Der elfte Gast (eBook)
352 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-96738-9 (ISBN)
Arne Dahl, geboren 1963 in Sollentuna, hat mit seinen Kriminalromanen um das Stockholmer A-Team eine der erfolgreichsten Reihen der Welt geschaffen. International mit zahlreichen Auszeichnungen bedacht, verkauften sich allein im deutschsprachigen Raum über 2,7 Millionen Bücher. Sein Thriller-Quartett um die Opcop-Gruppe mit den Bänden »Gier«, »Zorn«, »Neid« und »Hass« sowie die fünf Bände seiner in vielen Ländern gefeierten Reihe um das Ermittlerduo Berger & Blom standen monatelang auf der SPIEGEL-Bestsellerliste. Zusammen mit Simon Beckett wurde er 2018 mit dem Ripper Award geehrt. Mit »Stummer Schrei« begann Arne Dahl 2024 eine neue Reihe um die Ermittlerin Eva Nyman.
Arne Dahl, geboren 1963, hat mit seinen Kriminalromanen um die Stockholmer A-Gruppe eine der weltweit erfolgreichsten Serien geschaffen. International mit zahlreichen Auszeichnungen bedacht, verkauften sich allein im deutschsprachigen Raum über zweieinhalb Millionen Bücher. Sein Thriller-Quartett um die Opcop-Gruppe mit den Bänden "Gier", "Zorn", "Neid" und "Hass" wurde ebenfalls zum Bestseller. Mit "Sieben minus eins" begann Arne Dahl 2016 furios eine neue Serie um das Ermittlerduo Berger & Blom, dessen Bände jeweils monatelang auf der SPIEGEL-Bestsellerliste standen. Zusammen mit Simon Beckett wurde er 2018 mit dem Ripper Award geehrt. "Vier durch vier" ist Berger & Bloms vierter Fall.
1
Elf Minuten vor Mitternacht stürmten sie herein und zerschlugen seinen Traum. Er hatte keine Ahnung, warum sein Blick in einem so kritischen Augenblick auf die wertvolle Tischuhr fiel, die auf demselben schlanken Vollmaster von Philadelphia nach Hause gefrachtet worden war wie er selbst. Vielleicht hing es mit dem Schicksal zusammen, denn er war sich sicher, dass in der Sekunde, bevor er Tempo aufnahm, die kleine goldene Tischuhr stehen blieb. Das leuchtende Pendel glitt langsam auf einer Seite herunter und stand still.
Während er aufsprang, und zwar schneller, als irgendeiner der vorrückenden Hofregimentssoldaten hatte ahnen können, glitt sein Blick über das markige Gesicht des Alten auf der anderen Seite des Tisches. Es war wie in Stein gemeißelt. Als hätten die harten Jahre im Feld zusammen mit den harten Jahren in der Politik eine Maske aus reinstem Granit geschaffen.
Bevor einer der Soldaten auch nur auf den Gedanken gekommen war, seine unförmige Muskete zu heben oder seinen unhandlichen Degen zu ziehen, war er schon aus der nächstgelegenen Tür. Er schlug sie zu, stürzte durch die neu eingerichtete Bibliothek, in der sich noch auf keinem Buch das kleinste Staubkorn hatte ansammeln können, und sprang durch das Fenster, das er vor einigen Stunden nur angelehnt hatte, hinaus.
Er hatte sich für einen kurzen Moment aus dem von glückseligem Stimmengewirr erfüllten Festsaal zurückgezogen, war in die Bibliothek gegangen, hatte ein paar Zeilen in seinem Lieblingsbuch gelesen – »Alle in der Gesellschaft, Herren wie Damen, waren mit dem Vorschlag einverstanden, Geschichten zu erzählen« – und hatte das Fenster einen Spaltbreit geöffnet. Er hatte es traurigen Herzens getan. Denn er war nicht gern misstrauisch. Doch ein langes und hartes Leben hatte ihn gelehrt, auch in der Wirklichkeit zu Hause zu sein, und da war Misstrauen nichts weniger als eine Tugend. Wäre es auch nur um einen Bruchteil geringer gewesen, würde er jetzt nicht mehr leben.
Sein Blick war tief in die Flammen des Kaminfeuers versunken gewesen, er hatte traurig den Kopf geschüttelt und einen Moment so verharrt, bevor er wieder sein weltgewandtes Lächeln aufsetzte und erneut zum perfekten Gastgeber wurde und in den Trubel des Festsaals zurückkehrte.
Das war Vergangenheit. Jetzt landete er auf dem Boden unterhalb des Fensters und versank bis zu den Knöcheln im Schlamm. Es regnete in Strömen, und zum ersten Mal in seinem Leben freute er sich darüber, er, der Schlamm immer gehasst hatte. Doch jetzt war die Situation eine ganz andere. Der Regen würde es viel schwerer machen, ihn zu finden. Er lief an der Hauswand entlang und warf einen hastigen Blick durch das Fenster in den Festsaal. Er war menschenleer. Die Kandelaber verbreiteten in dem verlassenen Saal noch immer einen nahezu magischen Schein, die Tische waren überhäuft von Speiseresten, schmutzigem Geschirr und Gläsern. Erst als die Türen des Festsaals aufgestoßen wurden und die Soldaten hereinstürmten, lief er weiter.
Er ging nur bis zu dem dichten Tannenwäldchen, das er stehen gelassen hatte, als der großartige französische Garten angelegt worden war. Als hätte er damals tatsächlich in die Zukunft sehen können. Er duckte sich. Die Tannennadeln stachen ihn, der Regen rann unter sein maßgeschneidertes Seidenhemd. Nichts von alldem störte ihn, denn von hier aus hatte er eine perfekte Sicht auf den Festsaal.
Dort irrten die Soldaten eine Weile umher. Dann verteilten sie sich über das ihn umgebende Gelände. Rechts und links sah er, wie Fackeln angezündet wurden. Noch war es keine geordnete Jagd. Nicht einmal, als er die markante Stimme des Alten in ihrem wohlbekannten Dialekt Befehle brüllen hörte, fühlte er sich ernstlich bedroht. Alles, was er brauchte, war ein klein wenig Zeit.
Einen Augenblick Unsichtbarkeit.
Dieser kam unerwartet rasch. Der Festsaal leerte sich, auch in seiner unmittelbaren Umgebung waren die Soldaten nicht mehr zu hören, die Fackeln schienen sich entfernt zu haben. Er nahm die Leiter, kletterte hinauf und sprang durchs nächste offene Fenster in den Festsaal – auch dieses Fenster hatte er angelehnt, er liebte und hasste sein Misstrauen gleichermaßen. Drinnen zog er die Schuhe aus, die stets so zuverlässigen Lederschuhe, angefertigt von keinem Geringeren als Adam Slythe in Philadelphia. Diese Handlung erinnerte ihn vage an das Vergangene. Dann lief er lautlos und, so hoffte er, ohne Spuren zu hinterlassen durch den Festsaal und erreichte den Punkt. Er stellte sich auf die Zehenspitzen.
Die Tür glitt auf, wie sie sollte, und glitt ebenso wieder hinter ihm zu. Ein kleines architektonisches Wunder. Aber auch kostspieliger als jede andere Tür, dachte er. Der Ausdruck »das Gewicht in Gold wert« kam ihm in den Sinn, und er musste lächeln. Ein ganz klein wenig.
Zunächst schien es stockdunkel zu sein. Es wäre schlecht, wenn es das wirklich wäre. Das durfte es einfach nicht sein. Er wartete und hörte seinen eigenen pfeifenden Atem. Es war ein entsetzliches Warten.
Es blieb pechschwarz um ihn her.
Lange. Lange.
Doch dann hatten sich die Augen an das Dunkel gewöhnt, und er erkannte das kleine Bienenwachslicht in seiner Vertiefung ein paar Meter weiter vorn im Gang. Er zog die Schuhe an. Auf zittrigen Beinen ging er hin und nahm die Kerze. Er nahm sie ganz vorsichtig auf und hielt die gekrümmte Hand um die Flamme, als hinge sein Leben davon ab, dass sie weiterbrannte.
Und so war es auch.
Obwohl Leben und Leben … Eben das, was denn nun davon noch übrig war.
Der Auftrag.
Sehr, sehr langsam bewegte er sich die wenigen Meter zurück zur Tür. An der feuchten Steinwand hing die erste Fackel. Er sah deutlich, wie seine linke Hand zitterte, als er die Fackel an die kleine Flamme der Wachskerze hielt.
Als die Fackel mit klarer Flamme brannte, blies er die Kerze aus und strich dankbar mit der Hand darüber. Dann hielt er inne. Aus dem Festsaal drang das charakteristische Stiefeltrampeln der Soldaten des Hofregiments. Er betete zu einer höheren Macht – an die er kaum glaubte –, dass er keine Spuren hinterlassen hatte. Dass sie die Tür nicht entdeckten. Dass sie nicht – und er beugte sich so abrupt über die Flamme der Fackel, dass seine Perücke beinahe Feuer gefangen hätte –, dass sie nicht ein mystisches Licht hinter der Wand flackern sähen.
Er machte sich auf den Weg. Eine Treppe führte nach unten. Einen kurzen Moment lang durchströmte ihn das Gefühl, ins Inferno hinabzusteigen.
Am Fuß der Treppe verlief der Gang weiter geradeaus. Er hatte das Gefühl, als käme er dem Mittelpunkt der Erde immer näher. Zwar gehörte er zu den wenigen, die glaubten, der Mittelpunkt der Erde wäre heiß, heiß von kochender Lava, doch hier wurde es nur immer kälter. Als wäre die Hölle aus Eis.
Die Hölle, an die er nicht glaubte.
Der Gang, der immer schmaler wurde, teilte sich endlich in vier Gänge, die in verschiedene Richtungen führten. Er zögerte nicht. So weit zurück reichte sein Erinnerungsvermögen auf jeden Fall. Er sah die Zeichnung vor sich, wählte den richtigen Gang und sah nach einer Weile an einer gewissen Stelle, wie ein kalter Wind die Flamme der Fackel flackern ließ. Eine Kerze wäre auf der Stelle erloschen, doch die Fackel hielt dem Wind stand.
Der Gang wurde enger und niedriger. Er konnte nicht mehr aufrecht gehen, sondern musste sich immer tiefer ducken. Schließlich war es am einfachsten zu kriechen. Er folgte einem Gang, der nur notdürftig aus dem Urgestein herausgehauen zu sein schien. Die Knie seiner Hose aus feinem Tuch, das von dem großen Loutard in Paris gewebt war, wurden blutig und waren bald durchgescheuert. Die Fackel versengte ihm mal das Gesicht, mal das Hinterteil, je nachdem, ob er sie behutsam vor sich herschob oder hinter sich herzog.
Dann endete der Gang an einer nackten Felswand. Es gab keinen Weg mehr, bis auf den trostlosen Weg zurück.
Er schloss die Augen und hoffte, dass alles mit der Zeichnung übereinstimmte. Dass dem Meister, der das erste architektonische Wunder vollbracht hatte, auch das zweite gelungen und dass es ebenso zuverlässig war. Er hob die Hände zur Decke.
Nichts geschah.
Er fühlte förmlich, wie ihm der Schweiß aus den Handflächen trat. Noch einmal vollführte er das Manöver, entschieden, exakter.
Und der Stein glitt zur Seite.
Er gab einen tiefen Seufzer von sich und dankte dem Gott, an den er trotz allem eigentlich nicht glaubte. Oder eher, er glaubte schon an einen Gott, doch an einen, der bereits im Anbeginn der Zeit sein Werk aufgegeben und die Menschheit allein hier zurückgelassen hatte.
Völlig allein.
Auf der anderen Seite des Steins weitete sich der Gang, und er konnte sich wieder aufrichten. Vor ihm lag ein Gewölbe. Er blickte sich darin um. Erkannte den Raum vage von der Zeichnung. Der Schemel geradeaus, der große, reich ornamentierte Eichenschrank zur Linken, das Relikt einer Epoche, die an grenzenlose Ausschmückung geglaubt hatte. Und dann rechts das dritte architektonische Wunder.
Unmittelbar zu seiner Linken, als er den Raum betrat, steckte eine weitere Fackel in einer Befestigung an der Wand. Er zündete sie an und schob seine treue Fackel in eine Fassung auf der rechten Seite der Tür, durch die er gekommen war.
Als er zu dem Schemel an der gegenüberliegenden Wand trat, sah er, dass er einen doppelten Schatten warf. Gerade jetzt schien dies ungewöhnlich gut zu passen, da sein altes und sein neues Ich im Begriff waren, sich zu vereinen. Aber noch waren es zwei Schatten.
Er sank auf den Schemel nieder und atmete, so ruhig er es vermochte, bis sein...
Erscheint lt. Verlag | 1.9.2014 |
---|---|
Reihe/Serie | A-Team |
A-Team | |
A-Team | |
Übersetzer | Wolfgang Butt |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | 2014 • A-Gruppe • Auftragsmörder • Decamerone • detective • eBook • eBooks • ELF • Elva • Ermittler • Ferienhaus • Gutshaus • Herrenhaus • Identitätsdiebstahl • Jo Nesbø • Jussi Adler-Olsen • Kerstin Holm • Kriminalroman • Kriminalromane • Krimis • Krimiserie • Mord • morddrohung • Mörder • Pageturner • Paul Hjelm • Polizei • Polizist • Polizistin • Psychothriller • Reißer • Schweden • Schweden-Krimi • schwedische • Serienkiller • Serienmord • Serienmörder • Skandinavien • Skandinavische Krimis • skandinavischer Kriminalroman • skandinavische Thriller • Spannung • Spannungsroman • Taschenbuch • Taschenbücher • Thriller • Wiedersehen |
ISBN-10 | 3-492-96738-8 / 3492967388 |
ISBN-13 | 978-3-492-96738-9 / 9783492967389 |
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR) | |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |

Größe: 909 KB
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich