Jesus, der Jude, und die Missverständnisse der Christen (eBook)

(Autor)

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2013 | 1. Auflage
CCLXXXVIII, 100 Seiten
Francke-Buch (Verlag)
978-3-86827-914-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Jesus, der Jude, und die Missverständnisse der Christen -  Guido Baltes
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Dass Jesus ein Jude war, ist heute für jeden Christen selbstverständlich. Aber das war nicht immer so: Unser Bild des Judentums ist oft noch immer durch Unkenntnis oder Vorurteile der Vergangenheit getrübt. Dieses Buch möchte eine Brücke bauen, aus der Welt des modernen westlichen Christentums hinein in die Welt des Judentums zur Zeit Jesu. Es will dabei helfen, Jesus nicht nur durch die Brille unserer vertrauten christlichen Überzeugungen, sondern auch durch die Brille seiner jüdischen Zeitgenossen zu sehen. Der Autor Guido Baltes hat einige Jahre in Jerusalem gelebt und gearbeitet. Aus den Erfahrungen seiner Gespräche mit Christen und Juden und aus der Begegnung mit dem Land der Bibel wirft er ein neues Licht auf vertraute Texte des Neuen Testaments. Er möchte dazu beitragen, dass die Begegnung mit Jesus nicht zu einer Abgrenzung vom Judentum führt, sondern zu einer tieferen Verwurzelung im jüdischen Denken und Glauben.

Kapitel 1

Jesus und seine jüdische Welt

Rabbi, wo wohnst du?
(Johannes 1,38)

Jesus war ein Jude. Dieser Satz ist heute für die meisten Christen selbstverständlich und vielleicht sogar banal. Aber das war längst nicht immer so.

Als ich das erste Mal das Museum Yad Vashem in Jerusalem besuchte, das an die Vernichtung der Juden in Europa erinnert, hat mich dort ein Foto besonders angesprochen, das die idyllische Ansicht eines bayrischen Bergdorfes zeigt. Am Rande des Weges, der zum Dorfeingang führte, stand ein Kruzifix, mit Blumen dekoriert und liebevoll gepflegt. Nur einige Schritte weiter, ebenfalls am Wegrand, war ein Schild aufgestellt: „Juden sind hier unerwünscht“. Dass der christliche Glaube an einen jüdischen Jesus und der Hass auf Juden nicht zueinander passen, schien damals niemandem aufzufallen.

In der Tat gab es zu dieser Zeit sogar Theologen und Kirchenmänner, die davon überzeugt waren, dass Jesus kein Jude gewesen sei, sondern ein „Arier“. Aber diese Ansicht war eher eine schräge Randnotiz der modernen Jesusforschung. Viel verbreiteter war die Meinung, die schon lange vorher Gotthold Ephraim Lessing formuliert hatte. Der deutsche Dichter und Denker war zugleich Urvater der neuzeitlichen Bibelforschung: Er nannte Jesus zwar einen „geborenen Juden“ und meinte damit seine religiöse Herkunft und ethnische Abstammung. Aber nach Lessings Ansicht ließ Jesus das Judentum hinter sich, als er erwachsen wurde. Und er wurde zum Gründer einer neuen Religion: des Christentums.

Viele Christen, mit denen ich über Jesus spreche, würden die absurde Vorstellung von einem arischen Jesus natürlich als lächerlich zurückweisen. Aber sie würden insgeheim doch der Vorstellung von Lessing folgen, dass Jesus zwar als Jude geboren wurde, aber nicht Jude blieb. Als ich vor einigen Jahren für eine christliche Zeitschrift einen Artikel über „Jesus, den Juden“ schrieb, waren es gerade die besonders bibeltreuen Leser, die sich in Leserbriefen empört oder verunsichert äußerten: War Jesus denn wirklich „nur ein Jude“? Macht ihn das nicht kleiner, als er wirklich war? War er denn nicht „mehr als ein Jude“? Hat er nicht die Grenzen des Judentums überwunden und durchbrochen – und das sogar ganz bewusst und absichtlich? Wollte er nicht die Gesetzlichkeit, die Blindheit, die Korruption und den religiösen Fanatismus des Judentums überwinden? Waren es nicht gerade die Juden, die seine schärfsten Gegner waren? Ja, Jesus war vielleicht von seiner Abstammung her ein Jude, er lebte vielleicht auch in einem jüdischen Umfeld. Aber er stand doch selbst irgendwie über oder zumindest jenseits dieser Kategorien. Er war doch „der Mann, der in kein Schema passt“. Er war der Rebell, der alles auf den Kopf und infrage stellte. Also doch wohl auch das Judentum.

Dieses Buch möchte helfen, ein verbreitetes Missverständnis zu überwinden: Es ist ein Missverständnis, das tiefe Wurzeln hat in einer langen Geschichte der christlichen Judenfeindschaft. Aber es hält sich bis heute. Auch in den Köpfen und Herzen solcher Christen, die die alte Judenfeindschaft für überwunden halten und die vielleicht sogar großes Interesse am Judentum haben: Es ist das Missverständnis, dass die Person Jesu nur dann richtig zum Vorschein kommt, wenn man sie vom dunklen Hintergrund seiner jüdischen Umwelt deutlich abhebt.

Missverständnis 1:

Unser Bild von Jesus kann nur dann hell leuchten, wenn wir den Hintergrund des Judentums um ihn herum in dunklen Farben malen.

Die Farben, in denen man diesen Hintergrund malt, haben mit den Jahrzehnten und Jahrhunderten gewechselt. Früher waren es vor allem die Farben der Gesetzlichkeit und der Engstirnigkeit. Heute sind es bevorzugt die Farben einer religiösen Exklusivität oder eines korrupten Herrschaftssystems, die man im Judentum verkörpert sieht. Aber die Grundidee bleibt: Das Judentum bildet den dunklen Hintergrund, vor dem sich Jesus deutlich als Kontrast abhebt durch das, was er sagt, was er tut und was er ist. Oder, wie es der große britische Theologe N. T. Wright in einem anderen Bild formuliert: Der „aufgeheizte Sturmwind“ des Judentums kollidiert frontal mit dem „göttlichen Hurrikan“ des Reiches Gottes, der mit Jesus in die Welt kommt. Und das führt am Ende zur Katastrophe.1

Aber ist das wirklich die einzige Möglichkeit, das Neue Testament zu lesen? Kann man Jesus wirklich nur im Kontrast zum Judentum seiner Zeit richtig verstehen, im frontalen Zusammenprall der Kulturen? In diesem Buch möchte ich versuchen, einen anderen Weg zu gehen. Ich möchte Jesus als einen Menschen beschreiben, der nicht nur als Jude geboren wurde, sondern auch als Jude starb und auferstand. Für den sein jüdischer Glaube nicht der Gegenwind war, der dem Reich Gottes entgegenstand, sondern der Rückenwind, durch den es in die Welt hineingetragen wurde. Ich glaube, dass wir viele der Worte und Taten Jesu nur dann richtig verstehen können, wenn wir sie nicht im Gegensatz zum Judentum, sondern als einen authentischen Ausdruck von jüdischem Glauben und Leben wahrnehmen.

Eine persönliche Entdeckungsreise

Diese Überzeugung ist allerdings auch bei mir erst allmählich gewachsen. Sie ist auf einem langen Weg entstanden, auf dem ich viel lernen und oft umdenken musste: Schon als Teenager ging ich regelmäßig in eine christliche Gemeinde und hörte dort in Predigten und Bibelarbeiten viel darüber, wer die jüdischen Zeitgenossen Jesu waren und was sie glaubten. Meine Religionslehrerin in der Schule war sehr engagiert im christlich-jüdischen Gespräch und brachte uns mit viel Liebe und Einsatz die neuere Geschichte der Juden in Deutschland nahe. Und im Theologiestudium wurde vieles davon dann noch einmal gründlich wissenschaftlich untermauert. Ich hielt mich also eigentlich für einen ausgewiesenen Experten in Sachen Judentum.

Umso überraschter und beschämter war ich aber, als ich nach dem Ende meiner Pfarrerausbildung die Gelegenheit hatte, für ein Jahr in Jerusalem zu leben und zu arbeiten. Eigentlich wollte ich gar nicht dorthin. Mir war die Schwärmerei mancher Christen für Israel etwas peinlich und ich dachte, man kann doch auch ein guter Christ sein, ohne das Land Jesu persönlich kennenzulernen. Aber weil meine Frau Steffi auch zu jenen gehörte, die für dieses Land schwärmten, und weil wir als Gemeinde gerade mit dem Aufbau einer christlichen Begegnungsarbeit in Jerusalem begonnen hatten, ließ ich mich doch dazu bewegen, die Reise anzutreten. Und ich habe es nicht bereut.

Zwar lag unser Haus im arabischen Ostteil Jerusalems, aber es gab trotzdem genug Gelegenheit, das jüdische Alltagsleben im Westen der Stadt kennenzulernen. Zum ersten Mal hatte ich hier die Möglichkeit, Juden nicht nur aus Geschichts- und Religionsbüchern kennenzulernen, sondern als Verkäufer, Busfahrer, Rabbiner, Nachbarn, Kollegen und Freunde. Ich besuchte Gottesdienste in den Synagogen und Vorträge in verschiedenen Schulen Jerusalems. Und je besser ich meine jüdischen Zeitgenossen kennenlernte, desto mehr wurde mir klar: Ich weiß viel weniger über sie, als ich immer dachte.

Ein Schlüsselerlebnis, an das ich mich noch gut erinnere, geschah an einem Donnerstagmorgen in einer Synagoge von Jerusalem. Ich besuchte hier eine wöchentliche Vorlesung zur Auslegung des Talmuds. Der Rabbiner, der die Vortragsreihe hielt, war ein ausgewiesener Experte seines Fachs und ich genoss seine humorvollen und zugleich geistlich herausfordernden Erklärungen sehr. Aber besonders interessant wurde es immer dann, wenn er in Seitenbemerkungen darüber sprach, wie sich das Judentum vom Christentum unterscheidet. Vermutlich wusste er nicht, dass er auch einen christlichen Gasthörer hatte, und das war vielleicht auch gut so. Denn oft ging es mir so, dass ich mich in seinen Darstellungen des Christentums nicht so richtig wiederfinden konnte: „Bei den Christen geht es hauptsächlich darum, wie man nach dem Tod in den Himmel kommt. Aber bei uns Juden geht es darum, wie das Leben hier auf der Erde gelingen kann.“ Autsch! Ja, natürlich gibt es Christen, die so denken. Aber sind sie wirklich typisch für das, was Christen denken? Trifft diese Beschreibung wirklich den Kern des Christentums? Und selbst wenn eine Mehrheit von Christen so denken würde: Wäre das dann wirklich „richtiges Christentum“, also das, was wir im Neuen Testament finden?

Oder eine andere Randbemerkung: „Im Judentum ist es wichtig, dass man sich als Mensch mit seinen Mitmenschen versöhnt, wenn man aneinander schuldig wird. Christen klären das direkt mit Gott, weil Jesus ja für sie gestorben ist. Der Priester spricht bei der Beichte die Vergebung zu und man braucht das dann nicht mehr mit seinen Mitmenschen zu klären.“ Naja, so hätte ich es auch nicht gerade beschrieben. Andererseits muss ich auch hier zugeben, dass es vermutlich tatsächlich Christen gibt, die so denken und danach leben. Es ist also einerseits ein Zerrbild (wenn man es verallgemeinert) und andererseits auch wahr (im Blick auf manche Christen). Hinzu kommen natürlich auch noch die Unterschiede zwischen den Konfessionen: Schließlich bin ich ja nicht katholisch und deshalb gibt es bei mir auch keinen Priester. Die Beichte gibt es zwar auch bei uns, aber sie ist doch bei den evangelischen Christen anders als bei den katholischen. Und obendrein bin ich auch nicht „typisch evangelisch“, sondern pietistisch-kritisch-evangelikal oder wie auch immer man es nennen mag … Und dann kehren meine Gedanken zurück zu dem Rabbi und ich denke...

Erscheint lt. Verlag 1.9.2013
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Religion / Theologie
Schlagworte Christen und Juden • Christliche Traditionen • Dialog • Dialog Christen und Juden • Jesus • Jesus, Judentum, christliche Traditionen, Pharisäer, Neues Testament, Dialog Christen und Juden • Jude • Judentum • Neues Testament • Pharisäer
ISBN-10 3-86827-914-8 / 3868279148
ISBN-13 978-3-86827-914-6 / 9783868279146
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