Misstrauen Sie dem unverwechselbaren Geschmack (eBook)

Gedanken über eine Zukunft als Gegenwart
eBook Download: EPUB
2013 | 1. Auflage
252 Seiten
Tropen (Verlag)
978-3-608-10360-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Misstrauen Sie dem unverwechselbaren Geschmack -  William Gibson
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Seine Romane zeugen von visionärer Kraft, von Ideenreichtum und seiner Brillanz als scharfsichtiger Beobachter unserer modernen Gesellschaft.Genau diese Fähigkeit zeichnet seine Beiträge für Zeitschriften wie »Wired«, »New York Times Magazine« oder »Rolling Stone« aus. Einprägsam beschreibt der Erfinder des »Cyberspace« in einer Rede in New York die neue interaktive Beziehung zwischen Autor und Leser. Nachdrücklich warnt er davor, dieser »Schönen neuen Virtualität« zu vertrauen, denn sie stellt abstrakte, aber keine persönlichen und menschlichen Beziehungen her. William Gibson wagt Voraussagen zu Gegenwart und Zukunft, die bisher immer von der Wirklichkeit überholt wurden und aufhorchen lassen. Faszinierend, überraschend und stets am Puls der Zeit!

William Gibson, geboren 1948 in South Carolina, wanderte mit 19 Jahren nach Kanada aus, um der Einziehung zum Vietnamkrieg zu entgehen. 1972 ließ er sich in Vancouver nieder, wo er noch heute mit seiner Familie lebt. Bekannt wurde er mit seinem 1984 erschienenen und vielfach preisgekrönten Roman Neuromancer, in dem er erstmals den Begriff »Cyberspace« prägte. 2019 wurde ihm der Damon Knight Memorial Grand Master Award für sein Lebenswerk verliehen.

William Gibson, geboren 1948 in South Carolina, wanderte mit 19 Jahren nach Kanada aus, um der Einziehung zum Vietnamkrieg zu entgehen. 1972 ließ er sich in Vancouver nieder, wo er noch heute mit seiner Familie lebt. Bekannt wurde er mit seinem 1984 erschienenen und vielfach preisgekrönten Roman Neuromancer, in dem er erstmals den Begriff »Cyberspace« prägte. 2019 wurde ihm der Damon Knight Memorial Grand Master Award für sein Lebenswerk verliehen. Hannes Riffel lebt und arbeitet als freier Lektor und Übersetzer in Berlin. Er ist Mitbegründer der Otherland-Buchhandlung und Leiter des Golkonda Verlages. Für Übersetzungen von John Clute, Hal Duncan und Paolo Bacgalupi wurde er bereits dreimal mit dem Kurd Laßwitz Preis ausgezeichnet.

Einleitung:
Afrikanisches Daumenklavier


Als ich mit dem Schreiben von Literatur begann, wusste ich, dass ich keine Ahnung vom Schreiben hatte. An sich war es von Vorteil, mir meiner Ahnungslosigkeit bewusst zu sein, obwohl ich damals ziemliches Muffensausen deswegen hatte. Wer dazu bestimmt ist, Autor zu werden, dachte ich, muss doch auch über das nötige Handwerkzeug verfügen. Und da ich es nicht besaß, war ich womöglich nicht zum Schreiben bestimmt. Ich saß an meiner Schreibmaschine, auf der ich bis dahin lediglich ein paar studentische Hausarbeiten getippt hatte, und versuchte, einen Einstieg zu finden.

Schließlich begann ich einen Satz und werkelte mehrere Monate daran herum. Er wurde immer länger und las sich schließlich so: »Nachdem Graham Nachmittag für Nachmittag in dem abgedunkelten Vorführungsraum verbracht hatte, wurden die absteigenden Zahlen auf dem Startband für ihn zu hypnagogischen Sigillen, die dem Traumzustand des Films vorausgingen.« Kann sein, dass die Figur nicht Graham hieß, sondern Bannister. Der Satz erinnerte so oder so in eklatanter Weise an den Stil J. G. Ballards, der seinen Protagonisten stets handfeste, alltägliche Nachnamen aus der britischen Mittelklasse gab.

Ich hatte keinen blassen Schimmer, was der Satz bedeutete oder wie die Geschichte weitergehen sollte – was nicht unbedingt von Nachteil war, wie ich heute weiß. Ich hatte den ersten Schritt in die Welt der Fiktion getan, genau wie mein Protagonist. Eine Tür hatte sich geöffnet, wenn auch nur einen Spaltbreit. Im Geiste sah ich das verlassene Bürogebäude vor mir, in dem Graham / Bannister seine Filmkritiken schrieb. Es hatte im Innenhof einen Springbrunnen, in dem neben den üblichen Münzen auch Dutzende Armbanduhren lagen, manche davon recht teuer. Vielleicht hatte die Zeit aufgehört zu existieren oder die Menschen wollten sie einfach nicht mehr zur Kenntnis nehmen. Und damit endete mein Vorstoß – die Tür schloss sich wieder. Möglicherweise spürte ich unterbewusst, dass mit einem Ballard-Abklatsch, selbst einem guten, keine Lorbeeren zu gewinnen waren.

Einige meiner späteren Versuche spielten im Weltraum – allerdings in einem von Alfred Bester und Samuel R. Delany inspirierten. Ich kann mich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern. Meine Frau parodiert sie manchmal scherzhaft mit dem Satz: »Mit einem Zittern seiner langen grünen Ohren glitt Fimo von der Anlage herunter.« Damals hatte ich einige Schwierigkeiten mit den Figurennamen. Eine Zeitlang erwog ich sogar ernsthaft, Produktnamen aus dem IKEA-Katalog zu verwenden. Außerdem gab es in den Geschichten immer eine »Anlage«. Eine bis dahin (zumindest für mich) unvorstellbare und daher noch namenlose Technologie. Schon damals ahnte ich, dass es besser ist, dem Leser die genauen Einzelheiten und die Funktionsweise dieser Technologie nicht gleich zu verraten, selbst wenn sie einem selbst schon klar sein mögen. Mit einem Satz wie »Javnaker glitt von dem Quantenuniversumsspalter herunter, der keine Zeitmaschine war« tut man dem Leser keinen Gefallen.

Und es ist diese Erkenntnis, die mir auch einen Hinweis darauf liefert, wie wir lernen zu schreiben. Das Schreiben lernen wir nämlich zu einem Zeitpunkt, an dem wir das Lesen zu einem gewissen Grad schon gemeistert haben. Als ich mit dem Schreiben begann, hielt ich mich für einigermaßen belesen – zumindest was die Literatur anbelangte, die ich mochte. Welche Autoren wir gerne lesen, ist aber eigentlich zweitrangig, wichtig ist vielmehr, wie wir lesen. Wenn man selbst schreiben will, muss man lernen, verschiedene Leseerfahrungen zu vergleichen – die angenehmen und die unangenehmen – und daraus die eigenen Vorlieben abzuleiten. Es geht nicht um das direkte Nachahmen, sondern darum, eine ganz persönliche Mikrokultur zu schaffen.

Da ich weiß, wie ernst angehende Schriftsteller die Aussagen von erfahrenen Autoren oft nehmen, beschränke ich mich in der Regel auf folgenden Rat: Möchte man Literatur schreiben, so ist es hilfreich, vorher eine Menge gelesen zu haben. Meistens wird es etwas dauern, bis man den richtigen Einstieg und die passende Vorgehensweise gefunden hat. Zum Beispiel erinnere ich mich kaum noch daran, wie ich Autofahren gelernt habe. Außer einem netten Trick zum Einparken ist mir aus dieser Zeit nichts in Erinnerung geblieben. Beim Schreibenlernen ist es nicht anders (nur dass kein nervöser Fahrlehrer neben einem sitzt – obwohl man den gewissermaßen selbst mitbringt).

Irgendwann gelang es mir schließlich, eine Geschichte zu schreiben, die dann auch gedruckt wurde, wenn auch quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Später – nach einer Reihe von Fehlstarts, so kam es mir damals zumindest vor – schrieb ich noch ein paar mehr. Ich lernte andere angehende Science-Fiction-Autoren kennen, die allesamt nichtkommerzielle Möglichkeiten gefunden hatten, zu schreiben und gelesen zu werden. Um die Science Fiction hatte sich im Laufe der Zeit eine tiefe Kompostschicht aus Fanzines gebildet, eine Art generationenübergreifendes Zeitungsinternet, das für viele Autoren offenbar eine enorme Faszinationskraft besaß. Nachdem ich diese Form der Veröffentlichung einige Male ausprobiert hatte, beschloss ich jedoch, davon Abstand zu nehmen.

Ich fing gerade erst an, den inneren Raum zu erkunden, aus dem meine Geschichten kamen, und es erschien mir einfach sinnvoller, Literatur zu schreiben, die sich auch verkaufen ließ. (Wobei ich das angehenden Autoren nicht als Ratschlag mit auf den Weg geben möchte, weil es zweifellos Schriftsteller gibt, bei denen genau die umgekehrte Vorgehensweise zum Erfolg führt.)

Es ging mir weniger um den Unterschied zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit oder um die genaue Geldsumme, die ich mit meinen Werken erzielen würde. Es ging mir darum, mit einem Gedanken in der wirklichen Welt etwas zu bewegen – also um eine sehr viel grundlegendere Unterscheidung. Jedes von mir geschriebene (oder geschriebene und dann wieder gestrichene) Wort hatte einen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit, dass in der Außenwelt etwas geschah. Entweder würde es mir gelingen, einen Profi, der mit der Auswahl von Geschichten seinen Lebensunterhalt verdiente, davon zu überzeugen, meine Werke zu kaufen, oder eben nicht. Das erschien mir wie Magie, und es ist bis heute so geblieben. Als könnte man eine Tüte Lebensmittel herbeizaubern, indem man ein paar Runen auf die Erde zeichnet. Hat man das einmal geschafft, macht man es beim nächsten Mal weniger der Lebensmittel wegen, sondern weil es einfach ein absolut erstaunlicher Vorgang ist.

Die Tür zum Schreiben öffnete sich für mich in der Folgezeit immer häufiger und müheloser. Es hatte viel mit der Routine zu tun, die ich mir beim Schreiben von Literatur aneignete. Und obwohl ich den Drang zu schreiben vielleicht einfacher auf andere Weise hätte befriedigen können (und ich kein besonders disziplinierter Mensch bin), machte ich es mir zur Auflage, ausschließlich fiktionale Literatur zu schreiben.

Deshalb sind mir auch die Texte, die dieses Buch versammelt, nicht ganz geheuer.

Sie widersprechen diesem frühen Vorsatz, denn sie sind keine Literatur. Schlimmer noch, man kann sie eigentlich auch nicht als Sachtexte bezeichnen, weil sie aus der Perspektive und mit dem Handwerkszeug des Belletristikautors geschrieben sind – dem einzigen, das ich besitze. Auf die Herausforderung, Sachtexte zu schreiben, fühlte ich mich nur unzureichend vorbereitet. Es war in etwa so, als sollte ich eine Solodarbietung auf einem Instrument abliefern, das eine ungefähre Ähnlichkeit mit dem hatte, das ich beherrsche.

Ich hatte keinerlei Ausbildung als Journalist. Und die Vorstellung, ein Tagebuch zu führen oder ungefilterte autobiografische Texte zu verfassen, hat mir nie sonderlich behagt. Als ich die ersten Anfragen erhielt, ob ich nicht den einen oder anderen Zeitschriftenartikel verfassen könnte, war die Membran, die den Ort in meinem Inneren umgab, an dem meine Geschichten entstanden, allerdings bereits angenehm dünn und porös geworden. Die Welt drang hindurch, und wurde, wenn ich Glück hatte, in etwas anderes verwandelt. An einem guten Arbeitstag gelang es mir in einem weitgehend unbewussten Prozess, aus der Realität (oder was dafür gehalten wird) eine Fantasiewelt zu machen. Und genau so gefiel es mir, so wollte ich mein Geld verdienen. Sachtexte zu schreiben, schien dem zu widersprechen.

Und dennoch – die Gelegenheit, neue Orte zu besuchen und interessante Menschen kennenzulernen, Fragen stellen zu dürfen … all diese Dinge können auch für einen Belletristikautor außerordentlich wertvoll sein. Die absonderlichsten Eindrücke dringen durch die Membran herein – in Tokio, in Singapur, in der Zona Rosa oder in einem Nachtclub in Dublin. Und man wird sogar noch dafür bezahlt …

Das alles hat mich letztlich dazu verlockt, Angebote anzunehmen, die ich, einem inneren Gefühl gemäß, lieber hätte ausschlagen sollen. Die Ergebnisse sind hier versammelt, zusammen mit ein paar »Vorträgen« – eine für mich noch problematischere Textform. Schriftsteller sollten schreiben und keine Reden halten! Aber wie bei den quasi-journalistischen Auftragsarbeiten sind auch mit Vorträgen Flugtickets und Hotelzimmerreservierungen verbunden, in Städten, die man sonst vielleicht nie besucht hätte. Beim Redenschreiben findet man außerdem oft heraus, was man zu einem bestimmten Zeitpunkt über ein bestimmtes Thema denkt. Über die Welt an sich. Oder die Zukunft. Oder die Unmöglichkeit, über beides allgemeingültige Aussagen zu treffen. Das Redenschreiben fällt mir noch schwerer als das Verfassen von Zeitschriftenartikeln und Essays, aber später, wenn ich wieder zur Literatur...

Erscheint lt. Verlag 25.1.2013
Übersetzer Hannes Riffel, Sara Riffel
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Religion / Theologie
Schlagworte Chloë Grace Moretz • Erzählungen • ErzählungenScience-Fiction • Gegenwartsliteratur • Jonathan Nolan • Peripherie • Roman • Science-fiction • The Peripheral • westworld
ISBN-10 3-608-10360-0 / 3608103600
ISBN-13 978-3-608-10360-1 / 9783608103601
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