Das Recht der Freiheit (eBook)

Grundriß einer demokratischen Sittlichkeit

(Autor)

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2011 | 2. Auflage
628 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-74680-6 (ISBN)

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Das Recht der Freiheit - Axel Honneth
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Die Theorie der Gerechtigkeit gehört zu den am intensivsten bestellten Feldern der zeitgenössischen Philosophie. Allerdings haben die meisten Gerechtigkeitstheorien ihr hohes Begründungsniveau nur um den Preis eines schweren Defizits erreicht, denn mit ihrer Fixierung auf rein normative, abstrakte Prinzipien geraten sie in beträchtliche Distanz zu jener Sphäre, die ihr »Anwendungsbereich« ist: der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Axel Honneth schlägt einen anderen Weg ein und gewinnt die heute maßgeblichen Kriterien sozialer Gerechtigkeit direkt aus jenen normativen Ansprüchen, die sich innerhalb der westlichen, liberaldemokratischen Gesellschaften herausgebildet haben. Zusammen machen sie das aus, was er »demokratische Sittlichkeit« nennt: ein System nicht nur rechtlich verankerter, sondern auch institutionell eingespielter Handlungsnormen, die moralische Legitimität besitzen. Zur Begründung dieses weitreichenden Unterfangens weist Honneth zunächst nach, daß alle wesentlichen Handlungssphären westlicher Gesellschaften ein Merkmal teilen: Sie haben den Anspruch, einen jeweils besonderen Aspekt von individueller Freiheit zu verwirklichen. Im Geiste von Hegels Rechtsphilosophie und unter anerkennungstheoretischen Vorzeichen zeigt das zentrale Kapitel, wie in konkreten gesellschaftlichen Bereichen - in persönlichen Beziehungen, im marktvermittelten Wirtschaftshandeln und in der politischen Öffentlichkeit - die Prinzipien individueller Freiheit generiert werden, die die Richtschnur für Gerechtigkeit bilden. Das Ziel des Buches ist ein höchst anspruchsvolles: die Gerechtigkeitstheorie als Gesellschaftsanalyse neu zu begründen.

Axel Honneth, geboren 1949, ist Jack C. Weinstein Professor of the Humanities an der Columbia University in New York. 2015 wurde er mit dem Ernst-Bloch-Preis, 2016 f&uuml;r <em>Die Idee des Sozialismus</em> mit dem Bruno-Kreisky-Preis f&uuml;r das politische Buch ausgezeichnet. 2021 hielt er in Berlin seine vielbeachteten Benjamin-Lectures zum Thema des Buches <em>Der arbeitende Souver&auml;n</em>.

Cover 1
Informationen zum Buch / Autor 2
Impressum 4
Inhalt 5
Widmung 7
Vorwort 9
Einleitung: Gerechtigkeitstheorie als Gesellschaftsanalyse 14
A. Historische Vergegenwärtigung: Das Recht der Freiheit 33
I. Die negative Freiheit und ihre Vertragskonstruktion 44
II. Die reflexive Freiheit und ihre Gerechtigkeitskonzeption 58
III. Die soziale Freiheit und ihre Sittlichkeitslehre 81
Übergang: Die Idee der demokratischen Sittlichkeit 119
B. Die Möglichkeit der Freiheit 127
I. Rechtliche Freiheit 129
1. Daseinsgrund der rechtlichen Freiheit 132
2. Grenzen der rechtlichen Freiheit 146
3. Pathologien der rechtlichen Freiheit 157
II. Moralische Freiheit 173
1. Daseinsgrund der moralischen Freiheit 176
2. Grenzen der moralischen Freiheit 190
3. Pathologien der moralischen Freiheit 206
C. Die Wirklichkeit der Freiheit 219
III.Soziale Freiheit 232
1. Das »Wir« persönlicher Beziehungen 233
(a) Freundschaft 237
(b) Intimbeziehungen 252
(c) Familien 277
2. Das »Wir« des marktwirtschaftlichen Handelns 317
(a) Markt und Moral. Eine notwendige Vorklärung 320
(b) Konsumsphäre 360
(c) Arbeitsmarkt 410
3. Das »Wir« der demokratischen Willensbildung 470
(a) Demokratische Öffentlichkeit 474
(b) Demokratischer Rechtsstaat 567
(c) Politische Kultur – ein Ausblick 612
Sachregister 625

14 Einleitung: Gerechtigkeitstheorie
als Gesellschaftsanalyse


Eine der größten Beschränkungen, unter denen die politische Philosophie der Gegenwart leidet, ist ihre Abkoppelung von der Gesellschaftsanalyse und damit die Fixierung auf rein normative Prinzipien. Nicht, daß es nicht Aufgabe einer Theorie der Gerechtigkeit wäre, normative Regeln zu formulieren, an denen sich die moralische Legitimität der gesellschaftlichen Ordnung bemessen ließe; aber diese Prinzipien werden heute zumeist in Isolation von der Sittlichkeit gegebener Praktiken und Institutionen entworfen, um dann erst sekundär auf die gesellschaftliche Realität »angewendet« zu werden. Die darin zum Ausdruck kommende Entgegensetzung von Sein und Sollen oder, anders gesprochen, die philosophische Herabsetzung der moralischen Faktizität ist Resultat einer weit zurückreichenden Theorieentwicklung, die nicht unerheblich mit dem Schicksal der Hegelschen »Rechtsphilosophie« verknüpft ist. Nach dem Tod des Philosophen war seine Absicht, aus den gesellschaftlichen Verhältnissen seiner Zeit die vernünftigen, nämlich freiheitsverbürgenden Institutionen normativ zu rekonstruieren, auf der einen Seite nur im Sinne einer konservativen Restaurationslehre und auf der anderen Seite allein im Sinne einer Revolutionstheorie verstanden worden; diese Aufspaltung in eine Hegelsche Rechte und eine Hegelsche Linke[1] ermöglichte es späteren Generationen, nachdem beinah alle revolutionären Ideale verschlissen waren, die politische Philosophie Hegels im ganzen dem Konservatismus zuzuschlagen. Überlebt hat daher im öffentlichen Bewußtsein 15von der Hegelschen Idee, die Gerechtigkeitstheorie auf ganz neue, gesellschaftstheoretische Füße zu stellen, nur die recht primitive Vorstellung, den gegebenen Institutionen die Aura moralischer Legitimität zu verleihen. Damit aber war der Siegeszug einer letztlich an Kant (oder, angelsächsisch, an Locke) orientierten Theorie der Gerechtigkeit nahezu besiegelt: Die normativen Prinzipien, an denen sich die moralische Legitimität der sozialen Ordnung bemessen sollte, durften nicht aus dem existierenden Institutionengefüge heraus, sondern nur von ihm unabhängig, freistehend, entwickelt werden – und an dieser Lage hat sich bis heute nichts Wesentliches geändert.

Gewiß, gegen die Vormachtstellung des Kantianismus auf dem Feld der Gerechtigkeitstheorie hat es stets Einsprüche und Gegenentwürfe gegeben. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist in der politischen Philosophie des britischen Neohegelianismus, die in Deutschland aus politisch-kulturellen Gründen nie Anklang gefunden hat, der Versuch einer Wiederbelebung Hegelscher Motive für die Zwecke einer Theorie der Gerechtigkeit unternommen worden;[2] und aus der jüngsten Vergangenheit lassen sich immerhin die Arbeiten von Michael Walzer, David Miller und Alasdair MacIntyre anführen, um zu belegen, daß der Impuls zur Überwindung rein normativer Gerechtigkeitstheorien und damit Anstrengungen zur Wiederannäherung an die Gesellschaftsanalyse nie wirklich erlahmt sind.[3] Aber gerade diese 16Unternehmungen machen auch deutlich, wie weit wir uns heute vom Vorbild der Hegelschen »Rechtsphilosophie« doch tatsächlich entfernt haben; was gegenwärtig betrieben wird, um die Mängel einer kantianischen, institutionenvergessenen Gerechtigkeitstheorie zu überwinden, besteht fast immer in der hermeneutischen Rückanpassung der normativen Prinzipien an existierende Institutionengefüge oder herrschende Moralüberzeugungen, ohne daß dabei der zusätzliche Schritt unternommen würde, deren Gehalt selbst als vernünftig oder gerechtfertigt auszuweisen. Machtlos und ohne Biß stehen solche Versuche daher heute aufgrund ihrer Tendenz zur Akkommodation den offiziellen Theorien gegenüber, die zwar nicht die gesellschaftliche Wirklichkeit, so aber doch die moralische Vernunft auf ihrer Seite haben. Hegel hingegen wollte in seiner »Rechtsphilosophie«[4] beides zu einer Einheit zusammenbringen: die institutionelle Realität seiner Zeit als in entscheidenden Zügen bereits vernünftig darlegen und umgekehrt die moralische Vernunft als in den modernen Kerninstitutionen schon verwirklicht nachweisen; der Begriff des Rechts, den er dabei verwendete, sollte all das an der gesellschaftlichen Wirklichkeit namhaft machen, was dadurch moralischen Bestand und Legitimität besitzt, daß es der allgemeinen Ermöglichung und Verwirklichung der individuellen Freiheit dient.[5]

Wenn ich an diesen Hegelschen Entwurf heute, nach zweihundert Jahren, noch einmal anknüpfe, so natürlich in dem Bewußtsein, daß sich nicht nur die gesellschaftlichen Verhältnisse, sondern auch die philosophischen Argumentationsbedingungen 17erheblich gewandelt haben. Eine bloße Wiederbelebung von Absicht und Gedankengang der »Rechtsphilosophie« ist inzwischen zu einem Ding der Unmöglichkeit geworden. Auf der einen Seite ist die soziale Realität, von der heute gezeigt werden müßte, welche ihrer Institutionen und Praktiken den Status moralischer Faktizität besitzen, eine vollkommen andere als die der frühindustriellen, konstitutionell-monarchistischen Gesellschaft des beginnenden 19. Jahrhunderts; alle institutionellen Verhältnisse, auf deren normative Stabilität Hegel noch wie selbstverständlich vertrauen konnte, haben im Zuge einer sich beschleunigenden, »reflexiv« genannten Modernisierung ihre ursprüngliche Gestalt verloren und sind zum großen Teil durch neue, ungleich verhaltensoffenere Gebilde und Organisationen ersetzt worden. Zudem hat die Erfahrung eines »Zivilisationsbruchs«, nämlich die Vergegenwärtigung der Möglichkeit des Holocausts inmitten zivilisierter Gesellschaften, jenen Hoffnungen einen entscheidenden Dämpfer versetzt, die Hegel noch in die kontinuierliche, vernünftig eingehegte Fortentwicklung moderner Gesellschaften setzen konnte. Auf der anderen Seite haben sich aber auch die theoretischen Prämissen der philosophischen Diskussion, die Rahmenbedingungen des letztlich Denkmöglichen, gegenüber den Zeiten Hegels erheblich verschoben: Die Voraussetzung eines idealistischen Monismus, in den er seinen dialektischen Begriff des Geistes verankert hat,[6] ist für uns, die Kinder eines materialistisch aufgeklärten Zeitalters, nicht mehr recht vorstellbar, so daß auch für seine Idee eines objektiven, in den sozialen Institutionen verwirklichten Geistes eine andere Grundlage gesucht werden muß.

Gleichwohl scheint es mir sinnvoll, die Hegelsche Absicht noch einmal aufzugreifen, eine Theorie der Gerechtigkeit aus den Strukturvoraussetzungen der gegenwärtigen Gesellschaften selbst zu entwerfen. Die Prämissen, die notwendig sind, 18um ein solches Unternehmen durchzuführen, lassen sich nicht ohne weiteres im vorhinein begründen; sie müssen sich vielmehr erst im Laufe der Untersuchung als gerechtfertigt erweisen. Andererseits ist es nahezu unvermeidlich, schon jetzt abstrakt die Voraussetzungen zu umreißen, die den Aufbau und den Gang der Studie verständlich machen; es wäre etwa gar nicht angemessen zu verstehen, warum ich den Entwurf einer solchen Gerechtigkeitstheorie im ganzen unter die Idee der Freiheit stellen würde, wenn nicht zuvor zumindest die allgemeinen Prämissen durchsichtig gemacht würden, von denen ich mich im folgenden leiten lasse. Die Absicht, eine Theorie der Gerechtigkeit als Gesellschaftsanalyse durchzuführen, steht und fällt mit der ersten Prämisse, daß die Reproduktion von Gesellschaften bis heute an die Bedingung einer gemeinsamen Orientierung an tragenden Idealen und Werten gebunden ist; solche ethischen Normen legen nicht nur von oben, als »ultimate values« (Parsons), fest, welche sozialen Maßnahmen oder Entwicklungen überhaupt als vorstellbar gelten können, sondern bestimmen auch von unten, nämlich als mehr oder weniger institutionalisierte Erziehungsziele, mit, woran sich der Lebensweg des einzelnen innerhalb der Gesellschaft auszurichten hat. Das beste Beispiel für eine derartige Auffassung von Gesellschaft bietet bis heute das handlungstheoretische Systemmodell Talcott Parsons’, das ausdrücklich in der Nachfolge des Deutschen Idealismus, also von Hegel, Kant, Marx und Max Weber steht. Parsons zufolge fließen die ethischen Werte, die die »letzte Realität« jeder Gesellschaft bilden, über das kulturelle System in die untergeordneten Teilbereiche ein, indem sie hier über die Mechanismen von Rollenerwartungen, impliziten Verpflichtungen und einsozialisierten Idealen, kurz: einem Gefüge sozialer Praktiken, die Handlungsorientierungen der Mitglieder prägen; diese, die Parsons durchaus im Sinne von Freud als konflikthaft integrierte Subjektivitäten versteht, richten ihr Handeln im Normalfall an denjenigen Normen aus, die sich in den unterschiedlichen Subsystemen 19in Form einer bereichsspezifischen Objektivierung der höchsten Werte niedergeschlagen haben; von einer solchen »ethischen« Durchdringung aller gesellschaftlichen Sphären nimmt Parsons im übrigen auch das ökonomische Subsystem nicht aus, das er im Unterschied zu Luhmann oder Habermas als eine normativ integrierte, heute nämlich über das Leistungsprinzip verbindlich gemachte Handlungssphäre begreift. Das Besondere an diesem Gesellschaftsmodell, das, was es für die Aktualisierung der Hegelschen Absichten besonders geeignet macht, ist die Tatsache, daß es alle sozialen Ordnungen ausnahmslos an die Voraussetzung einer Legitimierung durch ethische Werte, durch erstrebenswerte Ideale, bindet: »Keine normative Ordnung [d.h. Gesellschaft, A.H.] ist durch sich selbst legitimiert in dem Sinn, daß gebilligte oder verbotene Lebensformen einfach richtig oder falsch wären und keiner Hinterfragung bedürften. Auch...

Erscheint lt. Verlag 11.7.2011
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie
Schlagworte Demokratie • Freiheit • Georg W. Fr. • Hegel • Hegel, Georg W. Fr. • Rechtsphilosophie • Soziale Gerechtigkeit • STW 2048 • STW2048 • suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2048
ISBN-10 3-518-74680-4 / 3518746804
ISBN-13 978-3-518-74680-6 / 9783518746806
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