Der Jahrhundertsturm (eBook)

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2015 | 1. Auflage
720 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-1093-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Jahrhundertsturm -  Richard Dübell
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1840: Der Jahrhundertsturm beginnt. Alvin von Briest ist ein echter Preuße. Er fühlt sich den alten Traditionen seines Heimatlandes verpflichtet, auch wenn es ihm nicht immer leicht fällt. Auf Rat seines Freundes Otto von Bismarck entscheidet er sich sogar für eine Militärlaufbahn. Ganz anders sein Freund Paul Baermann. Paul stammt aus dem Münchner Bürgertum und ist ein Mann des Fortschritts. Seine einzige Liebe gilt der Eisenbahn. Bis er in Paris Louise Ferrand kennenlernt, die ihn mit ihrer Schönheit verzaubert. Doch Louise ist schon einem anderen versprochen - seinem besten Freund. Sie heiratet Alvin von Briest, der sie vor Hunger und Tod gerettet hat. Ihr Herz aber gehört Paul. Während in Berlin Barrikaden gebaut werden, die Industrialisierung ihren Lauf nimmt und sich Deutschland schließlich unter Bismarck eint, müssen Alvin, Paul und Louise in einem Jahrhundert der Gegensätze ihren Weg finden. Berlin, Paris, München: die große historische Saga zur Bismarckzeit!

Richard Dübell, geboren 1962, lebt mit der Liebe seines Lebens in Landshut. Er zählt zu den beliebtesten deutschsprachigen Autoren historischer Romane, schreibt aber auch Krimis. Seine Bücher standen mehrfach auf der Spiegels-Bestsellerliste und wurden in vierzehn Sprachen übersetzt. Er ist Kulturpreisträger seiner Heimatstadt.

Richard Dübell, geboren 1962, lebt mit seiner Frau und zwei Söhnen bei Landshut. Als Autor von historischen Romanen stürmt er seit Jahren die Bestsellerlisten und legt nun mit "Der Jahrhundertsturm" ein großes Epos zur deutschen Geschichte im neunzehnten Jahrhundert vor.

2

Eine schmale Straße führte durch ein Tor zum Gutshaus. Das Tor bestand aus einem eisernen Gatter, das zwischen zwei runden Backsteintürmchen eingehängt war. Links und rechts der Türmchen gab es weder eine Mauer noch einen Zaun. Das Tor war ein Symbol, mehr nicht. Wer hindurchwollte, musste lediglich einen Riegel öffnen und die beiden Flügel des Gatters aufschieben. Dann brauchte man nur noch der grobgepflasterten Auffahrt zu folgen, bis man vor dem Hauptportal des Guts stand.

In zwei oder drei Monaten, wenn es taute, würde die Straße für eine Weile unbefahrbar sein: eine Schlammpiste, die von Pferdehufen zerwühlt und von Wagenrädern zerfurcht worden war. Im Sommer würde sie dann steinhart sein, und der beständige Wind würde den Sand von den Füßen der Reisenden wehen. Der Herbst würde dann wieder den Schlamm bringen. Jetzt, im Winter, genauer gesagt im Januar dieses neuen Jahres 1840, war die Erde so hart wie im Sommer.

Alvin von Briest stand allein in der Tordurchfahrt und schaute die Straße entlang. Das Land hier, westlich von Berlin, war so flach, dass Alvin immer das Gefühl gehabt hatte, heute schon sehen zu können, wer morgen ankommen würde.

Die testamentarischen Regelungen, die sein Vater getroffen hatte, hatte er allerdings nicht auf sich zukommen sehen.

Vom Gutshaus her hörte er Musik an sein Ohr dringen. Wahrscheinlich hatte der Schultheiß ein paar Wandermu­sikanten engagiert. Von denen gab es viele. Die Zeiten waren nicht besonders gut. Fünfundzwanzig Jahre war der Krieg gegen Napoleon schon her, und Preußen hatte sich immer noch nicht davon erholt. Die meisten Musikanten beherrschten ihre Instrumente nicht; sie waren nur eine Ausrede, damit sie nicht einfach nur betteln mussten. Diese hier konnten auch nicht damit umgehen. Selbst auf die Entfernung hörten sich die Lieder zu Ehren des verstorbenen Gutsbesitzers nach Katzenjammer an.

Alvins Vater hatte alles richtig gemacht in seinem Testament. Er hatte gehandelt wie ein preußischer Junker, dessen Aufgabe es war, das Land zusammenzuhalten, das Erbe nicht zu zersplittern. Er hatte gehandelt wie der unumschränkte Familienpatriarch, der er bis zu seinem letzten Atemzug gewesen war. Alvin wusste das. Er fühlte sich trotzdem bis tief in sein Innerstes verletzt.

Der alte Briest hatte alles seinem erstgeborenen Sohn Levin vermacht. Alles. Falls ihm bei der Abfassung seines Testaments überhaupt eingefallen war, dass er noch einen Sohn hatte, hatte er diese Erkenntnis erfolgreich verdrängt.

Levin war der alleinige Herr von Gut Eichenhain bei Guben in Pommern sowie der alleinige Herr von Gut Briest hier im Jerichower Kreis. Alvin war der Herr über – nichts. Noch nicht einmal sein eigenes Leben, wenn man es genau nahm, weil man Geld brauchte, um ein eigenes Leben zu führen, und Geld hatte er keins. Kein Geld – keine Chancen. Auch nicht für den Sohn eines der ältesten und vornehmsten Geschlechter Preußens. Das Jahr 1840 hatte eben erst angefangen, doch für Alvin von Briest war es schon zu Ende. Sein ganzes Leben war zu Ende, bevor es richtig angefangen hatte. Der Anblick der Straße, die sich wie ein schwarzer Strich durch die flache winterliche Heidelandschaft zog, verschwamm vor seinen Augen.

»So geht ein großes Leben zu Ende«, ertönte eine helle, kratzige Stimme hinter ihm.

Alvin drehte sich erschrocken um. Er hatte den hochgewachsenen blonden jungen Mann nicht herankommen hören und wischte sich über das Gesicht, damit der Neuankömmling seine Zornestränen nicht sah.

Der Mann lächelte verkniffen und streckte eine Hand aus. »Darf Ihnen mein Beileid ausdrücken, Herr von Briest.«

Als Alvin die dargebotene Hand schüttelte, schlug sein Gegenüber leicht die Hacken zusammen und verbeugte sich. »Bin Ihnen gegenüber im Vorteil, Herr von Briest. Bitte um Entschuldigung. Hätte mich Ihnen gleich vorstellen sollen. Bismarck. Otto von Bismarck, zu Ihren Diensten.«

Alvin schlug ebenfalls die Hacken zusammen und er­widerte die Verbeugung. Dann musterte er sein Gegenüber. Otto von Bismarck war einen halben Kopf größer als er, schlank und in einen langen Mantel gekleidet, der wie ein Offiziersmantel wirkte, aber keiner war. Sein Haar sträubte sich widerborstig. Er hatte es mit Pomade nach vorn gekämmt, um den Umstand zu kaschieren, dass es über der Stirn bereits dünner wurde. Unter dem blonden Schopf gaben zwei große eisblaue Augen Alvins Musterung zurück. Otto von Bismarck war ein gutaussehender Mann, und seine offensichtliche Eitelkeit bewies, dass er es wusste.

»Wollten Sie zu meinem Vater?«, fragte Alvin. »Es tut mir leid, aber …« Er machte eine hilflose Handbewegung in Richtung der misstönenden Musik.

Bismarck schüttelte den Kopf. »Wollte nur allgemein meine … hmm … Aufwartung machen. Bin seit Jahren nicht mehr hier gewesen und besuche derzeit meinen … meinen … äh … ja, meinen alten Herrn auf Schönhausen. Gut Schönhausen, ja?« Er deutete vage in nördliche Richtung. »Bin dort geboren, müssen Sie wissen. Sind übrigens verwandt, Ihre Familie und ich. Über … hmmm … über tausend Ecken.«

Alvin kannte Schönhausen, und auch der Name seines Gesprächspartners war ihm nicht unbekannt. Nach dem, was er eben erfahren hatte, musste der alte Rittmeister Karl Ferdi­nand von Bismarck, der Gutsherr auf Schönhausen, Ottos ­Vater sein. Den jungen Mann kannte Alvin nicht, aber das bedeutete nichts. Schönhausen war lange Zeit von einem Verwalter bewirtschaftet worden, weil die Bismarcks auf einem ihrer Güter in Pommern gelebt hatten. Der alte Rittmeister war erst voriges Jahr wieder auf Schönhausen heimisch geworden. Da war Otto wahrscheinlich irgendwo studieren gewesen – oder hatte die Welt bereist, wie es die Söhne aus den Junkersfamilien zu tun pflegten, bevor sie sich niederließen.

Die Söhne, deren Väter sie dafür mit dem nötigen Geld ausstatten und nicht als billige Arbeitskraft bei sich zu Hause missbrauchen, dachte Alvin bitter.

Etwas spät fiel ihm ein, dass es letztes Jahr auch auf Schönhausen einen Trauerfall gegeben hatte. »Verzeihen Sie meine Unhöflichkeit«, sagte er unsicher, »doch ich habe gehört, dass es voriges Jahr einen Todesfall in Ihrer Familie gegeben hat? Oder irre ich mich? Mein Beileid.«

»Meine Mutter«, sagte Bismarck und zuckte mit den Schultern. Zu Alvins maßloser Überraschung fügte er hinzu: »Hat mich nie gemocht.«

Alvins Überraschung wurde noch größer, als er sich selbst sagen hörte: »Mein Vater mich auch nicht.«

Bismarck grinste plötzlich. »Lassen Sie mich … hmm … raten. Äh … das Testament Ihres alten Herrn ist etwas … äh … einseitig ausgefallen?«

Bismarck besaß eine anstrengende Sprechweise, fand Alvin. Er redete leise und stockend und nahm sich Zeit, nach einem Wort zu suchen, anstatt den Fluss seiner Rede am Laufen zu halten. Dennoch fühlte Alvin Sympathie für seinen Gesprächspartner.

»Sehr einseitig«, erwiderte er.

»Älterer Bruder hat geerbt, oder?«

»Alles«, sagte Alvin. »Ratzeputz alles. Den gesamten Landbesitz. Wenn ich hierbleiben will, muss ich meinen Bruder um eine Anstellung bitten – und wenn ich mir selbst etwas aufbauen möchte, um Geld.« Er fragte sich, wieso es ihm nichts ausmachte, diesem Fremden, den er eben erst kennengelernt hatte, derart sein Herz auszuschütten. Otto von Bismarck schien etwas auszustrahlen, das einen für ihn einnahm, ob man ihn kannte oder nicht.

Bismarck zögerte. »Im Vertrauen«, sagte er dann. »Bevor mein Vater seinen Besitz zwischen meinem Bruder und mir geteilt hat, ging es mir wie Ihnen. Keine … hmm … ausreichenden Mittel, wenn Sie verstehen.«

»Wir haben zwei Güter. Mein Vater hätte sie auch teilen können. Aber er gehörte zu dem Schlag Männer, für den die Teilung des Landbesitzes die Schwächung des Staats bedeutet.«

»Hatte nicht so unrecht, Ihr alter Herr, wenn man es bedenkt. Unser Stand hat Opfer zu bringen für den Staat.«

Alvin ignorierte den Einwand. »Ich hoffte, dass er es trotzdem tun würde. Briest oder Eichenhain – mir wäre es egal gewesen. Ich liebe beide Güter. Stattdessen hat er mir außer einer kleinen Apanage, mit der ich mir keinen eigenen Besitz aufbauen kann, nichts hinterlassen.«

»Eine Apanage? Kaufen Sie sich ein Offizierspatent dafür und gehen Sie zum Heer«, sagte Bismarck. Er straffte sich. »Gedient zu haben gereicht einem Mann zur Ehre und gibt ihm einen … hmm … Platz in der Welt.«

»Wo haben Sie gedient?«

Bismarck lächelte stolz. »Jägerbataillon Nummer zwei in Greifswald. Habe mich trotz alter Verletzung freiwillig gemeldet.« Er rieb sich wie unbewusst über den Arm. »Bin vor gut neun Monaten ausgeschieden.« Bismarck wirkte plötzlich unkonzentriert. Er kniff die Augen zusammen und schaute über Alvins Schulter. »Irgendwer kommt«, brummte er. »Hat es mächtig eilig.«

Der Neuankömmling war ein Reiter. Alvin kannte ihn. Er war einer der Gemeindeschreiber aus der kleinen Stadt Jerichow, zwei Stunden Fußmarsch von Gut Briest entfernt. Er hing auf dem Pferd wie ein Mehlsack. Als er heran war, zügelte er seinen Gaul mit Mühe. Das Gesicht des Mannes war rot vor Anstrengung. Er hatte nicht einmal einen Mantel über seine Jacke gezogen, aber er schien die Kälte gar nicht zu spüren. Es dauerte ein paar Augenblicke, bis er etwas herausbekam.

»Aufstand!«, stieß er dann keuchend hervor. »Aufstand in Jerichow! Der Bürgermeister und seine ganze...

Erscheint lt. Verlag 6.2.2015
Reihe/Serie Jahrhundertsturm-Serie
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Romane / Erzählungen
Geisteswissenschaften Geschichte
Schlagworte 1848 • 1871 • Berlin • Bismarck • Bismarck, Otto von • Eisenbahn • Fortschritt • Industrialisierung • Ken Follett • München • Otto von • Paris • Preußen • Reichsgründung • Revolution • Sabine Ebert • Tradition • Zug
ISBN-10 3-8437-1093-7 / 3843710937
ISBN-13 978-3-8437-1093-0 / 9783843710930
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