Der Junge, der im Schnee schlief (eBook)

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2012 | 1. Auflage
240 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-41521-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Junge, der im Schnee schlief -  Henning Mankell
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Der dritte Band der Joel-Reihe von Erfolgsautor Henning Mankell.  Joel ist dreizehn und will möglichst schnell erwachsen werden. In der Nacht, als der erste Schnee des Jahres fällt, legt er feierlich drei Gelübde ab: Erstens will er sich abhärten, um hundert Jahre alt zu werden. Zweitens will er endlich einmal ans Meer, von dem ihm sein Vater schon so viel erzählt hat. Und drittens will er irgendwann in diesem Jahr eine nackte Frau sehen, oder noch besser: nur von durchsichtigen Schleiern verhüllt und tanzend, so wie diese Salome, von der die Lehrerin aus der Bibel vorgelesen hat. Fürs Abhärten gegen die Kälte finden sich - in dem kleinen Nest hoch oben im Norden Schwedens, wo Joel lebt - viele Gelegenheiten. Was das Meer angeht, müsste er erst seinen Vater Samuel in die Gänge bringen. Doch obwohl der früher einmal Seemann war und sich noch immer aus den düsteren Wäldern fortsehnt, ist er, seit ihn Joels Mutter verlassen hat, antriebslos und immer wieder in Gefahr, sein bisschen Verdienst als Holzfäller zu vertrinken. Da ist Vorsatz Nummer drei vielleicht einfacher einzulösen: Doch wie kann er die neue Verkäuferin aus dem Lebensmittelladen dazu bringen, ihm à la Salome nur in durchsichtige Schleier gehüllt die Tür zu öffnen? Joel tut so einiges, um seine Vorsätze in die Tat umzusetzen ... Der dritte, unabhängig zu lesende Band der Joel-Reihe von Erfolgsautor Henning Mankell.     

Henning Mankell, geboren 1948 in Härjedalen, war einer der großen schwedischen Gegenwartsautoren, von Lesern rund um die Welt geschätzt. Sein Werk wurde in über vierzig Sprachen übersetzt, es umfasst etwa vierzig Romane und zahlreiche Theaterstücke. Nicht nur sein Werk, sondern auch sein persönliches Engagement stand im Zeichen der Solidarität. Henning Mankell lebte abwechselnd in Schweden und Mosambik, wo er künstlerischer Leiter des Teatro Avenida in Maputo war. Er starb am 5. Oktober 2015 in Göteborg. Seine Taschenbücher erscheinen bei dtv.    

Henning Mankell, geboren 1948 in Härjedalen, war einer der großen schwedischen Gegenwartsautoren, von Lesern rund um die Welt geschätzt. Sein Werk wurde in über vierzig Sprachen übersetzt, es umfasst etwa vierzig Romane und zahlreiche Theaterstücke. Nicht nur sein Werk, sondern auch sein persönliches Engagement stand im Zeichen der Solidarität. Henning Mankell lebte abwechselnd in Schweden und Mosambik, wo er künstlerischer Leiter des Teatro Avenida in Maputo war. Er starb am 5. Oktober 2015 in Göteborg. Seine Taschenbücher erscheinen bei dtv.    

1


Joel ließ das Rollo mit einem Knall hochsausen.

Es war, als ob er den neuen Tag mit einem Salut aus einer Kanone begrüßte.

Verblüfft starrte er aus dem Fenster. Die Erde war ganz weiß. Wieder einmal war er hereingelegt worden.

Der Winter kam immer dann geschlichen, wenn man es am allerwenigsten ahnte. Joel hatte schon im letzten Herbst beschlossen, dass das nie wieder passieren durfte. Bevor er abends schlafen ging, würde er entscheiden, ob es in der Nacht anfangen sollte zu schneien oder nicht.

Das Problem war, dass man nicht hören konnte, wenn es schneite. Nicht wie Regen. Der trommelte aufs Blechdach des Fahrradständers unten auf dem Hof. Wenn die Sonne schien, war auch nichts zu hören. Aber dann veränderte sich das Licht. Und der Wind war am leichtesten von allem. Manchmal blies er so stark, riss und zerrte an den Wänden, dass es ein Gefühl war, als ob das Haus abheben wolle.

Aber der Schnee kam geschlichen. Der Schnee war wie ein Indianer. Bewegte sich lautlos und kam, wenn man es am wenigsten ahnte.

Joel sah aus dem Fenster. Jetzt war der Winter da. Ihm konnte man nicht entkommen. Und hereingelegt worden war er auch wieder. Würde es ein langer und kalter Winter werden? Der Schnee, der jetzt gefallen war, würde am längsten liegen bleiben. Weil er zuunterst lag. Der erste Schnee, der kam, war der letzte, der schmolz. Und dann wäre es schon Ende April oder Anfang Mai.

Joel dachte daran, dass er dann schon vierzehn und noch ein paar Zentimeter gewachsen sein würde. Und vieles, von dem er noch nichts wusste, würde passiert sein.

Der Schnee war gekommen.

Dann war Silvester. Auch wenn es erst November war.

Für Joel war das so. Er hatte das beschlossen. Silvester kam mit dem ersten Schnee.

Sein ganz eigener Silvesterabend. An dem Morgen, wenn die Erde weiß war, war es Zeit für ihn, seine Neujahrsgelübde abzulegen. Falls er welche hatte.

Und er hatte welche. Viele.

Der Fußboden war kalt. Joel holte das Kissen aus dem Bett und legte es unter seine Füße. Aus der Küche hörte er Samuel mit dem Kaffeekessel klappern. Samuel mochte es nicht, wenn Joel mit den Füßen auf dem Kissen stand. Deswegen musste er bereit sein schnell vom Fenster wegzugehen, wenn die Tür hinter ihm geöffnet wurde. Aber Samuel kam morgens selten in sein Zimmer. Die Gefahr bestand, aber sie war nicht besonders groß.

Mit dem Blick verfolgte Joel ein einsames Schneeflöckchen, das langsam zur Erde fiel und von all dem Weiß verschluckt wurde.

Es gab viel, worüber man nachdenken musste, wenn man dreizehn Jahre alt war. Mehr als mit zwölf. Gar nicht davon zu reden, wenn man erst elf war.

Zwei Sachen meinte er gelernt zu haben, seit es im letzten Herbst schneite. Das Leben wurde immer komplizierter, je mehr Zeit verging. Und der Winter kam immer dann geschlichen, wenn man es am wenigsten ahnte.

Joel dachte an den letzten Abend. Da war es noch Herbst gewesen. Nach dem Mittagessen hatte er seine Stiefel angezogen, die Jacke in die Hand genommen und war die Treppe in drei Sprüngen hinuntergelaufen. Da es Sonntagabend war, hielt der Nachtzug aus Richtung Norden im Ort. Selten stieg jemand ein. Und noch seltener stieg jemand aus. Aber man konnte ja nie wissen. Außerdem schmuggelte Joel dann immer geheime Briefe in den Briefeinwurfschlitz im Postwaggon.

Ich behalte euch im Auge. Unterzeichnet J.

Immer derselbe Text. Aber auf die Umschläge schrieb er verschiedene Namen, die er sich aus Papa Samuels Zeitung holte. Die Adressen erfand er selbst.

Wunderwerkstraße 9. Oder Schmied-Lundbergs-Allee 12.

Joel dachte, dass es vielleicht irgendwo auf der Welt gerade so eine Adresse gab. Da er jedoch gleichzeitig den Verdacht hatte, die Post könnte geheime Personen angestellt haben, die Tag und Nacht damit beschäftigt waren, Leute aufzuspüren, die Briefe an erfundene Adressen schickten, wagte er es nicht, die Namen von Städten zu benutzen, die es wirklich gab. Deswegen studierte er in der Schulbibliothek Wann Wo Wie. Das war ein Kalender, in dem stand, was im vergangenen Jahr geschehen war. Ganz hinten gab es eine lange Liste mit allen Städten und Orten des Landes. Da konnte man ablesen, welche Städte größer geworden waren. Oder welche Flecken kleiner. Der Ort, in dem Joel wohnte, wurde immer kleiner. Das untermauerte Joels Verdacht. Niemand wollte hier wohnen. Es wollte auch niemand herziehen. Wenn es ganz schlecht ausging, dann würden Papa Samuel und er die letzten Menschen sein, die es hier noch gab. Einmal hatte er versucht Samuel das zu erklären. Aber der hatte nur gelacht.

»Am Fluss werden immer Menschen wohnen«, hatte er geantwortet.

»Müssen das ausgerechnet wir sein?«, hatte Joel gefragt.

Darauf hatte Samuel keine Antwort gegeben. Er hatte nur noch einmal gelacht, bevor er sich die Brille aufsetzte und in der Zeitung zu blättern begann. Aber in Wann Wo Wie konnte Joel jedenfalls kontrollieren, dass es die Adressen auf seinen geheimen Briefen nirgendwo in Schweden gab. Weder Joelsholm noch Graneborg.

Er klebte nie Briefmarken auf die Briefe. Die zeichnete er. Männer mit großen Nasen. Da die Briefe erfunden waren, wäre es unpassend gewesen, echte Briefmarken draufzukleben. Er musste vorsichtig sein, wenn er die Briefe einwarf. Bahnhofsvorsteher Knif hatte scharfe Augen und konnte leicht aufbrausend und wütend werden. Aber bis jetzt war Joel noch nie erwischt worden. In seinem Notizbuch hatte er aufgeschrieben, dass er insgesamt schon elf Briefe mit dem Zug nach Süden auf die Reise geschickt hatte.

Den letzten Brief hatte er also gestern Abend in den Postwaggon geschmuggelt. Und da war es noch Herbst gewesen. Der Frost hatte unter den Reifen geknirscht. Aus seinem Mund kamen Atemwolken, als er den Hügel zum Bahnhof hinaufradelte, und er war außer Atem gewesen. Es war Mitte November. Häufig hatte es da schon geschneit. Aber nicht in diesem Jahr. Der Winter war spät. Und wieder hatte sich der Schnee über Nacht angeschlichen.

Joel warf einen Blick auf den Wecker, der auf einem Hocker neben seinem Bett stand. Wenn er rechtzeitig in die Schule kommen wollte, musste er sich beeilen. Wie gewöhnlich war er schon spät dran. Er lief in die Toilette, wusch sich, so schnell er konnte, zog sich an und ging in die Küche.

Samuel machte sich gerade zum Gehen bereit. Papa Samuel, der Seemann, der Waldarbeiter geworden war. Joel wünschte oft, dass es genau umgekehrt wäre. Der Waldarbeiter, der Seemann geworden war. Dann würden sie nicht hier am Fluss wohnen, so weit entfernt vom Meer, wie man überhaupt wohnen konnte. Auf einem Regal stand das Modell eines alten Segelschiffes, das »Celestine« hieß. Wenn alles anders gewesen wäre, hätte es an der Wand einer Kajüte gehangen, die von den weichen Wogen des Meeres geschaukelt wurde.

Manchmal fand Joel es unmöglich, Erwachsene zu verstehen. Sie wussten oft selber nicht, was zu ihrem eigenen Besten war. Oft sprachen sie davon, sie wollten alles tun, damit es ihren Kindern gut ging. Aber wie wollten sie das schaffen, wenn sie sich nicht einmal um sich selbst kümmern konnten?

In all den Jahren, seit Mama Jenny verschwunden war, hatte Joel seine eigene Mama sein müssen. Da war es nie ein Problem gewesen, zu wissen, was zu seinem eigenen Besten war. Aber Samuel war ein hoffnungsloser Fall. Er sagte immer »eines Tages, bald, noch nicht«, aber bald würden sie aufbrechen und weggehen. Es geschah jedoch nie. Und Joel hatte die Hoffnung schon lange aufgegeben.

Samuel war wie andere Erwachsene. Er wusste nicht, was zu seinem eigenen Besten war. Und jetzt war er zu alt. Es zu lernen. Oder es Joel machen zu lassen.

Samuel trank den Rest Kaffee und spülte die Tasse aus. Jetzt sagt er gleich, dass ich mich beeilen muss, dachte Joel.

»Beeil dich, damit du nicht zu spät zur Schule kommst«, sagte Samuel.

Joel kniete auf dem Fußboden mit dem Kopf in einem Schrank, in dem es alles gab von Schuhen bis zu alten Zeitungen. Er suchte seine Stiefel.

Er wusste, dass Samuel jetzt fragen würde, ob er gehört hatte, was er gesagt hatte.

»Hast du gehört, was ich gesagt hab?«, fragte Samuel.

»Ja«, antwortete Joel. »Aber ich komm nicht zu spät. Ich schaff das schon.«

Joel zog die Stiefel hervor und setzte sich an den Küchentisch, um sie zuzuschnüren. Zuerst schüttelte er sie aus. Mäusedreck landete auf dem Fußboden. Aber keine tote Maus. Im letzten Jahr war eine im linken Stiefel gewesen. Währenddessen packte Samuel seinen Rucksack. Da waren ein Paket Butterbrote, eine Flasche Milch und die Thermoskanne mit dem Kaffee. Joel warf ihm einen Blick aus den Augenwinkeln zu.

Sein Papa wurde alt. Obwohl er erst einundvierzig war. Aber sein Rücken krümmte sich. Sein Gesicht war magerer geworden.

Außerdem rasierte er sich immer nachlässiger und immer seltener.

Das gefiel Joel nicht. Er wollte keinen Papa mit krummem Rücken und nachlässig rasierten Wangen haben.

Aber er dachte auch an eins der Neujahrsgelübde, die er ablegen wollte, wenn es Abend wurde. Sein eigener geheimer Silvesterabend, von dem niemand außer ihm etwas wusste.

Es gab eine Sache, über die er lange Zeit nachgegrübelt hatte. Viele Abende, an denen er im Ort herumgeradelt war, hatte er an nichts anderes gedacht.

Er hatte beschlossen, dass er mindestens hundert Jahre alt werden wollte. Dann würde er also bis zum Jahr 2045 leben. Das war so Schwindel erregend weit entfernt, dass es ihm fast so vorkam, als würde er eigentlich ewig leben.

Aber Joel wusste, dass er sich schon jetzt vorbereiten musste, wenn sein Vorsatz gelingen sollte. Wenn er das nicht...

Erscheint lt. Verlag 1.6.2012
Übersetzer Angelika Kutsch
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur
Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Schlagworte Abenteuer • Band 3 • eBook • Freundschaft • Identitätsfindung • Identitätssuche • Joel-Tetralogie • Jugend • Junior • Nordschweden • Pubertät • Suche nach Mutter • Vater-Sohn-Beziehung
ISBN-10 3-423-41521-5 / 3423415215
ISBN-13 978-3-423-41521-7 / 9783423415217
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