Systemtheoretische Einführung in die Theologie (eBook)

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2014 | 1. Auflage
189 Seiten
Tectum-Wissenschaftsverlag
978-3-8288-5737-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Systemtheoretische Einführung in die Theologie -  Eberhard Blanke
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Jede Epoche und jede Generation benötigt ihre eigene Theologie. In seiner systemtheoretischen Arbeit legt Eberhard Blanke nun eine Theologie für unsere funktional differenzierte Gesellschaft des 21. Jahrhunderts vor und rückt dabei den Aspekt der Kommunikation in den Mittelpunkt. Anknüpfend an den kognitiv-reflektierenden Aspekt von Theologie (im Gegensatz zum moralisch-normativen Aspekt) arbeitet Blanke die Theologie als eine Reflexionstheorie der Religion aus. Er erläutert, was systemtheoretische Grundbegriffe wie zum Beispiel Sinn, Kommunikation und Komplexität für diese zeitgemäße 'Neuerfindung' der Theologie leisten können und wie sich von ihnen ausgehend theologische Fragen und Themengebiete erschließen lassen. Die Einführung richtet sich sowohl an das theologisch versierte Fachpublikum als auch an eine philosophisch oder religionsinteressierte Leserschaft.

Dr. Eberhard Blanke, Pastor und Kommunikationsmanager, arbeitet seit 2002 in der kirchlichen Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.

Dr. Eberhard Blanke, Pastor und Kommunikationsmanager, arbeitet seit 2002 in der kirchlichen Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.

II. Grundbegriffe

1. Sinn

Wir nehmen Sinn als Grundbegriff der Theologie. Der Sinnbegriff markiert die Referenz aller Kommunikation, so auch der religiösen und theologischen Kommunikation. Mit dem Bezug von Kommunikation auf Sinn werden bisherige Referenzen obsolet. Dies gilt vor allem für die Referenzen auf Wirklichkeit anhand der Unterscheidungen von Sein/Nichtsein und von Bewusstsein/Sein sowie auf Wahrheit anhand der Unterscheidung von wahr/unwahr, wie sie von seiten der Theologie bislang in Anspruch genommen wurden.29

Die Referenz auf Sinn impliziert, dass sich sprachliche Kommunikation – in mündlicher oder in schriftlicher Form – weder auf eine außerhalb ihrer selbst liegende Wirklichkeit noch auf eine unter, über oder hinter ihr liegende Wahrheit, sondern stets und ausschließlich auf sich selbst bezieht. Kommunikation referiert auf Kommunikation, Sinn referiert auf Sinn. Darin ist Sinn eine Form der Bearbeitung von Selbstreferenz.30

Die Kommunikation kann zwar kommunizieren, dass sie auf ,die Wirklichkeit‘ referiert, aber genau damit referiert sie nicht auf die Wirklichkeit, sondern auf sich als Kommunikation. Weder das Wort Baum repräsentiert den ,Baum‘ (welchen auch?), noch steht der Begriff Gott (für sich genommen) für so etwas wie ,Gott‘ oder der Begriff Sinn für ,Sinn‘. Diese Vorstellungen haben mit einer zweiwertigen Logik hantiert, bei der mit quasi unsichtbarer Hand eine Variable A auf eine Variable B bezogen wurde. Diese Form der Logik hatte das Wort Baum und den Gegenstand Baum in einer Eins-zu-eins-Relation aufeinander bezogen, ließ aber die Beziehung oder Referenz selbst unberücksichtigt – und griff damit zu kurz. Kommunikative Markierungen, mit denen auf ,die Wirklichkeit‘31 referiert wurde, dienten als eine Art theologischer ultima ratio, die aus der Verlegenheit der nicht beantworteten bzw. nicht beantwortbaren Referenzproblematik heraushelfen sollte.

Wenn wir stattdessen auf Sinn als Grund- und Referenzbegriff der Theologie zurückgreifen, eröffnet sich die Möglichkeit, mit einer dreiwertigen Logik operieren zu können. Dafür steht der Ausdruck „dreiwertige Zweiseitenform“32 zur Verfügung, der im Folgenden anhand von sechs Erläuterungen plausibilisiert werden kann (siehe auch den Abschnitt II 4.3 Bezeichnen und Unterscheiden).

(1) Zum einen kann die Frage nach der Referenz, die mit dem Sinnbegriff beantwortet werden soll, mit semiotischen Begriffen verdeutlicht werden. Eine zweiwertige Logik verortet den Sinn eines Wortes oder Begriffes im Wort oder Begriff selbst, und zwar so, als ob der Begriff auf eine geheimnisvolle Weise an der Wirklichkeit partizipiert und dadurch die Bedeutung bzw. den Sinn des Gegenstandes als seine Bedeutung bzw. seinen Sinn annimmt. Der Begriff bzw. das Zeichen (des Begriffs) wird für die Sache selbst genommen. Diese Form der Sinngebung im Kontext einer zweiwertigen Logik kann als Realrepräsentation bezeichnet werden, um deren Beschreibung und Relevanz sich ein Heer alteuropäischer Denker ge- und bekümmert hat (siehe Abschnitt II 4.5 Referenz zum Verständnis von Wahrheit). Eine der zahlreichen Folgefragen war unter anderem, welches Zeichen welcher Sprache als das richtige Zeichen für die gemeinte Sache gelten kann. Dabei wurde zugleich stillschweigend unterstellt, dass die ,Sache‘ oder der ,Gegenstand‘ vorgegeben vorhanden ist und nur noch von einer sprachlichen Kopie eingefangen und repräsentiert werden muss.

Versteht man Zeichen – etwa die (gesprochenen oder geschriebenen) Begriffe Baum, Sinn oder Gott – dagegen im Sinne einer dreiwertigen Logik, so ergibt sich eine andere Referenzproblematik. Der Begriff bzw. das Zeichen für den Begriff – zum Beispiel ,Gott‘ – steht für die Unterscheidung von Bezeichnendem und Bezeichnetem. Das Zeichen ist nicht das Bezeichnende, sondern es ist die Trennung/Verbindung zwischen dem Bezeichnendem und dem Bezeichnetem. Das Zeichen ist ein Drittes. Es ist das eingeschlossene ausgeschlossene Dritte bzw. der blinde Fleck der Bezeichnung.33 Das Bezeichnende und das Bezeichnete lassen sich überhaupt erst aufgrund eines Zeichens unterscheiden.34 So gesehen spielt jedes Zeichen mit der Aktualität/Potentialität von Sinn. Die Unterscheidung von Bezeichnendem und Bezeichnetem ist eine Sinnform, bei der z. B. das Zeichen Gott als ausgeschlossenes eingeschlossen ist.35

Der entscheidende Punkt hierbei ist, dass Sinn nicht länger so begriffen werden kann, als ob er auf Dinge oder Gegenstände außerhalb der Kommunikation referiert. Stattdessen gilt, dass Sinn stets und ausschließlich auf Sinn referiert. Sinn konstituiert sich selbstreferentiell.36

Damit entfällt allerdings die Vorstellung, dass es vorgegebene Gegenstände gibt, die nur noch mit einem einigermassen zutreffenden Zeichen belegt werden müssen. Gegenstände wurden so unterschieden, als ob sie in der Wirklichkeit unterscheidbar vorhanden waren. Stattdessen sind Sinnkonstellationen zu unterscheiden, die über den dritten Wert des Zeichens realisiert werden. Zeichen unterscheiden Bezeichnendes und Bezeichnetes und unterscheiden sich von anderen Zeichen, die anderes Bezeichnende und Bezeichnete unterscheiden. Zeichen managen Sinnanschlüsse und -ausschlüsse.37

(2) Sinnkonstellationen bzw. Sinnverweise sind mit Hilfe der Unterscheidung von Aktualität und Potentialität zu erkennen. In jeder Sinnofferte, die über Zeichen oder Zeichenketten läuft, wird die Unterscheidung Aktualität/Potentialität aktualisiert. Sinn tritt demnach doppelt auf, und zwar als aktualisierter Sinn, der ausschließlich aufgrund dessen, dass er sich auf potenziell anderen Sinn bezieht, als aktualisierter Sinn auftritt. Sinn ist stets Sinn im Horizont anderer Möglichkeiten. Dadurch gewinnt die Referenzproblematik von Kommunikation einen vollkommen anderen Zuschnitt als im Kontext bisheriger Referenzen auf Wirklichkeit oder auf Wahrheit. Die Aktualisierung von Sinn geschieht momenthaft und widerruflich von Moment zu Moment (oder: von Widerruf zu Widerruf) und setzt zudem ereignishaft und systembezogen (siehe den nächsten Abschnitt II 2 System und Umwelt) Sinnverweise frei, die von keiner Aktualisierung oder Potentialisierung aus zu kontrollieren sind.

Mit anderen Worten: Die Referenz auf Sinn ist eine spezifische Form von Selbstreferenz, denn sowohl die Aktualisierung als auch die Potentialisierung setzen die Einheit des Sinnbezuges voraus.38 Keine Kommunikation kann aus der Unterscheidung aktueller/potenzieller Sinn herausspringen. Kommunikation schreitet (springt?) von Sinnanschluss zu Sinnanschluss weiter. „Sinn ordnet Verweisungen auf andere Möglichkeiten.“39 Sie schließt Sinn ein und im selben Moment aus. Sinnanschluss ist Sinnausschluss.40 So gesehen ist Sinn die schlechthinnige Ordnungsform für soziale Systeme wie z. B. Kommunikation.

(3) Sinn gilt uns im Unterschied zu seinen Formen als grundlegendes Medium und ist nicht verlassbar. Sinn ist (so wie Welt oder Wirklichkeit) ein Letztmedium und damit nicht-negierbar. Auch die Kommunikation ,credo quia absurdum‘ negiert Sinn nicht, sondern reproduziert als Sinnform das Medium Sinn. Mit anderen Worten: ,Credo quia absurdum‘ referiert nicht auf Sinnloses, sondern stellt Sinnloses als eine Sinnform um Medium Sinn dar.41

So wie andere Form/Medium-Unterscheidungen auch, konstituiert sich das Medium Sinn durch seine Formen.42 Die kommunikative Sinnform ,credo quia absurdum‘ erzeugt das Medium Sinn. Sinnformen treten als feste aber vorübergehende Kopplungen kommunikativer Elemente, das Medium Sinn dagegen als lose und beständige Kopplung kommunikativer Elemente auf. (Kommunikative) Formen setzen ein Medium voraus und Medien ermöglichen spezifische Formbildungen. Formen sind beobachtbar, Medien bleiben unbeobachtbar. Die Unterscheidung von Form/Medium ist auf sich selbst anwendbar, insofern eine Form als Medium für andere Formen und ein Medium als Form innerhalb eines anderen Mediums fungieren kann. Im Beispiel: Sinn ist eine Form im Medium der Sprache, eine Sprache ist eine Form im Medium ihrer Sätze, ein Satz ist eine Form im Medium der Worte, ein Wort ist eine Form im Medium der Silben und eine Silbe ist eine Form im Medium der Buchstaben. Zugleich lässt sich diese Verschachtelung auch rückwärts durchführen.

(4) Auf abstraktester Ebene lässt sich die Referenzproblematik von sinnhafter Kommunikation auf einen einzigen Operator zurückführen. Alle selbstreferentiellen Sinnvollzüge – und andere Vollzüge sind für Sinnsysteme nicht leistbar – finden gemäß des Formkalküls von George Spencer-Brown statt.43 Der dort entwickelte Formbegriff lässt sich (auch) auf Sinnformen anwenden.

Die Form ist die paradoxe Einheit von Operation und Beobachtung bzw. kommunikativ gesehen die paradoxe Einheit von Bezeichnung und Unterscheidung. Als solche findet Formbildung statt, wenn sie stattfindet – und wenn nicht, dann nicht. Form folgt auf Form und leistet damit einen Beitrag zur Entparadoxierung ihrer eigenen Paradoxie. Die hieraus resultierenden Folgerungen werden in den Abschnitten II 3 Operation und Beobachtung sowie II 4.3 Bezeichnen und Unterscheiden dargelegt. Im Effekt...

Erscheint lt. Verlag 22.1.2014
Verlagsort Baden-Baden
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Religion / Theologie
Schlagworte Binarität • Kommunikation • Reflexionstheorie • Religion • Selbstreferenz • Sinn
ISBN-10 3-8288-5737-X / 382885737X
ISBN-13 978-3-8288-5737-7 / 9783828857377
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