Widerspruch zwecklos oder Wie man eine polnische Mutter überlebt (eBook)

Roman
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2013 | 2. Auflage
224 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-41870-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Widerspruch zwecklos oder Wie man eine polnische Mutter überlebt -  Emmy Abrahamson
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Witzig und unkorrekt Warum um Himmels willen können die Mitglieder ihrer Familie nicht so sein wie alle anderen? Alicja wäre doch am liebsten eine ganz durchschnittliche 15-Jährige. Geht aber nicht, weil Alicjas Mutter Polin ist. Das sagt eigentlich schon alles - wenn man mit polnischen Müttern vertraut ist: Mit absoluter Treffgenauigkeit und pfeilgerade schaffen sie es, zu jeder Gelegenheit das zu tun, was ihren pubertierenden Töchtern wahlweise Scham, Zorn oder blanke Verzweiflung ins Antlitz treibt. Das fängt beim Essen an und hört bei Alicjas Freunden noch lange nicht auf. In alles mischt sich die Mutter ein. Als Alicja nach einem ihrer neuerlichen Verkupplungsversuche einen Tobsuchtsanfall erleidet und mit Tellern und Koteletts um sich schmeißt - der krönende Höhepunkt einer total verrückten Hochzeit übrigens - , geht ihr ein Licht auf: Nur wer sich wirklich liebt, kann sich so maßlos auf die Nerven gehen.   

Emmy Abrahamson wuchs u.a. in Moskau auf, sie studierte in London und Manchester und arbeitete als Schauspielerin in Amsterdam und Wien. Heute lebt sie mit ihrem Mann und ihren Zwillingen in Südschweden.

Emmy Abrahamson wuchs u.a. in Moskau auf, sie studierte in London und Manchester und arbeitete als Schauspielerin in Amsterdam und Wien. Heute lebt sie mit ihrem Mann und ihren Zwillingen in Südschweden.

3


»Es ist Sommer, hej, hej, es ist Sommer!«

Nachdem es sogar für so fanatische Sonnenanbeter wie Natalie, Marie und mich am Strand zu windig ist, findet unser Gyllene-Tider-Konzert in meinem Zimmer statt. Ich recke das Kinn etwas vor, um mein Gesicht länger aussehen zu lassen, und gebe meiner Stimme einen halländischen Klang. Ich bin Per Gessle, Natalie ist MP alias Mats Persson an der Gitarre, und Marie ist Micke »Syd« Andersson am Schlagzeug.

»Lippen auf Lippen, die mich ziehen an Land …«

»Oh oh oh«, singen Natalie und Marie.

»Die Sommer verheißen am weißen Strand!«

In Stockholm hätte ich in tausend Millionen Jahren nicht so getan, als wäre ich Per Gessle von Gyllene Tider, aber hier auf dem Land muss man nicht auf Teufel komm raus cool sein. Die Gyllene-Tider-Nummer entstand ungeplant, als wir einmal bei Natalie waren und Wenn wir beide eins werden im Radio hörten. Wir fingen spontan an mitzusingen, und seitdem singen wir immer wieder Gyllene-Tider-Songs. Es spielt keine Rolle, ob man fröhlich oder traurig ist, Gyllene Tider passt immer.

»Lebe dein Leben mit aller Macht,

Lass dich fallen: Bleib heute Nacht!«

Mein Gesicht nimmt einen leicht gequälten Ausdruck an, es ist die pure Sommerleidenschaft.

»Alicja!«, höre ich Mutter von unten rufen.

Mein anderes Ich Per Gessle macht den Kassettenrekorder aus.

»Bin gleich wieder zurück«, sagt Per. »Macht bloß nicht ohne mich weiter!«

»Du wirst uns sowieso bald für Marie Fredriksson verlassen«, sagt MP bitter. »Dann fängst du an, auf Englisch zu singen.«

»Roxette geht’s doch nur um die Kohle und ein internationales Publikum. Ihr habt mein Herz.«

Micke »Syd« sagt wie üblich nichts, sondern fixiert seine Drumsticks, als hätte er gerade entdeckt, dass es eigentlich nur zwei Bleistifte sind. Ich mache die Tür zu und gehe die Treppe hinunter.

Unten in der Küche hackt Mutter Karotten. Auf dem Herd steht ein großer Topf Suppe, in der etwas Graues schwimmt. Die Küche riecht nach gekochtem Gemüse, fettem Huhn und Brühe.

»Habt ihr ABBA gespielt?«, fragt Mutter auf Polnisch.

»Nein, Gyllene Tider«, murmle ich.

»Frag deine Freundinnen, ob sie Suppe haben wollen«, sagt Mutter.

»Die wollen keine Suppe«, sage ich schnell.

Aus Erfahrung weiß ich, dass ich am besten fahre, wenn ich meine Freundinnen Mutters kulinarischen Attacken nicht aussetze. Außerdem würde sie beim Essen garantiert etwas Unpassendes sagen. Mutter hat die schlechte Angewohnheit, grundsätzlich entweder ihre Meinung zu sagen oder das, was sie für die einzig richtige Wahrheit hält, auch dann, wenn niemand sie danach fragt.

»Sag ihnen, dass die Suppe fertig ist.«

»Sie wollen keine Suppe.«

»Sag ihnen, dass die Suppe fertig ist.«

»Sie wollen keine Suppe.«

Kurze Pause.

»Sag ihnen, dass die Suppe fertig ist.«

»Sie wollen keine Suppe.«

Es ist faszinierend, wie unsere Unterhaltungen immer wieder in einer Art unheimlicher Twilight-Zone-Schleife landen.

»Nie wygłupiaj się«, sagt Mutter. Mach dich nicht lächerlich. »Die Suppe ist fertig.«

»Sie. Wollen. Keine. Suppe.«, sage ich.

»Sie haben sicher Hunger.«

»Sie haben keinen Hunger.«

Ich spüre, wie der Frust in mir aufsteigt.

»Sie haben sicher seit dem Frühstück nichts mehr gegessen.«

»Sie haben seit dem Frühstück Unmengen gegessen. Ununterbrochen. Die ganze Zeit.«

»Alicja, nun mach! Sonst sag ich ihnen, dass sie nach unten kommen und Suppe essen sollen«, fährt Mutter fort.

»Schweden essen keine Suppe!«, bricht es aus mir heraus.

»Alle essen Suppe«, sagt Mutter.

»Schweden nicht!«, sage ich. »Und schon gar nicht solche Suppe.« Ich wedle Richtung Herd.

»Und dieser grauenhafte Pamp mit Erbsen, den sie mit Pfannkuchen essen, was ist das?«, sagt Mutter. »Suppe!«

»Schweden …«, beginne ich, aber weiß nicht, wie ich fortfahren soll.

»Marie! Natalie!«, ruft Mutter.

Natalie und Marie kommen nach unten. Mutter sagt ihnen, sie sollen sich hinsetzen und essen. Sie hat schon Suppe in die Teller geschöpft. Zu fragen, ob meine Freundinnen Hunger haben, fällt ihr nicht mal ein. Natalie und Marie setzen sich an den Tisch, und ihr Lächeln wirkt vollkommen echt. Schließlich setze ich mich dazu und stiere in die Suppe, die mir kochend heiß ins Gesicht dampft. Ich meine, etwas zu erkennen, was einmal Gemüse war (Spargel? Kartoffeln? Rübchen?), und bei näherer Betrachtung stellt es sich als ein Stück Fleisch (Huhn? Speck? Mensch?) heraus. Alles in der Suppe ist bis zur völligen Unkenntlichkeit zerkocht.

# 237   Akzeptiere, dass alles, was gekocht werden kann, gekocht werden muss – und zwar so lange wie nur irgend möglich.

Diese Regel gilt für alles. Spaghetti sind mindestens eine Dreiviertelstunde zu kochen, damit aus ihnen eine einzige grau-wässrige Pampe entsteht. Gemüse ist zu kochen, bis es jegliche Farbe verliert und in Auflösung übergeht. Bei Fleisch ist sicherzustellen, dass sich all seine nahrhaften Bestandteile in aufsteigendem Dampf verflüchtigen. Hauptsache, es brutzelt immer irgendetwas auf dem Herd.

Marie fragt jetzt, ob irgendwelche Milchprodukte in der Suppe sind.

»Ich bin allergisch gegen Milchprodukte«, fügt sie entschuldigend hinzu.

»Liegt das daran, dass du Asiatin bist?«, fragt Mutter.

Ich hole tief Luft. In Gröna Lund, dem Vergnügungspark in Stockholm, gibt es eine Maschine, die misst, wie »heiß« verliebt man gerade ist, man muss sich dazu nur zehn Sekunden lang an zwei Handgriffen festhalten. In mich ist eine ähnliche Maschine eingebaut, die misst, wie verlegen mich meine polnische Mutter machen kann. Status jetzt gerade: Die Maschine springt an!

»Ja«, sagt Marie, und man merkt jedenfalls nicht, dass die Frage ihr was ausmacht.

»Nehmt Brot!«, sagt Mutter und reicht einen Korb mit ihrem selbst gebackenen Brot herum.

Natalie nimmt eine Scheibe, und ich sehe, wie sie kämpfen muss, um einen Bissen von dem steinharten Kanten abzubeißen.

»Ich glaube nicht an Allergien«, sagt Mutter. »Die habt ihr hier im Westen erfunden. Alles Blödsinn!«

Ich beobachte Marie, die aber kein bisschen böse zu sein scheint, im Gegenteil: Sie löffelt Suppe und sieht dabei glücklich und zufrieden aus.

»Mein Cousin ist allergisch gegen Nüsse«, sagt Natalie. »Ich war mal dabei, wie er fast gestorben ist, nur weil ein Stückchen Nuss in seinem Eis war.«

Mutter tut so, als hätte sie das, was Natalie gesagt hat, nicht gehört. Sie hat Natalie von Anfang an nicht gemocht. Zum Glück hat Natalie es nie gemerkt.

»Es war richtig unheimlich«, fährt Natalie fort.

»Schmeckt dir die Suppe?«, fragt Mutter Marie.

Meine beiden Freundinnen nicken, und ich muss zugeben, dass die Suppe diesmal fast essbar ist, zumindest wenn man dabei die Augen zumacht.

»Alicja wollte euch keine anbieten.«

»Ich hätte nicht gedacht, dass ihr hungrig seid«, murmle ich.

»Sie macht mal wieder eine ihrer bockigen Teeniephasen durch.«

»Mach ich gar nicht!«, sage ich. Status jetzt: Oh, oh, die Maschine läuft warm!

»Trinkt dein Vater immer noch?«, erkundigt sich Mutter bei Marie. In derselben Sekunde beginnt die Maschine in mir »pling-pling-pling« zu machen. Status: Burn, baby, burn!

Marie nickt. Natalie und ich erwähnen nie, nie, nie ihre Situation zu Hause. Ich starre Marie an, aber auch diese vollkommen oberpeinliche Frage scheint ihr nichts auszumachen.

»Der Mann meiner Cousine Sylwia trinkt auch«, sagt Mutter. »Er ist ein Dreckkerl.«

»Ein Dreckskerl«, korrigiere ich leise.

»Genau«, sagt Mutter und nickt.

»Was macht er denn?«, fragt Natalie.

»Sylwia hat nie Glück gehabt mit Männern. Ihr erster Mann war Koch auf einem Schiff. Er war verrückt, wie alle Seemänner. Und rasend eifersüchtig. Obwohl er selbst Sylwia nie treu war.«

Natalie und Marie sitzen ganz ergriffen von der Geschichte schweigend da.

»Vielleicht sind ja nicht alle Seemänner verrückt und rasend eifersüchtig«, wende ich zaghaft ein. Im selben Augenblick frage ich mich, warum ich eigentlich das Bedürfnis verspüre, die Seemänner in Schutz zu nehmen. Wahrscheinlich hat es mit dem Bedürfnis zu tun, alle zu beschützen, die Mutter kritisiert.

»Sylwia hat ihn erst verlassen, als eine andere Frau ein Kind von ihm bekam. Kurz darauf ist sie ihrem jetzigen Mann begegnet. Er war ihr Nachbar, und alle wussten, dass er seinen letzten Job verloren hatte, weil er zu viel getrunken hat. Und wenn er trinkt, wird er gewalttätig.« Mutter schüttelt den Kopf, bevor sie fortfährt: »Aber jetzt habe ich es geschafft, dass Sylwia nach Schweden kommen kann. Es ist ihre einzige Chance, von dem Schwein wegzukommen.«

»Und was will sie in Schweden machen?«, fragt Natalie.

»Sie sagt, dass sie als Putzfrau arbeiten kann, und ich werde ihr helfen, einen Job zu finden.«

»Wird ihre Tochter mitkommen?«, frage ich. Sylwia hat eine...

Erscheint lt. Verlag 1.3.2013
Übersetzer Anu Stohner
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur
Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Schlagworte Clash der Kulturen • eBook • Freundschaft • Hochzeitsfeier • Jugendbuch • Jugendroman • Liebe • Mutter-Tochter-Beziehung • Pubertät • Roman • Schweden • Tochter-Mutter-Beziehung • Ystad
ISBN-10 3-423-41870-2 / 3423418702
ISBN-13 978-3-423-41870-6 / 9783423418706
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