Heldenplatz (eBook)

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2012 | 1. Auflage
176 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-78480-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Heldenplatz -  Thomas Bernhard
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Am 15. März 1938 verkündete Adolf Hitler unter den Jubelrufen der anwesenden Wiener auf dem Heldenplatz den »Anschluß« Österreichs an Deutschland. 50 Jahre später versammeln sich in einer Wohnung in der Nähe des Heldenplatzes die Familie Schuster und deren engste Freunde. Der Anlaß: das Begräbnis von Professor Josef Schuster. Für diesen philosophischen Kopf, von den Nazis verjagt, in den fünfziger Jahren auf Bitten des Wiener Bürgermeisters aus Oxford auf seinen Lehrstuhl zurückgekehrt, gab es keinen anderen Ausweg als den Selbstmord. Denn die Situation im gegenwärtigen Österreich sei »noch viel schlimmer als vor fünfzig Jahren«.



<p>Thomas Bernhard, 1931 in Heerlen (Niederlande) geboren, starb im Februar 1989 in Gmunden (Ober&ouml;sterreich). Er z&auml;hlt zu den bedeutendsten &ouml;sterreichischen Schriftstellern und wurde unter anderem 1970 mit dem Georg-B&uuml;chner-Preis und 1972 mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Der Suhrkamp Verlag publiziert eine Werkausgabe in 22 B&auml;nden.</p>

Thomas Bernhard, 1931 in Heerlen (Niederlande) geboren, starb im Februar 1989 in Gmunden (Oberösterreich). Er zählt zu den bedeutendsten österreichischen Schriftstellern und wurde unter anderem 1970 mit dem Georg-Büchner-Preis und 1972 mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Der Suhrkamp Verlag publiziert eine Werkausgabe in 22 Bänden.

Cover 1
Informationen zum Buch/Inhalt 2
Impressum 4
Heldenplatz 5
Personen 8
Erste Szene 9
Zweite Szene 48
Dritte Szene 92

Erste Szene


Großes Garderobenzimmer

Ein hohes Fenster mit Holzjalousien

Zwei hohe Türen links

Eine hohe Tür rechts

Mehrere geschlossene oder geöffnete Kleiderschränke bis zur Decke an allen Wänden

Mehrere geschlossene Kisten und Koffer, nach Oxford adressiert

Früher Vormittag

HERTA steht mit einem Staubtuch am Fenster und schaut auf die Straße hinunter

FRAU ZITTEL kommt mit einem Anzug auf einem Kleiderbügel herein und hängt ihn auf, begutachtet ihn

Der Anzug ist nicht einmal zerrissen

Ein kleines Loch in der Weste

Mein Universitätsanzug hat der Professor immer gesagt

sie riecht am Anzug, hält ihn hoch und gegen das Licht

und hängt ihn wieder auf

Jetzt ist alles noch viel schlimmer

als vor fünfzig Jahren hat er gesagt

Eigentlich hätt’ ich zur Mutter gehn müssen

Mich graust vor dem Altersheim

HERTA fängt an, die auf dem Boden herumliegenden

Schuhe zu putzen

FRAU ZITTEL 

Entweder ich schneide ihr die Nägel

oder ich lese ihr den Tolstoj vor

Nur weil der Professor vor fünfzehn Jahren gesagt hat

lesen Sie Ihrer Mutter doch Tolstoj vor

eine sehr gute therapeutische Maßnahme

lese ich ihr jetzt schon fünfzehn Jahre Tolstoj vor

sie bürstet den Anzug

Wenn ich ihr das Gebiß in den Mund stecken will

stößt sie mich zurück

Um mich hat sie sich nie gekümmert

Ich will ihr das Gebiß in den Mund stecken

und sie schlägt mir ins Gesicht

die alten Leute sind renitent

sie riecht am Anzug

Zwanzig Jahre habe ich es ja ausgehalten

hat er gesagt

Wer weiß ob der Professor in England

wieder Fuß gefaßt hätte

Die Frau Professor hat Wien immer gehaßt

nur das Theater hat sie geliebt

Wien hat sie gehaßt

Wenn sie jetzt nach Neuhaus geht

ist es sicher nur auf kurz

Die Frau Professor ist ein Stadtmensch

Die Wohnung ist verkauft

voreilig verkauft

spätestens am Neunzehnten

das ist ja schon übermorgen

muß sie geräumt sein

HERTA steht schuheputzend am Fenster und schaut auf die Straße hinunter

FRAU ZITTEL 

Der Professor ist tot

auch wenn du noch so lang hinunterschaust

er wird nicht mehr lebendig

Der Selbstmord ist immer eine Kurzschlußhandlung

Das Hemd war zerrissen der Anzug nicht

Ausgerechnet du hast ihn gesehen

wie er hinuntergestürzt ist

Ich hab schon so viel Tote gesehen im Leben

du machst mich noch ganz krank mit deinem Hinunterschauen

Die Frau Professor hört schon wieder das Geschrei

Zu Mittag beim Nachtmahl nicht

Kaum hat sie ein paar Löffel Suppe gegessen

wird sie weiß im Gesicht und ganz steif

Steinhof hat auch nichts genützt

In Neuhaus erholt sie sich auch nicht mehr

Sie werden sehen Frau Zittel in Oxford wird sie

die Anfälle nicht mehr haben

hat der Professor gesagt

in Oxford gibt es keinen Heldenplatz

in Oxford ist Hitler nie gewesen

in Oxford gibt es keine Wiener

in Oxford schreien die Massen nicht

HERTA 

Die Frau Professor nimmt mich nach Neuhaus mit

FRAU ZITTEL 

Sie braucht dich ja

ich hab ihr eingeredet daß sie dich braucht

Zu Weihnachten ist sie die ganze Zeit

im Bett liegen geblieben

über Neujahr auch

In Neuhaus liegt sie auch den ganzen Tag im Bett

oder auf der Terrasse untätig

sie liest auch immer dasselbe

HERTA 

Ich wollte sie ja in Steinhof besuchen

FRAU ZITTEL 

Mich ließ sie auch nicht hinein

und ich hab ihr so gute Mehlspeisen gekauft

Die Frau Professor wünscht keine Besuche

hat es geheißen

sie hat wieder das schöne Balkonzimmer gehabt

Der Pavillon Friedrich ist für die depressiven feinen Leute

die sind nicht eigentlich krank und doch

jedesmal wenn sie in Steinhof war

hat sie sich verkühlt

Der Professor Schober der Primar ist ein Verwandter

vom Professor Kuddlich

den der Herr Professor Schuster in England kennengelernt hat

durch den Professor Wasserbauer

ein Onkel vom Professor Wasserbauer

hat dem Professor Schober das Primariat in Steinhof verschafft

HERTA 

Die Frau Professor hat etwas gegen mich

FRAU ZITTEL 

Kaum hat sie ein paar Löffel Suppe gegessen

wird sie weiß im Gesicht und steif

Die Frau Professor ist ein einsamer Mensch

Der Professor hat sie nie gut behandelt

Das verzeihe ich dir nie

daß deine Mutter Schauspielerin gewesen ist

hat der Professor oft gesagt

auch wenn du nichts dafür kannst

In Neuhaus geht sie oft wochenlang nicht aus dem Haus

Andauernd hat er zu ihr exaltierte Person gesagt

In Linz geboren allein das ist ein fürchterlicher Gedanke

hat er gesagt

HERTA 

Die Frau Professor mag mich nicht

FRAU ZITTEL 

Sie mag dich genauso wenig wie mich

sie mag nicht einmal sich selbst

Meine Frau ist ein verlorenes Geschöpf

ein todunglückliches

sie hätte nie geboren werden dürfen

es gibt so viele die nie geboren werden hätten dürfen

Mit diesen Menschen muß man behutsam umgehen

aber die lassen einen das gar nicht

sagte der Professor immer

diese Menschen machen immer alle und alles kaputt

sie riecht am Anzug

Jedes Jahr ist er nach England

und hat sich einen Anzug gekauft

die englischen Anzüge

sind doch die besten

HERTA 

Der Herr Professor hat zweiundzwanzig Anzüge

FRAU ZITTEL 

Und er hat doch immer denselben getragen

den hätte er noch jahrelang anziehen können

Das ganze Leben hat sich der Professor

die Schuhe selbst geputzt

die Schuhe durfte ihm niemand putzen

Ich hab Einbrennsuppe gemacht

einen Lungenbraten vom Ziegler

das wird schon gut sein

Anstatt nach Oxford

geht jetzt alles nach Neuhaus

Das war voreilig

daß der Professor die Wohnung verkauft hat

Die Küche ist ja auch schon ausgeräumt

schaut um sich

Heuer hätte ja alles ausgemalt werden müssen

Ein Perser Teppichhändler

Der will alles anders

nächste Woche will er mit dem Umbauen anfangen

sie nimmt Schuhe aus einem der Schränke und wirft sie

Herta vor die Füße

Die Schuhe wird der Herr Lukas nehmen

der Herr Lukas hat dieselbe Schuhgröße

ein anständiger Mensch hat Größe fünfundvierzig

hat der Professor immer gesagt

Wenn der Professor in Turin war

hat er sich Schuhe gekauft

aber angezogen hat er nur die englischen

HERTA putzt die ihr von Frau Zittel hingeworfenen Schuhe

FRAU ZITTEL 

Mit dem Professor ist Oxford gestorben

sie öffnet nacheinander alle Kleiderschränke

Die Schuhe kommen in den schwarzen Rupfensack

sie wirft Schmutzwäsche auf einen Haufen

Die Schmutzwäsche kommt in die Wäscherei

Ich weiß nicht ob die Frau Professor die Schmutzwäsche

nach Neuhaus mitnimmt

In Neuhaus ist es im März noch so kalt

wir waren auch nie im Winter in Neuhaus

es bleibt uns aber gar nichts anderes übrig

als nach Neuhaus zu gehn

Die waren keine fünf

wie sie sich in Neuhaus kennengelernt haben

wenn die die sich schon als Kinder kennengelernt haben

später heiraten geht das immer schlecht aus

Aus Baden sind ihnen immer die Honigzuckerln

gebracht worden vom Chauffeur

zu Herta direkt

Du kannst doch nicht den ganzen Vormittag

auf die Straße hinunterschauen

das ändert ja nichts mehr

sie nimmt Herta den Schuh aus der Hand

Das ist ja kein Schuheputzen

sie zeigt Herta, wie der Schuh geputzt gehört

So so

sie gibt Herta den Schuh zurück

In Graz hättest du ja nur seinen Wintermantel

hinter ihm...

Erscheint lt. Verlag 22.10.2012
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Antisemitismus • Exil • Geschichte 1988 • Juden • Rückkehr • ST 2474 • ST2474 • suhrkamp taschenbuch 2474 • Theaterstück • Wien
ISBN-10 3-518-78480-3 / 3518784803
ISBN-13 978-3-518-78480-8 / 9783518784808
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