes Pint Ale?' 'Euren Majestäten scheint nicht bewusst zu sein', erwiderte ich, 'dass euer ergebener Diener vollkommen pleite ist.' Alle gaben Laute tiefen Bedauerns von sich. 'Nicht gerade ein Bewunderer, wie wir ihn dir gewünscht hätten - und, Schätzchen', sagten sie zu Elliott, 'kein geeigneter Freier für ein so verlegenes Ding wie dich - immer um Geld verlegen!' Alle kreischten. Ich wurde dann der Gräfin von Oberschlesien und Ihrer Gnaden, der Markgräfinwitwe von Groß-Ludendorff vorgestellt ('Sie bekommt hier ihr Gnadenbrot, dafür ist sie aber wirklich ein großes Luder', erklärte die Kaiserin). Wie wir so herumalberten, musste ich an Alice im Wunderland denken, an die Herzkönigin und den Hutmacher. Den gebieterischen Tonfall, um 'Kopf ab mir ihr' zu rufen, beherrschten meine neuen Freunde perfekt, auch die entnervte Gereiztheit allem Bodenständigen gegenüber. Trugen diese Wesen solche Kleider auch auf der Straße? Wie waren sie das erste Mal auf die Idee gekommen, sich zu verkleiden? Elliott hatte erwähnt, dass sie Prostituierte seien, aber wer fand solche Typen begehrenswert? Würde nicht jeder männliche Stolz vor ihrem Spott dahinwelken? Ich war vom langen Stehen erschöpft und bekam einen Hustenanfall. 'Nicht sehr gesund, unser Fräulein Mann', sagte die Kaiserin im Tonfall einer alten Xanthippe. Als mein Anfall vorüber war, senkte sich für einen Moment ein unbehagliches Schweigen über uns, in dem nichts zu hören war als das Zischen der Gaslampen, und nichts zu riechen als Reispulver und schales Bier. Ein Augenblick kroch vorüber, danach ein weiterer. Ich sah, wie sich ein Tropfen Schweiß über das Gesicht der Gräfin schlängelte und sich durch eine dicke Fettschicht grub. Ich fragte mich, ob diese Damen im Stehen oder im Sitzen pinkelten. Elliott zeigte auf die wackligen Treppen, die an der linken und rechten Seite des Raums zu einer dämmrigen Galerie führten. 'Später sitzen dort oben die Tunten und warten auf ihre Kunden, jetzt ist es noch zu früh.' 'Warum verkleidest du dich nicht als Frau?' Elliot sagte, er sei eine 'Puder-Tunte, das bedeutet, dass ich Jungensachen trage, aber Make-up wie ein Mädchen - manche Männer mögen das.' Er verkündete diese begriffliche Feinheit, als handele es sich um ein bedeutendes Naturgesetz. 'Wie unverfroren! Unser Fräulein Mann stellt reichlich unverfrorene Fragen, dieses männliche Reporterfräulein mit ihrer Mädchenreportage', kreischte die Gräfin. 'Ich weiß genau, sie schreibt über uns, auch wenn ich viel zu ehrbar bin, um die Welt meinen Namen wissen zu lassen. Mein Muttchen kriegt bestimmt einen Wutanfall.' 'Mais oui, chérie', ihre Gnaden ließ die Reste ihres Hafenarbeiterorgans erdröhnen, 'zeig ihm das innere Heiligtum und lass ihn vor der Menge der Ungewaschenen das geheime Leben der Hierophanten enthüllen.' Sie machte eine vage Geste hinauf zur Galerie. Oben standen runde Tische mit fleckigen Tischdecken und Kerzen, ein schmutziger Sternenhimmel. 'Ich finde sie nicht so spannend', flüsterte ich Elliott zu. Elliott wirkte erschrocken. 'Wirklich nicht?' Es war, als hätte er die Diamanten seiner Mutter in höchster Not zum Verkauf angeboten und müsste nun erfahren, dass es Strass war. Armer Elliott - er war von seinem schrecklichen Bauernhof fortgelaufen und ohne Geld und ohne Freunde in diese große, rußige Stadt gekommen. Irgendwie, auf geheimnisvolle Weise hatte er dann diese glorreichen älteren Freunde gefunden, die dasselbe Laster hatten wie er und schrecklich klug waren. Er wusste, dass normale Leute sie furchtbar fanden, aber bis heute hatte er nie daran gezweifelt, dass sie etwas besonderes waren. Er wirkte am Boden zerstört, und meine Worte taten mir leid.
Erscheint lt. Verlag | 24.3.2015 |
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Übersetzer | Joachim Bartholomae |
Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Henry James • international • Joseph Conrad • New York • Roman • Schwules Leben • Stephen Crane |
ISBN-10 | 3-86300-196-6 / 3863001966 |
ISBN-13 | 978-3-86300-196-4 / 9783863001964 |
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