Mein Leben am Limit (eBook)
288 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-95633-8 (ISBN)
Reinhold Messner, Grenzgänger, Autor und Bergbauer, wurde 1944 in Südtirol geboren und wuchs in einem Bauerndorf auf. Bereits 1949 ging er zum ersten Mal in Begleitung seines Vaters auf einen Dreitausender. Nach seinem Technik-Studium arbeitete er kurze Zeit als Mittelschullehrer, ehe er sich ganz dem Bergsteigen verschrieb. Seit 1969 hat er mehr als hundert Reisen in die Gebirge und Wüsten dieser Erde unternommen. Dabei gelangen ihm zahlreiche Erstbegehungen und Achttausenderbesteigungen sowie eine Längsdurchquerung Grönlands. Reinhold Messner war nie um Rekorde bemüht, ihm geht es um das Ausgesetztsein in möglichst unberührten Naturlandschaften und das Unterwegssein mit einem Minimum an Ausrüstung. Er hielt Vorträge in ganz Europa, den USA, Japan, Australien, Südamerika, drehte Dokumentarfilme und veröffentlichte Artikel, u.a. in »Stern«, »Spiegel«, »GEO«, »Epoca«, »Espresso«, »National Geographic«. Seine Buchveröffentlichungen wurden in mehr als ein Dutzend Sprachen übersetzt. Von 1999 bis 2004 saß er für eine Legislaturperiode als Parteiloser für die Grünen im Europaparlament. Mittlerweile widmet Messner sich vor allem den Messner Mountain Museen (MMM) an sechs verschiedenen Standorten in den Alpen, seinen Film- und Buchprojekten sowie der Messner Mountain Heritage, die sich dem Narrativ des traditionellen Bergsteigens verpflichtet. Seine besondere Aufmerksamkeit gilt den Schlüsselgeschichten des Alpinismus. Zuletzt erschienen u.a. der SPIEGEL-Bestseller »Sinnbilder: Verzicht als Inspiration für ein gelingendes Leben« (mit Diane Messner) sowie »Gebrauchsanweisung für Südtirol«.
Reinhold Messner, 1944 in Südtirol geboren, gelangen zahlreiche Erstbegehungen und die Besteigung aller 14 Achttausender sowie die Durchquerung Grönlands und der Antarktis zu Fuß. Mittlerweile widmet er sich vor allem seinen Messner Mountain Museen (MMM) sowie Film- und Buchprojekten. Zuletzt erschienen bei MALIK u. a. seine Autobiografie, der SPIEGEL-Bestseller "Über Leben", und der große Bildband "m4 Mountains - Die vierte Dimension", der in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) entstand, sowie die Neuausgabe von "Vertical - 170 Jahre Kletterkunst" (mit Simon Messner), der Band "Mord am Unmöglichen" und die aktualisierte Fassung von "Torre - Schrei aus Stein". Seine besondere Aufmerksamkeit gilt heute dem Narrativ der Schlüsselgeschichten des Alpinismus.
STURM UND EIS
Zum Höhenbergsteigen kam ich durch Zufall. Ich war Student, als ich 1969 zu einer Tiroler Anden-Expedition stieß, weil Kurt »Gagga« Schoißwohl, ein exzellenter Felskletterer, als Teilnehmer ausfiel. Ich wollte damals Hoch- und Tiefbauingenieur werden. Als ich ein gutes Jahr später, nach einer tragisch verlaufenen Nanga-Parbat-Expedition, nach Amputationen von Zehen und Fingerkuppen, an die Universität von Padua zurückkam, fand ich mich im Studium nicht mehr zurecht. Also wurde ich Höhenbergsteiger. Beim Felsklettern, vor allem wegen der Schmerzen im rechten Ringfinger, behindert, konzentrierte ich mich fortan ganz auf die großen Gebirge der Erde. Ich reiste viel, auch als Gruppenführer, um mein Leben finanzieren zu können, erzählte in Büchern und Vorträgen von meinen Expeditionen, wurde bald zum Stellvertreter für eine abenteuerlustige Generation von Bergsteigern und Reisenden, die entweder zu geringe Mittel oder zu wenig Können hatten, um selbst in jene Höhen zu steigen, die nur wenigen zugänglich waren. Ich wollte Erfahrungen machen und davon berichten. Mir ging es dabei immer um Ungewißheit, diesen Schwebezustand zwischen Leben und Tod, auch um die Hilflosigkeit des Menschen am oberen Ende der Welt.
Ich beklage mich nicht, daß Abenteuer heute mit Kick verwechselt werden, das Klettern, Sport und das Höhenbergsteigen Tourismus wird, sogar der Mount Everest zur Ware verkommen ist. Buchbar für die großen Ferien. Animation, Versicherung, Sauerstoffdepot am Gipfel inklusive. Eines aber ist gewiß: Ohne Eigenverantwortung und Ausgesetztsein sind auch in eisigen Höhen keine Erfahrungen zu haben, die über Verhaltensmuster im Kindergarten hinausgehen.
H 1969 haben Sie zum ersten Mal die Alpen verlassen und eine Expedition in die Anden mitgemacht. Wie hat dies Ihre Karriere verändert?
M Die spektakuläre Seite war für mich unwichtig. An Karriere habe ich nicht gedacht. Daß ich in diesem Augenblick einen bürgerlichen Lebensweg endgültig aufgegeben habe, ist wichtiger. Ich war an der Uni ja völlig unglücklich. Irgendwie hatte ich das Gefühl, ich versäume mein Leben. Indem ich mit allem guten Willen versuchte, meinen Ingenieur zu machen, zwang ich mich zu etwas, was ich nicht wollte. Und da rufen mich diese Innsbrucker Bergsteiger an. Drei Tage vor der Abfahrt nach Südamerika. Sie hatten ihre Expedition seit langem geplant. Ich wußte aber wenig von dieser Expedition. Nur, da war Sepp Mayerl dabei, mein Partner, Peter Habeler, der geniale Zillertaler Bergführer. Beide kannte ich von gemeinsamen Alpentouren. Es ist einer ausgefallen, hieß es, und ich könnte mitkommen. Ticket, Ausrüstung, alles vorhanden. Die Kleider würden mir ungefähr passen. Ich brauchte nichts zu bezahlen, es galt jetzt innerhalb von drei Tagen das Visum zu beschaffen. Die Anden-Expedition war das Richtige für mich. Ich kam nach Hause, trainiert, mit neuer Erfahrung, hatte zwei große Berge – Yerupaja Grande und Chico (siehe »Die Freiheit aufzubrechen« TB/Piper) – über neue Routen geklettert, und war hungrig auf die Alpen. Anschließend habe ich letzte Tabus im alpinen Bergsteigen gebrochen. Die Droites-Nordwand im Mont-Blanc-Gebiet war zu dieser Zeit, 1969, die schwierigste Eiswand der Alpen. Sie war nur dreimal geklettert worden und keine Besteigung war ohne Sturz gelungen. Die Erstbegeher hatten sechs Tage gebraucht, die schnellsten drei Tage. Ich hatte die Wand mit meinem Bruder 1965 schon versucht. Wir hatten Angst. Also Rückzug. Seither hatte sie niemand mehr klettern können.
H Reines Eis?
M Unten Eis, oben Fels und Eis gemischt. Damals hatten wir Pickel, keine modernen Eiswerkzeuge. Gleich in der Früh brach ich auf, aber erst bei Tageslicht. Mit Eispickel, Steigeisen und ein Seil umgebunden. Heute ist diese Wand kein Problem mehr, damals machte sie angst. Mittags war ich oben, beobachtet von den Bergführer-Aspiranten aus Chamonix. Das hat mich in Frankreich bekannt gemacht, hat mir den ersten Werbevertrag eingebracht. Es war der Anfang einer Profi-Karriere.
H Wem haben Sie dann oben gedankt? Dem Mayerl Sepp? Gott?
M Keinem der beiden. Ich habe schon so eine Art Dankbarkeit empfunden. Für ein gutes Schicksal, den Mut, es getan zu haben. In dem Moment war es vorbei, und ich weinte vor Übermut. Aber nie der Wunsch, morgen gehe ich einen Schritt weiter. Es war okay so, da war kein Gott im Spiel, warum sollte ich ihm danken. Und meinem Lehrmeister war ich damit sicher zu weit gegangen.
H Aber Sie waren süchtig?
M Wonach? Ich wollte nur eins: nie umkommen.
H Sie waren ein Junkie, Sie sind oben gewesen, Sie haben Ihre Dosis bekommen, Sie waren glücklich, Sie waren zufrieden, Sie waren ruhig.
M Ja, ich war völlig zufrieden, ruhig und übermütig zugleich.
H Sie waren ruhig. Sie sind runtergegangen und haben sich gedacht: »So etwas machst du jetzt so schnell nicht mehr.«
M Ich bin runtergegangen und habe gedacht, das macht mir niemand so schnell nach, auch zu zweit nicht.
H Sie waren unten, und zwei Tage später ging es wieder los.
M Ja, einen Tag später ging es wieder los: Freney-Pfeiler.
H Wie hat Ihr Partner Günther Ihre Steigerung verkraftet?
M Er war ein bißchen sauer in diesem Sommer 1969. Weil ich wenig geklettert bin mit ihm. Die vielen Solo-Touren, die Strapazen störten ihn. Mußte das sein? Er hat gesagt: »Wenn du mich fragst mitzukommen, kann ich fast nie. Wenn ich nur nicht in dieser Bank arbeiten müßte!«
H Sie sind immer mehr in die Berge gegangen, und er konnte sich nicht entscheiden zwischen Berg und seiner Bank.
M Eine Notwendigkeit.
H Er war zerrissen.
M Ja, er hat sich dann entschieden zu kündigen. Für die Nanga-Parbat-Expedition. Er war vorerst für den Nanga Parbat nicht vorgesehen. Er kam dazu, weil andere – Mayerl, Habeler – abgesagt hatten.
H Das war der Beginn der Katastrophe.
M Der Nanga Parbat ist genau die Schnittlinie zwischen unserer Jugend – mit Idealen, Bergbesessenheit, der Seilschaft in senkrechter Wand – und der Höhe, dem Himalaja. Ich wäre nie mit zum Nanga Parbat, um den Gipfel ein drittes Mal zu erreichen. Die englische Königin hätte mich einladen können, ich wäre nicht mitgekommen. Nur für den Gipfel. Aber die Rupalwand, die schwierigste Wand am Nanga Parbat, die höchste Wand der Welt, war die Herausforderung schlechthin. Das waren drei Eiger-Nordwände plus Höhe übereinander getürmt, die nächste Dimension des Alpinismus. In den Alpen hatte ich alles gemacht, was man damals nicht machen durfte: die schwierigste Eiswand solo, ohne Seil. Die schwierigste Felswand solo, nur zum Teil gesichert. Jeweils 1000 Meter Gefahr, Abgrund. Ich bin die Überhänge senkrecht einfach so hochgeturnt. Der Bergjournalist Toni Hiebler, ein ebenso findiger Schreiber wie intriganter Chronist, hat mir damals einen Brief geschrieben: »Wenn du nicht aufhörst damit, bist du im Herbst ein toter Mann.« Aber ich wußte genau: Was ich tue, traut sich sonst niemand. Ich war so selbstsicher. Nicht besser als andere, aber instinktiv gut. Ich wußte, da kommt zur Zeit kein anderer durch. Es ist wie ein Traum, wenn alles fließt. Es ist dabei alles so selbstverständlich. In diesem Herbst kam die Einladung zum Nanga Parbat. Ich wußte natürlich, daß die besten deutschen Kletterer in den sechziger Jahren an der Rupalwand gescheitert waren. Der Nanga Parbat war also nicht nur der »Deutsche Schicksalsberg«, nicht nur der Berg, an dem Hermann Buhl mit seiner Erstbegehung eine Glanzleistung vollbracht hatte, nicht nur einer der schwierigsten Achttausender, am Nanga Parbat war die Wand der Wände zu finden, unbestiegen, die Rupalwand: 4500 m hoch. Oben senkrecht. Die Wand, von der Hermann Buhl gesagt hat: »Für alle Zeit unmöglich!«
H Hermann Buhl war Ihr großes Vorbild. Hat Sie dessen Urteil nicht abgeschreckt?
M Buhl hat noch dazu gesagt: »Ein Versuch allein wäre Selbstmord.« Genau das hat mich herausgefordert. Es waren siebzehn Jahre seit der Erstbesteigung des Berges 1953 vergangen, eine neue Zeit war gekommen. Wir hatten besseres Material, wir wußten mehr. Mir ging es nur um diese Wand, diese eine Wand – und um sonst gar nichts.
H Die Einladung bekamen Sie von einem Mann namens Herrligkoffer. Ein strenger Expeditionsleiter mit großdeutschen Tendenzen; ein Mann, dessen Halbbruder Willy Merkl in den dreißiger Jahren am Nanga Parbat sein Leben gelassen hatte. War Ihnen, was Herrligkoffer anging, nicht...
Erscheint lt. Verlag | 19.9.2012 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Literatur ► Zweisprachige Ausgaben | |
Sachbuch/Ratgeber ► Sport | |
Schlagworte | Abenteuer • Achttausender • Alpinismus • Berge • Bergsteiger • Berühmte Persönlichkeit • Biografie • Biographie • Buch • Bücher • EinBlick • Expeditionen • Günther Messner • Herausforderungen • Interview • Katastrophe • Kletterer • Leben • Mann • Mount Everest • Nanga Parbat • Natur • Reisen • Rote Rakete • Sehnsucht • Südtirol • Taschenbuch • Thomas Hüetlin • Tod • Wahrheit • Weiße Einsamkeit |
ISBN-10 | 3-492-95633-5 / 3492956335 |
ISBN-13 | 978-3-492-95633-8 / 9783492956338 |
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