Heldenplatz (eBook)
176 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-78480-8 (ISBN)
Am 15. März 1938 verkündete Adolf Hitler unter den Jubelrufen der anwesenden Wiener auf dem Heldenplatz den »Anschluß« Österreichs an Deutschland. 50 Jahre später versammeln sich in einer Wohnung in der Nähe des Heldenplatzes die Familie Schuster und deren engste Freunde. Der Anlaß: das Begräbnis von Professor Josef Schuster. Für diesen philosophischen Kopf, von den Nazis verjagt, in den fünfziger Jahren auf Bitten des Wiener Bürgermeisters aus Oxford auf seinen Lehrstuhl zurückgekehrt, gab es keinen anderen Ausweg als den Selbstmord. Denn die Situation im gegenwärtigen Österreich sei »noch viel schlimmer als vor fünfzig Jahren«.
<p>Thomas Bernhard, 1931 in Heerlen (Niederlande) geboren, starb im Februar 1989 in Gmunden (Oberösterreich). Er zählt zu den bedeutendsten österreichischen Schriftstellern und wurde unter anderem 1970 mit dem Georg-Büchner-Preis und 1972 mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Der Suhrkamp Verlag publiziert eine Werkausgabe in 22 Bänden.</p>
Thomas Bernhard, 1931 in Heerlen (Niederlande) geboren, starb im Februar 1989 in Gmunden (Oberösterreich). Er zählt zu den bedeutendsten österreichischen Schriftstellern und wurde unter anderem 1970 mit dem Georg-Büchner-Preis und 1972 mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Der Suhrkamp Verlag publiziert eine Werkausgabe in 22 Bänden.
Cover 1
Informationen zum Buch/Inhalt 2
Impressum 4
Heldenplatz 5
Personen 8
Erste Szene 9
Zweite Szene 48
Dritte Szene 92
Erste Szene
Großes Garderobenzimmer
Ein hohes Fenster mit Holzjalousien
Zwei hohe Türen links
Eine hohe Tür rechts
Mehrere geschlossene oder geöffnete Kleiderschränke bis zur Decke an allen Wänden
Mehrere geschlossene Kisten und Koffer, nach Oxford adressiert
Früher Vormittag
HERTA steht mit einem Staubtuch am Fenster und schaut auf die Straße hinunter
FRAU ZITTEL kommt mit einem Anzug auf einem Kleiderbügel herein und hängt ihn auf, begutachtet ihn
Der Anzug ist nicht einmal zerrissen
Ein kleines Loch in der Weste
Mein Universitätsanzug hat der Professor immer gesagt
sie riecht am Anzug, hält ihn hoch und gegen das Licht
und hängt ihn wieder auf
Jetzt ist alles noch viel schlimmer
als vor fünfzig Jahren hat er gesagt
Eigentlich hätt’ ich zur Mutter gehn müssen
Mich graust vor dem Altersheim
HERTA fängt an, die auf dem Boden herumliegenden
Schuhe zu putzen
FRAU ZITTEL
Entweder ich schneide ihr die Nägel
oder ich lese ihr den Tolstoj vor
Nur weil der Professor vor fünfzehn Jahren gesagt hat
lesen Sie Ihrer Mutter doch Tolstoj vor
eine sehr gute therapeutische Maßnahme
lese ich ihr jetzt schon fünfzehn Jahre Tolstoj vor
sie bürstet den Anzug
Wenn ich ihr das Gebiß in den Mund stecken will
stößt sie mich zurück
Um mich hat sie sich nie gekümmert
Ich will ihr das Gebiß in den Mund stecken
und sie schlägt mir ins Gesicht
die alten Leute sind renitent
sie riecht am Anzug
Zwanzig Jahre habe ich es ja ausgehalten
hat er gesagt
Wer weiß ob der Professor in England
wieder Fuß gefaßt hätte
Die Frau Professor hat Wien immer gehaßt
nur das Theater hat sie geliebt
Wien hat sie gehaßt
Wenn sie jetzt nach Neuhaus geht
ist es sicher nur auf kurz
Die Frau Professor ist ein Stadtmensch
Die Wohnung ist verkauft
voreilig verkauft
spätestens am Neunzehnten
das ist ja schon übermorgen
muß sie geräumt sein
HERTA steht schuheputzend am Fenster und schaut auf die Straße hinunter
FRAU ZITTEL
Der Professor ist tot
auch wenn du noch so lang hinunterschaust
er wird nicht mehr lebendig
Der Selbstmord ist immer eine Kurzschlußhandlung
Das Hemd war zerrissen der Anzug nicht
Ausgerechnet du hast ihn gesehen
wie er hinuntergestürzt ist
Ich hab schon so viel Tote gesehen im Leben
du machst mich noch ganz krank mit deinem Hinunterschauen
Die Frau Professor hört schon wieder das Geschrei
Zu Mittag beim Nachtmahl nicht
Kaum hat sie ein paar Löffel Suppe gegessen
wird sie weiß im Gesicht und ganz steif
Steinhof hat auch nichts genützt
In Neuhaus erholt sie sich auch nicht mehr
Sie werden sehen Frau Zittel in Oxford wird sie
die Anfälle nicht mehr haben
hat der Professor gesagt
in Oxford gibt es keinen Heldenplatz
in Oxford ist Hitler nie gewesen
in Oxford gibt es keine Wiener
in Oxford schreien die Massen nicht
HERTA
Die Frau Professor nimmt mich nach Neuhaus mit
FRAU ZITTEL
Sie braucht dich ja
ich hab ihr eingeredet daß sie dich braucht
Zu Weihnachten ist sie die ganze Zeit
im Bett liegen geblieben
über Neujahr auch
In Neuhaus liegt sie auch den ganzen Tag im Bett
oder auf der Terrasse untätig
sie liest auch immer dasselbe
HERTA
Ich wollte sie ja in Steinhof besuchen
FRAU ZITTEL
Mich ließ sie auch nicht hinein
und ich hab ihr so gute Mehlspeisen gekauft
Die Frau Professor wünscht keine Besuche
hat es geheißen
sie hat wieder das schöne Balkonzimmer gehabt
Der Pavillon Friedrich ist für die depressiven feinen Leute
die sind nicht eigentlich krank und doch
jedesmal wenn sie in Steinhof war
hat sie sich verkühlt
Der Professor Schober der Primar ist ein Verwandter
vom Professor Kuddlich
den der Herr Professor Schuster in England kennengelernt hat
durch den Professor Wasserbauer
ein Onkel vom Professor Wasserbauer
hat dem Professor Schober das Primariat in Steinhof verschafft
HERTA
Die Frau Professor hat etwas gegen mich
FRAU ZITTEL
Kaum hat sie ein paar Löffel Suppe gegessen
wird sie weiß im Gesicht und steif
Die Frau Professor ist ein einsamer Mensch
Der Professor hat sie nie gut behandelt
Das verzeihe ich dir nie
daß deine Mutter Schauspielerin gewesen ist
hat der Professor oft gesagt
auch wenn du nichts dafür kannst
In Neuhaus geht sie oft wochenlang nicht aus dem Haus
Andauernd hat er zu ihr exaltierte Person gesagt
In Linz geboren allein das ist ein fürchterlicher Gedanke
hat er gesagt
HERTA
Die Frau Professor mag mich nicht
FRAU ZITTEL
Sie mag dich genauso wenig wie mich
sie mag nicht einmal sich selbst
Meine Frau ist ein verlorenes Geschöpf
ein todunglückliches
sie hätte nie geboren werden dürfen
es gibt so viele die nie geboren werden hätten dürfen
Mit diesen Menschen muß man behutsam umgehen
aber die lassen einen das gar nicht
sagte der Professor immer
diese Menschen machen immer alle und alles kaputt
sie riecht am Anzug
Jedes Jahr ist er nach England
und hat sich einen Anzug gekauft
die englischen Anzüge
sind doch die besten
HERTA
Der Herr Professor hat zweiundzwanzig Anzüge
FRAU ZITTEL
Und er hat doch immer denselben getragen
den hätte er noch jahrelang anziehen können
Das ganze Leben hat sich der Professor
die Schuhe selbst geputzt
die Schuhe durfte ihm niemand putzen
Ich hab Einbrennsuppe gemacht
einen Lungenbraten vom Ziegler
das wird schon gut sein
Anstatt nach Oxford
geht jetzt alles nach Neuhaus
Das war voreilig
daß der Professor die Wohnung verkauft hat
Die Küche ist ja auch schon ausgeräumt
schaut um sich
Heuer hätte ja alles ausgemalt werden müssen
Ein Perser Teppichhändler
Der will alles anders
nächste Woche will er mit dem Umbauen anfangen
sie nimmt Schuhe aus einem der Schränke und wirft sie
Herta vor die Füße
Die Schuhe wird der Herr Lukas nehmen
der Herr Lukas hat dieselbe Schuhgröße
ein anständiger Mensch hat Größe fünfundvierzig
hat der Professor immer gesagt
Wenn der Professor in Turin war
hat er sich Schuhe gekauft
aber angezogen hat er nur die englischen
HERTA putzt die ihr von Frau Zittel hingeworfenen Schuhe
FRAU ZITTEL
Mit dem Professor ist Oxford gestorben
sie öffnet nacheinander alle Kleiderschränke
Die Schuhe kommen in den schwarzen Rupfensack
sie wirft Schmutzwäsche auf einen Haufen
Die Schmutzwäsche kommt in die Wäscherei
Ich weiß nicht ob die Frau Professor die Schmutzwäsche
nach Neuhaus mitnimmt
In Neuhaus ist es im März noch so kalt
wir waren auch nie im Winter in Neuhaus
es bleibt uns aber gar nichts anderes übrig
als nach Neuhaus zu gehn
Die waren keine fünf
wie sie sich in Neuhaus kennengelernt haben
wenn die die sich schon als Kinder kennengelernt haben
später heiraten geht das immer schlecht aus
Aus Baden sind ihnen immer die Honigzuckerln
gebracht worden vom Chauffeur
zu Herta direkt
Du kannst doch nicht den ganzen Vormittag
auf die Straße hinunterschauen
das ändert ja nichts mehr
sie nimmt Herta den Schuh aus der Hand
Das ist ja kein Schuheputzen
sie zeigt Herta, wie der Schuh geputzt gehört
So so
sie gibt Herta den Schuh zurück
In Graz hättest du ja nur seinen Wintermantel
hinter ihm...
Erscheint lt. Verlag | 22.10.2012 |
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Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | Adolf-Grimme-Preis 1972 • Antisemitismus • Exil • Franz Theodor Csokor-Preis 1972 • Georg-Büchner-Preis 1970 • Geschichte 1988 • Grillparzer-Preis 1972 • Juden • Mitteleuropa • Österreich • Prix Medicis 1988 • Rückkehr • ST 2474 • ST2474 • suhrkamp taschenbuch 2474 • Theaterstück • Wien |
ISBN-10 | 3-518-78480-3 / 3518784803 |
ISBN-13 | 978-3-518-78480-8 / 9783518784808 |
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